Protokoll der Sitzung vom 25.10.2001

Ein Zweites ist zu bemerken: Die Konzentration auf Kernkraftwerke in den beiden vorgelegten Anträgen ist aus meiner Sicht zu kurz gesprungen. Sie zeigt ganz deutlich, dass es ein eindeutig ideologischer Hintergrund ist, der Sie dazu gebracht hat, die Anträge einzureichen.

(Zuruf von den Grünen)

Denn das Beispiel Sandoz oder auch dass man sich zu Recht in den Hochhäusern im Finanzzentrum Frankfurt um verstärkte Sicherheitsbedingungen bemüht, zeigt, dass es auch ganz andere Gefährdungspotenziale gibt.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Ein Hochhaus kann man nicht abschalten!)

Deswegen ist die Konzentration auf Kernkraftwerke eindeutig zu wenig.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Wollen Sie Hochhäuser abschalten, Frau Berroth?)

Selbstverständlich – das ist kein Thema – müssen wir im Flugverkehr alle nur denkbaren Sicherheitsmaßnahmen ergreifen. Da kann durchaus auch Kreativität gefragt sein. Ich habe allerdings noch keine Resonanz von Fachleuten auf den Vorschlag, den mein hessischer Kollege Hahn kürzlich gemacht hat. Dieser Vorschlag hat zwar einen gewissen Charme – er wollte Windkraftanlagen rings um die Kernkraftwerke aufstellen –, aber ob das eine technisch sinnvolle Lösung ist, weiß ich nicht. Aber man muss auch solche Möglichkeiten prüfen. Man muss auch einmal prü

fen, ob zum Beispiel im Gefahrenfall eine automatische Fremdsteuerung von Flugzeugen möglich ist.

(Zuruf von den Grünen – Zuruf von der SPD: Das sind doch Kleinflugzeuge!)

All diese Dinge sind zu prüfen. – Das Problem der Kleinflugzeuge ist auch noch nicht behandelt; es ist auch schwierig in den Griff zu bekommen und kann ebenfalls erhebliche Gefahren bergen.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen: In den meisten Fällen ist hier Bundeszuständigkeit gegeben – bei der Flugsicherung ebenso wie bei der Reaktorsicherheit. Auch bei aktiven Abwehrmaßnahmen wäre höchstens eine Bundeslösung möglich. Denn, wie Herr Minister Müller kürzlich zu Recht feststellte, wir haben noch keine Landesarmee. Eine Landesarmee wollen wir auch nicht einrichten, schon gar nicht zu diesem Zweck.

Apropos Bund – Herr Scheuermann hat schon darauf hingewiesen –: Die Ereignisse des 11. September zeigen eines ganz deutlich: Mit dem so genannten Atomkonsens und der Einrichtung einer Vielzahl von Zwischenlagern hat die rotgrüne Bundesregierung ein gravierendes Sicherheitsproblem geschaffen.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Drautz FDP/ DVP)

Statt Atommüll tief und zentral unter der Erde zu lagern, erzwingt der grüne Umweltminister mehr als ein Dutzend provisorische Zwischenlager auf der grünen Wiese.

(Zurufe von den Grünen)

Unverantwortlicherweise hat Herr Trittin noch vor wenigen Wochen behauptet, diese Zwischenlager seien sicher. Jetzt, nur einige Tage später, beginnt der Bundesumweltminister einen unerträglichen Eiertanz und denkt darüber nach, die Anzahl der von ihm selbst erzwungenen Zwischenlager aus Sicherheitsgründen doch wieder zu verringern. Trittins ideologische Stümpereien führen kernkraftsicherheitstechnisch ins Fiasko.

(Zurufe von den Grünen, u. a. des Abg. Dr. Salo- mon – Abg. Fischer SPD: Also, Frau Berroth, wis- sen Sie überhaupt, was Sie reden? Sie wollen nur vom Thema ablenken!)

Wenn Sie so reagieren, dann habe ich Sie richtig gut getroffen. Ich sehe das schon.

