Protokoll der Sitzung vom 19.02.2003

Viertens: Ich möchte aus dem Informationsdienst des Diakonischen Werks Württemberg vom Februar 2003 zitieren:

Die Kürzungen sind immer noch besser als die Alternative einer Absenkung des Kontingents an Zivildienstleistenden. Denn dann würden weit weniger junge Menschen in den sozialen Bereich kommen.

Das wäre die Alternative.

(Abg. Dr. Lasotta CDU: Die müssen doch erst mal herangeführt werden! – Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Das wäre eine noch schlechtere Entscheidung. Deshalb akzeptiert die Diakonie diese Pläne.

Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben die Diakonie hier mit im Boot. Das kann man allerdings, wenn man die Artikel liest, die die Kürzungen bei den SPDi’s betreffen,

(Abg. Hauk CDU: Ja, ja!)

von Ihnen nicht gerade behaupten.

(Beifall bei der SPD – Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege Wieser hätte noch eine Nachfrage. Gestatten Sie diese?

(Abg. Wieser CDU: Hat sich erledigt! Durch die lange Verzögerung hat sie sich erledigt!)

Herr Wieser, Sie fordern mich schon wieder geradezu dazu heraus, etwas zur Geschäftsordnung zu sagen.

(Vereinzelt Heiterkeit – Abg. Wieser CDU: Ich ha- be den Präsidenten überhaupt nicht genannt, Herr Präsident! – Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Herr Kollege Haas, ich bedarf von Ihnen keiner Nachhilfe in der Sitzungsleitung.

Frau Kollegin Lösch, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein Wort am Anfang zum Thema „demographische Entwicklung“, zu den „egoistischen“ Gründen, keine Kinder mehr in die Welt zu setzen, zu den „Ich-AGs“ und zu den anderen Themen, die zuvor angesprochen wurden. Ich glaube, ich habe am Anfang meiner Rede vorhin schon aufgezeigt, dass die demographische Entwicklung zum ersten Mal eine alternde Gesellschaft hervorbringt. Das heißt, jede Frau müsste im Durchschnitt 2,1 Kinder haben, damit die Population gleich bleibt. Das erfüllen weltweit nur noch fünf Länder, darunter Mexiko, Pakistan und Brasilien. In allen anderen Ländern – da ist Deutschland gutes Mittelmaß – liegt der Durchschnitt unterhalb dieser 2,1 Kinder pro Paar. Das heißt, wir müssen uns einfach damit auseinander setzen, dass wir in einer alternden Gesellschaft leben.

(Abg. Hauk CDU: Aber man muss das doch nicht klaglos akzeptieren!)

Genau, Kollege Hauk, man muss das nicht akzeptieren. Sie wissen auch, dass ein kinder- und familienfreundliches Land auch angemessene Kinderbetreuungsmöglichkeiten hat. Dann überlegen Sie sich einmal, weshalb viele Frauen bei uns keine Kinder bekommen! Weil die Kinderbetreuung hier nach wie vor schlecht ist.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Hauk CDU: Des- wegen haben wir subsidiäre Kinderbetreuung! Des- wegen haben wir Landeserziehungsgeld! – Zuruf des Abg. Dr. Lasotta CDU)

Jetzt noch einmal zum Thema Pflege, „Pflege neu denken“: Wir haben jetzt gehört, dass die Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2010 auf 270 000 ansteigen wird und dass ein Drittel von ihnen in Pflegeheimen leben wird. Das heißt, wir brauchen eine Steigerung der Attraktivität der Pflegeberufe. Ich glaube, dass auf der einen Seite das Land mit seiner Imagekampagne für Pflegeberufe einen guten Schritt getan hat. Auf der anderen Seite glaube ich aber auch, dass durch den Beschluss der Bundesregierung für eine bundeseinheitliche Ausbildung in der Altenpflege ein zweiter Schritt getan ist, um die Attraktivität des Berufs zu steigern.

Aber es reicht nicht aus, nur die Rahmenbedingungen in der Pflege zu verbessern, sondern es muss auch ein Umdenken

in der Gesellschaft erfolgen, was die Wertschätzung des Alters und den Stellenwert der Pflege angeht,

(Abg. Hauk CDU: Und der Kinder!)

damit sich wieder mehr junge Menschen überhaupt vorstellen können, sich in sozialen Berufen zu engagieren.

„Pflege neu denken“: Es gibt verschiedene Wege, im Bereich der Pflege tätig zu sein. Wir als Fraktion haben immer den Spruch geäußert: „Habe Mut zum Möglichen, dann schaffst du das Unmögliche!“ Das heißt, man muss auch in der Altenpolitik und in der Pflegepolitik neue Wege beschreiten.

(Abg. Wieser CDU: Sehr gut!)

