Protokoll der Sitzung vom 25.06.2003

ganz zu schweigen von den Schulleitungen, die Sie selbst gerne als Motoren der Erneuerung benennen. Den Schulleitungen jetzt die Verantwortung für Ihre Reform zu übertragen und sie gegen die frustrierten Kollegen kämpfen zu lassen, das halte ich nicht für fair.

Dass Ihre Pläne nicht durchdacht sind, lässt sich an weiteren Punkten festmachen. Die neuen Bildungspläne sind noch nicht einmal für alle Klassenstufen von G 8 vorhanden. Was im Jahr 2012 passieren soll, wenn gleich zwei komplette Jahrgänge in die Hochschulen bzw. in die Ausbildung drängen, dazu schreiben Sie lediglich – ich zitiere –, bereits jetzt eine interministerielle Arbeitsgruppe eingerich

tet zu haben. Welch ein Hohn! Ich meine, das ist reichlich spät, wenn man bedenkt, dass sich die Eltern jetzt entscheiden, auf welche Schule sie ihr Kind geben. Denn mit der flächendeckenden Einführung des achtjährigen Gymnasiums im Hauruckverfahren – das sage ich trotzdem – und der zweiten Fremdsprache ab Klasse 5 kann von Durchlässigkeit in unserem Schulsystem in Zukunft eigentlich gar nicht mehr die Rede sein.

Dann sind da noch die für die Doppelführung von G 8 und G 9 zusätzlichen 163 Deputate – pro Jahr, wohlgemerkt. Da wird deutlich, dass die flächendeckende Einführung von G 8 mitnichten finanziert ist und nicht durch Neueinstellungen garantiert ist. Vielmehr müssen die Lehrerinnen und Lehrer durch die Deputatserhöhung um eine Stunde in Wahrheit selbst für die Finanzierung dieses Projekts sorgen.

All diese Gründe sprechen nicht nur aus der Sicht der SPDFraktion, sondern aus der Sicht aller relevanten Gruppen dafür, diesen Teil des Gesetzentwurfs abzulehnen. Ich fordere Sie auf, von der generellen Einführung zum Schuljahr 2004 abzusehen und einer Korridorlösung zur flexiblen Einführung bis 2007 zuzustimmen.

Zum Thema Sonderschulen: Prinzipiell – das haben Sie richtig erkannt und vorhergesehen, Frau Vossschulte – haben wir gegen die Gesetzesnovelle in diesem Punkt keine Einwände.

(Abg. Seimetz CDU: Aber?)

Gleichwohl meinen wir – das möchte ich deutlich sagen –, dass die sonderpädagogische Förderung der einzelnen Behinderung Rechnung tragen muss. Das heißt, gehörlose und schwerhörige Kinder brauchen unterschiedliche Förderkonzepte. Die Verbände der Eltern schwerhöriger Kinder haben die Befürchtung – diese Befürchtung muss man sehr ernst nehmen und darf nicht über sie hinweggehen –, dass die Gebärdensprache dominiert, die lautsprachliche Bildung zu kurz kommt und eine differenzierte Förderung für Schwerhörige nicht in dem notwendigen Maße erfolgt.

Bei Schwerhörigen handelt es sich ja in erster Linie um das Problem Hören und nicht um das Problem des Denkens oder Verstehens. Deshalb befürchten Eltern in diesem Zusammenhang auch, dass Prozesse der Integration in das Regelschulwesen nicht mehr in dem notwendigen Umfang erfolgen, wie das sonst möglich wäre. Tatsache ist leider – dafür gibt es genügend Beweise –, dass sich viele Eltern die Hacken ablaufen müssen, wenn sie ihre Kinder in eine Regelschule integrieren wollen. Das bestätigen uns immer wieder die Anträge zu den ISEPs. Im Vordergrund müsste nach wie vor der Förderbedarf eines Kindes stehen, den die Schulen zu erfüllen haben, und weniger der Förderort.

Um Integrationsprozesse voranzubringen, fehlen im Übrigen schon heute Kooperationsstunden, Frau Schavan. Daraus wird ersichtlich – das sage ich in diesem Zusammenhang ganz deutlich –, dass die Landesregierung kein Interesse an wirklicher schulischer Integration hat.

