Protokoll der Sitzung vom 19.02.2003

Ich persönlich bin der Meinung, dass man dies beispielsweise mit irgendeiner Prüfung machen sollte, möglichst schon während des fünften Lebensjahrs, also nach dem vierten Geburtstag. Dass dann natürlich auch eine gezielte Förderung – sonst hat eine solche Prüfung ja gar keinen Sinn – einsetzen muss, ist auch klar. Die Frau Ministerin wird nachher erläutern, welches Pilotprojekt wir hier vorgesehen haben.

Abschließend zwei Bemerkungen zum Thema Sprachstandsdiagnose.

(Zuruf von der SPD: Arbeitsteilung!)

Ja, sehr richtig.

Erstens: Wir brauchen solche Instrumentarien, und sie müssen rechtzeitig eingesetzt werden, das heißt nicht erst unmittelbar vor dem Eintritt in die Grundschule. Deshalb mein Vorschlag: fünftes Lebensjahr.

Zweitens: Bei ihrer Anwendung sind zwei Dinge in besonderem Maße zu beachten: Es darf nicht zu kompliziert werden, und wir müssen ernsthafte Überlegungen darüber anstellen, wie auch diejenigen Kinder – hören Sie von der SPD mal zu, das ist ja auch Ihre Forderung – einbezogen werden können, die keinen Kindergarten besuchen; denn unter diesen sind vermehrt gerade jene, die in der Regel einer Sprachförderung am dringendsten bedürfen.

(Abg. Wintruff SPD: Was lernen wir daraus, Herr Kollege?)

Meine Damen und Herren, packen wir es an, diskutieren wir darüber weiter im Schulausschuss. – Daraus schließen wir, Herr Kollege Wintruff, dass wir, wie gesagt, diese Prüfung machen müssen.

(Abg. Schmiedel SPD: Wie? Wer? – Abg. Wintruff SPD: Wie kriege ich die Kinder? – Heiterkeit)

Herr Kollege Wintruff, ich bin leider kein Gynäkologe, aber ich weiß trotzdem, wie man sie kriegt. – Wir müssen diese Prüfung machen, wir müssen dann eine Förderung einleiten, und dazu wird jetzt ein Pilotprojekt gestartet. Wir sind uns auch einig, dass wir dann, wenn dieses Projekt abgeschlossen ist – das Ergebnis wird sicherlich positiv sein; davon gehe ich aus –, auch versuchen, dieses Projekt flächendeckend durchzuführen.

Vielen Dank.

(Beifall des Abg. Pfister FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Lösch.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute Vormittag bei der Beratung der Novellierung des Kindergartengesetzes schon über die Sprachförderung gesprochen. Die Stellungnahme zu dem Antrag macht nochmals deutlich, was sich heute

Vormittag schon angedeutet hat. Ich sehe da Schwierigkeiten in der interministeriellen Zusammenarbeit, vor allem in den interministeriellen Arbeitsgruppen.

Die Frau Ministerin verweist in ihrer Stellungnahme darauf, dass die Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags eine kommunale Aufgabe sei und dies so auch im Kindergartengesetz stehe. Das ist falsch. Richtig ist, dass die Kindergartenförderung kommunalisiert wird, aber der Bildungsauftrag und die Sprachförderung nach wie vor Bestandteile des Landeskindergartengesetzes sei.

Herr Sozialminister Repnik erklärte in einer Pressemitteilung im November 2002, dass in den Grundzügen des neuen Kindergartengesetzes auch die gesetzliche Verankerung der Sprachförderung im Kindergarten vorgesehen sei.

(Zuruf von der SPD: Steht drin!)

Das steht drin; stimmt!

In der Ausgestaltung der Sprachförderung geht es darum, bereits mit dem Eintritt in den Kindergarten und damit ab einem Alter von drei Jahren mit der Sprachförderung zu beginnen. Dazu gehören eine Weiterqualifizierungsoffensive für Erzieherinnen,

(Zuruf des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

nicht zu reden von der ausstehenden Reform der Erzieherinnenausbildung, und vor allem eine Weiterentwicklung der Sprachförderung in der Alltagspraxis im Kindergarten.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Geschichten erzäh- len!)

