Protokoll der Sitzung vom 12.12.2002

Was ist intelligent an der Art des Sparens, wenn sie nachweislich dazu führt, dass wieder mehr psychisch Kranke stationär behandelt werden müssen? Der SPDi Stuttgart belegt zum Beispiel, dass die Zahl der Krankenhauseinwei

sungen durch die Arbeit der SPDi’s um 36 % gesunken ist. Es geht nicht nur um die medizinische Behandlung, sondern auch um die menschliche Seite, um eine bessere Qualität und um eine gemeindenahe Versorgung. Die Sozialpsychiatrischen Dienste sind in vielen Jahren mit viel Engagement von vielen Selbsthilfegruppen aufgebaut worden und sind ein unverzichtbarer Bestandteil einer gemeindenahen Psychiatrie. Daher kann man die SPDi’s nicht mit einer fadenscheinigen Begründung und einem Handstreich ihrem Schicksal überlassen.

(Abg. Alfred Haas CDU: Das machen wir ja nicht!)

Dies führt – gerade eben ist wieder ein Brief vom Sozialpsychiatrischen Dienst in Schorndorf verteilt worden,

(Abg. Alfred Haas CDU: Er geht ja von einer völli- gen Streichung aus! Das ist ja Quatsch!)

aus dem das hervorgeht – zu einer Reduzierung des Angebots, zu Entlassungen von Personal und zu Schließungen.

(Abg. Alfred Haas CDU: Nein! – Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Lieber Kollege Haas und meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie müssen einfach sehen: Durch dieses Sparen werden die SPDi’s kaputtgespart.

(Abg. Alfred Haas CDU: Nein! – Abg. Scheuer- mann CDU: Das ist doch nicht wahr!)

Doch! Sie werden kaputtgemacht.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Abg. Alfred Haas CDU: Sie werden redu- ziert!)

Auch wenn Sie gesagt haben, dass Sie ein Gespräch mit der Liga gehabt haben: Ich finde es beispiellos, wie hier mit den Trägern der freien Wohlfahrtspflege umgegangen wird, unseren Partnern, die seit Jahren aufgrund der Subsidiarität Aufgaben der öffentlichen Hand, Aufgaben des Staates übernehmen. Bei den SPDi’s geht es nicht bloß um medizinische Behandlung, sondern auch um bürgerschaftliches Engagement. In diesen SPDi’s sind so viele Selbsthilfegruppen, so viele Menschen ehrenamtlich aktiv, dass man sie durch die Kürzung der Mittel nicht einfach vor den Kopf stoßen kann.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Ohne jegliche Frühwarnung sind die Träger der freien Wohlfahrtspflege, sei es die Caritas, sei es die Diakonie, sei es die AWO, mit den beschlossenen Ausgabenkürzungen für langfristig angelegte Dienste konfrontiert worden. Diese Kürzungen sind unredlich, sind inhuman und sind unintelligent, weil sie langfristig gesehen mehr Kosten erzeugen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Sie sparen auf dem Rücken der Kommunen und der freien Träger.

(Abg. Alfred Haas CDU: Das ist doch nicht wahr!)

Gestern haben wir gehört, dass die Kommunen mit dem Rücken an der Wand stehen. Die Kommunen können aber eines nicht machen, was das Land Baden-Württemberg seit Jahren macht: sich nämlich ihrer freiwilligen Leistungen im Sozial- und Gesundheitswesen entledigen in der Hoffnung, dass es irgendjemand schon machen wird. Aber da ist niemand mehr. Den Letzten beißen die Hunde, und die Letzten sind in diesem Fall die Betroffenen. Da gibt es sonst niemanden mehr, der einspringen kann.

(Abg. Alfred Haas CDU: Das ist nicht wahr! Die waren doch 20 % überfinanziert! Warum haben die nicht selber Sparvorschläge gemacht? – Gegenruf der Abg. Ursula Haußmann SPD: Keine Ahnung, Herr Haas!)

Kollege Haas, Herr Minister, die Streichliste wird von vielen Menschen in Baden-Württemberg als Kampfansage gewertet, und zwar als Kampfansage gegen die Psychiatriereform und gegen eine zeitgemäße Integrationspolitik.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Und das ändern wir jetzt!)

