Drittens: Qualitätssicherung erfordert ein hohes Maß an echter Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Schulen.
Dazu ist die Lehrerschaft nur dann in der Lage, wenn sie entsprechend qualifiziert ist. Deswegen muss die Lehreraus-, -fort- und -weiterbildung dringend umgestaltet werden, was bisher nicht geschehen ist.
Viertens: Ohne Verbesserung der schulischen Rahmenbedingen entstehen Resistenz, Frustration und Demotivation, die allenfalls den Versuch der Perfektionierung gängiger Praxis zulassen.
Fünftens: Das Vorpreschen Baden-Württembergs mit schulartbezogenen Standards lässt keine echten Leistungsvergleiche zu, sondern schreibt vielmehr das gegliederte und selektive Schulsystem fest. Das müssen Sie sich endlich einmal sagen lassen.
Sechstens: Wir bezweifeln, dass systematisch entwickelte wissenschaftlich begründete Standards in die Bildungspläne eingegangen sind.
Die eilig zusammengestellten Ad-hoc-Gruppen konnten nicht mehr bewirken, als Stoffanforderungen eher zufällig und überwiegend konfus zu formulieren.
Siebtens: Bei dem extrem wichtigen Teilaspekt der Ergebnissicherung besteht bislang Fehlanzeige. Wie sollen denn Standards überprüft werden, wenn nicht konkret bekannt ist, wie das System der Schulevaluation aussehen soll?
Meine Damen und Herren, kurz zusammengefasst: Wir haben das Problem, dass erstens klare Ziele und ein für alle erkennbares Gesamtkonzept fehlen und dass zweitens die Geschwindigkeit des Vorgehens alle Beteiligten überfordert. Deshalb fordern wir, erst einmal die Grundlagen der Reformziele zu klären, die Zeitschiene der Bildungsplanreform dahin gehend zu ändern, dass die Bildungspläne erst in zwei Jahren und dann schrittweise in Kraft treten, und zwischenzeitlich die Erprobungen an Versuchsschulen...
Frau Präsidentin, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! In ihrer Stellungnahme zum Antrag der CDU stellt die Landesregierung die Ergebnisse der aktuellen Studien zu Qualität und Leistungsfähigkeit deutscher Schulen im internationalen und zum Teil auch im nationalen Vergleich dar. Diese Zusammenfassung ist sehr verdienstvoll und auch der genauen Lektüre wert. Die zentrale Botschaft dieser Studien in ihrer Zusammenschau lässt sich wie folgt formulieren:
Erstens: Die deutschen Schulen und das deutsche Bildungssystem sind – Frau Rastätter gibt mir da wohl auch Recht – nicht so schlecht, wie es aufgrund der Ergebnisse der PISAStudie erscheinen mag
Gerade Baden-Württemberg schneidet übrigens selbst bei PISA insgesamt gut, teilweise sogar sehr gut ab. Wir alle wissen, dass diese Differenzierung aufgrund unseres föderal organisierten Bildungswesens erforderlich ist.
Zweitens: Das Qualitätsproblem deutscher Schulen liegt in erster Linie in mangelnder Weiterentwicklung ihrer Qualität und Leistungsfähigkeit. Wir sind nicht schlechter geworden, meine Damen und Herren, sondern andere sind besser geworden. Wir stehen im internationalen Wettbewerb. Gerade deshalb reicht es nicht, lediglich nicht schlechter zu werden. Unabhängig hiervon genügt das allerdings auch schon nicht den eigenen Ansprüchen, die an Schule zu stellen sind. Weiterentwicklung und stetige Verbesserung sind daher eine Daueraufgabe.
Ich widerstehe der Versuchung, an dieser Stelle die Maßnahmen aufzulisten, die Baden-Württemberg in den zurückliegenden Jahren zur Verbesserung von Schulqualität ergriffen und auch eingeleitet hat. In Landtagsdrucksachen steht viel dazu. Die Verständigung darüber müssen wir bei anderer Gelegenheit versuchen.
Stattdessen drittens: Eine wesentliche Schwäche der deutschen Schulen liegt nach meiner Überzeugung – und zwar nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch in anderen Ländern – darin, dass sie für leistungsschwächere Schüler zu wenig individuelle Förderung anbieten.
Ich sage das vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen auf der Schulausschussreise nach Finnland. Ich sage das vor dem Hintergrund des Befunds der jüngsten OECD-Studie „Bildung auf einen Blick“, derzufolge eine solche Förderung für nur 14 % der deutschen Schüler angeboten wird – gegenüber 72 % im OECD-Durchschnitt und über 90 % in Finnland, Japan und Neuseeland.
