Protokoll der Sitzung vom 16.10.2002

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Minister Dr. Schäuble.

(Abg. Wintruff SPD: Du wendest das Blatt nicht mehr!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst dem hohen Haus ein Kompliment machen. Ich habe die Debatte, wie sich das für ein Mitglied der Regierung gehört, sehr aufmerksam auf dem Regierungsbänkchen verfolgt. Es ist beeindruckend, wie es Ihnen gelungen ist, bei einem Thema, bei dem, wie ich festgestellt habe, der Konsens wesentlich größer ist als der Dissens, eine so muntere Debatte zu entwickeln.

(Zurufe, u. a. Abg. Oelmayer GRÜNE: Bis zum Kol- legen Schneider!)

(Minister Dr. Schäuble)

Deshalb an alle diejenigen, die dazu beigetragen haben, aus einem Thema, das eigentlich eher für eine ruhige Debatte vorgesehen war, so eine muntere Landtagsdebatte zu machen, ein ganz herzliches Kompliment.

(Abg. Zeller SPD: Sagen Sie das Herrn Schneider!)

Ich hebe jetzt nicht Einzelne hervor. Ich meine alle.

Ich nehme aber für die Regierung jetzt auch einige Hausaufgaben mit, und ich darf Folgendes festhalten: Wir wollen eine angemessene Bürgerbeteiligung, Herr Oelmayer.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Das wollen Sie auch?)

Wir haben aber anderseits von allen gehört – und das ist etwas, wo ich, glaube ich, auch auf mein Konto eine gewisse Überzeugungsarbeit verbuchen darf –, dass niemand die Grundsätze der repräsentativen Demokratie infrage stellt. Also muss das immer ein ausgewogenes Verhältnis sein. Gemeinderäte und Bürgermeister werden direkt vom Volk gewählt, und sie müssen schon die Verantwortung haben, und diese darf nicht durch eine zu große Bürgerbeteiligung ausgehöhlt werden. Das ist Punkt 1.

Punkt 2: Es ist von verschiedenen Seiten gesagt worden, dass wir den kommunalen Rechtsrahmen umfassender verändern müssten. Dazu gehört, wie erwähnt worden ist, das außerordentlich komplizierte und immer drängender werdende Thema Gemeindewirtschaftsrecht, übrigens weniger das Thema „Volkswahl der Landräte“ und solche Geschichten – das nur am Rande bemerkt –, und dazu gehört natürlich auch – das wird ein Thema sein, das der Landesgesetzgeber nicht lösen kann; da sind wir darauf angewiesen, dass vor allem die Bundesregierung erfolgreicher und besser arbeitet als bisher –, dass das Thema „kommunale Finanzen“ angegangen wird.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist. In meinem Wahlkreis läuft zurzeit die Diskussion auch im Rahmen der Bürgerbeteiligung anders. Da geht es nicht mehr um neue Vorhaben, sondern darum, ob Schwimmbäder geschlossen werden müssen. Das wird das entscheidende Thema sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Ich nehme also mit, dass wir seitens der Landesregierung auf der Basis dieser Eckpunkte unsere weiteren Arbeiten gestalten werden. Ich darf noch einmal mit einem herzlichen Dank für die Debatte schließen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Zurufe)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Erste Beratung beendet. Ich schlage Überweisung an den Innenausschuss vor. – Sie stimmen der Überweisung zu. Es ist so beschlossen.

Damit ist Punkt 7 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums – Entwicklungszusammenarbeit des Landes – Drucksache 13/370

Wem darf ich das Wort erteilen? – Herr Abg. Dr. Witzel.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Meine Damen und Herren, darf ich um Ruhe bitten! Das Wort hat Herr Abg. Dr. Witzel.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Jawohl! Guter Mann!)

Meine Damen und Herren, sehr geehrte Frau Präsidentin! Der Antrag, der heute zur Beratung vorliegt, ist zwar schon ein Jahr alt, aber das Thema ist nach wie vor sehr aktuell. Das sieht man zum Beispiel, wenn man heute die „tageszeitung“ aufschlägt. Dort heißt es:

Der weltweite Kampf gegen den Hunger ist „zum Stillstand gekommen“, mahnt die UNO und fordert ein Ende der vielen Ausreden.

Dieser Untertitel könnte auch über der Entwicklungszusammenarbeit des Landes stehen. Sie ist ebenfalls gekennzeichnet von einem Stillstand, und wir fordern ein Ende der vielen Ausreden.

