1999 und 2000 waren wir bei weniger als 100 000 Antragstellern. Wenn es von diesem niedrigen Niveau aus jetzt in diesem Jahr zu einem kleinen Anstieg kommt: Blasen Sie das bitte schön nicht auf! Im Interesse der Stimmung in diesem Land: Blasen Sie es nicht unnötig auf! Denn das ist nicht angemessen.
Auch wenn Sie den europäischen Vergleich anschauen, stellen Sie fest, dass Deutschland keineswegs in einer Spitzenposition ist und Sie sich ängstigen müssten. Wir befinden uns im guten Mittelfeld. Wir sind im europäischen Vergleich an der fünften Position, wenn man die Zuwanderung in Relation zur Zahl der Bevölkerung insgesamt anschaut.
Ein zweiter Gedanke: Herr Goll, Sie haben das relativ ausführlich aufgegriffen und argumentiert, man müsse aufpassen, dass hier nicht die „Falschen“ ins Land kommen. Sie unterscheiden sozusagen zwischen dem guten Ausländer, den wir gern haben wollen, weil er uns nützt, und denjenigen, die uns weniger genehm sind, die die „Falschen“ sind, Menschen, die wir nicht wollen. So haben Sie es genannt.
Wir haben es nicht nötig und es ist regelrecht peinlich, wenn Sie sich derart von humanitären Verpflichtungen distanzieren, die im europäischen Standard absolut üblich sind. Die humanitären Schutzregelungen, die im Zuwanderungsgesetz vorgeschlagen sind, sind nichts anderes als eine Anpassung an den europäischen Standard, hinter dem wir in Deutschland zurückgeblieben sind.
Sowohl beim Familiennachzug als auch in der Frage der Schutzgewährung bei nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung nähern wir uns mit dem Zuwanderungsgesetz dem europäischen Standard an. Ich frage mich wirklich, welches Menschenbild bei Ihnen dahinter steckt, wenn Sie so einfach darüber hinweggehen, dass Menschen, die wegen nichtstaatlicher oder geschlechtsspezifischer Verfolgung kommen, Frauen, die in ihrem Heimatland von Berufsverbot bedroht sind oder ausgepeitscht werden, wieder weggeschickt werden können. Das kann doch wohl nicht wahr sein.
(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Heinz CDU: Das gibt es bei uns in Europa auch! – Zuruf der Abg. Heike Dederer GRÜNE)
Wir sehen jeden Tag Bilder aus Afghanistan. Können Sie angesichts dessen tatsächlich nicht nachvollziehen, dass nichtstaatliche Verfolgung existiert? Schauen Sie sich Afghanistan an: Dort herrschen keine staatlichen Strukturen, sondern herrscht ein illegitimes Regime, das – genauso wie es ein staatliches System auch könnte – politische Verfolgung produziert.
(Abg. Hauk CDU: Dann kämpfen Sie doch gegen dieses illegitime Regime! – Gegenruf des Abg. Drexler SPD: Sie stimmen doch morgen nicht zu, im Bundestag! Aber er reißt das Maul auf!)
Wir sind dabei, machen Sie sich keine Sorgen. Warten Sie den morgigen Tag ab – ich bin da ganz zuversichtlich.
Was ich an diesem Gedankengang wirklich gefährlich finde: Es geht nicht nur darum, dass wir humanitäre Schutzstandards auf europäischem Niveau sichern wollen. Wir müssen auch im Interesse des Wirtschaftsstandorts und des internationalen Hochschulstandorts sehen, dass wir den richtigen Tonfall finden und unsere Bevölkerung darauf vorbereiten, was eine weltoffene Gesellschaft ist. Wir können es uns nicht erlauben, die Vorbehalte gegen den ungewollten, den „falschen“ Ausländer bei uns im Land zu pflegen, denn den Menschen auf der Straße wird man nicht ansehen, ob es „gute“ oder „schlechte“ Ausländer sind, die hier herumlaufen. Deshalb fordere ich Sie auf, Verantwortung für dieses Land zu zeigen, für den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort und in diesem Sinne für die weltoffene Einwanderungsgesellschaft einzutreten.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir dürfen nicht in die Gefahr geraten, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen. Wie war denn die Entwicklung? Die CDU war die erste Partei, die mit der so genannten Müller-Kommission ein Zuwanderungskonzept vorgelegt hat.
