Protokoll der Sitzung vom 30.01.2004

Die Kürzungen bei der Unterhaltung von Landes- und Bundesstraßen und Brücken sind ebenfalls aufgrund von Steuermindereinnahmen erfolgt.

Zum ÖPNV will ich heute gar nicht mehr viel sagen, weil wir am nächsten Donnerstag über unsere Große Anfrage zu diesem Thema debattieren werden. Deshalb spare ich mir diese Zeit.

(Zuruf der Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD)

Aber kurz noch zu dem, was selbst Herr Kollege Göschel als „Mautdesaster“ bezeichnet hat.

(Abg. Göschel SPD: Was heißt „selbst“?)

Es ist schon toll, dass Sie nun sagen, das sei ein Versagen der Industrie.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Das ist es doch auch über- wiegend! Von wem denn sonst? – Zuruf des Abg. Schmid SPD)

Nein. Das ist ein Versagen derjenigen, die sich von dieser Industrie bis zum Schluss an der Nase haben herumführen lassen. Jeder hat doch gewusst, dass eine zeitgerechte Umsetzung nicht möglich ist.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Zurufe von der SPD)

Was waren Sie denn da so gutgläubig? Offensichtlich weil irgendwelche anderen Bindungen bestehen. Geben Sie das doch endlich zu, und schieben Sie das nicht auf andere ab.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Göschel SPD: Da hätten Sie rechtzeitig ein Gutachten machen müssen!)

Ich halte dem Minister Stolpe auch gar nicht vor, dass er aus Ostdeutschland kommt und das deshalb vielleicht nicht richtig blickt.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Abg. Boris Palmer GRÜNE: Was haben Sie gerade über Ost- deutsche gesagt?)

Ich habe noch nie verlangt, dass ein Chef alles selbst wissen muss. Aber er muss eine vernünftige Mannschaft haben, die ihn richtig informiert,

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Haben Sie gerade ge- sagt: „Ostdeutsche blicken es nicht“?)

und er muss aus diesen Erkenntnissen dann die richtigen Schlüsse ziehen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU – Zurufe der Abg. Boris Palmer GRÜNE und Carla Bregenzer SPD – Abg. Stickelberger SPD: Jetzt haben Sie alle Ostdeutschen beleidigt, Frau Berroth!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Palmer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn ich es richtig gehört habe, hat Frau Kollegin Berroth gerade versucht, Herrn Minister Stolpe für seine Herkunft als Ostdeutscher in Schutz zu nehmen, indem sie sagte,

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Nein! Das war der Herr Göschel!)

dass aufgrund seiner Herkunft entschuldigt sei, dass er nichts wisse.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Das hat er so formuliert! Das ist nicht mein Thema!)

Anscheinend gibt es bei Ihnen in der Fraktion einen Wettbewerb um die peinlichsten Bemerkungen. Mein lieber Mann!

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den Grü- nen)

Ich komme jetzt zu den sicher mit Spannung erwarteten Ausführungen über meine These, dieser Landeshaushalt bedeute Sparen auf Kosten der Umwelt, Sparen auf Kosten der Kommunen und Sparen auf Kosten der Zukunft.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Spannung ist etwas anderes!)

Erstes Beispiel ist der Landesstraßenbau. Meine Damen und Herren, die Landesregierung selbst hat sich vorgenommen, 60 Millionen € jährlich in die Erhaltung des Landesstraßennetzes zu investieren. Dieser Haushalt weist 48 Millionen € für diesen Zweck aus. Das heißt, Sie sparen hier 12 Millionen € an der Zukunft; denn irgendwann müssen Sie diese Erhaltungsinvestitionen tätigen.

