über die neuronalen Netze und über die Verknüpfung sprechen, kommt mir manchmal der Gedanke, dass sich da zeigt, dass das, was der Volksmund schon seit Jahrhunderten sagt, plötzlich von den Wissenschaftlern scheinbar neu entdeckt wird.
Der schöne Spruch lautet ja: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Genau das ist es. Natürlich kann
man über Altersstufen usw. reden. Wir sind uns aber, glaube ich, auch alle einig: Derjenige, der schon beim Start in die Schulkarriere Defizite und nicht die gleichen Bedingungen wie andere hat, hat schon vom Start weg verloren. Da müssen wir insbesondere die veränderten gesellschaftlichen Strukturen berücksichtigen. Denn manches in den Familien kann aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr geleistet werden. Manchmal steht die kulturelle Herkunft und stehen natürlich Sprachbarrieren den Kindern im Weg. Deswegen müssen wir unser Augenmerk ganz gezielt darauf richten, dass wir in diesem Bildungsbereich, der Grundvoraussetzung für alles Weitere ist – natürlich nach Ihrem Motto: „für die Kleinsten die Feinsten“ –, Defizite überhaupt nicht erst entstehen lassen.
Ich habe aber gehört – beim Thema Sprachstandsförderung kommen wir ja noch darauf –, dass einer der Experten hier an diesem Pult wohl gesagt hat, auch da sei nicht unbedingt die akademische Bildung und die intellektuelle Fähigkeit der Erzieherinnen,
sondern die soziale Interaktion, wie man das so schön nennt, vorrangig. Die Frage lautet also: Wie geht man menschlich, mit Herz und Wärme – bei allem Bildungsauftrag –, mit den Kindern um? Das wünsche ich mir sehr.
Abschließend, nachdem ich auch öfter in Kindergärten komme: Man sollte nicht so tun, als würden wir das alles neu erfinden. Man macht damit nämlich ein Stück weit das – Frau Wonnay, Sie haben es dankenswerterweise gesagt –, was vor Ort in den Kindergärten von den Erzieherinnen und Erziehern schon derzeit geleistet wird. Das wird vielleicht nicht so hochtrabend genannt. Aber das, was in der Realität tatsächlich geleistet wird, wo sich viele Anforderungen stellen – nicht nur Spracherziehung, sondern auch Gesundheitserziehung, Zahnpflege, also mein Thema –, die in Kooperation erfüllt werden, verdient großen Respekt.
Ich freue mich darauf, wenn uns die Ministerin nachher erläutern wird, was bei der Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher im Detail geplant ist. Ich wünsche mir sehr, dass wir auch da über ideologische Grenzen hinweg zu vernünftigen, praktikablen Lösungen finden.
(Beifall des Abg. Pfister FDP/DVP – Abg. Wacker CDU: Herr Noll, da müssen Sie auf die linke Seite schauen! Ideologie ist da drüben!)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bereits Ende der Achtzigerjahre hat man international begonnen, die Bedeutung von Lernprozessen von Kindern unter sechs Jahren neu zu bewerten. Viele Länder haben auch aus diesen Erkenntnissen heraus Konsequenzen gezogen.
Der Schulausschuss des Landtags von Baden-Württemberg war in diesem Jahr in Finnland, und er war jetzt gerade in Kanada.
(Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Stickelberger: Un- glaublich! – Zuruf des Abg. Döpper CDU – Unru- he)
Wir haben fraktionsübergreifend eine große Übereinstimmung festgestellt: In Kanada ist die Bildung und Erziehung von Kindern in der Vorschule beeindruckend. Dort gelingt es, Kinder ab vier bzw. fünf Jahren in der Vorschule hervorragend zu fördern. Dort haben Vorschullehrerinnen allerdings eine Hochschulausbildung, und sie werden genauso bezahlt wie Grundschullehrerinnen.
