Protokoll der Sitzung vom 10.12.2003

Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:

a) Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Sozialministeriums – Wirtschaftlichkeitsuntersuchung zur Untersuchung der Frage der Zweckmäßigkeit einer Auflösung der Landeswohlfahrtsverbände – Drucksache 13/2513

(Präsident Straub)

b) Antrag der Fraktion GRÜNE und Stellungnahme des Sozialministeriums – Geplante Auflösung der Landeswohlfahrtsverbände und zukünftige Wahrnehmung ihrer bisherigen Aufgaben – Drucksache 13/2364

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung zu a und b jeweils fünf Minuten, für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Zur Begründung des Antrags Drucksache 13/2513 erteile ich Frau Abg. Haußmann das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach dem Willen der Landesregierung sollen die beiden Landeswohlfahrtsverbände zerschlagen werden. Die Aufgaben, für die bisher zwei überörtliche Träger zuständig waren, sollen künftig auf 44 Stadt- und Landkreise verteilt werden. Betroffen davon sind in Baden-Württemberg 47 500 Menschen mit schweren und schwersten Behinderungen. Beide Landeswohlfahrtsverbände zusammen verwalten ein Haushaltsvolumen von rund 1,6 Milliarden €. Das ist ein größerer Haushalt als der des baden-württembergischen Sozialministeriums, der ein Volumen von 1,5 Milliarden € umfasst.

Behinderten- und Wohlfahrtsverbände, der Gemeindetag Baden-Württemberg, aber auch CDU-Kommunalpolitiker haben schwerwiegende fachliche, finanzielle und behindertenpolitische Einwände erhoben. Ich will an dieser Stelle stellvertretend nur den Gemeindetag und den CDU-Oberbürgermeister Andreas Renner – übrigens einen der wenigen in der CDU, der sich in diesen Zeiten noch getraut, fachlich zu argumentieren – zitieren.

(Abg. Teßmer SPD: Der kann es halt! – Abg. Wie- ser CDU: Oh, wenn der so gelobt wird!)

Der Gemeindetag hat sehr engagiert darauf hingewiesen, dass die Aufgaben der beiden Landeswohlfahrtsverbände, wenn sie auf die 44 Stadt- und Landkreise übertragen werden, insgesamt nicht wirtschaftlicher erledigt werden können. Er warnt deshalb sehr eindringlich vor den steigenden Kosten für die Kommunen. Der Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern beziffert die Mehrbelastung auf 100 Millionen €. Der Vorsitzende der Kommunalpolitischen Vereinigung Baden-Württemberg, Andreas Renner, der Singener Oberbürgermeister, sagt ebenfalls, dass die Kreise organisatorisch, finanziell und personell wohl nicht in der Lage wären, diese Mehrbelastung zu tragen. Dies gelte erst recht für die in schweren Finanznöten steckenden großen Städte.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Recht hat er!)

Wie mulmig es dieser Landesregierung bei ihren Plänen selbst ist, sieht man daran, dass sie nicht einmal dazu bereit ist, vorab durch ein Gutachten die Frage zu klären, ob eine Zerschlagung der Landeswohlfahrtsverbände und eine Aufgabenübertragung auf die Stadt- und Landkreise überhaupt wirtschaftlich sinnvoll sind.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Drexler SPD: So ist es!)

Dies geht jedenfalls aus der Stellungnahme zu unserem heute zur Beratung anstehenden Antrag eindeutig hervor. Eigentlich wäre eine solche Wirtschaftlichkeitsuntersuchung eine ganz banale Sache, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD – Abg. Drexler SPD: Das Normalste, was man macht!)

Aber bei der Teufel’schen Verwaltungsreform spielen solch banale Selbstverständlichkeiten überhaupt keine Rolle.

(Abg. Drexler SPD: So ist es!)

Was schert den Ministerpräsidenten die Frage, ob seine im Küchenkabinett ohne den Sachverstand der Ministerien ausgeheckten Pläne sinnvoll sind. Hier geht es um Macht, und dieser Unfug wird durchgesetzt auf Teufel komm raus.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Und das Erschreckende, meine Damen und Herren: Seine Minister sowie die Regierungsfraktionen trotten wider besseres Wissen brav hinterher. Mut- und kraftlos langt es bei der CDU gerade einmal dazu, Teufel bei geheimen Wahlen auf Parteitagen abzustrafen. Für sachliche Auseinandersetzungen, für öffentlichen Widerspruch fehlt der Mut. Ich nenne das ganz schön feige.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Birk CDU: Tun Sie nicht so heuchlerisch!)

Die SPD-Landtagsfraktion ist gegen die von Erwin Teufel geplante Zerschlagung der beiden Landeswohlfahrtsverbände, weil es dagegen schwerwiegende fachliche, finanzielle und behindertenpolitische Einwände gibt. Es wird zu einem deutlichen Qualitätsverlust kommen. Ohne Not wird mit diesen leichtfertigen, unausgegorenen Verwaltungsreformplänen die soziale Infrastruktur für behinderte und psychisch kranke Menschen aufs Spiel gesetzt.

