Protokoll der Sitzung vom 13.12.2001

Man muss sich einfach einmal vorstellen, was hier passiert ist. Ich stelle die Frage, ob es bei uns im Staat eigentlich Häftlinge erster Klasse gibt. Mir kommt es fast so vor, als würden wir hier in einer Bananenrepublik leben, wenn ich mir diesen Fall anschaue.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Lieber Kollege Theurer, es interessiert mich als Politikerin schon, wie es tatsächlich war und warum es bei uns in der Justiz solche Versäumnisse gibt, und das muss auch Sie interessieren. Auch Sie müssen fragen, was hier vorgefallen ist. Denn auch unsere Justiz muss auf dem Boden der Verfassung stehen.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Die Fragestellung ist ja auch erlaubt; aber andere Fragestellungen sind nicht erlaubt!)

Herr Minister Goll, ich frage Sie: Wie wollen Sie denn unseren Bürgerinnen und Bürgern hier im Land erklären, was Recht und Ordnung ist, wenn sich unsere eigenen Justizbehörden nicht daran halten?

(Abg. Pfister FDP/DVP: Jetzt aber mal langsam! Das sind doch Vorwürfe, die Sie nicht beweisen können!)

Ich fordere Sie auch auf, hierzu Stellung zu nehmen und auch das Verhalten unserer Justiz zu erklären. Warum wurde denn beispielsweise der Anwalt nicht angezeigt, Herr Pfister?

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Das ist doch ein An- tragsdelikt! Wissen Sie, was Hausfriedensbruch bedeutet? Das ist kein Offizialdelikt, sondern ein Antragsdelikt! – Zuruf des Abg. Pfister FDP/DVP – Unruhe)

Herr Kollege Reinhart, es wurde schlicht und ergreifend nur der Anwaltskammer gemeldet. Wenn einer in den Räu

men der Sonderkommission ertappt wurde, dann muss man den anzeigen, weil das ein Hausfriedensbruch ist. Ich vermute, es werden auch noch weitere Vergünstigungen zutage treten, aber die wir natürlich, wie alles in dem Fall, auch nur häppchenweise serviert bekommen.

Seit fünf Jahren wurstelt die Staatsanwaltschaft Mannheim an diesem Fall herum – ich darf Ihnen nur noch einmal ein paar Sachen in Erinnerung rufen –: Es gibt zwei eingestellte Ermittlungsverfahren aus dem Jahr 1997, es gibt aktuell in der Presse die Aussage, die Staatsanwaltschaft Mannheim habe Akten manipuliert. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe beispielsweise hat 1997 nicht wegen Urkundenfälschung und Investitionsbetrug ermittelt, obwohl eine anonyme Anzeige vorlag und obwohl klar war, dass es sich um einen Schaden von 700 Millionen DM handeln könnte.

(Abg. Teßmer SPD: Peanuts!)

Durchsuchungsanträge verschwinden irgendwie auf dem Weg von der Staatsanwaltschaft Mühlhausen zur Staatsanwaltschaft Mannheim – kann ja mal vorkommen –,

(Lachen bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

und gegen einen Finanzbeamten wird wegen Bestechlichkeit ermittelt. Aber offensichtlich spielt das im Verfahren gegen Schmider jetzt keine Rolle mehr.

Eines würde mich da schon auch interessieren: Was ist eigentlich aus der anonymen Anzeige gegen Morlok – ehemaliger FDP/DVP-Abgeordneter – geworden, die der Staatsanwaltschaft Mannheim seit Februar letzten Jahres vorliegt und dort liegt und liegt und liegt?

Meine Damen und Herren, alle diese Punkte sind für sich genommen schon ungeheuerlich, aber in der Summe ist es schlicht und ergreifend der Justizskandal, von dem wir schon gesprochen haben. Unseres Erachtens ist es höchste Zeit, dass der Generalstaatsanwalt das komplette Verfahren an sich zieht und nicht länger der Staatsanwaltschaft Mannheim überlässt, die hier offensichtlich Altlasten mit sich herumträgt.