Die vorgesehene komplette Kürzung bei der Sozialberatung für ausländische Familien – das ist mein zweiter Punkt und auch mein letzter – können wir nicht mittragen. Sie wissen, wir tragen vieles mit,

(Abg. Alfred Haas CDU: Was denn?)

aber es gibt eben Knackpunkte, bei denen wir nicht mitmachen. Auch hier stellt sich die Frage: Was ist intelligent und zukunftsfähig beim Sparen an der Ausländerberatung, wenn dabei noch 2 Millionen € Komplementärmittel vom Bund flöten gehen? Daran kann ich überhaupt nichts Intelligentes erkennen.

(Beifall des Abg. Sakellariou SPD)

Vielleicht ist das Ihr kleiner Widerstand gegen das von RotGrün auf den Weg gebrachte Zuwanderungsgesetz, aber wenn es das ist, ist das wirklich sehr kleinkariert, ganz zu schweigen davon, dass es auf dem Rücken der Migrantinnen und Migranten passiert. Da entsteht bei mir langsam der Gedanke, dass Sie da sparen, wo der Widerstand am schwächsten ist. Das sind eben auch Migrantinnen und Migranten, weil die sich nicht wehren können.

Das Sozialministerium hat ein Gutachten in Auftrag gegeben. Dieses Gutachten ist da. Es bestätigt den Beratungsstellen eine gute Qualität. Daher frage ich mich: Warum jetzt dieser Schritt? Es ist doch überhaupt nicht zu erklären, warum man da jetzt einspart.

Ganz zum Schluss möchte ich noch einmal auf meine Eingangsbemerkung zurückkommen. Ich habe gesagt: Strukturen sind zu hinterfragen. Es ist zu überlegen, was tatsächlich die Kernaufgabe des Staates ist. Wie kann man unseren Sozialstaat umbauen, ohne dass man abbaut? Da gebe ich Ihnen zu überlegen, was Kernaufgabe des Staates ist. Ist es nicht eher eine Kernaufgabe des Sozialstaats, psychisch kranke Menschen zu unterstützen, Sozialberatung für ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger weiter zu finanzieren und dafür Mittel einzustellen? Oder ist es eher eine

Kernaufgabe des Staates, 4,34 Millionen € einem Gestüt Marbach zuzuführen oder 250 000 € für eine Gartenakademie einzusetzen? Das möchte ich Ihnen zum Entscheiden mit auf den Weg geben.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, wir befinden uns in einer Aktuellen Debatte. Diese findet statt durch einleitende Erklärungen der Fraktionen und eine Rederunde, also eine zweite Runde pro Fraktion. Diese beiden Rederunden sind abgeschlossen, und deshalb kann ich im Moment niemandem mehr das Wort erteilen. Da die Regierung das Wort nicht wünscht, ist die Aktuelle Debatte beendet.

Punkt 2 der Tagesordnung ist damit erledigt.

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion der FDP/DVP und Stellungnahme des Innenministeriums – Wirtschaftliche Betätigung von Kommunen – Drucksache 13/1367

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hofer.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema „Wirtschaftliche Betätigung von Kommunen“ ist aktuell, und zwar nicht nur wegen der Liberalisierung weiter Bereiche kommunaler Daseinsvorsorge, sondern auch wegen der derzeit miserablen Finanzsituation der Kommunen auf der einen Seite sowie einer sprunghaft steigenden Zahl von Insolvenzen mittelständischer Anbieter auf der anderen Seite. Hier bedarf es eines Interessenausgleichs.

Noch einmal zur Erinnerung: Es geht um zwei Hauptpunkte. Der eine ist der Grundsatz der Subsidiarität wirtschaftlicher Betätigung der öffentlichen Hand, hier der Kommunen, und der andere Hauptpunkt, um den es geht, ist der Grundsatz des Örtlichkeitsprinzips, das heißt der grundsätzlichen Beschränkung kommunaler Tätigkeit auf den eigenen gemeindlichen Wirkungskreis.

