Ich nenne Ihnen ein sehr konkretes Beispiel, wo Bildungschancen und Lebenschancen ganz eng miteinander verknüpft sind. 1990 betrug der Anteil der ausländischen Jugendlichen ohne Ausbildungsvertrag bei den jungen Männern 5,3 %, bei den jungen Frauen 7,1 %. Im Jahr 2000 betrug dieser Anteil der jungen Männer ohne Ausbildungsvertrag 2,6 %, der jungen Frauen 2,7 %. Wir sind uns alle einig: 2,6 % und 2,7 % sind noch genau 2,6 % und 2,7 % zu viel. Aber es zeigt sich doch, dass in diesen zehn Jahren etwas geschehen ist, eine Verbesserung, mehr als eine Halbierung bzw. Drittelung der Problemlagen. Das ist doch nicht vom Himmel gefallen, das hat sich doch nicht selbstverständlich ereignet,
sondern das ist das Ergebnis einer Reihe von sehr konkreten Taten im Bereich unserer allgemein bildenden, vor allem aber im Bereich der beruflichen Schulen.
Ich möchte Ihnen ein paar solcher Schritte nennen, schicke aber, bevor ich auf die konkreten Punkte komme, eine grundsätzliche Bemerkung voraus. Wir sind hier kein akademisches Oberseminar, das über die Schaffung einer multikulturellen Gesellschaft debattiert, sondern wir sind und deshalb greife ich noch einmal die Frage des realistischen Blicks auf eine politische Gesellschaft, die realistisch fragen muss: Was ist nötig, um bei allen Beteiligten den Integrationswillen zu stärken?
Es soll doch niemand so tun, als sei der Integrationswille generell und überall gleichermaßen vorhanden und werde zum Beispiel in den ehemaligen Heimatländern gefördert. Auch dafür nenne ich Ihnen ein Beispiel. Die türkische Regierung hat über Jahre hinweg den türkischen Familien in Deutschland empfohlen, ihre Kinder nicht in den Kindergarten zu schicken. Das muss man doch wahrnehmen. Ein Mitglied der türkischen Regierung, das für die türkischen Familien im Ausland zuständig ist, ist vor zwei Jahren bei mir gewesen und hat gesagt: Wir sehen ein, dass das falsch ist. Wir wollen eine Wende. Das schaffen wir aber nur, wenn ihr uns helft, wenn also unsere Regierung und eure Regierung den Eltern gemeinsam deutlich machen: Diese Empfehlung war falsch. Die Kinder sollen in den Kindergarten. Das ist eine offenkundige und für mich sehr positive Wende. So gibt es noch eine Reihe von Beispielen.
Sie wissen doch so gut wie ich, wenn man ganz konkret wird: Es gibt Mütter, von denen man genau sagen kann, wo
sie sind, nämlich zu Hause. Ihre Männer erlauben ihnen nicht, in einen Sprachkurs zu gehen. So einfach ist das.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Margot Queitsch: Es gibt aber auch andere Mütter!)
Wer Integration in dieser Gesellschaft will, muss auch realistisch zur Kenntnis nehmen, wo nicht einfach mehr Geld und mehr Fördermaßnahmen helfen, sondern auch mentale Veränderung notwendig ist
und viele Brücken gebaut werden müssen. Ich sage Ihnen: Eine sehr hilfreiche Brücke ist zum Beispiel, wenn in Mannheim ich glaube, es ist sogar die Jungbusch-Schule oder eine andere Schule der Vater eines ausländischen Kindes jetzt Elternbeiratsvorsitzender ist. Das ist für uns eine ganz neue Situation.
Da ist viel mehr Gespräch möglich, da ist viel mehr nachhaltige Förderung möglich. Da wird es möglich, sich sehr viel eher an die Familien zu wenden, weil sich nicht der Schulleiter an die Familien wenden muss, sondern der Elternbeiratsvorsitzende zur Vermittlung in der Lage ist.
