Protokoll der Sitzung vom 05.05.2004

(Heiterkeit – Beifall bei der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Caroli.

(Abg. Seimetz CDU: Oh! Ihr seid doch noch für ei- ne Überraschung gut! – Heiterkeit – Abg. Pfister FDP/DVP zu Abg. Zeller SPD: Der meinte ja dich! Aber du redest ja gar nicht!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Abg. Dr. Lasotta CDU: Sie waren nicht gemeint! – Heiterkeit)

Ich weiß es.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Zuckerbrot und Peitsche!)

Mit dem schwarz-grünen Schmusebrei ist es jetzt vorbei.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Für meine Rede brauche ich Zeit. Ich appelliere schon jetzt an Sie, Frau Präsidentin, ein klein wenig großzügig zu sein.

(Unruhe – Zurufe)

Meine Damen und Herren, die SPD-Landtagsfraktion

(Abg. Wintruff SPD: Jetzt fängt er erst an!)

hat immer wieder eine durchgreifende Bildungsreform für unser Land gefordert.

(Abg. Zeller SPD: Jawohl!)

Jetzt kommt endlich Bewegung.

Wir bekennen uns ausdrücklich zu mehr Autonomie der Schulen, zu einem Lernen, das von Problemstellungen ausgeht, statt zerstückelte Stoffhäppchen zu verabreichen,

(Abg. Zeller SPD: So ist es!)

und Einstellungen, Kenntnisse und Fähigkeiten anstrebt, wie sie Hartmut von Hentig in der „Einführung in den Bildungsplan 2004“ formuliert hat.

(Abg. Zeller SPD: Seit Jahren haben wir das gefor- dert!)

Wir wollen auch eine stärkere Outputorientierung, ohne dabei Input und Prozess zu vernachlässigen. Wenn ich mir aber nun anschaue, was gegenwärtig an den Schulen abläuft, verdichtet sich bei mir der Eindruck, dass alter Wein in neue Schläuche gegossen wird.

(Abg. Schmiedel SPD: Sehr richtig! – Unruhe)

Meine Damen und Herren, die neue Begrifflichkeit hat die Schulen zwar erreicht – man spricht von Kerncurriculum und Schulcurriculum, vom Paradigmenwechsel weg von der bisherigen Input- zur zukünftigen Outputorientierung, von Niveaukonkretisierungen und, und, und –,

(Zuruf des Abg. Wintruff SPD)

die Frage ist nur, ob das neue Konzept klar ist und das Bewusstsein der Agierenden erreicht hat.

Selbst die Autoren der Bildungsstandards und – das behaupte ich – auch das Kultusministerium wären in Verlegenheit zu bringen, befragte man sie beispielsweise zum Unterschied zwischen Kerncurriculum und Bildungsstandards.

(Heiterkeit der Ministerin Dr. Annette Schavan)

Sie können es ja nachher ausprobieren. Die Rückmeldungen aus den Schulen ergeben, dass zahlreiche grundlegende Fragen noch nicht geklärt sind und man aus Sicherheitsgründen dabei ist, in gutwilliger Manier die noch bestehenden Lehrpläne unter häufiger Verwendung des Wortes „Kompetenzen“ umzuschreiben.

(Vereinzelt Heiterkeit bei der SPD)

Die Begrifflichkeit ist also keineswegs klar. Ich möchte hier einmal zitieren, was der VBE, der uns keineswegs immer

nahe steht, in einer Pressemitteilung als Zitat aus dem Landesbildungsserver verbreitet hat:

Nicht nur die Lehrkräfte, auch die Eltern werden mit einer Flut „akademisch angehauchter Worthülsen“ überschüttet, die Fortschritt vorgaukelten, in Wirklichkeit jedoch nur Tünche für ein instabil gewordenes System seien...

(Abg. Schmiedel SPD: Sehr richtig!)

Ob Paradigmenwechsel, Bildungsstandards, Evaluationselemente oder Input-Output-Steuerung, ob Kompetenzen, Kontingentstundentafel oder Kerncurriculum, das neue Bildungszeitalter breche mit scheinbar griffigen Begriffen an, die aber alle erst noch „mit Leben“ gefüllt werden müssen, damit die Reform nicht wie bei „des Kaisers neue Kleider“ ende...

(Abg. Dr. Lasotta CDU: Sie haben doch teilweise auch solche Begriffe verwendet!)

Gemeinsamkeit mit dem VBE in dieser Frage.

Meine Damen und Herren, der vorgegebene Zeitplan verhindert leider die doch dringend notwendige Neuorientierung unseres Bildungswesens. Wir befürchten, dass die mangelnde Klärung der Reformziele zu Standards führt, die keinen Lehrer und keinen Schüler besser machen. Die einseitige Verlagerung auf den Output verschärft wegen der zu befürchtenden zunehmenden Testeritis den Selektionsdruck bis in die Grundschule hinein und wird den Frust und die Ratlosigkeit aller am Schulleben Beteiligten noch erhöhen.

(Abg. Hauk CDU: Können Sie das auf Deutsch sa- gen?)

Ich gebe Ihnen gern eine Nachhilfestunde, Herr Hauk.

(Abg. Hauk CDU: Gerne! Bitte auch Inhalte, nicht nur Phrasen!)

Es besteht vor allem Klärungsbedarf bei der Funktionalität von Bildungsstandards. Zum Beispiel ist doch noch gar nicht geklärt, ob wir das Marktmodell nach angelsächsischem Vorbild, ob wir Bildungsstandards als Selektionsinstrument wollen oder ob wir schulartübergreifende vergleichbare nationale, wenn nicht gar europäische Standards wollen, die die Qualitätskonzepte nach skandinavischem Vorbild auf die individuelle Förderung konzentrieren. Ich darf dabei an die Erkenntnisse erinnern, die der Schulausschuss in Finnland gewonnen hat.

(Zuruf des Abg. Zeller SPD)

Meine Damen und Herren, ohne ausreichende Klärung der Grundlagen ist das Reformprojekt zum Scheitern verurteilt. Lassen Sie mich unser Unbehagen mit einigen Thesen umschreiben:

Erstens: Der Herbst 2004 ist ein Knebeltermin mit kontraproduktiver Wirkung für die Bildungsreform.

(Beifall bei der SPD – Abg. Dr. Lasotta CDU: Was haben denn Sie für einen Termin? – Zuruf des Abg. Hauk CDU)

Ein Paradigmenwechsel braucht Zeit und muss sich in den Köpfen verankern dürfen.

(Abg. Dr. Lasotta CDU: Was haben Sie für einen Termin?)

Das System der Qualitätssicherung bei Daimler-Chrysler beispielsweise brauchte zehn Jahre, bis es funktionierte.

(Abg. Dr. Lasotta CDU: Aber die haben auch ir- gendwann mal angefangen!)

Zweitens: Dicke Bildungspläne sind eher Beweis für Gängelung denn für Autonomie der Schulen. Gegenbeispiele finden Sie in den Niederlanden und in Australien.

Drittens: Qualitätssicherung erfordert ein hohes Maß an echter Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Schulen.