Schauen wir uns einmal an, wie die Fakten sind: Weltweit – darauf weist die FAO hin – hungern auf unserer Welt noch etwa 840 Millionen Menschen, und täglich müssen wir etwa 25 000 Opfer von Hunger und Armut beklagen. Weltweit leben etwa 1,3 Milliarden Menschen von weniger als einem Dollar pro Tag, 2,6 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu elementaren Sanitäreinrichtungen, und rund 840 Millionen Menschen leiden unter Mangelernährung. Wir könnten diese Liste sicherlich noch fortführen.

Die Terroranschläge vom 11. September letzten Jahres haben uns in grausamer Weise die Brisanz dieser Daten deutlich gemacht. Sie haben gezeigt, welch explosive Sprengkraft derartige Ungerechtigkeit und Ungleichheit auf unserer Welt besitzen. Wir wissen: Hunger und Armut sind ein fruchtbarer Nährboden für die Entstehung und Ausweitung von Terrorismus, der nicht durch militärische Mittel, sondern mittelfristig nur durch die Beseitigung seiner Ursachen, nämlich der Ungerechtigkeit und der Armut, nachhaltig bekämpft werden kann.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Dr. Lasotta CDU – Abg. Oelmayer GRÜNE: Genau!)

In der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und FDP/DVP aus dem Jahr 2001 wird in diesem Sinne ausgeführt – ich zitiere –:

Die Entwicklungszusammenarbeit des Landes wird sowohl im Interesse des Standorts als auch unter dem Gedanken der „Einen Welt“ nachhaltig fortgesetzt. Wir werden uns dabei stärker auf die Zusammenarbeit mit den Kirchen und den Nicht-Regierungsorganisationen konzentrieren.

Meine Damen und Herren, damals – letztes Jahr also – wurden noch beide Aspekte der Entwicklungszusammenarbeit genannt: einerseits die Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und andererseits das Bemühen, Armut und Ungerechtigkeit zu überwinden. Wir Grünen wollen diese beiden Aspekte nicht gegeneinander ausspielen. Ich betone hier klar und deutlich, dass wir in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit von Ländern des entwickelten Nordens mit den Ländern des Südens in vielen Fällen durchaus Vorteile für beide Seiten sehen. Das hat zum Beispiel gerade die Wirtschaftsdelegationsreise in den Iran gezeigt, die ich mit Herrn Staatssekretär Mehrländer unternehmen konnte.

Ich betone auch, dass es im Rahmen der Public Private Partnership gute Projekte gibt, die die Entwicklung in den armen Ländern voranbringen. So begrüßen wir es zum Beispiel, wenn ein Industrieunternehmen aus der Bundesrepublik in Afrika oder in Lateinamerika neben der Produktion auch in die berufliche Ausbildung der jungen Menschen dort investiert. In dieser Richtung gibt es ja auch aus Baden-Württemberg eine Reihe sinnvoller Projekte.

Aber, meine Damen und Herren, die Entwicklungszusammenarbeit darf sich nicht auf solche wirtschaftlichen Zusammenarbeitsprojekte beschränken. So steht es auch in der Koalitionsvereinbarung. Denn auch das andere gehört dazu: die gezielte Armutsbekämpfung. Wenn allein die wirtschaftliche Zusammenarbeit im Vordergrund steht, dann besteht die Gefahr, dass die armen Regionen wenig abbekommen; denn diese wirtschaftliche Zusammenarbeit konzentriert sich im Wesentlichen auf die Metropolen. Sie konzentriert sich auch auf die Schwellenländer. Es besteht daher die Gefahr, dass die ärmsten Länder und die großen ländlich strukturierten Gebiete unserer Welt nicht berücksichtigt werden. Entwicklungskooperation muss daher mehr umfassen als nur wirtschaftliche Zusammenarbeit. Sie muss durch eine armutsorientierte Entwicklungspolitik ergänzt werden.

In der Stellungnahme zu unserem Antrag Drucksache 13/370 vom Herbst letzten Jahres bestätigt die Landesregierung diese Forderung auch noch. Damals hieß es – ich zitiere jetzt wieder –:

Die aktuellen weltpolitischen Ereignisse unterstreichen die zentrale Bedeutung der Entwicklungspolitik als Friedenspolitik und als globale Strukturpolitik; sie sollte daher weiterhin auch auf Landesebene eine angemessene Bedeutung behalten.

