Protokoll der Sitzung vom 12.12.2002

(Abg. Drexler SPD: Könnten!)

Es gibt einen ordnungspolitischen Hintergrund. Psychisch kranke Menschen sind kranke Menschen. Deswegen muss die Krankenkasse für die Finanzierung der Betreuung, der Leistungen für psychisch kranke Menschen aufkommen.

Dem hat die Gesundheitsministerin mit der Schaffung der Soziotherapie dankenswerterweise Rechnung getragen, Frau Haußmann,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Ja!)

weil es eben nicht allein um die Behandlung im stationären Bereich geht, sondern auch um die Behandlung im sozialen Umfeld. Leider hat sie es so bürokratisch gemacht, dass es zunächst einmal schien, als könnte die bewährte Struktur der Sozialpsychiatrischen Dienste in Baden-Württemberg bei der Durchführung der Soziotherapie gar nicht die Voraussetzungen dafür erfüllen, diese dann bei den Krankenkassen abrechnen zu können. Ich möchte ein großes Lob an den Sozialminister aussprechen, der als Moderator dafür gesorgt hat, dass in Baden-Württemberg genau dies jetzt möglich ist, dass Soziotherapie zur Mitfinanzierung dieser wichtigen Aufgabe der Sozialpsychiatrischen Dienste genutzt werden kann.

Man muss einen Sachverhalt aber immer an der Realität überprüfen. In der Tat ist es so – Sie haben es selber gesagt, Frau Haußmann –: 15 % des angebotenen Leistungsspektrums können schon jetzt durch die Soziotherapie aufgefangen werden.

(Abg. Alfred Haas CDU: Das ist zu wenig!)

Ich habe mich in vielen Gesprächen – nicht in Resolutionen – überzeugen lassen, dass maximal 20 %, also noch 5 % mehr, möglich wären. Das heißt in der Tat – Herr Kretschmann, da gebe ich Ihnen Recht –: 80 % der Kosten müssten aufgrund dieser Kürzungen – aber natürlich nur anteilig – ein Stück weit von den Trägern aufgefangen werden. Diese können es aber nicht mehr. Wir müssen uns also ernsthaft überlegen, ob wir in einer Übergangsphase, obwohl wir eigentlich hoffen, dass im Grunde genommen der Übergang zur Krankenkassenfinanzierung allmählich möglich wird, was aber so schnell nicht gehen wird, dieses – wie soll ich sagen? –

(Abg. Alfred Haas CDU: Diesen Bremsweg!)

Fallbeil der Kürzung um 2 Millionen € tatsächlich herunterfallen lassen können.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Erklären Sie das mal dem Kollegen Haas! Er hat es immer noch nicht begriffen! – Abg. Alfred Haas CDU: Brems- weg! Schon längst besprochen in der Liga!)

Jetzt kommt der nächste exemplarische Teil: Wie auch wir wissen Sie alle, dass wir im Februar so weit sein müssen, konkrete Aussagen machen zu können. Man kann schon beklagen, Herr Kretschmann – das sehe ich auch so –,

(Abg. Drexler SPD: Dann können wir es auch dis- kutieren!)

dass man manchmal überraschend irgendwelche Vorschläge bekommt und selbst als Mitglied einer Regierungsfraktion nicht immer gleich umfassend informiert ist. Wir haben es zugegebenermaßen ein bisschen leichter. Aber Sie werden bis Februar Gelegenheit haben, sich mit der Argumentation auseinander zu setzen.

Jetzt kommt aber wieder der exemplarische Teil bei den SPDi’s. Wenn wir strukturelle Einsparungen oder Veränderungen dauerhaft schaffen wollen, müssen wir an die großen Brocken gehen. Denn wenn ich bei den SPDi’s zum Beispiel 10 % oder mehr als 10 % kürze,

(Abg. Drexler SPD: Mehr!)

gefährde ich Strukturen, die mit relativ wenig Geld eine immens gute Arbeit in diesem Land leisten.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Drex- ler SPD: Jetzt haben wir es! Das ist doch der Punkt!)

Dem stelle ich jetzt einmal die 163 Millionen € im Krankenhausprogramm für 2003 gegenüber. Natürlich freue ich mich unheimlich, dass das Kreiskrankenhaus in Ruit einen zweiten Linearbeschleuniger mitfinanziert bekommt. Aber da fangen jetzt die strukturellen und die ordnungspolitischen Fragen an.