Meine Damen und Herren, 85 Millionen € für den Landesstraßenbau kommen aus zwei kreditfinanzierten Sonderprogrammen, das heißt, aus einem Schattenhaushalt. Die Einsparung, die Sie in diesem Bereich vorgenommen haben, funktioniert folgendermaßen: Würden Sie ordentlich tilgen – so, wie es mit den kreditgebenden Banken vereinbart war –, müssten Sie in diesem Jahr 60 Millionen € an die Banken zurückzahlen. Sie strecken die Tilgung und führen nur 30 Millionen € dieser Schulden zurück. Das nennen Sie „30 Millionen € sparen“. Wenn ein Privatmann mit solchen Vorgaben zu einer Bank geht, müsste er eigentlich Insolvenz anmelden, wenn er schon seine Zinsen nicht mehr zahlen kann. So weit sind Sie mit Ihrem Landesstraßenbau.

Man kann es auch so formulieren: Sie haben nicht genügend Geld für die Erhaltung Ihres Straßennetzes, und Sie haben noch nicht einmal die Möglichkeit, die Zinsen für Ihre Neubauprojekte zu zahlen. Das nenne ich Sparen auf Kosten der Zukunft.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Meine Damen und Herren, der Rechnungshof ist mit uns darin einig, dass diese Sonderprogramme gestoppt werden müssen. Wenn überhaupt Investitionen in Landesstraßen getätigt werden können, müssen sie im Haushalt ordentlich ausgewiesen werden. Das Ergebnis wäre dann eben, Herr Scheuermann, dass in der Zeitung nicht „2 Milliarden € Schulden“, sondern „2,1 Milliarden € Schulden“ steht. So ehrlich müssten Sie sein, dafür den Kopf hinzuhalten und sich nicht in Schattenhaushalte zu flüchten.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Zweites Beispiel: Kürzungen beim Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Hier ist ein Einsparbetrag von 53 Millionen € vorgesehen. Gerade in diesen Tagen hat das Ministerium konkretisiert, wie diese Einsparung durch eine Änderung der Förderrichtlinien erbracht werden soll. Ich stelle fest: Kürzungen der Fördersätze erfolgen ausschließlich beim öffentlichen Personennahverkehr – von 85 auf 75 % bei der Infrastruktur, von 50 auf 35 % bei der Fahrzeugförderung. Der Fördersatz für den kommunalen Straßenbau bleibt mit 70 % unverändert.

Das ist eine einseitige Benachteiligung des öffentlichen Verkehrs. Das ist der Abschied von einer grünen Phase in der Verkehrspolitik des Landes. Sie kehren zu der alten Methode zurück, die da heißt: Straßen bauen und Busse und Bahnen vernachlässigen. Das ist traurig und entspricht überhaupt nicht den Zielen, die Sie, Herr Scheuermann, genannt haben.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Hinzu kommt, dass die Begründung, die Minister Müller für diese einseitige Kürzungsorgie gibt, überhaupt nicht trägt. Der Minister sagt: „Wir haben weniger Geld. Deswegen müssen wir die Fördersätze senken, sonst würden einige Projekte mit hohen Mitteln gefördert, andere dagegen gar nicht.“ Nur, meine Damen und Herren: Vor zwei Monaten hat derselbe Minister eine Stellungnahme zu einem Antrag der Fraktion der Grünen unterzeichnet, worin ausgeführt wird, dass es nur im Straßenbaubereich einen Antragstau gibt, während alle Anträge zum öffentlichen Verkehr bedient werden können. Das heißt, die vom Minister gegebene Begründung würde eigentlich dazu dienen, die Sätze beim öffentlichen Verkehr zu belassen und sie beim Straßenbau zu kürzen. Das Gegenteil passiert. Auch hieran wird deutlich: Mit Logik hat das nichts zu tun, bestenfalls mit Ideologie.

Hier findet ein Paradigmenwechsel statt, den wir bedauern. Denn schon im Jahr 2003 wurden die notwendigen Einsparungen zu 100 % vom öffentlichen Verkehr erbracht – 45 Millionen € –, während der Straßenbau 0 Millionen € an Einsparungen zu tragen hatte. Meine Damen und Herren, das nenne ich Sparen auf Kosten der Umwelt und der Kommunen, die diese Zuschüsse entweder selbst begleichen müssen oder die Projekte eben nicht mehr finanzieren können.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Wir haben deswegen auch hierzu einen Antrag gestellt, nach dem eine Rückumschichtung vorgenommen und den Kommunen die Förderung der öffentlichen Verkehrsmittel im bisherigen Umfang gewährt werden soll.