Dort ist es also gelungen, Kinder so gut zu fördern, dass darin auch ein Geheimnis des Erfolgs bei der PISA-Studie festzustellen ist. Wir haben in Kanada, obwohl dort der Anteil der Migrantenkinder bei 50 % liegt, die geringste Streubreite bei den Leistungen von 15-Jährigen. Dort gelingt es, gerade benachteiligte Kinder und Jugendliche und Migrantenkinder sehr gut zu fördern.
Im Bereich der vorschulischen Bildung liegen wir im europäischen und im internationalen Maßstab extrem weit zurück. Hier besteht bei uns in Baden-Württemberg der allergrößte Handlungsbedarf. Dieser Handlungsbedarf besteht auch bei der Reform der Erzieherinnenausbildung.
Herr Kollege Wacker, Sie haben gesagt, das Wichtigste sei die Zuwendung für die Kinder. Da gebe ich Ihnen natürlich völlig Recht. Aber wer in einem Erzieherberuf, in einem Lehrerberuf keine Zuwendung mitbringt, der ist dort ohnehin fehl am Platz, der hat an einer Schule oder in einem Kindergarten überhaupt nichts verloren.
Entscheidend ist aber die fachliche Qualifikation, entscheidend ist das hohe Niveau, auf dem Erzieherinnen ausgebildet werden müssen. Ich muss sagen, angesichts der geringen Ausbildung und des geringen Niveaus, auf dem die Ausbildung gegenwärtig noch stattfindet, ist das, was Erzieherinnen in den Kindergärten leisten, hervorragend. Die Erzieherinnen leisten eine gute Arbeit im Rahmen dessen, was sie tatsächlich leisten können.
Natürlich ist es so, dass die neue Ausbildung jetzt tatsächlich einen wichtigen ersten Schritt darstellt. Wir begrüßen es, dass es jetzt ein Berufskolleg für Praktikantinnen gibt und dass damit das bisherige Vorpraktikum ersetzt wird. Wir sehen es auch als positiv an, dass der traditionelle Fächerkanon durch ein Lernfeldkonzept ersetzt wird.
Wir müssen aber weitere Forderungen anmelden. Frau Kultusministerin Schavan, wir fordern Sie auf, sich in diesem Bereich stärker zu engagieren. Zum einen muss die Fortbildung für Lehrerinnen und Lehrer an Fachschulen gewährleistet werden, damit sie nach dem neuen Ausbildungskonzept unterrichten können. Wir müssen in Baden-Württemberg einen Modellversuch der Erzieherinnenausbildung auf Fachhochschulniveau starten, und wir brauchen den Ausbau der Forschungskapazitäten in den Bereichen Elementarbildung und Frühpädagogik. Hier haben wir in Baden-Württemberg riesige Defizite; das hat unter anderem ein Antrag der SPD-Fraktion deutlich gezeigt.
Ich fordere Sie also auf: Nehmen Sie, Frau Kultusministerin Schavan, die Weiterentwicklung des Kindergartens zu einer Bildungseinrichtung für alle Kinder und den Bereich der Frühförderung genauso ernst wie die Reform des Gymnasiums. Denn gerade im vorschulischen Bereich werden die Weichen für die Chancengleichheit von Kindern in unserem Bundesland gestellt. Auf dem Gymnasium befinden sich die Kinder, die es im System ja ohnehin schon geschafft haben.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Unbestritten ist spätestens nach Veröffentlichung der PISA-Studie: Bildung und Lernen in frühen Jahren sind in Deutschland unterschätzt worden.
Denn auch vor PISA gab es Bildungspolitik, und manche, zum Beispiel das Land Baden-Württemberg, haben schon vor PISA erste Weichenstellungen vorgenommen, um diese Unterbewertung zu korrigieren. Erinnern Sie sich bitte an die Debatte in Baden-Württemberg über den „Schulanfang auf neuen Wegen“.