(Zuruf des Abg. Pfister FDP/DVP)

Wir haben ja auch die Frage auf unserer Agenda: Kann denn die Krankenhausfinanzierung künftig so laufen? Da stelle ich übrigens eine ganz interessante Gemeinsamkeit von SPD, Grünen und FDP im Bund fest.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Mehrheit! – Abg. Drexler SPD: Das ist die Mehrheit! Das ist auch in diesem Haus die Mehrheit!)

Aber das können wir nur auf Bundesebene entscheiden.

(Abg. Drexler SPD: Da sind Sie jetzt draußen, und wir wollen Sie nicht in Versuchung führen!)

Da setze ich jetzt sehr darauf, dass sich die Rürup-Kommission durchsetzt. Nur hilft das den Leuten jetzt überhaupt nichts, weil die Rürup-Kommission spätestens irgendwann im Jahr 2005 Ergebnisse haben wird. Das heißt, wir müssen jetzt aktuell Überlegungen anstellen.

Noch einmal zurück: Wir haben 163 Millionen € im Jahr 2003 für ein Krankenhausprogramm, das nicht ausschließlich, aber im Wesentlichen somatisch kranken Menschen zugute kommt. Auf der anderen Seite werden den seelisch kranken und behinderten Menschen 2 von 5 Millionen € weggenommen. Viel praktischer kann man gar nicht klar machen, dass in unserer Gesellschaft körperliche Krankheit sozial durchaus akzeptiert wird, seelische Krankheit aber nach wie vor mit einem Makel behaftet ist.

(Beifall der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Deswegen liegt mir sehr daran, Frau Kollegin Haußmann, zusammen mit Ihnen und zusammen mit dem Sozialministerium dafür zu sorgen, dass wir, zum Beispiel indem wir ein Stück weit in Richtung Krankenkassenfinanzierung im Zusammenhang mit der Soziotherapie umschichten können, versuchen, gangbare Wege zu finden, damit bewährte Strukturen, die übrigens auch in großen Teilen von Angehörigen und von ehrenamtlich Tätigen mitgetragen werden, nicht kaputtgehen. Es wird des Schweißes der Edlen wert sein, dass wir das gemeinsam tun.

Bei 163 Millionen € für Krankenhauserweiterungen und neue Geräte

(Zuruf von der SPD: KIF!)

ja, alles okay – kann man doch einmal überlegen, ob es nicht ein gangbarer Weg wäre, von den großen Brocken 2 oder 3 % zu kürzen oder einen Teil auf ein bisschen später zu verschieben. Das war nur eine Andeutung.

Aber wir werden Zeit haben, und ich sage Ihnen zu: Wenn nicht wirklich nachvollziehbar dargelegt werden kann, dass wir die Strukturen der Sozialpsychiatrischen Dienste für seelisch kranke und seelisch behinderte Menschen in diesem Land mit der Kürzung nicht gefährden, werden wir der Kürzung in dieser Form nicht zustimmen, sondern wir werden Alternativvorschläge unterbreiten. Wir sind schon dabei, das an der einen oder anderen Stelle zu versuchen. Das ist nicht so einfach; das wissen Sie alle. Aber ich rufe uns und Sie alle dazu auf und gebe damit das Signal, nicht nur zu klagen, zu jammern und Resolutionen zu schreiben, sondern sich darum konkret zu kümmern.

Eine letzte Bemerkung. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, alle Verantwortlichen aufzurufen, verstärkt von der Möglichkeit der Soziotherapie Gebrauch zu machen. Wenn so etwas neu kommt – das gibt es ja noch nicht so furchtbar lang –, müssen die niedergelassenen Ärzte wissen, dass es gerade in ihrem Interesse liegen muss, Patienten nicht in die stationäre Psychiatrie verschwinden zu lassen, sondern sie über diese Struktur am Ort zu halten. Das liegt ja auch in ihrem Interesse.

Ich weiß, die Ärzte sind nicht begeistert, wenn man neue Therapien einführt und dafür kein Geld zur Verfügung stellt. Das ist eines der Probleme auf Bundesebene. Aber ich habe die Bitte – ich habe sie auch schon dem Sozialminister gegenüber geäußert –, als Moderator überall bei den Ärzten, die die Soziotherapie verordnen müssen, aber auch bei den Sozialpsychiatrischen Diensten dafür zu sorgen, dass sie wie jeder andere Leistungserbringer im Gesundheitswesen ein Stück weit auf die Krankenkassen zugehen. Da wollen wir gern unterstützend tätig sein.

