Diese Mittelkürzungen sind sozialpolitisch falsch und äußerst kurzsichtig. Obwohl es sich um vergleichsweise geringe Beträge handelt – Herr Lasotta, Sie haben es gesagt –, ist es einfach eine Tatsache, dass die Wirkung dieser Kürzungen fatal ist, weil es dadurch landesweit wirklich an die Substanz von erfolgreich arbeitenden Hilfs- und Beratungsangeboten geht und diese, auch wenn es noch so geringe Beträge sind, in ihrer Substanz gefährdet sind. Es ist gerade die traurige Wahrheit, dass es zwar oft ganz kleine Beträge sind – 1 000 €, 2 000 € oder 5 000 € –, es aber vor Ort wirklich um das Überleben geht. Das ist eine ganz katastrophale Auswirkung auf die soziale Infrastruktur, die Sie hier herbeiführen.
Das zeigt uns leider auch die Erfahrung der letzten Jahre. Bereits in der Vergangenheit wurde im Sozialhaushalt stän
dig gekürzt, und zwar mit geradezu verheerenden Auswirkungen auf die Hilfs- und Beratungsangebote im Land. Schätzungen der Liga der freien Wohlfahrtspflege zufolge sind in Baden-Württemberg von den im Jahr 2003 vorgenommenen Haushaltskürzungen rund 800 Stellen in verschiedenen Hilfs- und Beratungsdiensten für sozial Schwache betroffen gewesen. 800 Stellen! In Sonntagsreden und auf Neujahrsempfängen lobt diese Landesregierung das ehrenamtliche Engagement und die Arbeit der Wohlfahrtsverbände. Diesen Worten folgen allerdings keine Taten. Seit Jahren sehen sich die Verbände ständig von existenzgefährdenden Kürzungen bedroht. Der Vorsitzende der Liga der freien Wohlfahrtspflege, Monsignore Bernhard Appel, hat die Auswirkungen der im Haushalt 2004 vorgesehenen Kürzungen wie folgt beschrieben – ich zitiere aus der Ligapressemitteilung vom 11. November 2003 –:
Durch Kürzungen stehen neben wichtigen Diensten auch die in vielen Jahren aufgebauten und bewährten Strukturen des Ehrenamts sowie der Vernetzung infrage.
Dazu nur ein paar Beispiele. Selbst die Minibeträge, mit denen das Land Selbsthilfegruppen im Gesundheitswesen fördert, bleiben von Kürzungen nicht verschont.
Die Vereinigung zur ehrenamtlichen Betreuung psychisch Kranker erhält 14 000 € weniger. Dasselbe gilt für die Selbsthilfegruppen chronisch Kranker. Die „Arbeitskreise Leben“ – diese begleiten selbstmordgefährdete Menschen überwiegend ehrenamtlich – erhalten rund 17 000 € weniger. Die Landesregierung kürzt ständig bei der Förderung der sozialen Infrastruktur, selbst, wie eben gezeigt, bei Bagatellbeträgen. Zeitgleich werden durch die Landesstiftung ständig neue, allerdings nur zeitlich befristete Projekte angestoßen. Die Pflicht wird vernachlässigt, die Kür wird jedoch ausgebaut. Nirgendwo wird die Fehlkonstruktion der Finanzierung über die Landesstiftung so sichtbar wie im Sozialbereich, meine Damen und Herren.
Mit diesem Haushalt setzt die Landesregierung ihre seit Jahren betriebene verfehlte Sozialpolitik fort. Fakt ist: Mit jedem Haushalt wird ein weiterer Baustein aus der Landesförderung der sozialen Infrastruktur herausgebrochen. Diesmal sind die Förderung der Bahnhofsmissionen und die Förderung der Nachbarschaftshilfen und der mobilen sozialen Dienste betroffen. Die Kürzungen in diesem Haushalt bedeuten das Aus für die Bahnhofsmissionen in unserem Land.
Kollege Rüeck von der CDU hat es erlebt. In seinem Wahlkreis hat die Bahnhofsmission aufgegeben, weil keine Gelder mehr zur Verfügung stehen. Ich will einfach für Sie noch einmal wiederholen, was die Bahnhofsmissionen leisten.
In den 15 Bahnhofsmissionen arbeiten 41 hauptamtliche und 207 ehrenamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Sie betreuen jährlich rund 350 000 hilfsbedürftige Menschen.
(Abg. Reichardt CDU: Ich kenne die Bahnhofsmis- sionen! Da bin ich dreimal im Jahr! – Abg. Wieser CDU: Er übernachtet dort!)
Allein bei den kirchlichen Wohlfahrtsverbänden im württembergischen Landesteil arbeiten zurzeit rund 500 Nachbarschaftshilfen mit zusammen 7 400 Nachbarschaftshelferinnen. Für diese helfenden Hände werden nun die Fördermittel halbiert, und es ist absehbar, dass sie im nächsten Jahr ganz gestrichen werden.
Der nächste Kandidat auf der Streichliste der Landesregierung ist die Suchtkrankenhilfe. Da hat ein CDU-Abgeordneter aus dem Badischen die Mär in die Welt gesetzt, es gebe Doppelstrukturen, und man könne hier unbeschadet kürzen.
