Protokoll der Sitzung vom 17.04.2002

Wenn ich dann vom „Heimsog“ lese, den Sie befürchten, muss ich sagen, das finde ich schon ein bisschen absurd. Ich glaube, wir wissen alle, dass niemand gerne ins Heim geht, bloß weil eines gleich um die Ecke ist. Ich fände es besser, wenn eine leichte Überversorgung da wäre, weil dann der Markt besser funktionieren würde als bei einer Mangelsituation.

Wir alle haben also gemeinsam Aufgaben zu lösen, auch innovativ tätig zu werden und das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass in Zukunft ich habe es am Anfang gesagt finanziell und auch im Lebensstil, was durchaus ein wichtiger Aspekt ist, jeder Einzelne etwas dafür tun kann, dass er gesund älter wird. Das ist ja unser aller Wunsch. Es geht also nicht nur um die Finanzen, sondern auch um die Frage: „Wie gehe ich mit meiner Gesundheit um, um gesund älter zu werden?“

(Abg. Bebber SPD: Sie machen die Redezeitrege- lung kaputt!)

Keine Sorge, ich komme jetzt zum Schluss. Es gibt den schönen Satz:

(Abg. Walter GRÜNE: Jeder muss ein Ende fin- den!)

„Nicht nur dem Leben mehr Jahre geben, sondern den Jahren mehr Leben“.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP Abg. Wieser CDU: Sehr gut!)

Danke, Franz. Den ersten Teil schaffen wir offensichtlich ganz gut: Die demographische Entwicklung geht immer noch nach oben. Am zweiten Teil, den Jahren mehr Leben zu geben, haben wir noch zu arbeiten. Ich bitte Sie abschließend, dafür zu sorgen, dass die Menschen draußen nicht das Gefühl haben: „Das Leben ist zu Ende, wenn ich in ein Heim komme.“ Wir müssen dafür sorgen, dass mehr Qualität angeboten wird, dass eine menschenwürdige Pflege angeboten wird. Damit müssen Szenarien verhindert werden, durch die sich sowohl Pflegekräfte abgestoßen fühlen als auch die, die in ein Heim gehen sollen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP Abg. Bebber SPD: Der Präsident leidet! Abg. Ursula Haußmann SPD: Da hilft nur eines: der Holzham- mer!)

Wenn wir da alle gemeinsam an neuen Modellen arbeiten, dann sind wir, glaube ich, auf einem guten Weg.

(Beifall bei der FDP/DVP Zuruf des Abg. Dr. Salomon GRÜNE)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Lösch.

(Unruhe)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich am Anfang eine Bemerkung zu meinem Vorredner machen. Herr Kollege Noll, Sie haben einen Pflegemix erwähnt. Aber außer einem Pflegemix ist bei Ihnen auch ein Diskussionsmix festzustellen: Es gibt zum einen Zuständigkeiten im Bereich der Altenpflege, die auf Bundesebene liegen. Zum anderen gibt es Zuständigkeiten auf Landesebene und Zuständigkeiten auf kommunaler Ebene.

(Zuruf des Abg. Wieser CDU)

Ich glaube nicht, dass sich das Versagen der Landesregierung dadurch besser darstellt, indem man alle Schuld nach Berlin schiebt.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Habe ich nicht gesagt!)

Bei dem Thema „Zukunft der Altenpflege“ stehen wir angesichts der demographischen Entwicklung vor einer der größten gesellschaftlichen Herausforderungen. Da muss man tatsächlich gemeinsam an einem Strang ziehen, damit das Ganze nicht eine einseitige Veranstaltung wird.

Es ist in der Tat zu kurz gegriffen, wenn man das Thema „Zukunft der Altenpflege“ auf den stationären Bereich reduziert. Deshalb stellt die Antwort auf die Große Anfrage auch ganz gut dar, dass zu diesem Thema die Entwicklung der häuslichen Pflege und der Bereich der ambulanten Pflege genauso gehören.

Nach den Prognosen wird die Zahl der pflegebedürftigen Menschen bis zum Jahr 2010 um über 50 % zunehmen. Das heißt, die Zahl der pflegebedürftigen Menschen wird auf 270 000 steigen, und etwa ein Drittel von ihnen wird in Pflegeeinrichtungen leben.