Ich habe das vorweg gesagt, weil ich davon überzeugt bin: Wir müssen die Probleme, die wir haben, auch wirklich ehrlich und realistisch auf den Tisch legen. Da gibt es doch überhaupt keinen Dissens, außer bezüglich des Satzes: Es muss alles besser werden. Dieser Satz gehört zum Selbstverständnis einer Opposition. Den nehme ich Ihnen auch nicht übel.
Aber man kann ohnehin nur besser werden. Das ist ja auch in Ordnung. Wenn wir in der Opposition wären, würden wir das auch sagen. Aber man kann ja nur besser werden, wenn man auch weiß, was von dem, was jetzt auf den Weg gebracht ist, hilfreich ist.
Der erste Punkt betrifft die Verbindung vorschulisch/schulisch. Wir haben jetzt einen Kooperationsvertrag, eine Verwaltungsvorschrift, die Kooperation verstetigt also nicht punktuell, nicht einmal hier und einmal da, sondern regelmäßig.
Zu dieser Kooperation zwischen Grundschule und Kindergarten gehört als Herzstück die Frage der frühen Sprachförderung. Länder, die über gezielte Sprachförderung eine bessere Integration geschafft haben als wir, führen zum
Beispiel ein Jahr vor Schulbeginn einen Sprachtest durch. Es stellt sich also die Frage: Werden wir auch bereit sein, gewisse Verbindlichkeiten zu schaffen?
Ich bin immer sehr dafür, das Angebot erst einmal zu unterbreiten. Das werden wir jetzt sehr rasch tun. Aber es wird wichtig werden, spätestens das letzte Jahr vor dem Kindergarten als ein Jahr anzusehen, in dem wir sehr genau prüfen müssen: Hat das betreffende Kind eine faire Chance, wenn es in die Schule kommt? Schaffen wir es gemeinsam mit den Eltern, dass die sprachliche Entwicklung nicht verzögert wird?
Jetzt hören Sie doch einmal zu, Frau Rudolf! Sie erhalten doch bestimmt Rederecht. Sie sind doch Abgeordnete.
Meine Damen und Herren, dieser Bereich ist ein Schlüssel. Deshalb werden wir mit dieser Kooperation und mit einem umfassenden Konzept, worüber wir mit dem Sozialministerium auch in Kontakt sind, Sprachförderung im Kindergarten also nicht nur im Bereich der internationalen Vorbereitungsklassen verstärken.
Frau Schavan, können Sie mir sagen, wie Sie mit denjenigen Kindern umgehen wollen ihr Anteil beträgt 5 bis 7 % , die nicht einen Kindergarten besuchen?
Zunächst einmal liegt mir eine andere Zahl vor. Ich habe gehört, dass 98 % einen Kindergarten besuchen.
Zweitens kann ich Ihnen nur sagen: Es gibt egal, wer regiert auch schon vor der Schulzeit so etwas wie eine elterliche Verantwortung.
Die gibt es, eindeutig. Wenn eine ganze Gesellschaft über frühkindliche Förderung und die Notwendigkeit von Sprachentwicklung diskutiert, damit die Kinder eine faire Chance in der Schule haben, dann erwarte ich von denjenigen Eltern, die ihre Kinder nicht in den Kindergarten schi
cken, dass sie darauf achten und die Möglichkeiten, die man natürlich extern anbieten kann, nutzen. Der Sprachtest muss nicht in einem Kindergarten stattfinden, er kann genauso gut vom örtlichen Gesundheitsamt oder der schulpsychologischen Beratungsstelle durchgeführt werden. Mit den Schulpsychologen habe ich darüber auch gesprochen. Das Angebot muss also da sein. Ich kann Eltern aber nicht zwingen, ein Angebot anzunehmen.
(Abg. Zeller SPD: Sie wissen schon, dass es genau die Kinder sind, an die wir eigentlich herankom- men müssen!)
Nein, ich glaube, Sie werfen jetzt eine Menge Zahlen durcheinander. Sie haben doch überhaupt keine Erfahrungswerte, ob die Kinder, die nicht in einen Kindergarten gehen, die gleichen Kinder sind, die am Ende sprachliche Defizite haben.