Protokoll der Sitzung vom 18.04.2002

(Abg. Dr. Lasotta CDU: Richtig!)

statt Kern- und Wahlleistungen ein neues Dreistufenmodell, Stärkung von Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit der Patienten. Ich habe es mir tatsächlich durchgelesen und relativ schnell festgestellt: alles lauwarmer Kaffee. Das muss ich wirklich sagen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Gesünder als zu heiß!)

Alles schon einmal gelesen, alles aufgewärmte Schlagworte, in neue Formulierungen verpackt, aber alles unausgego

ren. Die wesentlichen Fragen der Gesundheitspolitik, über die wir vorhin diskutiert haben, bleiben auch in diesem Papier unbeantwortet. Der Abschied von Kern- und Wahlleistungen ist nicht vollzogen, wie es angekündigt worden ist, sondern wird bloß unter anderen Vorzeichen wieder aufgetischt: Es heißt jetzt Dreistufenmodell. Ich würde sagen: Das Papier ist im Endeffekt ein Etikettenschwindel, sonst nichts.

(Beifall bei den Grünen)

Denn die bisher ungelöste Frage, auf die ich auch heute noch keine Antwort bekommen habe: „Was ist medizinisch notwendig, und was ist denn die Luxusvariante unserer Medizin?“, ist überhaupt nicht beantwortet. Vielleicht kann ja heute jemand noch etwas dazu sagen. Sie bleiben auch nach wie vor die Antwort schuldig, wie Sie zukünftig die Mehrkosten, die durch den medizinischen Fortschritt und die Demographie entstehen, bewältigen wollen.

(Abg. Dr. Inge Gräßle CDU: War Frau Fischer nicht Ihre Ministerin?)

Mir hat sich nach Lektüre dieses Papiers die Vermutung aufgedrängt, dass nach den Vorstellungen der CDU die Gesellschaft einer Zukunft entgegengehen soll, in der der Katalog des medizinisch Notwendigen immer mehr zusammenschrumpft zugunsten so genannter selbst gewählter Satzungsleistungen. Damit entspricht der Idealtypus des Patienten in einem Gesundheitswesen à la CDU dem gut betuchten, dem gut informierten, dem möglichst jungen und gesunden Menschen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: So ist es! Genau!)

Wir wissen, dass bei solchen Modellen diejenigen zurückbleiben, die diesem Idealtypus nicht entsprechen. Das sind die chronisch Kranken und die sozial Schwachen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Ich glaube nicht, dass das die Richtung sein sollte, in die wir unser Gesundheitssystem entwickeln.

Wir stehen deshalb für das andere Modell, das keinen radikalen Systemwechsel vorsieht. Wir wollen grundsätzlich das solidarische Versicherungsmodell beibehalten, wenn auch mit radikaleren Reformschritten.

(Abg. Dr. Inge Gräßle CDU: Sie stehen doch für das Nichtstun! Frau Lösch, für das Nichtstun ste- hen Sie! Gegenruf der Abg. Ursula Haußmann SPD: Frau Gräßle, seien Sie vorsichtig!)

Frau Dr. Gräßle, Sie können alles sagen, aber nicht, dass wir für das Nichtstun stehen.

(Abg. Dr. Inge Gräßle CDU: Doch, für das Nichts- tun!)

Denn dann muss ich Ihnen leider sagen, dass Sie die letzten vier Jahre Ihre Ohren nicht offen hatten und nicht mitgekriegt haben, was eigentlich in Berlin in der Gesundheitspolitik geschehen ist.

(Abg. Hauk CDU: An den Taten sollt ihr sie erken- nen! Abg. Dr. Lasotta CDU: Sprechen Sie doch mal mit Patienten, um zu erfahren, was die sagen!)

Sie können viel sagen, Frau Dr. Gräßle, aber das nicht.

Was brauchen wir? Wir glauben, dass unser System

(Zuruf des Abg. Bebber SPD Gegenruf des Abg. Dr. Lasotta CDU: Im Gegensatz zu Ihnen spreche ich täglich mit Patienten! Gegenruf der Abg. Ur- sula Haußmann SPD: Die armen Patienten! Abg. Wieser CDU: Bei Ihnen ist bald der Bart ab, Herr Bebber!)

Wenn sich die Herren beruhigt haben, kann ich weitermachen.

Wir sind uns einig, dass wir Reformen brauchen. Wir sind uns auch einig, dass es verschiedene Grundrichtungen gibt. Sie wollen einen Systemwechsel. Wir wollen keinen Systemwechsel. Wir wollen unser System weiterentwickeln und besser machen. Ich meine, dass man ein System, das gute Noten hat und funktioniert, nicht verschlechtern sollte. Gute Noten hat unser System bei den Kriterien „guter Zugang für alle“ und „gerechte Verteilung der Ressourcen“ sowie beim solidarischen Aufbau der Versicherung.

Zum Abschluss sage ich Ihnen noch, was passiert, wenn man allein die Marktorientierung in den Vordergrund stellt. Das können Sie am Beispiel der USA ganz gut sehen. In den USA gab es eine radikale Marktöffnung. Was ist das Ergebnis? Herr Dr. Noll, das wird Ihnen nicht gefallen. Das Ergebnis ist mehr Bürokratie, eine Verteuerung des Systems und eine ungerechte Verteilung der Ressourcen.

