Protokoll der Sitzung vom 21.02.2006

(Abg. Dr. Repnik CDU: Wir reden über Dinge, von denen kein Mensch weiß, wer sie in die Welt ge- setzt hat! – Gegenruf der Abg. Marianne Wonnay SPD: Was soll das jetzt?)

Ich glaube, es ist dem Thema nicht angemessen, auf diese Art und Weise, wie Sie es gerade tun, Herr Kollege von der CDU, diesen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen zu torpedieren.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Repnik CDU – Gegenruf von der SPD: Macho!)

Das führt mich aber zu einer Tatsache, die ich hier eigentlich nicht erwähnen wollte. Ich habe vor zwei Monaten die Landesregierung schon einmal zu diesem Thema befragt und konnte auch da feststellen, dass die Sensibilisierung auch im Innenministerium zu diesem Thema viel zu wünschen übrig lässt.

(Abg. Wieser CDU: Was?)

Deswegen bin ich eigentlich sehr froh gewesen, dass wir hier im Landtag zu diesem Thema einen gemeinsamen Antrag auf den Weg gebracht haben, um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, um die Freier zu sensibilisieren und um die Hilfe- und Opferorganisationen sowie die Frauenorganisationen, die sich bei diesem Thema zusammengeschlossen haben, zu unterstützen und ihnen unsere Solidarität zu zeigen.

(Beifall bei der SPD, der FDP/DVP und den Grü- nen)

Wenn man sich die Zahlen anschaut, sieht man, dass es im Wesentlichen Frauen aus Osteuropa und Südostasien sind, die, wenn sie hier einreisen, mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zum Opfer von Zwangsprostitution werden können. Es liegen Zahlen aus dem Jahr 2003 vor – und das sind statistisch erfasste Zahlen –, nach denen es 10 % der aus diesen Ländern einreisenden Frauen sind, die hier zum Opfer von Zwangsprostitution werden können. Da sollten wir als Parlament, wir als Landesregierung, wir als politisch Verantwortliche hier in Baden-Württemberg nicht wegschauen, sondern wir sollten mit dem Finger darauf zeigen, dass auch

dies eine Begleiterscheinung einer Großveranstaltung in der heutigen Zeit ist.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Es ist vor allem wichtig, dass die Opfer dieser Zwangsprostitution und dieses Menschenhandels, wenn sie in die Hände der Polizei geraten, Kontakt zu einer Hilfsorganisation bekommen oder selbst den Weg zu Hilfsorganisationen finden. Denn nur dann kann ihnen wirklich geholfen werden. Die Organisationen, die dies tun, müssen unterstützt werden, und unter diesem Aspekt ist der gemeinsame Antrag, den wir heute auf den Weg gebracht haben, wichtig, damit sich die Organisationen, die sich um diese Frauen kümmern, mit diesem Thema nicht allein gelassen fühlen.

Auf der einen Seite gibt es Menschen, die sich an der Fußball-WM erfreuen, und auf der anderen Seite gibt es Menschen, die unter diesem Thema zu leiden haben werden. Deswegen ist es wichtig, hier Solidarität zu zeigen und die Gruppen bei ihrer Arbeit zu unterstützen, wie wir es heute tun. Auch unter diesem Aspekt ist der gemeinsame Antrag, den wir heute verabschieden, ein wichtiges Zeichen.

Sie haben mich vorhin darauf angesprochen – und ich habe es erwähnt –, dass die Innenminister auf europäischer Ebene zu diesem Thema beraten haben. Es gab dabei einen Vorschlag, der vielen von Ihnen vielleicht nicht gefallen wird: Der schwedische Innenminister schlägt der Bundesrepublik vor, Prostitution insgesamt zu verbieten, wie es Schweden bereits 1998 getan hat, woraufhin es gelang, die Zahl der Zwangsprostituierten und der Menschenhandelsopfer – so der schwedische Innenminister – auf unter 10 % des Wertes in vergleichbaren Staaten zu drücken. Das ist ein Vorschlag, den man ganz sicher nicht im Hinblick auf die WM 2006 hier in der Bundesrepublik realisieren kann – das ist utopisch –, aber er zeigt auf, wie groß die Spannbreite der Diskussion bei diesem Thema ist.

