Protokoll der Sitzung vom 17.04.2002

Der besondere Charakter des Religionsunterrichts ergibt sich aus diesem Artikel, nämlich daraus, dass die Inhalte dieses Unterrichts nicht vom Staat, sondern von den Religionsgemeinschaften bestimmt werden, und er ergibt sich nicht aus der Abgrenzung zu irgendwelchen anderen Fächern. Das ist schon eine ganz unsinnige Konstruktion. Und selbstverständlich musste Ihnen erst das Bundesverwaltungsgericht vorschreiben, dass Ethikunterricht und Religionsunterricht gleichwertig zu behandeln sind. Sie haben das von sich aus nicht getan.

Nun kommt noch etwas Entscheidendes hinzu. Der Religionsunterricht hat nach unserer Verfassung einen besonderen Charakter. Er ist nämlich das einzige Fach, das im Grundgesetz verankert ist.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: So ist es, richtig!)

Er ist aber auch das einzige Fach, von dem man sich als Schüler abmelden kann. Jeder, der das möchte, kann dies tun. Auch das gehört zum besonderen Charakter dieses Faches. Das heißt, es ist ganz klar, dass es in einem modernen Verfassungsstaat jedem Einzelnen freigestellt ist, wo er seine Sinnsuche findet. Das kann der Staat nicht vorschreiben, Herr Staatssekretär. Das muss jeder für sich selber entscheiden, und solange die Kinder nicht religionsmündig sind, entscheiden es die Eltern für ihre Kinder. Da hat der Staat kein Prä, sondern er hat in diesen Fragen neutral zu sein. Das ist bis zur Religionsmündigkeit der Kinder ausschließlich Elternrecht, und danach ist es ein Persönlichkeitsrecht der Schülerinnen und Schüler. Darüber dürften keine Differenzen bestehen.

(Abg. Ursula Lazarus CDU: Na und? Abg. Wa- cker CDU: Und weiter!)

Wozu führt das, Frau Kollegin Lazarus? Das müssen Sie als alte Schulmeisterin doch wissen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Das „alt“ lassen Sie besser weg!)

Mit „alt“ meine ich erfahren.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Weise! Weitere Zurufe, u. a.: Als jung gebliebene Schulmeisterin!)

Ich korrigiere mich, damit es keine Missverständnisse gibt: Das sollten Sie als erfahrene Schulmeisterin wissen. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist Religion faktisch ein Wahlpflichtfach. Das Einzige, was Sie mit Ihrer Konstruktion erreichen, ist, dass Schülerinnen und Schüler die wahren Gründe für ihre Wahl gar nicht angeben, sondern sie unter Umständen als Glaubensentscheidung vorschützen müssen. Das heißt, Sie halten die Schülerinnen und Schüler zum Lügen an. Sie wollen mir doch nicht im Ernst weismachen wollen schließlich unterrichte ich das Fach selber , dass Schüler in Klasse 10 auf einmal ihren Glauben verlieren und ihn nach einem halben Jahr, im zweiten Schulhalbjahr in Klasse 11, wieder gewinnen und zurück in den Religionsunterricht wechseln.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Zweifeln Sie an der Wirkung des Heiligen Geistes? So ein Ge- schwätz!)

Glauben Sie allen Ernstes, dass das der Schulrealität irgendwie entspricht? Die Schulrealität ist so, dass die Schüler faktisch den Ethikunterricht aus den Gesichtspunkten wählen, die sie für richtig halten und die nicht Ihren Vorgaben, Herr Staatssekretär Rau, entsprechen. Denn sie dürften es im Prinzip nur aus Glaubens- und Gewissensgründen tun. Das aber prüft der Staat nicht nach, und das kann er auch nicht. Das heißt, der Staat kann der Maßnah

me, die er zugrunde legt, gar keine Sanktion folgen lassen. Er müsste ja praktisch die Angaben des Schülers, der innerhalb eines halben Jahres seinen Glauben verliert und dann wieder zurückgewinnt, nachprüfen. Das ist doch völlig abwegig, und niemand von Ihnen ist so unpraktisch, zu glauben, so etwas könnte man allen Ernstes in der Schulrealität durchsetzen. Das ist vollkommen abwegig.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Kretschmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kleinmann? Bitte schön, Herr Kleinmann.

Herr Kollege Kretschmann, könnten Sie das hohe Haus falls Sie es wissen informieren, wie hoch der Prozentsatz der Schülerinnen und Schüler ist, die sich vom ordentlichen Religionsunterricht abmelden, um in das Fach Ethik zu gehen?

Nach Ihren Angaben sind das etwa 5 %.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Na also! Zuruf von den Grünen: Mehr hat die FDP/DVP ja auch nicht!)

Was wollen Sie mit der Frage sagen? Sie resultiert nur aus Ihrer Unterstellung. Sie unterstellen immer, wie auch die Regierung und wie Sie, Frau Lazarus, ebenso, wenn auch nicht so deutlich , es sei von uns intendiert, den Religionsunterricht zu schwächen. Das ist völlig abwegig. Das ist überhaupt nicht unsere Intention.

(Zuruf der Abg. Ursula Lazarus CDU)

Dafür spricht auch gar nichts, denn wir haben dazu in Baden-Württemberg schon immer ein klares Bekenntnis abgelegt. Darum geht es überhaupt nicht. Es geht um die Grundsätze unseres Rechts, um staatliche Neutralität und darum, dass jeder selber entscheiden kann, wie er den Sinn in seinem Leben findet. Und es geht darum, dass wir dieser Realität Rechnung tragen und die Entscheidung jedem Einzelnen in die Hand geben. Mehr heißt das nicht.