Das eine ist der zuvor angesprochene Pflegemix: Ambulante und stationäre Versorgung sollten künftig gemeinsam bedacht werden. Es ist nach wie vor so, dass im ambulanten Bereich Defizite bestehen und dass dadurch eine stärkere Nachfrage nach stationären Leistungen erfolgt. Wenn man ambulante und stationäre Versorgung tatsächlich gemeinsam bedenken will, heißt das auch, dass man Steuerungsund Finanzierungsinstrumente für beide Bereiche benötigt, also auch mehr Geld und mehr Steuerung in der ambulanten Pflege.

Dann kam vorhin das Thema „Subjektförderung oder Objektförderung?“ zur Sprache. Ich glaube, wir haben schon öfter darüber diskutiert, dass der Weg der Zukunft lautet, Versorgungsangebote niederschwelliger anzubieten. Dieser Bedarf darf nicht nur vonseiten der Einrichtungen, sondern muss auch vonseiten der pflegebedürftigen Menschen und ihrer Angehörigen definiert werden.

(Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

In diesem Szenario muss man sich klar darüber sein, dass die Objektförderung als das einzige einrichtungsbezogene Förderungsinstrument der Vergangenheit angehören wird.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Oh! – Beifall der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Wir brauchen alternative Förderinstrumente wie Pflegewohngeld, persönliche Budgets und andere, aufeinander abgestimmte Finanzierungsformen.

(Beifall des Abg. Dr. Noll FDP/DVP – Abg. Wie- ser CDU: Bringt einmal die Rentenversicherung in Berlin in Ordnung! Dann haben Sie Ihr Pflege- geld!)

Deshalb glaube ich, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir in Zukunft einen guten Mix zwischen der Förderung von Versorgungseinrichtungen und anderen Förderungsinstrumenten brauchen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Richtig!)

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP – Abg. Wieser CDU: Gut, Frau Lösch!)

Das Wort erhält Herr Minister Dr. Repnik.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor dem Mittagessen liegt nur noch meine kurze Ergänzung, aber ich muss in der Tat noch auf zwei, drei Dinge eingehen.

(Abg. Hauk CDU: Haben Sie schon gegessen?)

Frau Lösch, unter Pflegemix versteht man in Fachkreisen – in unseren Kreisen – professionelle und ehrenamtliche Zusammenarbeit und nichts anderes

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Ich habe es jetzt er- weitert! Neue Wege gehen! – Gegenruf des Abg. Wieser CDU: Sehr kreativ!)

ach so, Sie haben es erweitert –; nur damit wir nicht bei falschen Begrifflichkeiten sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Altpeter hat gesagt, der Minister habe sich schon den Regelungen, die vom Bund gekommen sind, angenähert und würde auch damit leben können; er würde sich anders anhören als in den Wahlkämpfen. Ich habe immer gefordert, dass wir im Pflegeleistungsergänzungsgesetz demenzielle Erkrankungen als Leistungen in die Pflegeversicherung aufnehmen. Das ist nicht gelungen. Jetzt ist im ambulanten Bereich das eine oder andere möglich, und natürlich werden wir in BadenWürttemberg das, was gesetzlich möglich ist, auch im ambulanten Bereich umsetzen, wobei ich immer noch der Meinung bin: Es ist viel zu wenig.

Eines ist natürlich auch klar: Die Arbeitsbedingungen in den Häusern müssen stimmen. Da wir wissen, dass bei den Pflegekräften die mittlere Fluktuationszeit oder Verbleibdauer maximal vier Jahre beträgt, müssen wir schon nachfragen, woran das liegt.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Genau!)

Die Frage ist relativ einfach zu beantworten. Zum Teil stimmen die Arbeitsbedingungen eben nicht mehr. Wenn man heute weiß, dass die Menschen – Herr Wieser hat es gesagt – immer älter werden und schließlich ins Heim kommen, dass um die 60 % der älteren Menschen demenziell erkrankt sind, dass wir oft nur eine Verweildauer von ein oder zwei Jahren haben, dass die Zahl der Pflegekräfte immer geringer geworden ist, dann muss man sagen: Die Arbeit stimmt nicht mehr, die Menschen sind frustriert, machen Satt-und-Sauber-Pflege und sagen: „Was soll ich da eigentlich?“ Deswegen müssen wir die Arbeitsbedingungen verändern. Deswegen wollten wir auch die Anerkennung demenzieller Erkrankungen in der Pflegeversicherung, um mehr Fachkräfte in die Häuser zu bekommen.

(Beifall der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Deswegen hat Baden-Württemberg – übrigens als erstes und bisher einziges Bundesland – jetzt einen Rahmenvertrag mit den Trägern geschlossen. Wenn dieser Rahmenvertrag umgesetzt wird – es hakt im Augenblick noch ein

bisschen –, könnten ca. 4 000 zusätzliche Pflegekräfte sehr zeitnah in die Häuser kommen,