(Zuruf von der CDU: Das ist eine Frechheit!)

Meine Damen und Herren, es gibt ein Sprichwort: Zum Begräbnis der Wahrheit gehören viele Schaufeln. Ich bitte doch darum, dass man hier endlich einmal mit dem Zuschaufeln aufhört und die Wahrheitsfindung mit allen gebotenen Mitteln betreibt. Denn es geht ja schließlich um unseren Rechtsstaat.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Maurer.

(Abg. Birzele SPD: Ja, will der Justizminister nicht sprechen? – Gegenruf von der CDU: Nein! – Abg. Birzele SPD: Er wartet ab, damit niemand antwor- ten kann! – Gegenruf des Abg. Seimetz CDU: Klu- ger Mann! – Abg. Alfred Haas CDU: Noch leitet der Präsident die Sitzung, Herr Birzele! – Weitere Zurufe)

Also gut. Ursprünglich war ja der Sinn der Aktuellen Debatte, dass es einen Dialog in freier Rede gibt.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Das ist hier nicht gewünscht!)

Das ist nicht gewünscht. Man möchte doch schon gern erreichen, dass wir auf die Bekundungen, die abgegeben werden, nicht mehr reagieren können.

(Zuruf: Ein Zeichen von Stärke!)

Ein Zeichen von außerordentlicher Stärke.

Herr Kollege Theurer, Sie sind entschuldigt: Ich habe mich gerade vergewissert und festgestellt, dass Sie DiplomVolkswirt sind.

(Heiterkeit – Abg. Pfister FDP/DVP: Ist das eine Schande?)

Nein, aber es entschuldigt ihn. Deshalb weiß er nicht, dass die Staatsanwaltschaft natürlich eine Behörde ist. Wenn ich Ihnen folgen würde, müssten wir das Amt des Justizministers eigentlich abschaffen,

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das haben Sie ja ge- macht!)

denn er hätte gar nichts mehr zu tun. – Sie müssten es abschaffen, Ihren eigenen Bekundungen zufolge.

Aber jetzt, Herr Kollege Pfister und werter Herr Reinhart, um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Es ist ein gigantischer Schaden entstanden. Der Schaden ist der größte dieser Art in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland und übertrifft den viel kommentierten Fall von Herrn Schneider bei weitem. Dieser Schaden ist in den wesentlichsten Teilen in den Jahren nach 1996 entstanden.

Die Frage, die sich ein Rechtsstaat stellen muss, lautet: Wie kann es sein, dass jemand mit der von Ihnen zitierten kriminellen Energie einen solchen Schaden anrichten kann, obwohl die Ermittlungsbehörden und die Staatsanwaltschaften des Landes Baden-Württemberg in all diesen Jahren mehr als handfeste Indizien hatten, die auf dieses kriminelle Vergehen hingewiesen haben?

(Abg. Zimmermann CDU: Trifft nicht zu! Nennen Sie eines!)

Ich zitiere hier nur aus Zeitungen, werte Kolleginnen und Kollegen.

(Zuruf von der CDU)

Sie können sich ja dazu äußern. – Trifft es zu, dass die Ermittlungsbehörden bereits Anfang 1997 die Staatsanwaltschaft darauf hingewiesen haben, dass möglicherweise zwar keine Steuerhinterziehung, dafür aber ein Kreditbetrug zulasten der finanzierenden Institute vorliegt?

Das beginnt schon sehr früh; es beginnt schon bei diesem Raubüberfall. Die Polizisten schlagen heute noch die Hände über dem Kopf zusammen wegen der Art und Weise, wie das Verfahren niedergeschlagen wurde.