Zwangsprostitution ist wirklich der übelste Ausdruck dieses Themas, und deswegen ist es so wichtig, dass wir uns hier gemeinsam verabreden und dass das Land Baden-Württemberg alles in seiner Macht Stehende tut und Vorsorge dafür trifft, Zwangsprostitution und Menschenhandel im Zuge der WM so gering wie möglich zu halten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den Grünen sowie der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Das Wort erhält Frau Abg. Götting.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zur Fußballweltmeisterschaft 2006 wird die Welt zu Gast in Deutschland und auch in Baden-Württemberg sein. Dies ist ein denkwürdiges Ereignis, auf das wir uns alle freuen und auch freuen sollten. Viele fragen sich daher, warum ein solches Ereignis mit einem negativen Thema wie Zwangsprostitution und Menschenhandel überhaupt in Verbindung gebracht wird. Die Antwort darauf ist einfach: Erfahrungsgemäß steigt bei großen Sportveranstaltungen wie zuletzt bei den Olympischen Spielen in Athen

die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen sprunghaft an. Diese steigende Nachfrage wird zur Fußball-WM 2006 nach Schätzungen des Deutschen Städtetags – von dort habe auch ich die Zahlen – dazu führen, dass wirklich 30 000 bis 40 000 Zwangsprostituierte vor allem aus osteuropäischen Ländern nach Deutschland eingeschleust werden.

Wenn Frauen diese Dienstleistung freiwillig erbringen, besteht kein Handlungsbedarf. Wir wollen auch nicht den moralischen Zeigefinger gegenüber den Männern erheben, die diese Dienste dann in Anspruch nehmen. Aber dort, wo Frauen zur Prostitution gezwungen werden, dürfen wir nicht wegsehen.

Zwangsprostitution ist eine schwere Menschenrechtsverletzung und für die betroffenen Frauen eine Lebenssituation, die sie schwerstens traumatisiert und ihnen kaum noch eine Chance auf ein normales Leben lässt – sofern sie dieser Situation überhaupt noch entrinnen können.

(Beifall bei der FDP/DVP und den Grünen sowie Abgeordneten der SPD)

Wir begrüßen und unterstützen daher die Initiativen auf Bundes- und Landesebene ausdrücklich, weil damit Zwangsprostitution und Menschenhandel in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt werden.

Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen die Dimension von Zwangsprostitution und Menschenhandel noch etwas verdeutlichen. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen werden allein in Europa Jahr für Jahr rund 500 000 Mädchen und Frauen verschleppt und zur Prostitution gezwungen. Mit Zwangsprostitution wird ein Umsatz von jährlich etwa 10 Milliarden € gemacht – ein lukratives Geschäft, das Jahr für Jahr expandiert und mit einem relativ geringen Risiko für die Täter verbunden ist.

Den verschleppten Frauen wird der Pass abgenommen; sie werden durch Schläge, Vergewaltigungen und Drogen gefügig gemacht. Diese Frauen schweigen aus Angst um ihr eigenes Leben, um das Leben ihrer Kinder und Familien in ihren Heimatländern. Diese Mauer des Schweigens und der Angst gilt es zu durchbrechen, und zwar an der Stelle, wo ein unmittelbarer Kontakt besteht. Diesen Kontakt gibt es nun einmal bei den Kunden. Die Intention der Initiative gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution ist es, Männer für eine Zwangssituation, in der sich eine Frau befindet, zu sensibilisieren und ihnen Mut zu machen, den Frauen zu helfen, anstatt die Notlage, in der sich die Frau befindet, zu ignorieren oder gar auszunutzen.

Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um Zwangsprostitution mit mehr Erfolg als bisher zu bekämpfen. Männer, welche die Dienste einer zur Prostitution gezwungenen Frau in Anspruch nehmen, tragen nicht nur zum Profit der Täter bei, sondern insbesondere und vor allem zum Schaden der Opfer. Die Darstellung, welche menschlichen Tragödien und Erniedrigungen mit Zwangsprostitution verbunden sind, veranlasst vielleicht und hoffentlich einige dieser Männer zum Nachdenken und zum Handeln.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Das Wort erhält Frau Abg. Lösch.

(Abg. Wieser CDU: Dürfen da nur Frauen reden?)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass es gelungen ist, zu diesem Thema einen interfraktionellen Antrag einzubringen. Zwangsprostitution und Menschenhandel verstoßen gegen die Menschenrechte und gehören zu den menschenverachtendsten Verbrechen, die es gibt. Sie müssen daher geächtet werden.

Die Kollegin Götting hat es ausgeführt: Im Umfeld von Großveranstaltungen, gerade bei Großveranstaltungen mit einem starken Anteil männlicher Besucher wie die Fußballweltmeisterschaft, ist an den Austragungsorten mit einer steigenden Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen zu rechnen. Zahlreiche Prostituierte werden aus diesem Grunde aus dem Ausland nach Deutschland einreisen, wobei viele von ihnen mit Gewalt zu dieser Arbeit gezwungen werden.

Denn Zwangsprostitution und Menschenhandel sind ein lukratives Geschäft. Die „Ware Frau“ bringt dem international organisierten Verbrechen Milliardengewinne, die höher liegen als die aus illegalem Drogenhandel und Waffenhandel.

Zahlreiche Frauenverbände nehmen deshalb die Weltmeisterschaft zum Anlass, um auf das Schicksal der betroffenen Frauen hinzuweisen. Der Deutsche Frauenrat hat eine Kampagne gestartet, um zum einen die Öffentlichkeit für das Problem des Handels mit Frauen zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung zu sensibilisieren und zum Zweiten mit dem Ziel, dass Menschenrechtsverstöße durch Frauenhandel und Zwangsprostitution, die Tag für Tag in Deutschland begangen werden, auch nach der WM von einer breiteren Öffentlichkeit und auf einem höheren Niveau diskutiert werden können.

Das Ziel, ein bundesweites Netzwerk von Frauenorganisationen zu schaffen, hat auch auf Landesebene seinen Niederschlag gefunden. Wir haben auf Landesebene verschiedene Bündnisse, die sich dafür einsetzen: das Netzwerk „Stoppt Zwangsprostitution“ – alle evangelischen und katholischen Frauenorganisationen, Privatwirtschaft und Stiftungen unter der Trägerschaft von „Frauenrecht ist Menschenrecht“ – und der Landesfrauenrat sehen es als vordringliche Aufgabe an, während der Fußball-WM 2006 gezielte Aktionen zum Schutz der Frauen vor Zwangsprostitution und zur Erhellung dieses kriminellen Dunkelfelds durchzuführen.

Die so genannte Freierkampagne stellt einen wichtigen Baustein für die Arbeit der Strafverfolgung dar. Die Kampagne zur Freiersensibilisierung und gegen Zwangsprostitution hat nicht zum Ziel, Prostitution zu kriminalisieren, sondern das Ziel ist, Frauen in Zwangslagen zu helfen. Es geht auch nicht um eine Kampagne gegen den Fußball oder seine Fans. Vielmehr soll anlässlich des großen Ereignisses auf die begleitenden eklatanten Menschenrechtsverletzungen aufmerksam gemacht werden. Vielen Freiern ist oft gar nicht bewusst, welche Ausmaße die Zwangsprostitution inzwi

schen erreicht hat. Sie müssen Verantwortung für die misshandelten und geschundenen Frauen übernehmen und auf Anzeichen der Zwangsprostitution achten: Sind Frauen verletzt, sind sie eingeschüchtert, verstehen sie überhaupt die Sprache? Es gibt genug Anzeichen bei Frauen, die sich in Zwangslagen befinden. Ich glaube, es ist wichtig, Freiersensibilisierung zu betreiben, um dieses Thema aus der Tabuzone zu holen und es in der Öffentlichkeit zu diskutieren.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der SPD und der FDP/DVP)