Dass Eltern volljähriger Schülerinnen und Schüler in Zukunft von der Schule benachrichtigt werden können, wenn dies gemäß pädagogischem Ermessen und Erfahrungsstand

geboten erscheint, begrüßen wir. Mehr noch, die SPD-Fraktion hat im Schulausschuss und auch im Plenum bereits auf eine derartige Änderung des Schulgesetzes gedrängt. Erzählen Sie uns also nicht, dass die baden-württembergische Landesregierung hier allen voraus sei. Im Übrigen, auch Rheinland-Pfalz hat nach Erfurt schon längst die entsprechenden Konsequenzen gezogen.

Allerdings – und darauf sind Sie meines Erachtens zu wenig eingegangen – hat der Datenschutzbeauftragte an Ihrem Entwurf deutliche Kritik geübt und verfassungsrechtliche Mängel benannt. Wir fordern Sie deshalb auf, diese Bedenken des Datenschutzbeauftragten ernst zu nehmen und einzuarbeiten, damit wir eine klare Rechtssituation haben.

Außerdem machen doch gerade die schrecklichen Ereignisse von Erfurt deutlich, dass Schule nicht nur einen Bildungsauftrag, sondern auch einen Erziehungsauftrag hat und dass insbesondere eine enge Kooperation auch mit der Jugendhilfe und mit Jugendverbänden notwendig ist. Auch diesbezüglich vermissen wir in Ihrer Novellierung einen Vorschlag, wohl wissend, dass gesetzliche Regelungen nur der Rahmen für verantwortliches Handeln in der Schule sein können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält Herr Abg. Kleinmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich, bevor ich grundsätzlich etwas zu den Neuerungen des Schulgesetzes sage, auf das eingehen, was Herr Zeller gerade gesagt und vorgetragen hat. Es ist immer so, Herr Kollege Zeller, dass man Maßnahmen noch früher hätte durchführen können, wenn man sie denn früher als richtig erkannt hätte. Aber es ist doch jedenfalls auch richtig – und da stimme ich Ihrer Formulierung zu –, dass es besser ist, überhaupt etwas zu machen als gar nichts.

Was die Ganztagsschulen betrifft, nehme ich nämlich gerade diese Argumentation als Beispiel. Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt: Im Jahr 1992, als Sie hier an die Regierung kamen, gab es 40 Ganztagsschulen. Im Jahr 1996 waren es immer noch 40 Ganztagsschulen. Sie sagen, es komme alles zu spät. Was haben Sie denn in den vier Jahren getan, meine lieben Freunde von der SPD? Jetzt regiert die FDP/DVP mit, und jetzt haben wir schon über 140 Ganztagsschulen!

(Heiterkeit bei der CDU – Abg. Pfister FDP/DVP: So einfach ist das!)

Entschuldigung, das ist doch wahr! Der Ausbau der Ganztagsschulen steht sogar im Koalitionsvertrag. Es ist richtig, dass wir Ganztagsschulen brennpunktorientiert einrichten. Das hing zunächst zum einen auch mit finanziellen Ressourcen und zum anderen damit zusammen, dass wir gesagt haben, an Brennpunkten ist die Einführung am notwendigsten.

Wenn wir unsere finanziellen Ressourcen entsprechend einteilen müssen, können wir nicht flächendeckend anfangen –

also unabhängig davon, was brennpunktorientiert in Karlsruhe läuft, halt mal in Ravensburg anfangen oder umgekehrt –, sondern wir bauen dies langsam auf. Es sind ja weitere Ganztagsschulen vorgesehen.

Meine Damen und Herren, frühzeitige Förderung ist richtig. Wir machen dies, indem wir, wie es aufgrund von PISA vorgesehen ist, ab dem fünften Lebensjahr Sprachstudien durchführen. Wie das genau aussieht, weiß man im Moment noch nicht, doch sie werden durchgeführt.

(Abg. Zeller SPD: So ist es! Keiner hat eine Ah- nung, wie es geht!)

Warten Sie doch ab! Ich bin doch nicht der Experte für Fünfjährige. Dazu kann ich relativ wenig sagen. Ich bin auch kein Experte für Sprachprüfungen. Es geht ja hier speziell um die deutsche Sprache. Lassen wir doch die Experten ein Konzept vorlegen. Wir sind uns im Übrigen doch alle einig, dass das nur dann etwas bringt, wenn man später auch gezielt fördert. Insoweit besteht Einigkeit.