Das ist Sprachförderung. Sprachförderung kann nicht reduziert werden auf Sprachtests für Fünfjährige.

(Beifall bei den Grünen)

Sprache braucht Vorbilder, sagen die Logopäden. „Vorbilder“ heißt: Erzieherinnen und Eltern, die sich genau ausdrücken und artikulieren. Auch die Logopäden verweisen auf die OECD-Studie, wonach die Ausbildung der Erzieherinnen in Deutschland am schlechtesten ist, und lehnen die Einführung von Sprachtests für Fünfjährige ab. Bildung und Sprachförderung dürfen nicht auf Sprachtests für Kinder mit Migrationshintergrund reduziert werden.

Die von der OECD im Jahr 2001 vorgestellte Studie „Starting strong“, in der die Systeme der Bildung und Erziehung von Kindern unter sechs Jahren in zehn europäischen und zwei außereuropäischen Ländern verglichen wurden, wirft erneut zahlreiche Fragen auf, wie denn moderne Bildungskonzepte aussehen sollen. Bayern hat darauf schon reagiert. Bayern hat einen Bildungs- und Erziehungsplan entwickelt, und auch in NRW werden gerade Bildungsvereinbarungen entwickelt, in denen das Sprechenlernen sowohl für deutsche Kinder als auch für Kinder mit Migrationshintergrund im normalen pädagogischen Alltag im Mittelpunkt steht.

Wo steht da Baden-Württemberg? Wie weit sind die Ergebnisse der Arbeitsgruppen und Expertengruppen? Das Einzige, was bisher umgesetzt wird, sind die Sprachstandsdiagnosen und die Sprachkurse, die im Rahmen eines Mo

dellversuchs über zwei Jahre und mit 5 Millionen € über die Landesstiftung laufen. Der Sprachtest nach Breuer/Weuffen, um den es dabei geht, wird von fast allen Fachleuten, so auch von Gesine Lumpp, die übrigens das Denkendorfer Modell mitentwickelt hat, als absurd und absolut problematisch bewertet. Nicht nur, dass man viel früher mit der Sprachförderung beginnen muss, auch der vorgesehene Test ist schlicht und einfach der falsche; denn der Schwerpunkt dieses Tests liegt auf dem lautlichen Erkennen, also darauf, ob zwei Worte mit dem gleichen Buchstaben beginnen, aber nicht auf dem Inhalt. Der Test ist geeignet, um Leseund Rechtschreibschwächen zu erkennen, wozu er bisher auch eingesetzt wurde, aber nicht, um das sprachliche Potenzial von Fünfjährigen zu erkennen.

Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft das erwähnte Kernstück der integrationsfördernden Maßnahmen, die HSL-Mittel, die Maßnahmen zur vor- und außerschulischen Hausaufgabenhilfe. Von den 4,1 Millionen € geht ein Drittel, also ca. 1,3 Millionen €, in den vorschulischen Bereich. Die Richtlinien sind aber so eng ausgelegt, dass nur die Träger Geld erhalten, die nach dem Modell mit ehrenamtlichen Sprachhelfern, dem so genannten Denkendorfer Modell, arbeiten, das auch richtig und gut ist. Es gibt aber auch viele andere Projekte und Modelle zur Sprachförderung. Von daher ist eigentlich nicht einsichtig, dass die Richtlinien so eng ausgelegt sind, dass nur Träger Geld erhalten, die sich auf das Denkendorfer Modell beschränken. Ich halte dies für nicht richtig. Ich meine, dass die Richtlinien für die HSL-Mittel neu gefasst und erweitert werden müssen, da ich nicht glaube, dass die Landesregierung bewerten kann, welches die richtigen und welches die falschen Maßnahmen zur Sprachförderung sind.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen)

Meine Damen und Herren, das Wort erteile ich Frau Ministerin Schavan.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Zunächst stelle ich bei dieser Debatte wie auch bei vielen anderen Debatten, die derzeit in Deutschland in der Bildungspolitik geführt werden, fest: Wir haben einen Konsens darüber gefunden – das ist erfreulich –, dass Sprache der Schlüssel für schulischen Erfolg ist. Dies ist uns zuletzt in der PISA-Studie bestätigt worden. Manche haben das vorher geahnt.

