Protokoll der Sitzung vom 19.02.2003

Diese Folgen und Auswirkungen müssen präzise untersucht werden.

(Abg. Zeller SPD: Was schlagen Sie vor?)

Defizite aus der Grundschule – ich habe es schon gesagt – sind in den weiterführenden Schulen nicht mehr reparabel.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch Blödsinn!)

Nach Ihren Worten muss die Grundschule „Anstrengungsbereitschaft und Leistung durch fordernden Unterricht“ erreichen. Das finde ich hervorragend. Also gehen wir doch einmal weg von der Kuschelecke und von der Verlängerung des Kindergartens in der Grundschule. Die Kinder wollen etwas leisten, und sie sind stolz auf ihre Leistungen. Dann sollten wir sie auch entsprechend fordern.

(Beifall bei der CDU – Zuruf von der SPD: Das ist Steinzeitpädagogik!)

Ich erteile das Wort Frau Abg. Rudolf.

Frau Präsidentin, meine Damen und meine Herren! Frau Vossschulte, bei Ihrem Redebeitrag habe ich mich wirklich gefragt, in welchem Jahrhundert sich dieses Parlament heute befindet. Sie kommen mit Sprüchen von vorgestern, dass in der Schule nicht richtig getrimmt werde:

(Abg. Christa Vossschulte CDU: Das habe ich mit keinem Wort gesagt!)

Sie haben immer noch nicht die Zeichen der Zeit erkannt,

(Abg. Döpper CDU: Welche?)

dass es hier in diesem Hause sowohl bei den Grünen wie auch bei uns in der SPD keineswegs darum geht, uns darüber Gedanken zu machen, welche Anforderungen in der

Grundschule, aber auch in den weiterführenden Schulen gestellt und welche Leistungen erbracht werden. Das ist heute nicht und schon lange nicht mehr das Thema.

Sie haben den PISA-Schock selber erwähnt. Der ist ja schon eine Weile her. Seither sind viele Diskussionen ins Land gegangen. Wenn ich Ihre Anträge, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion und der FDP/DVP-Fraktion, anschaue und rekapituliere, dann kann ich Sie einfach nur warnen: Sie haben hier die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Die CDU und die FDP haben schon einmal die Regierung verloren, weil sie in wichtigen Bereichen mit einem „Weiter so!“ argumentiert haben.

(Beifall bei der SPD – Abg. Döpper CDU: Das ging jetzt ganz am Thema vorbei!)

Alle Experten und Expertinnen, die sich mit dem Thema Grundschule beschäftigt haben, sind in den letzten Jahren zu dem Schluss gekommen, dass zentrales Ziel ist, die Elementarbildung zu fördern, dass es wichtig ist, den Kindergartenbereich und den schulischen Bereich miteinander zu verzahnen. Diese Chance haben Sie hier in Baden-Württemberg auch mit dem Kindertagesstättengesetz, das ja heute Morgen auf der Tagesordnung stand, verspielt und vergeigt. Sie bekommen hier keine Kooperation mehr zustande, weil Sie die Zuständigkeiten geteilt haben.

Was die Grundschule angeht, sind Sie nach wie vor der Meinung – auch da muss ich mich wieder fragen, in welchem Jahrhundert Sie sich eigentlich bewegen –, dass die Kinder in der Schule getrimmt werden und sich nicht wie in allen anderen Ländern, die bei PISA gute Ergebnisse erzielt haben, die Schule darauf ausgerichtet hat, welche Kinder eigentlich in die Schule gehen. Individuelle Förderung kann nicht nach Noten stattfinden, und individuelle Förderung kann auch nicht heißen, dass wir nach vier Jahren hier in Baden-Württemberg das Grundschulabitur haben.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Sei- metz CDU: So ein Quatsch!)