Der Sozialminister hat im Finanzausschuss diese Doppelstrukturen Gott sei Dank nicht bestätigt. Trotzdem kürzt die Landesregierung hier um 500 000 €. Das bedeutet ganz konkret Personalabbau. Die Liga der freien Wohlfahrtspflege schätzt, dass es zu einem Abbau von 30 bis 50 Personalstellen und damit zu erheblich weniger Hilfsangeboten für Suchtkranke kommen wird, und das bei steigenden Fallzahlen in diesem Bereich, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Angesichts der Erfahrungen der vergangenen Jahre ist leider zu befürchten, dass es auch in den nächsten Jahren zu weiteren Kürzungen bei der Suchtkrankenhilfe kommen wird. Denn immer dann, wenn die Landesregierung im Sozialbereich kürzt – natürlich immer mit dem Versprechen, dass dies nur eine einmalige Maßnahme sei; das kennen wir ja –, stehen die betroffenen Förderprogramme garantiert auch in der nächsten Haushaltsrunde auf der Streichliste.
Auch in der Landesarbeitsmarktpolitik wird der schrittweise Tod der Förderprogramme weiter betrieben, weiter fortgesetzt. In diesem Jahr standen für die Landesarbeitsmarktpolitik nur noch 2,5 Millionen € zur Verfügung, und im nächsten Jahr sollen es gerade einmal 800 000 € sein.
Angetreten ist die Koalition – ich will Sie immer wieder daran erinnern – im Jahr 2001 mit dem Versprechen – so sind Sie angetreten; so steht es auch wörtlich im Koalitionsvertrag –, die flankierenden Maßnahmen zur Integration ju
gendlicher Arbeitsloser mit Ausbildungsdefiziten oder sozialen Problemen sowie Langzeitarbeitsloser und Schwerbehinderter in den ersten Arbeitsmarkt fortzusetzen. Das ist reine Koalitionslyrik, meine Damen und Herren von CDU und FDP/DVP. Damals beliefen sich die Haushaltsansätze auf über 17 Millionen €. Tatsächlich ausbezahlt wurden jedoch nur 12,6 Millionen €. Und heute, nur drei Jahre später, ist selbst davon nur ein kümmerlicher Rest von gerade einmal 800 000 € übrig geblieben.
Das sind die Zahlen. Auf einmal ist es ganz ruhig auf der Regierungsbank und bei den Regierungsfraktionen.
(Abg. Capezzuto SPD: Es ist ja niemand da! – Abg. Wieser CDU: Weil wir Ihnen zuhören, Frau Haußmann! – Abg. Dr. Lasotta CDU: Sie waren bei mir auch so schön ruhig! Darum sind wir jetzt auch ruhig! – Weitere Zurufe von der CDU)
Die SPD hat sich bei den Haushaltsplanberatungen dafür eingesetzt, dass die sozialpolitisch falschen Mittelkürzungen im Sozialhaushalt wieder zurückgenommen werden. Die Partner des Landes in der Sozialpolitik – die Wohlfahrtsverbände, die Selbsthilfegruppen, die zahlreichen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer – brauchen endlich Planungssicherheit und eine mittelfristig verlässliche Landesförderung von Hilfs- und Beratungsangeboten. Zwingend erforderlich sind mehr Verlässlichkeit und Stetigkeit statt des Verteilens von zeitlich befristeten Projekttrostpflastern durch die Landesstiftung. Die SPD wird deshalb nachher in der Abstimmung beantragen, die gravierenden Kürzungen bei den Bahnhofsmissionen, bei den Nachbarschaftshilfen, bei den mobilen sozialen Diensten und bei der Suchtkrankenhilfe wieder rückgängig zu machen.
(Abg. Zimmermann CDU: Rothaus! – Abg. Dr. La- sotta CDU: Die haben Sie schon achtmal verkauft! – Abg. Wieser CDU: Das ist doch eine Kuh, die Milch gibt!)
(Beifall bei der SPD und der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE – Abg. Wieser CDU: Sie verkaufen die Kuh, die Milch gibt!)
Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Selbstverständlich würde Ihnen jeder Sozialpolitiker heute gerne, wie es gerade die Kollegin Haußmann getan hat, einen Wunschzettel vorlegen und gleichzeitig die Finanzierung mitliefern.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP – Abg. Wieser CDU: Sehr gut!)
Ich möchte aber auf eines verweisen, was eingangs schon einmal gesagt worden ist. Ich möchte, mit Erlaubnis der Präsidentin, Ihren Kollegen Seltenreich als Berichterstatter zitieren. Er hat im Finanzausschuss das Wesentliche gesagt. Im Bericht über die Beratungen des Finanzausschusses wird er so wiedergegeben:
Das Sozialministerium verfüge über keine wesentlichen Förderbereiche mehr, deren Streichung politisch vertretbar erscheine. Dies sei in der Haushaltsstrukturkommission bei den Verhandlungen über das Einsparpaket in Höhe von 800 Millionen € berücksichtigt worden. Das Sozialministerium habe deshalb nur ein Siebtel des rechnerischen Sparbeitrags – 11 Millionen € statt 76,52 Millionen € – zu erbringen.
Wer also hier von sozialem Kahlschlag und von Rasenmähermethode redet, der redet wider besseres Wissen.
Ich glaube, wir – die Faktion der CDU und die Fraktion der FDP/DVP – haben es geschafft, im Sozialhaushalt den Kahlschlag zu vermeiden.