Herr Staiger, deshalb stimmt die Überschrift aus dem „Mannheimer Morgen“ für Deutschland; sie stimmt übrigens genauso für Frankreich, für Italien, für die Schweiz und für eine Reihe westeuropäischer Länder, für die in der PISA-Studie allesamt festgestellt wird: ganz geschwätzige Gesellschaften, die sprachlos sind im Umgang mit Kindern. Wenn man mit den europäischen Nachbarn spricht, stellt man dies interessanterweise fest. Sie bekommen dies durch die PISA-Studie bestätigt, obwohl diese Länder in manchen Bereichen in den letzten Jahren und Jahrzehnten ganz andere Wege als Deutschland gegangen sind.

Ein Beispiel war in der „Zeit“ nachzulesen. Der französische Bildungsminister Luc Ferry sagt danach: „Wir schaf

(Ministerin Dr. Annette Schavan)

fen es immer weniger, Kindern in der Grundschule Lesen und Schreiben beizubringen, trotz Ecole Maternelle.“ An anderer Stelle des Interviews steht zu lesen: „Die Zahl der Jugendlichen, die ohne Schulabschluss die Schule verlassen, steigt in Frankreich dramatisch, trotz achtstündigem Arbeitstag in der Schule.“ Wenn man sich dann ein bisschen austauscht – ich halte diesen Austausch für sehr wichtig, um Schnellschüsse in dem einen oder anderen Land zu verhindern –, stellt man fest, dass wir in der Tat vor einer kulturellen Aufgabe stehen. Das Thema Sprache ist weit mehr als nur ein bildungspolitisches Thema. Deshalb beginnt das, was wir jetzt tun müssen, auch weit vor der Schule.

Ich denke also: Es ist jetzt eine gute Basis für weitere Diskussionen, wenn wir dem Thema „Sprache, Sprechen lernen, Schreiben lernen, Lesen lernen, Umgang mit Texten“ in unserer kulturellen Erziehung, im Konzept der Bildungspolitik einen größeren Stellenwert als in den letzten 30 Jahren geben. Das wird ganz konsequente Veränderungen auch in der Schule nach sich ziehen, zum Beispiel die Veränderung, dass ab der ersten Klasse und für alle Schularten gilt, dass Deutsch ein Unterrichtsprinzip in allen Fächern ist, dass es nicht mehr egal ist, wenn ich in einem anderen Fach – etwa in Geschichte oder Erdkunde – Rechtschreibfehler mache, dass also der Umgang mit Texten auch da bedeutsam ist. Wir werden uns im Detail im Schulausschuss darüber unterhalten.

Jetzt zu unserem Ansatz in Sachen Sprachförderung vor der Schule. Sie haben so ein bisschen despektierlich und lächerlich machend gesagt, da gebe es Gruppen, Untergruppen und nochmals Gruppen. Ja, das ist in der Tat so.

(Zuruf des Abg. Schmiedel SPD – Unruhe)

Ich komme gleich darauf.

(Zuruf des Abg. Braun SPD – Lachen der Abg. Dr. Caroli und Schmid SPD)

Das ist nicht so lächerlich, wie Sie glauben. Das ist richtig Arbeit. Da kommen Sie mit Überschriften und ein paar hingeworfenen Sätzen überhaupt nicht weiter.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf von der SPD: Zu wem reden Sie denn?)

Es sind viele betroffen und deshalb auch viele beteiligt.

(Zuruf des Abg. Schmid SPD)

Das beginnt weit vor dem Kindergarten: in der Elternarbeit, in unseren Weiterbildungseinrichtungen mit dem Thema „Verstärkung der Elternbildung“ bis hin zur Information in Kinderarztpraxen über die Bedeutung der Sprachentwicklung. Sie sprachen von 25 000 Kindern. Es ist ja generell davon auszugehen, dass jedes vierte Kind in Deutschland bei Schulbeginn deshalb eine sprachverzögerte Entwicklung hat, weil mit diesem Kind nicht genügend gesprochen wird.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ja!)

Also beginnen wir nicht mit dem Kindergarten,

(Zuruf des Abg. Schmid SPD)