Erinnern Sie sich an die Debatte, ob man wohl ein Kind noch vor seinem sechsten Geburtstag einschulen darf. Da muss doch jeder zugeben, dass vor PISA auch die Stimmung in Deutschland – das ist überhaupt nicht parteipolitisch gemeint – hoch skeptisch gewesen ist. Wir haben es dennoch getan, mit dem Erfolg, dass sich schon heute, nur fünf oder sechs Jahre später, der Anteil der Rückstellungen von 10 bis 11 % auf etwa 5 bis 6 % halbiert hat. Dagegen ist der Anteil der frühzeitigen Einschulungen von 1,4 % auf 8,4 % eines Jahrgangs gestiegen. Das war ein erster wichtiger Schritt, um gleichsam atmosphärisch den Boden dafür zu bereiten, dass man Bildung und Lernen in frühen Jahren in Deutschland eine größere Bedeutung zumessen muss als bisher.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch daran, dass wir bundesweit noch vor fünf Jahren ein durchschnittliches Einschulungsalter von 6,7 Jahren hatten. Das ist eindeutig zu hoch. Ich halte überhaupt nichts davon, das Alter generell noch weiter herunterzusetzen. Aber wir haben einen wichtigen Schritt dafür getan, an dieser Nahtstelle beweglich zu werden.
Zweitens: Wir haben im gleichen zeitlichen Zusammenhang gesagt: Kindertagesstätten und Grundschulen brauchen Kontinuität in der Kooperation, sie müssen im Sinne einer guten und bruchlosen Begleitung der Biografie von Kindern und Jugendlichen stärker zusammenarbeiten. Sprich: Der
Wechsel von der Kindertagesstätte in die Grundschule darf, so ähnlich wie übrigens der Wechsel von der Grundschule in die weiterführende Schule, aus der Perspektive oder der Erfahrung des Kindes nicht als der totale Bruch oder Übergang von einer Welt in eine völlig andere Bildungswelt gesehen werden. Über diese Kooperation sind übrigens in einzelnen Regionen des Landes sehr interessante Ansätze entstanden.
Wir haben drittens – darüber wird heute Nachmittag noch zu sprechen sein – gesagt: Genau an dieser Nahtstelle zwischen Kindertagesstätte und Grundschule wird uns immer mehr bewusst, wie sehr Sprache ein Schlüssel ist und dass vor allem in diesem Bereich in der Begleitung von Kindern sowohl durch ihre Eltern als auch durch ihr Umfeld und durch Personen in Institutionen wie Kindertagesstätten mehr passieren muss als bislang.
(Abg. Zeller SPD: Dazu muss man halt qualifiziert sein, sonst geht es nicht! – Zuruf von der SPD: Da- zu braucht man keine Kernkraftwerke!)
Ich will damit sagen: Wir haben allererste wichtige Weichen gestellt. Jetzt kommt die nächste Phase.
Die nächste Phase bezieht sich auf die Erzieherinnenausbildung ab diesem Schuljahr 2003/04. Die nächste Phase bezieht sich auf die Bündelung der verschiedenen einzelnen Ansätze in einem Land, aber auch in den 16 Ländern insgesamt. Ich komme gleich darauf zu sprechen. Die Frage in diesem Zusammenhang war natürlich: Gehen wir einen völlig neuen Schritt bei der Erzieherinnenausbildung im Sinne der von Ihnen beschriebenen Akademisierung? Ich sage das übrigens auch, wenn ich 40 Jahre Grundschullehrerinnenausbildung betrachte – das sage ich jetzt verkürzt; dann ist es zwar auch angreifbar, aber das ist egal –: Wer glaubt, pure Akademisierung und Verwissenschaftlichung von Ausbildung bringe Niveausteigerungen,
Deshalb sage ich: Das Abitur ist nicht zwingend erforderlich, um in Deutschland Erzieherin zu werden.
(Beifall bei der CDU – Abg. Zeller SPD: Sie haben auch schon besser argumentiert! Das ist eigentlich unter Ihrem Niveau! – Zuruf der Abg. Renate Ra- stätter GRÜNE)
(Abg. Kretschmann GRÜNE: Das glaubt ja nie- mand, dass nur das allein die Lösung bringt! – Abg. Renate Rastätter GRÜNE: Es gibt ja Module!)
Das ist wahr. Aber dann darf man auch nicht fordern, das Abitur zur Voraussetzung für die Erzieherinnenausbildung zu machen.