Der Anlass „50 Jahre Baden-Württemberg“ und unser Tagungsort hier im Historischen Kaufhaus in Freiburg sind geradezu dafür prädestiniert, dass wir über die aktuelle Lage und die Zukunftsperspektiven der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit debattieren und uns damit befassen.
Das Thema grenzüberschreitende Zusammenarbeit hat eine historische Dimension. Wir wissen, dass wenige Meter von hier entfernt, am Schlossberg, viele Schlachten stattgefunden haben und dass diese Region jahrzehnte- und jahrhundertelang Zankapfel zwischen Deutschland und Frankreich war. Deshalb konnte sich die Wirtschaft in dieser Region nicht so gut entwickeln wie in anderen Teilen des Landes. Wir hatten hier so genannte „tote Zonen“, in denen sich keine größeren Betriebe ansiedeln konnten. Wir haben jahrzehntelang Nachteile gehabt, aber diese in den vergangenen Jahren aufgeholt. Beim jetzigen Strukturwandel haben wir sogar Vorteile. Das zeigen auch die Antwort und die Stellungnahme der Regierung auf die gestellten Landtagsanfragen.
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist in den vergangenen 35 Jahren nach schwierigen Anfängen von den Verantwortlichen in den Verwaltungen und den Kommunen aufgebaut worden. Heute haben wir ein engmaschiges Netz an Kooperation mit hervorragender Qualität: Der Oberrhein ist heute europaweit Modell für die grenzüberschreitende
Zusammenarbeit. Aus vielen Regionen, gerade auch aus den EU-Beitrittsländern, kommen Vertreter hierher, um dieses Modell auch in ihren Ländern umzusetzen.
Zentrale Elemente sind die Oberrheinkonferenz und der Oberrheinrat. Diese Kooperation trägt ganz maßgeblich zum Erfolg von Baden-Württemberg in der Nachbarschaftspolitik bei, gerade auch bei zentralen Strukturvorhaben in der Region.
Ein eindrucksvolles Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit ist der Ausbau der Rheintalbahn. Als es vor zwei Jahren unklar war, Herr Kollege Caroli, wie schnell und wie intensiv dieses Projekt vorangebracht werden könnte, hat es eine Abstimmung in der Oberrheinkonferenz gegeben. Die Baseler Regierung ist nach Bern gegangen und hat die nationale schweizerische Regierung in Berlin vorstellig werden lassen; das Gleiche geschah von französischer Seite. So haben alle Partner am Oberrhein mitgekämpft, damit dieses Projekt ins Rollen kommt.
Zweites Beispiel: Factory-Outlet-Center nicht auf der grünen Wiese. Es besteht ja immer die Gefahr, wenn im Badischen oder im Elsässischen gebaut wird, dass die Regionen gegeneinander ausgespielt werden könnten. Das ist hier aber nicht der Fall und war auch ein Erfolg des Kollegen Gundolf Fleischer im Oberrheinrat, der dafür gekämpft hat, dass grenzüberschreitend Factory-Outlet-Center, abgestimmt mit allen Partnern, nicht auf der grünen Wiese gebaut werden, sondern nur dort, wo sie hingehören. Das ist ein konkreter Erfolg der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.
Meine Damen und Herren, der Antrag und die Große Anfrage sowie die zugehörigen Äußerungen der Regierung, die heute Grundlagen der Debatte sind, zeigen, dass die Kooperation im Interesse der Menschen noch erweitert und verstärkt werden könnte. Es gibt weitere Verbesserungsmöglichkeiten: In diesen Tagen erleben wir, dass wir in den Bereichen Katastrophenschutz, Technisches Hilfswerk, Rettungsdienste, Abwehr von Gefahren auf dem Rhein konkret vorankommen. Andererseits haben wir auch Bereiche, zum Beispiel den Tourismus, bei denen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit noch intensiviert werden kann und muss.
Erstens: die Sprache des Nachbarn beiderseits des Rheins. Ich freue mich, dass Herr Kollege Caroli hier noch einmal klar die Position der SPD und ihre Zustimmung zum Ausdruck gebracht hat. Wir befinden uns hier in Übereinstimmung mit der jüngsten Forderung des Dreiländerkongresses, der vor einer Woche tagte. Dort stand diese Frage im Mittelpunkt. Die Erwartungshaltung und die Entwicklung auf beiden Seiten des Rheins sprechen dafür, in der Schule als erste Fremdsprache die Sprache des Nachbarn zu erlernen. 70 % der Elsässer wünschen Deutsch als erste Fremdsprache. Wir haben Französischunterricht in der Grund
schule eingeführt und stehen damit europaweit an der Spitze. Wir werden dafür von der Europäischen Kommission – was in diesen Tagen eher selten ist – sehr gelobt.