Meine beiden Vorrednerinnen haben noch einmal das Thema „verlässliche Halbtagsschule“ auf die Agenda gesetzt. Hier muss ich Ihnen, Frau Vossschulte, sagen: Eine längere gemeinsame Lernzeit pro Tag mit einem pädagogischen Gesamtkonzept, mit einem Wechsel zwischen Betreuung und Pädagogik im Sinne von Lernen, ist eigentlich das, was wir nach allen Erkenntnissen der PISA-Studie aus Finnland, Schweden, Kanada gelernt haben. Was wir hier in BadenWürttemberg haben, ist eine Schule, die nicht ausreicht, die Betreuung zu gewährleisten. Wir pappen hinten und vorne ein Stückchen dran. Da muss ich Sie dann auch fragen: In welchem Land leben Sie eigentlich? Wenn wir zu bildungspolitischen Veranstaltungen in Baden-Württemberg an Schulen gehen, bei Elternabenden präsent sind, heißt es überall: Es funktioniert nicht, es funktioniert nach wie vor nicht. Unterricht fällt auch in der Grundschule aus. Betreuung kostet zum Teil viel Geld und hängt dadurch vom Geldbeutel der Eltern ab. Gerade die Kinder, bei denen wir der Meinung sind, dass sie besondere Integration und Betreuung brauchen, finden diese in der Schule nicht.

Individuelle Förderung bedeutet aber auch, dass wir über die Jahre hinweg Zeit brauchen.

Frau Vossschulte, Sie haben witzigerweise erwähnt, dass der Handwerkstag nicht mit dem zufrieden ist, was in der Schule stattfindet, vor allem nicht mit den Ergebnissen. Der Handwerkstag war so mutig, daraus Konsequenzen zu ziehen, und sagte, neun Jahre Grundschule wären der richtige Ansatz, um in dieser Zeit die Kinder individuell zu fördern. Sie können nicht auf der einen Seite den Handwerkstag als Beleg dafür heranziehen, dass es in der Schule nicht so zugeht, dass die Ergebnisse stimmen, und auf der anderen Seite die Konsequenzen einfach vom Tisch wischen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Ich fordere Sie an dieser Stelle auf, über Ihren Schatten zu springen und endlich in den gesellschaftlichen Diskurs einzusteigen, wie viel Schule Kinder brauchen, in welchem zeitlichen Umfang Kinder Schule brauchen und was in dieser Schule stattfindet, und nicht länger an Ihren starren Modellen der Strukturierung festzuhalten und hier und da einmal eine Baustelle zu eröffnen, um die Schule ein bisschen besser zu machen. Dies wird für unser aller Zukunft nicht ausreichen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kleinmann.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir heute über die Grundschule debattieren, so steht dies selbstverständlich wiederum im Zeichen – das ist wiederholt angesprochen worden – von PISA. Gestatten Sie mir daher als Vorbemerkung ein Original-PISA-Zitat.

(Zuruf von der SPD: Nein! – Heiterkeit bei der SPD)

Die Leistungsfähigkeit von Schulen hängt nicht nur von der Professionalität, dem Verantwortungsbewusstsein und dem Engagement der Lehrenden ab, sondern auch von gesellschaftlichen und institutionellen Rahmenbedingungen. Wer nicht Gefahr laufen möchte, Schulen bzw. Schulsystemen gute oder schlechte Leistungen zuzuschreiben, die sie überhaupt nicht zu verantworten haben, kann die genannten Kontextbedingungen ihrer Arbeit nicht ignorieren.

Ich betone: Diese Feststellungen

(Abg. Teßmer SPD: Wer hat Ihnen das aufge- schrieben?)

natürlich habe ich es mir aufgeschrieben; warum soll ich das auswendig lernen?; das lohnt sich ja gar nicht –, die ich Wort für Wort unterschreibe und unterstreiche, werden in der PISA-Studie selbst getroffen.