Ich sage das vor dem Hintergrund des Themas Bildungsstandards. Das ist ja das heutige Thema. Ich versuche nicht, hier als Experte aufzutreten. Deshalb berufe ich mich auf den Erziehungswissenschaftler Professor Dr. Böttcher von der Universität Münster. Er hat sich nicht gescheut, die Möglichkeiten des Einsatzes von Qualitätsstandards anhand der Produktion von Reißzwecken zu illustrieren. Die eine Möglichkeit ist, die Produktion so anzulegen, dass Standards der Größe, Festigkeit usw. im Durchschnitt der Fälle eingehalten werden. Ein bestimmter Teil der Produkte wird den Standards also gerecht, ein anderer wird ihnen nicht gerecht.
Die andere Möglichkeit ist, die Standards als Mindestanforderungen anzulegen, denen alle produzierten Exemplare, also nicht nur deren Durchschnitt, zu entsprechen haben. Es versteht sich fast von selbst, dass dies nur gelingen kann, wenn die Produktion von Exemplaren, die den Anforderungen nicht entsprechen, sofort Rückwirkung auf den Produktionsprozess hat. Das ist die schon erwähnte so genannte Outputsteuerung, die mit der Einführung von Bildungsstandards auch an unseren Schulen stattfinden soll. Schule muss sich der Ergebnisse ihres pädagogischen Tuns vergewissern, weit mehr als bisher und im ausdrücklichen Verfahren sowohl der internen als auch der externen Evaluation. Schule muss sich so organisieren, dass die Ergebnisse der Evaluation ihrer Leistung auf ihr eigenes Tun zurückwirken. Schule muss ihre Leistungsfähigkeit und Leistung daran messen, dass vorgegebene Bildungsstandards im Sinne von Mindestanforderungen von allen Schülern erfüllt werden. Sie darf sich – ich erinnere noch einmal an das Beispiel von Herrn Professor Dr. Böttcher – grundsätzlich nicht damit abfinden, dass nur ein Teil der Schüler diesen Mindestanforderungen gerecht wird. Das ist übrigens der eigentliche Paradigmenwechsel, der mit der Einführung von Bildungsstandards vorgenommen wird.
Konkret heißt dies: Schule muss sich mehr als bisher, und zwar innerhalb der jeweiligen Schulart, um die Schüler kümmern, die Schwierigkeiten haben – ich fasse noch einmal zusammen –, die Mindestanforderungen zu erfüllen. Dass hier die eigentliche Schwäche des deutschen Schulsystems liegt, auch in Baden-Württemberg, haben, wie gesagt, die PISA-Studien aufgezeigt.
Was die Formulierung und Einführung von Bildungsstandards anbelangt, hat Baden-Württemberg unbestreitbar die Vorreiterrolle übernommen. Darauf wie auch auf die intensiven und sehr breit angelegten Beteiligungsmöglichkeiten
bei der Diskussion kann Baden-Württemberg stolz sein. Allerdings sollte ernst genommen werden, dass Professor Dr. Böttcher auf ausdrückliche Nachfrage in einer Veranstaltung in Fellbach die baden-württembergischen Bildungsstandards als noch nicht präzise und, wie er sich ausdrückte, „hart“ genug bezeichnet hat. Ich vertraue darauf, dass die Formulierung von Bildungsstandards selbst ein Lernprozess ist, der den Bedingungen der Outputsteuerung unterliegt.
Wenn dies so ist – die Landesregierung selbst betont es in der Stellungnahme –, dann sind wir, wie ich meine, in Baden-Württemberg auf dem richtigen Weg, die Qualität unserer Schulen zu sichern, weiter zu verbessern und vor allem den Paradigmenwechsel zu vollziehen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist nicht mehr zu bestreiten, dass die Schulen in Baden-Württemberg zum neuen Schuljahr in eine neue Phase ihrer Entwicklung eintreten werden mit einem hohen Maß an pädagogischem Gestaltungsspielraum, mit Bildungsplänen, die ganz wesentlich aus der Praxis entstanden sind, mit neuen Instrumenten der Vergleichbarkeit, und dies alles im Kontext bildungspolitischer Reformen, die ja generell in Deutschland stattfinden.
Wir haben über alle Themen, die damit verbunden sind, in diesem hohen Hause schon oft gesprochen. Deshalb werde ich mich jetzt auf die Punkte konzentrieren, die meine Vorredner heute angesprochen haben.
Erster Punkt: Bildung gilt für alle Kinder. Ich entnehme Ihren Reden, dass Ihnen der Einführungstext zu den Bildungsplänen, den Herr von Hentig geschrieben hat, irgendwie zuzusetzen scheint.
(Abg. Dr. Caroli SPD: Er kann auch in einem ge- wissen Widerspruch stehen zu dem, was im An- schluss daran steht!)