Ich war am Montag bei der Eröffnung der Landespflegewoche. Dabei wurde ganz klar, dass das Thema Altenpflege nicht auf fehlende Fachkräfte und fehlende Pflegekräfte reduziert werden kann. Vielmehr ist auch die Haltung, die man zu diesem Thema einnimmt, ganz wichtig.

(Abg. Alfred Haas CDU: So ist es!)

Dies wurde in den Fachvorträgen sehr klar. Ein schöner Ausspruch dabei war, dass es nicht nur um „mehr Hände“ gehe, sondern dass es auch um „mehr Verstand mit Händen“ gehe.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Ich finde, bei allen Überlegungen und Bemühungen zur Steigerung der Attraktivität des Pflegeberufs muss eines klar sein: Es reicht nicht aus, die Rahmenbedingungen in der Pflege zu verbessern. Vielmehr muss auch ein Umdenken bewirkt werden. Nur wenn es gelingt, die Wertschätzung des Alters und den Stellenwert der Pflege in Wirtschaft und Gesellschaft zu beleben, werden Menschen wieder verstärkt bereit sein, sich beruflich in der Pflege zu engagieren.

Die Humanität einer Gesellschaft misst sich daran, wie sie mit ihren Pflegenden, ihren Kranken und ihren Alten umgeht. Die Antwort darauf kann nicht nur in einem Mehr an Pflegeplätzen oder an Pflegekräften bestehen, wie auch Professor Gronemeyer am Montag gesagt hat.

Auch Christel Bienstein, die Leiterin des Instituts für Pflegewissenschaften der Universität Witten, hat ausgeführt, dass es mit einer Imagekampagne allein nicht getan sei einer Imagekampagne mit schönen Bildern, Flyern, die auch wirklich gut gelungen sind, und einem Anschreiben an die Schulabgänger der Realschulen , sondern dass man mehr tun müsse. Um die Gewinnung von Fachkräften voranzubringen, muss auch etwas Grundsätzlicheres geschehen. Dazu gehört zum einen eine inhaltliche Vertiefung der Pflegewissenschaften auch bei uns im Land Baden-Württemberg und zum anderen eine strukturelle Reform der Ausbildung.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen Abg. Rech CDU: Die Frau hat mehr Beifall verdient!)

Nur 12 % der jungen Menschen überhaupt haben Interesse an einem sozialen Beruf, und die Anzahl der jungen Menschen wird ja in Zukunft weniger werden. Das heißt, die Ausbildung muss attraktiver gestaltet werden, damit wir nicht tatsächlich in einen Pflegenotstand geraten. Wir brauchen ein Stufenmodell in der Ausbildung, das auch eine breitere Durchlässigkeit zwischen den Pflegeberufen zulässt, wir brauchen mehr Wechselmöglichkeiten und eine höhere Flexibilität.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Leider ich muss wirklich sagen: leider gibt es diese einheitliche Ausbildung von Altenpflegern in Deutschland noch nicht. Warum nicht? Ein entsprechendes Gesetz der Bundesregierung liegt beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe,

(Abg. Rech CDU: Da liegt immer alles rum!)

da sich Bayern wieder einmal als Hemmschuh erweist und gegen eine gemeinsame Ausbildung klagt.

(Zuruf des Abg. Blenke CDU)

Doch, daran ist Bayern schuld.

Wo stehen wir in Baden-Württemberg derzeit in der stationären Pflege? Wir haben in der stationären Pflege seit Jahren einen zurückgehenden Personalschlüssel. Nach Erhebungen der Krankenhausgesellschaft liegt er derzeit bei 1,27. Das geht, wie wir zur Kenntnis genommen haben und auch zur Kenntnis nehmen müssen, mit Qualitätseinbußen einher. Manche reden schon von einer Gefährdung der Pflege in manchen Heimen. Es fehlt uns an Fachpersonal. In manchen Heimen ist das so akut, dass eine Schließung bevorsteht. Ich weiß nicht, wie man es ausdrücken soll: „Es herrscht eine angespannte Lage“ oder „Wir stehen kurz vor einem Pflegenotstand“? Ich finde, man sollte dahin gehend auch keine Wortklauberei betreiben. Es ist so: Wir brauchen dringend Menschen, die diesen Beruf ausüben.