Im Anschluss daran findet sich der ausdrückliche und sozusagen freimütige Hinweis, dass die mit der PISA-Studie vorgelegten „Informationen zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der schulischen Arbeit mit Sicherheit noch unvollständig“ sind, sodass – wiederum ein wörtliches Zitat – „damit zu rechnen ist, dass die jetzt gegebenen

Möglichkeiten zu bildungspolitischen und pädagogischen Interpretationen von Leistungsunterschieden zwischen den Ländern aufgrund von gründlicheren Analysen der Kontextbedingungen revidiert werden müssen“.

(Abg. Teßmer SPD: Das ist doch kein Seminar hier!)

Ich will das hier nicht vertiefen.

(Zuruf von der SPD: Das heißt, PISA taugt nichts!)

Das heißt nicht, dass das PISA-System nichts taugt, aber das heißt, dass es kritisch zu betrachten ist.

(Abg. Schmid SPD: Aber wir können Schlüsse da- raus ziehen!)

Selbstverständlich kann man daraus Schlüsse ziehen, aber man kann nicht bis ins letzte Detail gehen.

(Zuruf von der SPD: Kommen Sie einmal zur Sa- che!)

Ich will das hier nicht vertiefen. Noch weniger will ich bildungspolitischem Nachdenken ausweichen und mich etwa auf Betrachtungen über die Wertschätzung von Lernen und Anstrengung in einer Gesellschaft zurückziehen. Ich meine aber schon, dass wir bildungspolitische Debatten unter Berufung auf die PISA-Studie nicht führen sollten, ohne die soeben zitierten Aussagen zu berücksichtigen.

Wenn in der PISA-Studie darüber hinaus ausdrücklich gesagt wird, dass ein Zusammenhang, Frau Rastätter, zwischen Klassenstärke und Schulleistung, zwischen Schulund Unterrichtsorganisation und Schulleistung, zwischen Zahl der Unterrichtsstunden und Schulleistung – um nur einige Beispiele zu nennen – in den untersuchten Ländern nicht festzustellen ist – ich betone: nicht festzustellen ist –, so kann und darf man auch darüber nicht einfach hinweggehen.

(Beifall des Abg. Hofer FDP/DVP)

Dies alles hat einen sehr konkreten Bezug zu den zur Beratung anstehenden Anträgen der Grünen; denn in ihnen wird unter Berufung auf die PISA-Studie nicht nur die Verbesserung der Grundschule gefordert, sondern auch die Einführung der obligatorischen „vollen Halbtagsgrundschule“. Das von uns verfolgte und von der FDP/DVP mit initiierte Konzept der verlässlichen Grundschule sei gescheitert; so behaupten die Grünen.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Ja! – Zuruf von der SPD: Die Eltern auch!)

Meine Damen und Herren, das Gegenteil ist der Fall.

(Abg. Teßmer SPD: Oh lieber Gott! – Beifall des Abg. Seimetz CDU)

Die in der Stellungnahme der Landesregierung mitgeteilten Daten, die ich hier nicht im Einzelnen wiederholen muss – Sie können ja lesen –, belegen dies einwandfrei. Wir halten deshalb an diesem Konzept fest. Dass wir es ständig weiter verbessern und bedarfsgerecht gestalten wollen, versteht

sich schließlich von selbst. In den Haushalt haben wir dafür auch erhebliche zusätzliche Mittel eingestellt.

Meine Damen und Herren, die Feststellung der Grünen, was in der Grundschule verpasst werde, könne später nicht mehr aufgeholt werden, ist ohne Zweifel richtig, Frau Rastätter. Ich meine auch, dass uns die PISA-Studie in der Tat gezeigt hat, dass Deutschland und auch Baden-Württemberg im Bereich des frühen, rechtzeitigen Lernens, also im Primar- und Elementarbereich, Nachholbedarf haben. Deshalb will ich, dass die Ausweitung des Angebots von Ganztagsschulen auch im Bereich der Grundschulen erfolgt.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)