Noch einmal: Ich will damit nicht sagen, dass die Soziotherapie dieses Problem völlig lösen wird. Ich bin bewusst am konkreten Thema geblieben. Denn dieses allgemeine Daherschwadronieren über Schuldzuweisungen nützt uns nämlich gar nichts.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen jetzt konkret versuchen, die kritischen Punkte zu lösen. Drei wurden genannt; von zweien haben wir schon gehört, wie sie gelöst werden könnten; der dritte ist mir besonders wichtig, weil es darum geht, unterschiedliche Gewichtungen auch in der Wahrnehmung dessen, wofür das Land zuständig ist, bei diesem notwendigen Sparkonzept umzusetzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Lösch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Strukturen zu hinterfragen, den Staat auf seine Kernaufgaben zu reduzieren, das sind in der Tat wichtige Überlegungen. Den Sozialstaat zu reformieren und dabei so umzubauen, dass das nicht auf Kosten der Schwächsten geht, ist, glaube ich, eine der schwierigsten und wichtigsten Aufgaben, vor denen wir stehen.

(Beifall bei den Grünen und des Ministers Dr. Rep- nik – Minister Dr. Repnik: Das ist richtig!)

Die vorgesehene Streichliste der Landesregierung im Bereich des Sozialministeriums zeigt leider, wie man es nicht machen sollte.

(Beifall bei den Grünen – Minister Dr. Repnik: Oh! Jetzt gehe ich auf meinen Platz!)

Schonungslos wird bei den sozial Schwächsten gekürzt: bei den ausländischen Familien, bei den psychisch Kranken und bei den Arbeitslosen. Das ist weiß Gott nicht das, was ich mir unter intelligentem Sparen vorstelle, sondern hat eher den Charakter einer „Milchbubenrechnung“.

(Abg. Hillebrand CDU: Wie geht intelligentes Spa- ren? Wie geht das?)

Sehr geehrter Herr Sozialminister Repnik, Sie wurden am 29. November in der „Stuttgarter Zeitung“ mit dem Ausspruch zitiert: „Wenn ich konkret sparen muss, dann geht das nur auf intelligente Weise und nicht nach der Rasenmähermethode.“

(Abg. Alfred Haas CDU: So ist es!)

In diesem Zusammenhang ging es um die Sparmaßnahmen der Bundesregierung in der Gesundheitspolitik, aber heute reden wir nicht über die Sparmaßnahmen der Bundesregierung, sondern wir reden über die Sozial- und Gesundheitspolitik in Baden-Württemberg. Da müssen Sie sich schon gefallen lassen, dass man Sie hier an Ihren eigenen Maßstäben misst.

Fangen wir an mit Ihrer Forderung an den Bund, das System nicht kaputtzusparen, sondern zukunftsfähig zu machen. Da frage ich mich, was denn beispielsweise zukunftsfähig an der Entscheidung ist, die Zuschüsse für die Sozialpsychiatrischen Dienste um die Hälfte zu reduzieren. Auch das, was Sie vorhin zu erklären versucht haben, ist nicht richtig, weil, wie auch Sie genau wissen, die Sozialpsychiatrischen Dienste 15 bis 20 % ihrer Tätigkeit über die Soziotherapie abrechnen können und 36 % Casemanagement sind, also Schnittstellenarbeit, die nie über die Soziotherapie abgerechnet werden kann. Der Rest sind sozialrechtliche Beratungen, die über die Landkreise finanziert werden. Das heißt, die Soziotherapie wird ein Bestandteil der Sozialpsychiatrischen Dienste, reicht dann von 15 bis 20 %, kann aber nicht weiter ausgebaut werden. Das heißt, die Finanzierungsvorschläge, die Sie da gebracht haben, stimmen nicht.

Was ist intelligent an der Art des Sparens, wenn sie nachweislich dazu führt, dass wieder mehr psychisch Kranke stationär behandelt werden müssen? Der SPDi Stuttgart belegt zum Beispiel, dass die Zahl der Krankenhauseinwei