Entgegen diesen wohlklingenden Ankündigungen haben Sie, Herr Döring, zwischenzeitlich einen scharfen Kurswechsel vollzogen: Für die überwiegend armutsorientierten Projekte der Kirchen und der Nichtregierungsorganisationen gibt es jetzt kein Geld mehr. Der diesbezügliche Ansatz im Haushalt wurde auf null gefahren, und Anträge, die von unserer Seite kamen, hier wieder Gelder einzusetzen – keine großen Beträge wohlgemerkt, aber zumindest genug, um ein Zeichen zu setzen –, wurden abgelehnt. Die neue Linie lautet jetzt: Die Zusammenarbeit des Landes mit Entwicklungsländern wird auf einzelne Schwerpunktländer konzentriert und auf eine verstärkte Beteiligung der Wirtschaft ausgerichtet.

Die Entwicklungszusammenarbeit reduziert sich damit – das ist das Neue in diesem Jahr – für die Landesregierung in der Praxis auf ein Anhängsel der Außenwirtschaftspolitik. Die Landesregierung fühlt sich dem Leitmotiv der Entwicklungspolitik als Friedenspolitik und als Instrument der Armutsbekämpfung nicht mehr verpflichtet. Es wurde weggespart und abgelöst durch die Förderung der Markterschließung zur Stärkung der baden-württembergischen Exportwirtschaft. Kirchen und NGOs gehen dabei leer aus. Das kritisiere ich hier scharf.

(Beifall bei den Grünen)

Neben dem finanziellen Aspekt hatte diese Kehrtwende auch Auswirkungen auf die Struktur im Ministerium. Dort, im Wirtschaftsministerium, wurde zu Jahresbeginn das Referat Entwicklungszusammenarbeit kurzerhand aufgelöst. Die Bearbeitung und Abwicklung von Anträgen und Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit im Inland wie im Ausland ist seither den Ressorts „Außenwirtschaft Süd“ und „Außenwirtschaft Ost“ zugeteilt. Schon bisher war die Zuständigkeit für die Entwicklungszusammenarbeit auf fünf Ministerien verteilt. Mit der Auflösung des Referats Entwicklungszusammenarbeit wurde jetzt die einzige den Namen „Entwicklungszusammenarbeit“ tragende Verwaltungseinheit, die eine gestaltende Kraft hatte und wenigstens über etwas Haushaltsmasse verfügte, zerbröselt. Damit besteht für die Entwicklungszusammenarbeit im Land keine koordinierende Ansprechstelle mehr.

Als Begründung für die Streichung der Mittel für die Projekte der Kirchen und NGOs wird in der Stellungnahme zu unserem Antrag ausgeführt:

Bedauerlicherweise entsprachen die eingehenden Anträge weder in Qualität noch in Quantität den Erwartungen...

Dieses Zitat finden Sie auf Seite 6 der Drucksache 13/370.

Meine Damen und Herren, das ist eine scheinheilige Begründung. Wir Grünen hatten Anfang dieses Jahres eine Anhörung mit Vertretern entwicklungspolitischer Gruppen. Da wurde uns dargestellt, dass dieser Mangel nicht auf einen Mangel an sinnvollen und ausgereiften Projekten zurückgeht, sondern an den aufwendigen Antragsformalitäten und an dem engen Zeitkorsett liegt, das sich an den Haushaltsjahren des Doppelhaushalts orientiert, und dass deshalb viele kleinere Nichtregierungsorganisationen und Partnerschaftsinitiativen den hohen Aufwand für eine dann allenfalls einjährige Förderung ohne Planungssicherheit einfach nicht betreiben.

Als Konsequenz daraus leite ich erstens die Forderung an das Wirtschaftsministerium ab: Sorgen Sie dafür, dass zunächst einmal wieder Förderrichtlinien geschaffen werden und dass sich diese dann nicht an dem strengen Jahresrhythmus der Haushaltspläne orientieren.

Zweitens ergeht auch an die Kirchen die Aufforderung, sinnvolle Projekte zumindest einmal versuchsweise vorzulegen. Wir werden dann versuchen, dafür in einem gemeinsamen Dialog Geld aus dem Landeshaushalt frei zu machen. Denn das sind ja keine großen Beträge, sondern es sind