Nun, mein lieber Herr Zeller, sagen Sie: So weit, so recht. Das kommt zwar für Sie auch zu spät, aber ich wüsste nicht, was zwischen 1992 und 1996, als Sie hier an der Regierung waren, in dieser Sache gelaufen wäre. Nun aber kommt die Sprachförderung.

Jetzt kommt aber der entscheidende Vorwurf, wir würden zu bald trennen, und zwar nach der vierten Klasse. Das war gerade Ihre Argumentation. Ich darf Ihnen sagen: Wenn wir versuchen, schon ab dem fünften Lebensjahr herauszufinden, wer sprachlich gefördert werden muss, und damit die Kinder dann schon in den Förderbereich bringen, warum sollen wir dann nach neun oder zehn Lebensjahren, wenn die Grundschulzeit vorbei ist, nicht wiederum unterschiedlich fördern, nämlich diejenigen, die mehr praktisch orientiert sind – –

(Abg. Zeller SPD: Herr Kleinmann, waren Sie mit in Finnland dabei?)

Ich komme ja gleich darauf. Das ist ja eine Gemeinschaftsschule. Das ist wiederum etwas ganz anderes. Das hat mit der Ganztagsschule nichts zu tun und hat mit der Gesamtschule nichts zu tun. Das ist eine Gemeinschaftsschule, ganz gewiss keine Ganztagsschule. Das wissen Sie selbst; das haben Sie ja selbst gesagt.

Jedenfalls: Warum sollen wir die Schülerinnen und Schüler nach der Grundschulzeit von vier Jahren – ich komme gleich noch einmal auf Finnland zu sprechen – nicht in den entsprechenden Schultypen weiter differenziert fördern? Solange das Schulsystem durchlässig ist, ist das auch gar kein Problem. Es gibt doch tatsächlich die ehemaligen Hauptschüler Professor Dr. Weller – das habe ich ja schon einmal hier gesagt – und Georg Wacker, die später ein Hochschulstudium absolviert haben. Das gibt es doch tatsächlich! Jetzt fragen Sie mal, wo das überall sonst noch möglich ist. Wir sind hier an vorderster Linie tätig.

(Abg. Zeller SPD: Das ist die berühmte Ausnahme, mit der Sie ein falsches Schulsystem begründen! Das ist doch lächerlich, was Sie hier sagen, Herr Kleinmann!)

Das ist gar nicht lächerlich, Herr Abgeordneter.

Sie haben Finnland angesprochen. Finnland hat eine Gemeinschaftsschule. Die Finnen erhalten in dieser Schule ab dem Schuleintritt sechs Jahre lang 30 Unterrichtsstunden pro Woche, in denen sie gemeinsam unterrichtet werden.

(Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Neun Jahre!)

Doch! – In den nächsten drei Jahren wird differenziert, dann sind es

(Zuruf)

22 gemeinsame Stunden und 8 Stunden, in denen man wählen kann, ob man Deutsch oder Sport oder sonst etwas nimmt. Und ab Klasse 7 unterrichten Fachlehrer, Frau Kollegin. Das Interessante ist, dass die Finnen darüber nachdenken, ob sie die gemeinsame Zeit ohne Fachlehrer auf vier Jahre verkürzen und sagen, die Fachlehrer müssten ab Klasse 5 unterrichten, weil sie auch diese Differenzierung vornehmen wollen.

(Abg. Zeller SPD: Aber doch nicht in der Klasse! Das ist doch Quatsch, was Sie hier sagen! Die Kin- der bleiben zusammen! Die werden doch nicht auf- geteilt! – Weitere Zurufe)

Ich sage doch: ab Klasse 7 bisher 22 Stunden gemeinsam und 8 differenziert und vorher – die ersten sechs Jahre – alle Stunden gemeinsam. Das wollen sie auf vier Jahre reduzieren.

(Unruhe – Abg. Zeller SPD: Die Kinder bleiben zusammen! Haben Sie das nicht verstanden?)