Das setzt sich dann fort. Es gab eine Selbstanzeige, lese ich da: Frau Neumann in Thüringen hat dort die Behörden zum Laufen gebracht – aber nicht bei uns. Es gibt den abenteuerlichen Vorgang, lese ich in der Zeitung, dass die Behörden des Landes Thüringen in Baden-Württemberg Untersuchungen veranlassen, ohne die hiesigen Kollegen zu beteiligen. Warum machen die solche abenteuerlichen Dinge? Es gibt ein Ersuchen dieser Behörden auf Amtshilfe. Es gibt Übermittlungsvorgänge, die verschwunden bleiben. Es gibt jetzt, wie gesagt, sogar die Behauptung von an diesem Verfahren Beteiligten in der Staatsanwaltschaft, die Akten seien manipuliert worden. Ich kann mich an nichts Vergleichbares erinnern.

Es geht nicht, diesen Fall in der Art, wie wir es bisher erlebt haben, zu behandeln. Die Zeugen, die einmal anonyme Hinweise gegeben haben, werden in Beugehaft genommen – so war es beabsichtigt. Jetzt werden zwei kleine Polizeibeamte belangt. Vielleicht wird auch noch ein Betriebsprüfer erwischt. Aber alle diejenigen, die bei der OFD und der Staatsanwaltschaft agiert oder nicht agiert haben, bleiben außen vor.

Diese Fakten, werter Herr Kollege Reinhart, wieder nach der Methode „Die Kleinen hängt man, und alle anderen machen sich aus dem Staub“ zu bewältigen, wird nicht stattfinden.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Werter Herr Theurer, wozu gibt es eigentlich eine Berichtspflicht an den Justizminister? Wozu gibt es Generalstaatsanwälte? Doch dazu, dafür zu sorgen, dass der Rechtsstaat in diesem nachgeordneten Behördenbereich funktioniert.

Wenn ich als Justizminister zur Kenntnis nehmen würde, wie die Dinge seit 1996 gelaufen sind, müsste ich doch selbst das äußerste Interesse daran haben, zu klären, was da eigentlich los ist – auch als Finanzminister, wenn meinen Beamten der Vorwurf gemacht würde, mit Großkriminellen zusammenzuarbeiten. Wenn der Vorwurf erhoben wird, sogar hohe Beamte bei der OFD hätten auf die Behörden anderer Länder Einfluss genommen, um das Verfahren zu behindern, und hätten Hinweise auf die politischen Verbindungen des Herrn Schmider gegeben, müssten doch bei Ihnen Tag und Nacht die Alarmglocken klingeln. Sie müssten sich ohne Ende Berichte geben lassen. Sie müssten ein Interesse daran haben, zu klären, was eigentlich in Ihrem Laden los ist – in beiden Läden –, und zwar im Interesse des Rechtsstaats und weil es Ihre Aufgabe ist.

Stattdessen erleben wir: „Wir wissen nichts“, „Wir wollen nichts wissen“, „Ich bin überrascht“, „Es war nichts“. Nach dieser Methode funktioniert das jetzt seit Monaten und Monaten. Das geht so nicht. Denn am Ende – damit das einmal klar ist – werden Sie nicht davon profitieren, wir nicht, alle demokratischen Parteien nicht. Ist Ihnen eigentlich nicht klar, dass das Wasser auf die Mühlen von anderen politischen Kräften ist, die sagen: „Wir haben ja immer gewusst, wie es hier zugeht und dass mit zweierlei Maß gemessen wird“? Ist Ihnen das nicht klar? Wenn Sie nicht bereit sind, offensiv solche Dinge aufzuklären, wenn weiterhin der Eindruck besteht, dass man Ihnen abnötigen, abtrotzen muss, dass Sie Ihrer Pflicht nachkommen, dann

schadet das dem demokratischen Staat insgesamt. Das ist das Problem dieses Falls.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Reinhart.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Maurer, Sie sprechen davon, was dem demokratischen Staat schadet. Ich sage Ihnen, es schadet dem demokratischen Staat, wenn Vertreter der Legislative öffentlich den Eindruck vermitteln, dieser Staat sei korrupt und die Politik würde Täter schützen, obwohl das nicht der Fall ist.

(Beifall bei der CDU – Abg. Ursula Haußmann SPD: Was haben Sie denn für eine Vorstellung? – Zuruf des Abg. Teßmer SPD)