(Beifall bei den Grünen und der Abg. Ursula Haußmann SPD Abg. Rech CDU: Ich habe auch schon Angst, dass mich keiner pflegt!)

Diese Angst ist bei Ihnen berechtigt.

Baden-Württemberg hat sich im Vergleich zu anderen Bundesländern zudem in wenigen Jahren hinsichtlich des Pflegesatzes vom oberen Ende der Skala ins untere Mittelfeld bewegt. Mit anderen Worten: Im Land lässt man sich die Pflege wenig kosten. Wie ich gehört habe, sind auch in diesem Jahr die Pflegesatzverhandlungen nicht erfolgreich geführt worden, weil die Kostenträger zwar für 2003 einen höheren Personalschlüssel genehmigen, für dieses Jahr den Pflegeheimen aber gerade einmal 1 % Erhöhung anbieten. Um auch nur den Status quo zu erhalten, wäre aber eine Erhöhung um 3 % notwendig gewesen.

Das heißt, wir haben in Baden-Württemberg das Problem der Eingruppierung in die verschiedenen Pflegestufen, das wir im Vergleich mit anderen Bundesländern haben, noch immer nicht gelöst. Bei uns ist die Chance für schwerstpflegebedürftige Menschen, in Pflegestufe III zu kommen, weitaus geringer als beispielsweise in Hessen oder in Bayern.

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Ja, genau! Abg. Rech CDU: Mit Bayern habe ich nichts zu tun, ich bin Baden-Württemberger!)

Wie anfangs schon ausgeführt, ist die Zukunft der Altenpflege meiner Meinung nach nicht nur ein Thema der Quantität, sondern auch der Qualität. Deshalb fällt es mir auch sehr schwer, die Probleme der Zukunft der Altenpflege als reines Rechenmodell zu behandeln

(Abg. Rech CDU: Sehr gut!)

und den Status quo, der ein relativ schlechter ist, einfach fortzuschreiben. Mir fällt es schwer, daran zu glauben, dass wir es fertig bekommen, den Haushalt zu sanieren,

(Abg. Rech CDU: Ja, tun Sie das!)

Investitionsmittel in Milliardenhöhe freizuschaufeln 1,3 Milliarden DM bis 2010 und gleichzeitig in den Pflegeheimen die Lebensqualität zu verbessern. Ich habe große Schwierigkeiten, mir das vorzustellen.

(Abg. Rech CDU: Wenn wir zwei einmal reinkom- men, steigt die Lebensfreude!)

Schauen wir uns einmal an, was das bedeutet. Unter anderem sollte die Zahl der Einzelzimmer erheblich erhöht werden. Wir müssen uns vor Augen führen, dass über 50 % der Heimbewohner nicht über ein Einzelzimmer verfügen. Ich will mich auch nicht damit abfinden, dass über 25 % der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner nur zum Sterben in die Heime verlegt werden; das heißt, sie haben eine Verweildauer von weniger als drei Monaten. Ich finde, man müsste sich doch etwas Besseres einfallen lassen können. Ideen gibt es genug. Die Hospizbewegung kann uns da sicherlich weiterhelfen. Man muss sich bloß einmal darum bemühen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Auch wenn die Landesregierung in ihrer Antwort auf die wachsende Nachfrage nach stationären Heimplätzen eingeht, kann das, wie ich finde, nicht einfach so stehen bleiben, ohne dass man nach dem Warum fragt. Wenn wir genau hinschauen, stellen wir fest, dass die pflegenden Angehörigen das sind in der Tat meist Frauen an die Grenze der Belastbarkeit kommen und keine ausreichenden und angemessenen Hilfen bekommen können, weil diese einerseits nicht vorhanden sind und auf der anderen Seite bei dem gegenwärtigen Finanzierungsmodus auch nicht bezahlbar wären.

Ich sage das, um klarzustellen, dass die Entscheidung für eine Heimübersiedlung sehr häufig aufgrund von Sachzwängen erfolgt, aber nicht auf einem ausdrücklichen Wunsch beruht. Ich finde, das kann man nicht einfach akzeptieren wie ein Naturgesetz, sondern man muss sich etwas anderes einfallen lassen.