Wir haben viele Vorschläge, wie man die Gesundheitspolitik weiterentwickeln könnte. Diese Vorschläge werden in Berlin diskutiert. Ich denke, dass wir auf dem richtigen Weg sind und dass wir die Möglichkeiten genutzt haben, alles, was in unserer Macht steht, zu tun, um die Gesundheitspolitik in die richtige Richtung zu entwickeln.

(Beifall bei den Grünen und der SPD Abg. Döp- per CDU: An die Wand!)

Das Wort erhält Herr Minister Dr. Repnik.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird die Frage gestellt, Frau Lösch, warum dieses Thema im Landtag von BadenWürttemberg eine Rolle spielt. Es spielt erstens deswegen eine ganz gewichtige Rolle, weil wir für die Gesundheit unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger mitverantwortlich zeichnen ich als Gesundheitsminister und die Gesundheitspolitiker aller Fraktionen , und zweitens, weil alle Beiträge und Beitragssteigerungen, die wir im Land mitzutragen haben, die Bürgerinnen und Bürger zu bezahlen haben, und zwar ganz gewaltig.

(Abg. Wieser CDU: Der Geldbeutel der Arbeiter! Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Sie müssen bloß Vertrauen haben!)

Man sollte vielleicht einmal auf die Historie aufmerksam machen, wie es eigentlich war. Im Jahr 1998 hatte noch die Bundesregierung von CDU/CSU und FDP der Minister hat Seehofer geheißen das Gesundheitsreformgesetz 99 auf den Weg gebracht, das geprägt war von moderneren Elementen, unter anderem auch durch die Stärkung der Eigenverantwortung, was natürlich auch Beteiligung und Solidarität heißt. Die jetzige rot-grüne Regierung ist mit dem Ziel angetreten: Wir machen nicht alles anders, aber vieles besser. Sie hat im Klein-Klein-Bereich vieles anders gemacht, aber nichts besser.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Sie hat das Gesundheitsreformgesetz 99 ausgesetzt

(Abg. Schmiedel SPD: Gott sei Dank! Abg. Ur- sula Haußmann SPD: Zuzahlung, Krankenhausnot- opfer! Ich kann diese ganzen Grausamkeiten auf- zählen! Abg. Dr. Noll FDP/DVP: War das eine große soziale Tat?)

und statt mehr Wettbewerb wieder eine staatliche Steuerung und enge Budgetierung eingeführt. Dieses führte und führt dazu, dass Gesundheitsleistungen rationiert werden müssen und dass, wenn am Ende des Jahres das Budget erschöpft ist, Operationen und andere Leistungen, auch im Bereich der Medikamente, nicht mehr erbracht werden können. Das ist die typische Zweiklassenmedizin.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das ist eure Soli- darität! Gegenruf der Abg. Ursula Haußmann SPD: Zu Ihrer komme ich gleich noch, Herr Noll! Abg. Schmiedel SPD: Das hat doch Seehofer eingeführt!)

Hinzu kommt, dass durch das neue Gesetz den Gesundheitskassen, den Sozialkassen durch die Absenkung der Krankenversicherungsbeiträge bei den arbeitslosen Versicherten mehrere Hundert Millionen DM entzogen worden sind und dass durch die Kürzung der Eigenbeteiligung eine weitere Milliarde entzogen worden ist sowie gleichzeitig neue Leistungen zur Therapie eingeführt worden sind, was zu Mehrleistungen von etwa 9 Milliarden DM und weniger Einnahmen geführt hat. Dann wollen Sie den Bürgerinnen und Bürgern erklären, dies gehe auf.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Noll FDP/ DVP Abg. Wieser CDU: Unmöglich! Das ist ja unglaublich! Sie meinen, wenn man Geld abheben könne, habe man schon ein Vermögen!)

Ich sage hier in aller Deutlichkeit und Klarheit: Wenn irgendein Politiker jetzt vor den Wahlen den Bürgerinnen und Bürgern sagt: „Ihr bekommt mehr Leistung, selbstverständlich medizinisch-technischen Fortschritt, ihr zahlt weniger zu, es wird billiger und die Qualität wird besser“, belügt er die Bürgerinnen und Bürger.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Und die Beiträge sin- ken!)

Und die Beiträge sollen auch noch sinken.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

(Minister Dr. Repnik)

Man muss sich Folgendes vorstellen: Innerhalb der letzten drei Jahre sind die Beiträge in Deutschland von unter 13 % im Schnitt auf über 14 % gestiegen. Ich bringe als Beispiel die AOK: von 13 % auf 14,2 %.Von den 14,9 % bei den IKK möchte ich jetzt gar nicht sprechen. Also steigende Beiträge bei einer schlechteren Versorgung.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Dr. Noll FDP/ DVP)

Da bleibt die Bundesregierung nach wie vor untätig.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Vorschläge, die jetzt von Frau Schmidt daliegen, sind eigentlich ernüchternd. Es wird weiterhin an Symptomen herumkuriert, und man macht keine kausale Behandlung. Das führt zu einer Verunsicherung der Gesundheitsanbieter und das ist das Schlimmste der Patienten. Frau Haußmann, die Zahlen muss man sich schon einmal auf der Zunge zergehen lassen. Im Jahr 1998 bei Übernahme der Bundesregierung durch die rot-grüne Koalition hatten die Krankenkassen noch einen Überschuss von 500 Millionen €.

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Da hat es noch gar keinen Euro gegeben!)

Damit Sie nicht umrechnen bzw. umdenken müssen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: PISA!)

Im Jahr 2001, trotz Beitragssteigerung