Sie wissen, wir haben im Jahr 1999 – dem Beispiel anderer Bundesländer folgend – erstmals das Subsidiaritätsprinzip in vereinfachter Form in der Gemeindeordnung verankert. Dieses Prinzip besagt – ich drücke es einmal volkstümlich aus, aber deswegen ist es nicht falsch –, dass die Kommunen außerhalb der verfassungsrechtlich garantierten Daseinsvorsorge grundsätzlich nicht in Konkurrenz zu örtlichen Anbietern treten sollen. Das ist auch richtig so. Denn – nur noch einmal zur Erinnerung; das wissen Sie alle – der Wettbewerb ist ungleich, die öffentliche Hand geht in der Regel nicht in Konkurs, und das Thema Rating lässt grüßen. Jeder weiß, dass man mit einer öffentlichen Gewährträgerschaft bessere Kreditgewährungen erhält als ohne.

(Beifall des Abg. Kurz CDU)

Die Mittelständler haben ihr Problem mit den Kreditgewährungen. Das setze ich alles als unstreitig und bekannt voraus.

Nun hat sich die getroffene gesetzliche Regelung, das Subsidiaritätsgebot – das muss man selbstkritisch sagen; auch

ich habe mich da geirrt –, leider als ein ziemlich stumpfes Schwert, gewissermaßen als ein Muster ohne Wert herausgestellt. Denn die Gerichte haben die Klagen der betroffenen Unternehmen wegen Unzulässigkeit einfach abgewiesen mit der Begründung: „Das Subsidiaritätsgebot hat keine Drittschutzwirkung. Es hat einen Ordnungscharakter. Deshalb: Rechtsaufsicht ja, aber keine Klagen.“ Dagegen laufen nun die betroffenen Unternehmen, die Fachverbände und die Kammern natürlich unisono Sturm. Das kann ich verstehen. Nicht nur sie sind der Ansicht, sondern auch wir von der FDP/DVP-Fraktion meinen – hoffentlich sind wir da nicht allein –, dass es Sinn der Novellierung der Gemeindeordnung war, gerade den örtlichen Mittelstand stärker ins Auge zu fassen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)

Weil auch wir das so sehen, müssen wir darauf bestehen – das sage ich unumwunden –, dass bei der nächsten Änderung der Gemeindeordnung dem Subsidiaritätsgebot Drittschutzcharakter verliehen wird, so wie es die Richter auch gesagt haben. Sie sagen nämlich: Ihr müsst es nur noch ausdrücklich in die Begründung schreiben, und dann stimmt es.

Ich möchte nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht: Die Mehrzahl der Kommunen hält sich strikt und ordentlich an das Subsidiaritätsprinzip, weil sie genau wissen, was sie an einer guten Infrastruktur mittelständischer Unternehmen haben. Das liegt in ihrem eigenen Interesse. Übrigens gilt dies in umgekehrter Weise auch in Richtung Kommunen. Dennoch gibt es mit zunehmender Tendenz Zuwiderhandlungen. Ich komme nachher noch im Einzelnen darauf. Bei der schlechten Finanzausstattung der Kommunen gilt der Satz – das darf doch nicht verwundern –: Not macht erfinderisch. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite ist das Örtlichkeitsprinzip. Hierzu haben wir – entgegen anders lautender Gerüchte – schon sehr früh gesagt, wir seien bereit, uns für eine begrenzte Lockerung in den Fällen kommunaler Daseinsvorsorge auszusprechen, in denen man an einem liberalen Wettbewerb mit kommunalen Unternehmen gar nicht teilnehmen könnte, wenn man keine Ausnahmen zulässt. Ich möchte an dieser Stelle aber noch einmal sagen, dass eine solche Lockerung – das gilt zum Beispiel für den Energiesektor – natürlich begrenzt sein muss. Man darf da nicht die Ausnahme zur Regel werden lassen.

(Beifall der Abg. Dr. Noll und Pfister FDP/DVP)

Das ist klar. Im Übrigen muss hier auch die kommunale Seite auf die Belange anderer Kommunen Rücksicht nehmen.

(Abg. Hillebrand CDU: So ist es!)

Da gilt auch Groß gegen Klein. Deshalb muss es hier heißen: kooperieren und nicht nur expandieren.