Die FDP hat die Bundesregierung immer wieder aufgefordert, ein tragfähiges und schlüssiges Entsorgungskonzept vorzulegen. Aber Herr Trittin hat nichts unternommen und steht nun vor einem Scherbenhaufen. Nach wie vor fehlt ein Konzept für eine Endlagerung von radioaktivem Müll. Das erhöht gerade auch im Hinblick auf mögliche terroristische Attacken die Anzahl potenzieller Gefahrenpunkte.

(Abg. Fischer SPD: Das glauben Sie! – Abg. Kretschmann GRÜNE: Sie sollten wirklich einmal eine Rede halten, die mit Ernst in der Sache ge- führt wird!)

Hier sollten die Antragsteller aktiv werden. Dann besteht eine gute Chance, die Sicherheitslage zügig und effizient zu verbessern.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Witzel.

Meine Damen, meine Herren! Ich möchte eine Bemerkung an Frau Berroth richten und in drei Punkten auf die Diskussion eingehen.

Frau Berroth, dass Sie dieses Thema irgendwie nicht ernst nehmen, zeigte der Vorschlag Ihres Kollegen Hahn aus dem Hessischen Landtag, wonach man das Problem dadurch lösen könne,

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Man muss es prüfen!)

dass man Windkraftanlagen um die Atomkraftwerke baue. So etwas Absurdes habe ich noch nie gehört.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Ich fand es gut, dass Sie, Herr Scheuermann, gesagt haben: Es sind ernsthafte Fragen gestellt worden. Sie haben von mir auch gehört: Ich kennen niemanden, der eine perfekte Lösung hätte. Das Problem bei der Atomtechnologie ist eben, dass sie Gefahrenmomente beinhaltet, für die es keine sauberen Lösungen gibt. Alles, was wir an Lösungen haben, sind nur Krücken, die immer noch weitere Risiken in sich tragen.

Das ist auch der Grund dafür, dass wir Grünen aus der Atomtechnologie aussteigen wollen. Glücklicherweise hat die neue Bundesregierung gesagt, sie fange damit an, damit diese Krücken, die uns verfolgen, abgeschafft werden können. Auch bei den Zwischenlagern handelt es sich ja nicht um eine Idee, die wir geboren haben, weil wir die Atomenergie gewollt hätten. Vielmehr sind Sie eingestiegen und haben gesagt, die Atomenergie sei eine sichere Technologie. Deshalb folgen wir den Experten und sagen: Wir machen jetzt diese Zwischenlager. Das ist ja nicht auf unserem Mist gewachsen, sondern das ist eine Folge Ihrer Politik.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Dr. Carmina Brenner CDU: Die SPD ist damals mit eingestiegen!)

Punkt 2: Der Kernpunkt meiner Ausführungen ist unwidersprochen geblieben: Es gibt derzeit eine Sicherheitslücke bei Atomkraftwerken. Dagegen hat niemand etwas gesagt. Deshalb müssen wir feststellen: Im Augenblick sind unsere Atomkraftwerke nicht sicher. Die nötige Vorsorge nach dem Stand von Wissenschaft und Technik ist nicht getroffen. In einem solchen Fall hat der Landesumweltminister das Recht und unseres Erachtens auch die Pflicht, die Atomkraftwerke vorläufig stillzulegen, bis die Konzepte, auf die Sie und wir warten, umgesetzt sind.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Die nächste Frage lautet: Bringt das Abschalten der Atomkraftwerke etwas?

(Zurufe der Abg. Heiderose Berroth und Beate Fauser FDP/DVP)

Ich habe vorhin schon einmal aus der Stellungnahme der Reaktorsicherheitskommission zitiert. Sie sagt: Natürlich bringt das nicht alles, aber der Störfall wird leichter beherrschbar. Vor allem bringt uns das Zeit.