Ich zitiere, was die Stiftung Liebenau, ein größerer Träger der Behindertenhilfe, zu diesen Plänen gesagt hat:

Die besondere Schutzwürdigkeit von Menschen mit Behinderungen erfordert landesweit vergleichbare Mindeststandards, die nicht kurzfristigen politischen Entscheidungen unterworfen sein dürfen. Bei einer Aufgabenverlagerung auf die einzelnen Stadt-/Landkreise besteht die Gefahr einer Abwärtsspirale, da jeder Kreis ein Interesse daran haben wird, seine individuellen Kosten zu senken und die Attraktivität für einen möglichen Zuzug von behinderten Menschen bzw. deren Familien zu begrenzen.

Genau das wird eintreten, meine Damen und Herren.

Und noch eines: Wir haben beim Thema Landeswohlfahrtsverbände wieder einmal das allseits bekannte Spielchen der FDP/DVP in diesem Land erlebt: Erst erhebt die FDP/DVP kraftvolle Forderungen, um danach sofort – aber sofort – kraftlos wieder umzufallen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Fischer SPD: Einzu- knicken!)

Am 16. Oktober zitierte die „Stuttgarter Zeitung“ den Kollegen von der FDP/DVP, Ulrich Noll, mit folgenden Worten: „Wir fordern ein Gutachten über die finanziellen Auswirkungen.“ Fraktionschef Ernst Pfister habe dies auch Sozialminister Friedhelm Repnik mitgeteilt.

(Abg. Drexler SPD: Persönlich!)

Weiter zitiert die „Stuttgarter Zeitung“ den FDP/DVP-Abgeordneten Noll: Solange das Gutachten nicht vorliege, „fassen wir keine Beschlüsse über die neue Organisation.“

(Lebhafter Beifall bei der SPD und Beifall des Abg. Dr. Witzel GRÜNE)

„Wir stimmen nicht auf Teufel komm raus zu.“

(Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE)

Von dieser machtvollen Ankündigung der FDP/DVP ist wieder einmal nichts, aber auch gar nichts übrig geblieben. Bereits fünf Tage später verkündet der Sozialminister nämlich, dass die Landeswohlfahrtsverbände aufgelöst würden und dass ein Großteil ihrer Aufgaben künftig auf die Stadtund Landkreise übertragen werde –

(Zuruf des Abg. Drexler SPD)

keine Rede von einer Wirtschaftlichkeitsuntersuchung.

In der Stellungnahme der Landesregierung zu unserem Antrag ist schließlich der endgültige behindertenpolitische Offenbarungseid der FDP/DVP nachzulesen. Die Landesregierung dokumentiert in dieser Stellungnahme, dass sie sich um die Frage der Wirtschaftlichkeit und die Frage der finanziellen Folgen der Zerschlagung der Landeswohlfahrtsverbände einen Teufel schert.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Wieser CDU)

Laut Landesregierung ist eine bezifferbare Berechnung der finanziellen Auswirkungen dieser Eingliederung angeblich nicht möglich. Auch ein externer Gutachter würde angeblich keine aussagekräftigen Berechnungen vorlegen können.

(Lachen des Abg. Drexler SPD)

Die Landesregierung behauptet in ihrer Stellungnahme auch, dass die finanziellen Auswirkungen der künftigen Aufgabenerledigung nicht prognostiziert werden könnten. Bei der konkreten Ermittlung der eingliederungsbedingten Finanzeffekte würde man sich im Bereich der Spekulation bewegen. Jeder Landrat, jeder Kreisrat – auch unter den Landtagskollegen sind ja viele Gemeinderäte, Kreisräte und Landräte –

(Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Drexler: Offenba- rungseid!)

sollte sich diese Sätze einmal auf der Zunge zergehen lassen. Die Landesregierung erklärt damit nämlich ganz unverblümt: „Liebe Kommunalpolitiker, ihr kauft die Katze im Sack. Welche Kosten auf euch zukommen, wissen wir nicht, und es interessiert uns auch nicht.“ Die Behauptung, dass die finanziellen Auswirkungen der künftigen Aufgabenerledigung nicht prognostiziert werden könnten, ist

schon ein ganz starkes Stück. Wie will denn die Landesregierung den bisher über die Landeswohlfahrtsverbände abgewickelten Soziallastenausgleich zwischen den Stadt- und Landkreisen regeln,

(Abg. Alfred Haas CDU: Das machen wir schon! Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen!)

wenn sie von den finanziellen Auswirkungen dieser Reform angeblich keine Ahnung hat?

(Zuruf des Abg. Schneider CDU)

Teufels Sturheit bei der Verwaltungsreform darf nicht zur Richtschnur für Entscheidungen über künftige Hilfen für behinderte Menschen werden.

Wir wollen der FDP/DVP heute noch die Gelegenheit geben – das sage ich zum Abschied und zum Schluss, Herr Kollege –,

(Beifall bei der SPD sowie demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP – Abg. Wieser CDU: „Abschied“! Sehr gut! Das war eine Abschiedsrede! – Abg. Dr. Birk CDU: Das war der schönste Abschied! – Gegenruf des Abg. Drexler SPD)

in Anstand wieder aufzustehen. Wir beantragen Abstimmung über unseren Antrag.