Drittes Beispiel: generelles Sparen beim öffentlichen Verkehr. Meine Damen und Herren, immer wieder hebt der Minister hervor, dass das Land 1 Milliarde € pro Jahr für die Förderung des öffentlichen Verkehrs ausgibt. Das ist buchhalterisch richtig. Aber Tatsache ist auch: Von dieser 1 Milliarde € stammen gerade einmal 28 Millionen € aus originären Landesmitteln – das sind 2,8 %. Der Rest sind Bundesmittel und Mittel der Kommunen. Hier gibt es also wirklich nichts mehr, was gerühmt werden könnte. Sie haben die Ausgaben für den öffentlichen Verkehr aus Landesmitteln in den letzten sieben Jahren so systematisch zurückgefahren, dass man heute eigentlich nicht mehr von einer Förderung der öffentlichen Verkehrsmittel aufgrund Ihrer eigenen Initiative sprechen kann. Hinzu kommt: Die Restmittel von 28 Millionen € werden mit einer globalen Minderausgabe von 30 Millionen € belegt, sodass man schon jetzt sagen kann: In diesem Jahr exakt null Euro für den öffentlichen Verkehr. Meine Damen und Herren, das nenne ich Sparen auf Kosten der Umwelt.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Abg. Hei- derose Berroth FDP/DVP: Sie können schlecht rechnen!)

Rechnungen sind entweder richtig oder falsch, aber nie schlecht, Frau Kollegin.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Dann sind sie falsch!)

Viertes Beispiel: der Kommunale Umweltschutzfonds. In diesem Bereich kürzen Sie 27 Millionen €. Dieses Geld fehlt den Kommunen und der Umwelt. Die Conclusio ist einfach: Ich nenne das Sparen bei den Kommunen und der Umwelt. Auch hierzu haben wir einen Antrag eingereicht, in dem wir einen Verzicht auf diese Kürzung fordern. Dieses Begehren ist selbstverständlich mit einer Gegenfinanzierung verknüpft.

Fünftes Beispiel: Hier geht es um die Bereiche, in denen man nicht spart. Darüber hat seltsamerweise noch niemand gesprochen. Es gibt auch Posten im Haushalt, bei denen nicht gespart wird.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Sehr be- wusst!)

Sehr bewusst. Ich habe das vermutet. – Ich nenne Ihnen jetzt das Beispiel. Dieses Jahr werden 12 Millionen € Subventionen für Billigflieger aus dem Landeshaushalt ausgereicht, 12 Millionen € Schuldendiensthilfe für den Flughafen Stuttgart, der dieses Geld an den Flughafen Söllingen für den dortigen Ausbau weiterreicht. Wie Sie wissen, gibt es dort praktisch keinen Linienverkehr, sondern überwiegend Billigflug- und Charterverkehr. Man kann bei den für dieses Jahr prognostizierten 300 000 Fluggästen ausrechnen, dass jeder Passagier, der in Söllingen in einen Billigflieger einsteigt, aus dem Landeshaushalt 40 € in die Tasche gesteckt bekommt. Meine Damen und Herren, wie das mit der jetzigen Finanzlage zu vereinbaren ist, dürfen Sie mir gerne erklären.

(Beifall bei den Grünen)

Nicht unerwähnt bleiben darf, dass die Finanzierung dieser 12 Millionen € im laufenden Haushalt eine gehörige Porti

on Erfindungskraft benötigt hat, denn die Finanzierung dieser 12 Millionen € erfolgt dadurch, dass die Schuldendiensthilfe für die neue Messe gestreckt wird. Das heißt, Sie finanzieren diese Subvention für Billigflieger mit Geld, das Sie noch gar nicht haben, nämlich mit Schuldendiensthilfe, die Sie im Haushalt 2010 oder 2012 noch erbringen müssen. Meine Damen und Herren, dazu fällt mir nur noch eine neue Bezeichnung ein: Das nenne ich Sparen beim Verstand.