Ich möchte das einmal an einem Beispiel erläutern. Wenn wir die Drohung erhalten: „Morgen fliegt möglicherweise ein Flugzeug los“ und wir heute Abend die Atomkraftwerke abstellen, befinden sie sich morgen noch in einem solchen Zustand – hoher Druck, hohe Temperatur –, dass die Anlagen viel leichter in die Luft fliegen – banal gesagt –, als wenn wir sie 14 Tage vorher abgeschaltet hätten. Das heißt, das Schadensereignis wird einfacher beherrschbar.

Frau Fauser, Sie sagen, wir müssten das radioaktive Inventar aus der Anlage herausbringen. Sie wissen vielleicht genauso gut wie ich: Man muss das Zeug zunächst einmal ein halbes Jahr kühlen, bevor man überhaupt darangehen kann, es herauszunehmen.

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Zurufe von der SPD und den Grünen)

Das heißt, wenn man jetzt abschaltet und das Zeug in einen kalten, unterkritischen Zustand bringt, ist das eine Lösung, die sich möglicherweise als wirksam erweist. Man hat sie dann schon eingeleitet und kann sie schneller realisieren, als wenn man gar nichts tut und einfach die Augen vor der bestehenden Sicherheitslücke verschließt und sagt: „Die Experten werden ja irgendwann Gutachten abliefern. So lange warten wir ab und erklären das Ganze für eine heile Welt.“ So machen wir das nicht.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Caroli.

Herr Kollege Dr. Witzel, es ist richtig: Wir haben alle miteinander eine Sicherheitslücke festgestellt. Deswegen besteht Handlungsbedarf. Sie kommen aber nicht an der von mir geäußerten Feststellung vorbei, dass sämtliche Atomkraftwerke in abgeschaltetem Zustand ebenfalls ein Sicherheitsrisiko darstellen.

(Abg. Dr. Witzel GRÜNE: Ein kleineres, ja!)

Sie sagen so leichthin, das sei ein wesentlich kleineres Risiko. Sie wissen genau, dass radioaktives Material, das aus einem Atomkraftwerk herausgeschafft werden muss, nur in Jahren herausgeschafft werden kann, sodass das kritische Potenzial in den Kraftwerken vorhanden ist, auch in abgeschaltetem Zustand. Ich habe aber vorhin in meinem Eingangsstatement darauf hingewiesen, dass in der Tat im Notfall bessere Voraussetzungen geschaffen sind, um Maßnahmen treffen zu können. Das ist unbestritten. Dennoch: Es besteht doch der Atomkonsens. Wir können nicht einfach sagen: „Jetzt wird überall abgeschaltet. Wir werden

uns dann den Regressansprüchen stellen.“ Wir würden damit zu rechnen haben, dass überall in Deutschland – möglicherweise auch außerhalb Deutschlands – Versorgungslücken entstehen, und dies gerade jetzt, beim ersten Mal, wo wir uns mit dieser Frage befassen.

Im Übrigen ist es so, dass wichtige Erkenntnisse noch nicht vorliegen, beispielsweise darüber, wie sich ein Kerosinbrand in den Anlagen auswirkt. Das wird derzeit untersucht. Das zumindest sollten wir wissen. Wir haben – wenn Sie richtig zugehört haben, werden Sie das gehört haben – ein Stufenkonzept dargelegt, auf dessen Grundlage tatsächlich abgeschaltet werden kann, möglicherweise auch dann, wenn keine Gefährdungsnotlage besteht, beispielsweise bei Anlagen mit vorsintflutlichem Charakter.

Abschließend noch ein Wort zu Ihnen, Frau Berroth: Es ist doch absurd, denjenigen, die für einen geordneten Ausstieg eintreten, vorzuwerfen, sie gingen ein Sicherheitsrisiko ein, und ihnen vorzugaukeln,

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Es ist doch so!)

sie würden der Bevölkerung mangelnde Sicherheit bescheren. Aber diejenigen, die sich weiterhin vollen Herzens für die Atomkraft einsetzen, stellen natürlich kein Sicherheitsrisiko dar.

(Beifall bei der SPD)