Ich denke, wir müssen jede Möglichkeit zur Aufklärung und Verhinderung sowie zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit nutzen und unterstützen, um den Machenschaften der organisierten Kriminalität den Nährboden zu entziehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann leider nicht sagen, dass Baden-Württemberg auf diesem Feld jetzt vorangeht. Denn in Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Berlin haben die jeweiligen Landtage schon einstimmig beschlossen, die Kampagne „WM 2006 – Rote Karte gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution“ zu unterstützen. Daher freue ich mich, dass wir auch in Baden-Württemberg diesen Antrag einstimmig beschließen werden.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der SPD und der FDP/DVP)

Das Wort erhält Frau Staatssekretärin Lichy.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Menschenhandel ist eine moderne Form der Sklaverei und für die Opfer mit unermesslichem Leid verbunden. Ich bin deshalb für diesen interfraktionellen Antrag dankbar und begrüße ihn, denn er wird zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit beitragen.

Es wurde schon gesagt: Die Opfer sind zum größten Teil Frauen und Mädchen aus Mittel- und Osteuropa. Sie stammen aus der Ukraine, Bulgarien oder Russland, und sie werden unter Ausnutzung der ärmlichen Verhältnisse und der Perspektivlosigkeit in ihrem Heimatland unter dem Vorwand einer seriösen Jobvermittlung nach Deutschland gelockt. Dieser Weg in eine scheinbar bessere Zukunft endet allerdings häufig in der Zwangsprostitution. Nach ihrer Ankunft in Deutschland werden die Frauen ihrer Rechte und ihrer Würde beraubt und wie Ware von einem Bordell zum nächsten verkauft.

Wir haben Fakten über die bei Razzien von der Polizei aufgegriffenen Frauen. Diese Frauen haben gar nichts mehr. Sie haben kein Geld, keinen Pass, keine Unterkunft und keinen Schutz, und oft wissen sie nicht einmal, in welchem Land sie sich befinden. Zudem sind sie natürlich schwer traumatisiert und aus Angst vor Repressalien völlig eingeschüchtert.

Was benötigen die Frauen in dieser akuten Notsituation? Neben einer sicheren Unterkunft brauchen sie vor allem eine rasche und professionelle psychosoziale Betreuung.

Die möglichst frühzeitige Einbindung einer spezialisierten Fachberatungsstelle ist zur Wiederherstellung der psychischen Integrität der Opfer daher von fundamentaler Bedeutung.

Es gibt bei uns im Land zwei Beratungsstellen, die auf die Beratung und Betreuung von Menschenhandelsopfern spezialisiert sind: das Fraueninformationszentrum FIZ in Stuttgart und die Mitternachtsmission des Diakonischen Werks in Heilbronn. Beide Beratungsstellen werden vom Land im Wege der Projektförderung finanziell unterstützt. Diese Beratungsstellen bieten neben der psychosozialen Beratung eine umfassende Betreuung der betroffenen Frauen. Sie helfen den Opfern bei der Suche nach einer sicheren und anonymen Unterkunft, und sie stellen auch den Kontakt zu Behörden, Rechtsanwälten und Ärzten her. Zudem begleiten sie die Frauen zu Gerichtsterminen, sie vermitteln Sprachkurse, und sie unterstützen die Opfer bei der Entwicklung neuer Lebensperspektiven.

Damit, meine sehr geehrten Damen und Herren, steht fest: Opferschutz ist in erster Linie ein Gebot der Menschlichkeit. Daneben ist eine frühzeitige Hilfeleistung aber auch ein unverzichtbares Instrument der Strafverfolgung. Der Tatbestand des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung kann oft nur nachgewiesen werden, wenn die Frauen bereit sind, in einem Strafverfahren als Zeugin gegen die mutmaßlichen Täter auszusagen. Daher gilt es, durch schnelle und effektive Hilfsangebote die Aussagebereitschaft der Frauen zu erhalten und zu fördern. Das ist sehr oft schwierig; die Frauen haben wirklich massive Ängste.