Dieses Zuwanderungskonzept der Müller-Kommission hat große Zustimmung gefunden, übrigens auch von rot-grüner Seite. Dann kam die Süssmuth-Kommisson; deren Ergebnisse habe ich für die Landesregierung als teilweise durchaus akzeptabel bezeichnet, aber auch darauf hingewiesen, dass man sich da und dort noch bewegen müsse.
Anfang August kam der erste Schritt, nämlich der Gesetzentwurf der Bundesregierung, besser gesagt, der Referentenentwurf aus dem Bundesinnenministerium – also der Gesetzentwurf des Kollegen Schily.
An dieser Stelle muss ich einen kleinen Einschub machen. Herr Kollege Schily, den ich – Herr Kollege Drexler – sehr schätze,
weil er die Linken in Ihrer Partei und erst recht die Grünen Stück für Stück mit der Realität vertraut gemacht bzw. in die Realität hineingezwungen hat. Das ist wirklich ein Verdienst von Otto Schily.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP – Abg. Pfister FDP/DVP zur SPD: Warum klatscht ihr eigentlich nicht?)
Vor diesem Hintergrund, auch mit Blick auf Erklärungen, die Kollege Schily gemacht hat, als er Anfang August seinen Referentenentwurf zur Zuwanderung der Öffentlichkeit vorgestellt hat, bestand bei uns die begründete Hoffnung, dass Schily sich in dem einen oder anderen wichtigen Punkt noch auf uns zubewegen könnte,
Nein, ich bin überhaupt nicht beleidigt. Aber Sie wissen ja ganz genau, dass ich damit den Nagel auf den Kopf treffe.
Jetzt ist Kollege Schily vermutlich aus zwei Gründen, nämlich zum einen, weil er doch Rücksicht nehmen musste auf die linksliberalen Kräfte in der SPD – Stichwort: DäublerGmelin –
(Lachen bei der SPD und den Grünen – Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Ist das eine Linke? – Gegenruf des Abg. Fleischer CDU: Die ist wirklich links!)
ja, natürlich –, und zum anderen, weil natürlich die Bundesregierung alles tun muss, um den Grünen für die Zustimmung zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan eine Brücke zu bauen, plötzlich zurückgewichen
(Lebhafter Beifall bei der CDU – Abg. Dr. Salo- mon GRÜNE: Ich weiß aber, wo bei der CDU der rechte Flügel ist!)
Wir hatten letzte Woche Innenministerkonferenz. Wir haben dort ganz klar darauf hingewiesen: Es hätte, wenn Schily es bei dem einen oder anderen Punkt geschafft hätte, die Bundesregierung, die rot-grüne Koalition noch dazu zu bringen, sich auf uns zuzubewegen, zu einer Einigung kommen können. Aber er geht jetzt in die andere Richtung. Damit sind in der Tat leider Gottes die Chancen für einen Konsens bei diesem Gesetz wirklich sehr schlecht geworden.
Jetzt der Reihenfolge nach: Ich will Ihnen, Herr Kollege Drexler, in Bezug auf das, was Sie gerade im zweiten Teil Ihrer Rede aufgegriffen haben, zunächst einmal durchaus konzedieren – und das gilt auch an die Adresse unseres Koalitionspartners –: Für uns, den CDU-Teil in dieser Landesregierung, liegt das Problem nicht in erster Linie bei den vorgesehenen Regelungen zur Erfüllung des Arbeitskräftebedarfs für den Arbeitsmarkt usw. usf. Da sagen wir zwar auch, es müsste das eine oder andere noch verbessert werden. Zwei Punkte wären hier für mich wichtig. Im Augenblick sieht der jetzt vorliegende Gesetzentwurf für den Zuzug zum Arbeitsmarkt eine so genannte angebotsorientierte Lösung vor. Sie wissen, was das heißt: Wenn ein Ausländer eine bestimmte Punktezahl auf dem Konto erreicht hat, darf er nach Deutschland kommen und hat dann die Möglichkeit, sich hier einen Arbeitsplatz zu suchen. Wir sagen demgegenüber, es wäre besser, eine nachfrageorientierte Lösung vorzusehen, nämlich dass jemand dann kommen darf, wenn er von einem Arbeitgeber gebraucht wird.