Sie bleiben aber in den 8 Stunden nicht zusammen. Es gibt zwei, die zum Sportunterricht gehen, es gehen zwei in den Deutschunterricht usw. Die sind 22 Stunden lang beieinander und die übrigen Stunden nicht. Da muss ich sagen: Gehen Sie noch einmal nach Finnland. Sonst hätten wir hier fehlinvestiert.

(Abg. Zeller SPD: Das empfehle ich gerade Ihnen, dass Sie noch einmal nach Finnland fahren!)

Meine Damen und Herren, die Argumentation, dass die Neuregelungen – fünf an der Zahl – nicht überall auf ein entsprechendes Echo stoßen, ist nur bedingt richtig. Die Anhörung hat ergeben, dass vier davon im Großen und Ganzen unproblematisch sind, Herr Zeller. In der Regel stoßen sie sogar auf ausdrückliche Zustimmung insbesondere des Landeseltern- und des Landesschülerbeirats sowie des Landesschulbeirats, aber auch der kommunalen Landesverbände. Den von den kommunalen Landesverbänden aus Sicht der kommunalen Schulträger unter Kostengesichtspunkten vorgebrachten Hinweisen und Bedenken – auch das muss man hier erwähnen – wurde ja teilweise durch Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Anhörungsentwurf Rechnung getragen.

Eine im Anhörungsentwurf noch vorgesehene weitere Neuerung, nämlich die Schaffung der Möglichkeit für Realschulabsolventen, in der Berufsschule die Vermittlung weiterer fachtheoretischer Inhalte anstelle von allgemeinen Bildungsinhalten vorzusehen, wurde aufgrund der von Landeselternbeirat und Landesschulbeirat hiergegen vorgebrachten Bedenken aus dem Entwurf gestrichen.

Also auch hier war noch Bewegung im Vorfeld. Es war nicht nur ein Wurf und fertig, sondern wir haben sehr wohl die verschiedenen Verbände dazu angehört.

(Abg. Zeller SPD: Beim G 8 haben Sie alles igno- riert!)

Umstritten bleibt demgegenüber die vorgesehene – Sie nehmen es mir vorweg, Herr Zeller – generelle Einführung des achtjährigen allgemein bildenden Gymnasiums. Die von Landeselternbeirat, Landesschulbeirat und Landesschülerbeirat vorgebrachten Einwände bzw. Alternativvorschläge beziehen sich freilich nicht mehr auf die grundsätzliche Frage eines künftig generellen G 8, sondern gewünscht wird lediglich, den vorgesehenen Einführungstermin zu verschieben und/oder zeitlich zu strecken.

Zum Thema G 8 sind Anträge der Fraktion der CDU, der Fraktion der SPD und der Fraktion GRÜNE mit aufgerufen. Die mit der Einführung des G 8 zusammenhängenden Fragen werden also den Schwerpunkt der heutigen Debatte bilden. Die mit dem Gesetzentwurf verfolgten weiteren Neuerungen sind allerdings inhaltlich gegenüber diesem Punkt keineswegs so nachrangig, dass sie sozusagen keiner weiteren Erwähnung wert wären. In ihrer Gesamtheit und in jedem einzelnen Fall belegen sie vielmehr den Prozess ständiger Verbesserung und ständiger Weiterentwicklung unseres Schulwesens, das heißt auch seiner kontinuierlichen Anpassung an die sich verändernden Bedingungen in unserer Gesellschaft, in Familie und Beruf.

Unter Tagesordnungspunkt 2 haben wir heute Morgen über Maßnahmen im Bereich der beruflichen Schulen vor dem Hintergrund der aktuellen Lehrstellensituation diskutiert. Unabhängig von dieser Situation ist und bleibt es eine dauerhafte Aufgabe, nach Möglichkeit für alle Schülerinnen und Schüler die Voraussetzungen dafür zu schaffen, in ein berufliches Ausbildungsverhältnis eintreten zu können. Auch da sind wir uns ja alle einig. Bloß nutzt es natürlich nichts, meine Damen und Herren, wenn wir uns gegenseitig Fehler vorwerfen. Entscheidender ist vielmehr, dass wir hinausgehen und dort, wo die Ausbildungsplätze geschaffen werden, die Handwerker und Handwerkerinnen und auch die Unternehmer bitten, sich doch noch einen Ruck zu geben und weitere Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.

(Zuruf der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Abg. Zeller SPD: Dann machen Sie das einmal!)