Frau Kollegin Lazarus, immerhin ist zwischen der Ersten und der Zweiten Beratung ein erheblicher Fortschritt in Ihren Ausführungen eingetreten. Das war erfreulich. Der Konsens ist in Wirklichkeit doch schon sehr, sehr groß geworden.

(Zuruf der Abg. Ursula Lazarus CDU)

Jedenfalls zeigt das Argument, Herr Kollege Kleinmann, das Sie jetzt brachten, genau, dass Ihre Befürchtungen bezüglich der Ressourcen nicht berechtigt sind. In jedem Fach müssen ja mindestens acht Schülerinnen und Schüler erst einmal da sein das gilt für den Religionsunterricht genauso wie für den Physikunterricht und für jedes andere Fach , bevor überhaupt der Unterricht erteilt werden darf. Das heißt: Bei den Zahlen, die Sie jetzt genannt haben, bei dem Anteil der konfessionslosen Schüler und der Schüler, die einer Religionsgemeinschaft angehören, für die noch kein Religionsunterricht erteilt wird, muss man feststellen, dass wir natürlich gar nicht auf diese 1 070 Deputate kom

men, die Sie ausgerechnet haben. Wenn man ein Stufenmodell einführt unter den allgemeinen Bedingungen, erst ab einer bestimmten Mindestzahl den Ethikunterricht zu erteilen,

(Zuruf des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

dann können wir die Ausweitung des Ethikunterrichts selbstverständlich bezahlen. Wir haben das bei den Haushaltsberatungen so beantragt und dafür Deckungsvorschläge eingebracht.

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Es ist doch völlig unsinnig, ausgerechnet die Schülerinnen und Schüler, die am notwendigsten eine Werteerziehung brauchen zum Beispiel Immigrantenkinder, die aus anderen Kulturen zu uns kommen , wie es der Kollege Bayer so schön gesagt hat, vom Hausmeister unterrichten zu lassen, während die anderen Religionsunterricht haben. Das ist doch eine verantwortungslose Haltung.

Wir müssten doch wenigstens ab der Hauptschule, in Schulen, in denen wir zum Teil Ausländeranteile von über 60 % haben, tätig werden.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Unstreitig!)

Zumindest da wäre es doch höchste Eisenbahn, im Sinne der allseits bekundeten Integrationsbemühungen Ethikunterricht anzubieten, der diesen jungen Menschen zum Beispiel auch etwas über die christlichen Fundamente unserer Gesellschaft erzählt, Herr Kollege Kleinmann.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD Abg. Kleinmann FDP/DVP: Das bestreitet doch gar niemand! Bauen Sie doch keinen Popanz auf!)

In Ressourcenfragen kann man nichts erzwingen. Dabei rennen Sie bei uns offene Türen ein. Wir verlangen von Ihnen nichts, was Sie nicht können. Aber in einem Stufenmodell, realistisch die Ressourcen betrachtet, können wir wohl den Einstieg machen, indem wir zumindest in den Hauptschulklassen anfangen und dort sowohl Religionsunterricht, und zwar für Christen und andere Religionen, als auch Ethikunterricht anbieten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erhält Frau Abg. Lazarus.

Herr Kretschmann, ich möchte nur noch einmal kurz feststellen: Sie sind nahtlos zwischen der Grundsatzfrage und der Ressourcenfrage hinund hergerutscht. Ich habe das streng getrennt.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Das war auch eine unvorbereitete Rede!)

Ich stelle hier in der Ressourcenfrage eine ganz breite Mehrheit dahin gehend fest, dass es nicht möglich ist, den Wunsch nach Ausweitung des Ethikunterrichts, den wir al

le teilen, zu realisieren. Ich habe angekündigt, dass es sicher Bemühungen in der Richtung, Ethikunterricht überall schrittweise einzuführen, geben wird, wenn sich die Ressourcenfrage nicht mehr so stark stellen wird.

Sie haben damit aber die Grundsatzfrage vermischt. Ich bin dem Kollegen Kleinmann dafür dankbar, dass er auch das Wort gewählt hat, das ich mit großer Vorsicht benutzt habe, dass es sich dabei nämlich um eine Rangfrage handelt. Es gibt eine Erstrangigkeit, wonach nur dann, wenn Religionsunterricht für den einzelnen Schüler nicht infrage kommt aus welchen Gründen auch immer, ob er sich abmeldet, keiner Konfession angehört oder einer anderen Konfession angehört , Ethikunterricht eintritt. In dieser Rangfrage sind wir grundsätzlich unterschiedlicher Meinung. Deswegen müssen wir darüber abstimmen. Die CDU-Fraktion sieht das eben anders als die Fraktion GRÜNE.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen zur A b s t i m m u n g über den Gesetzentwurf.

Der Ausschuss für Schule, Jugend und Sport schlägt Ihnen auf Drucksache 13/868 vor, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich schlage vor, über den Gesetzentwurf im Ganzen abzustimmen. Sie sind damit einverstanden.

Ich stelle den Gesetzentwurf der Fraktion GRÜNE, Drucksache 13/548, zur Abstimmung. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. Gegenprobe! Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist mit großer Mehrheit abgelehnt.

Damit ist Punkt 4 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:

Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung Gesetz zur Änderung des Steuerberaterversorgungsgesetzes Drucksache 13/747

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses Drucksache 13/859

Berichterstatter: Abg. Junginger