Meine Damen und Herren, aktuell ist jetzt die Einrichtung eines Lehrerpools: Muttersprachler sollen im jeweiligen Nachbarland unterrichten – eine gute und notwendige Ergänzung. Der Kooperationsverbund der oberrheinischen Pädagogischen Hochschulen mit seinem Ziel der Ausbildung bilingualer Lehrkräfte in allen drei beteiligten Ländern rundet dieses Bild ab.
Ich erwähne auch das deutsch-französische Sprachzentrum für die Polizei in Lahr. Hier arbeiten die Polizeireviere in Zukunft auf der Praxisebene sprachlich zusammen. Das ist ein Erfolgsmodell, gemeinsam mit dem deutsch-französischen Polizeizentrum in Offenburg. Bei dem jüngsten Kongress in Breisach ist eindrücklich die Leistung gerade auch unseres Innenministers gewürdigt worden. Hier sind wir auf einem guten Weg.
Meine Damen und Herren, zum Wirtschaftsstandort Oberrhein: Eine wirtschaftlich gute Entwicklung hängt heute von der engen Vernetzung ab. Das zeigt das Projekt Bio-Valley, das nun in die dritte Phase kommt. Es zeigt auch – das möchte ich an dieser Stelle einmal deutlich sagen –: Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit hier am Oberrhein ist keine kleine Zusatzaufgabe am Rande der Landespolitik, sondern gehört für diese Region zum Kernbestand der Politik. Das muss heute auch klar zum Ausdruck kommen.
Dritter und letzter Bereich: Verkehrsinfrastruktur. Das Projekt Rheintalbahn – ich habe es angesprochen – läuft jetzt, aber wir müssen auch dafür sorgen, dass die Partner jetzt mitziehen, damit dies rechtzeitig in die Spuren kommt.
Nächster Punkt: Die Anbindung des TGV Est an das deutsche ICE-Netz. Große Sorgen muss uns bereiten, dass wir bislang keine Bereitschaft in Berlin und seitens der Bahn erkennen, die vertraglich vereinbarte Anbindung des ICENetzes an den TGV Est in Straßburg, Kehl und Appenweier zu gewährleisten. Im Jahr 2007 wird die TGV-Strecke bis Baudrecourt ausgebaut werden: 2 Stunden und 17 Minuten bis Paris. Hier brauchen wir die Anbindung an das ICENetz, wie sie vertraglich vereinbart worden ist, damit unsere Region bezüglich der Schiene nicht in den Verkehrsschatten gerät.
Das Gleiche gilt auch für das Straßennetz. Es ist von Herrn Kollegen Caroli angesprochen worden: Wir haben jüngst die zweite Rheinbrücke bei Kehl eingeweiht, und es ist ein gutes, symbolisches Zeichen, dass auf Initiative unseres Ministerpräsidenten diese Brücke Pflimlin-Brücke heißt und nach einem großen Europäer dieses Namens benannt wurde.
Wir brauchen aber auch den Ausbau des Autobahnnetzes. Ich nutze diese Gelegenheit, hier noch einmal klar unsere
Position zum sechsspurigen Ausbau der A 5 in den Vordergrund zu rücken. Wir müssen in dieser Region, wenn wir eine Chance auf wirtschaftliche, verkehrsinfrastrukturelle Entwicklung haben, diese auch nutzen und an einem Strang ziehen.
Dafür muss auch heute ein Zeichen ausgehen. Es gibt auch die Erwartungshaltung gegenüber der Stadt Freiburg und dem Oberbürgermeister, dass sie mit ihrer Schlangenlinienpolitik aufhören und stattdessen klar und eindeutig Flagge zeigen.
(Beifall bei der CDU und der Abg. Heiderose Ber- roth FDP/DVP – Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Hört, hört!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Schluss einige abschließende Worte zur Bedeutung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in unserer Region.
Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit – zentral vom Staatsministerium, dezentral vor Ort vom Regierungspräsidium Freiburg wahrgenommen – ist ein Erfolgsmodell. Gerade der jetzige Regierungspräsident Dr. Sven von UngernSternberg, der dies federführend für die baden-württembergische Seite macht, leistet einen hervorragenden Job. Das ist inzwischen eine Schlüsselfunktion und auch ein Kern der deutsch-französischen Freundschaft. Diese Eigenständigkeit trägt zum Selbstbewusstsein dieser Region erheblich bei. Dass wir Leo Wohleb hoch achten und gleichzeitig sich die Badenfrage bei uns nicht stellt, hängt auch damit zusammen, dass wir in Eigenständigkeit diese grenzüberschreitende Zusammenarbeit hier vor Ort wahrnehmen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich, dass diese zentrale Debatte heute in Freiburg stattfindet. Jean Monnet hat einmal gesagt: „Wir verbinden keine Staaten, sondern wir verbinden Menschen.“ Das ist die grundsätzliche Aufgabe der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Sie wird erfolgreich wahrgenommen. Wir haben Herausforderungen, aber wir sind auf einem guten Weg.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde einige Anmerkungen zur wirtschaftlichen Entwicklung dieser Region machen. Meine Kollegin Frau Berroth wird nachher das Thema Verkehrspolitik, Verkehrsinfrastruktur noch einmal besonders beleuchten.
Ich darf nur sagen: Für einen Wirtschaftler ist klar: Eine gute Verkehrsinfrastruktur ist das A und O jeder wirtschaftlichen Entwicklung.
Gerade noch rechtzeitig zu dieser Jubiläumsfestsitzung hat das Wirtschaftsministerium die Beantwortung dieser Großen Anfrage vorgelegt. Wir haben hier eine Festsitzung.
dass wir eine „Prunksitzung“ hätten. Möglicherweise haben sie das mit Karnevals- und Faschingsveranstaltungen verwechselt.
Aber auch für eine Prunksitzung eignet sich die Beantwortung, denn die Fakten, die dort genannt werden, sind für diese Region Südlicher Oberrhein/Freiburg/Dreiländereck ausgezeichnet. Das muss man sagen. Es besteht auch beim Hang zum Klagen, der vielleicht bei den Badenern nicht so ausgeprägt ist wie bei den Württembergern, kein Grund zur Klage.
Der Strukturwandel – ich darf das einfach noch einmal sagen, denn man muss wissen, worauf man aufbaut – ist hier hervorragend geglückt. Die Reduzierung bei der Land- und Forstwirtschaft – dort ist die Reduzierung übrigens nicht so deutlich wie in anderen Bereichen – ist durch den Dienstleistungssektor mehr als ausgeglichen worden. Der Anteil des Dienstleistungssektors in dieser Region ist überdurchschnittlich hoch. Das beruht natürlich auf vielen Faktoren: auf dieser Forschungs- und Entwicklungslandschaft, auf der bedeutenden Rolle Freiburgs als Universitätsstadt und, und, und.
Auch die Zukunftschancen dieser Region sind gut. Es ist eine Wachstumsregion von europäischer Bedeutung. Es gibt eine Reihe von guten Standortfaktoren, auf die andere Regionen beinahe ein bisschen neidisch sein könnten. Wenn ich höre, wie viele verfügbare Gewerbeflächen hier in dieser Region noch vorhanden sind, dann muss ich sagen, dass das ein ganz besonders wichtiger Punkt ist. Ich weiß, wovon ich rede. Wir wären froh, wir hätten in der Region Stuttgart, wo ich herkomme, auch eine solche Situation. Es sind natürlich die exzellente Forschungs- und Entwicklungsstruktur, die Wohnungs- und Freizeitqualität, die guten Natur- und Umweltbedingungen, und es ist vor allem – Herr Kollege Dr. Schüle, als Freiburger wissen Sie das natürlich besser als ich – die Nähe zu den Nachbarstaaten, zu Frankreich und zur Schweiz. Die früher einmal so belastende Randlage des südbadischen Raums ist völlig verschwunden. Südbaden ist Mittelpunkt, nämlich Mittelpunkt in Europa.
Das alles, meine Damen und Herren, wird in der Antwort auf diese Große Anfrage mit vielen Fakten belegt. Diese will ich hier nicht einmal im Ansatz wiederholen. Ich will nur auf drei Punkte hinweisen, die wichtig sind. Wir haben hier einen überdurchschnittlich hohen Bevölkerungszuwachs in den letzten Jahren. Der Zuwachs der Zahl von Erwerbstätigen ist hier dreimal so hoch wie im Landesdurchschnitt. Wir haben, wie gesagt, auch eine Superentwicklung bei der Expansion des Dienstleistungssektors. Dieser beträgt hier schon 65 %. Nebenbei: Im Land sind es etwa 61 %.