Protokoll der Sitzung vom 09.06.2004

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Drexler SPD: Das ist die Zukunftsaufgabe! Ihr müsst da schon wieder Zweckverbände machen!)

Meine Damen und Herren, ich räume gerne ein, dass eine große Reform ein bisschen wie ein starkes Medikament wirkt. Aber unser Staat, unsere Republik – und BadenWürttemberg sitzt halt im selben Boot, sonst würden wir besser dastehen – bedarf starker Medikamente und deshalb großer Reformen.

(Abg. Drexler SPD: Die führen aber meistens zur Betäubung! – Abg. Stickelberger SPD: Lesen Sie die Packungsbeilage!)

Es ist halt unvermeidbar: Starke Medikamente – Sie nehmen es mir vorweg, Herr Kollege Drexler – enthalten auch

Risiken und Nebenwirkungen. Lesen Sie, Herr Kollege Drexler, sorgfältig die Packungsbeilage,

(Abg. Drexler SPD: Das habe ich gemacht!)

aber seien Sie nicht so ängstlich. Wir müssen in Deutschland stürmen und nicht immer nur verteidigen. Wir müssen handeln, und daher handeln wir.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Drexler.

(Zuruf von der CDU: Dauermiesmacher! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Bitte vorher ein Medikament!)

Sie können ja vorher ein Medikament auf Empfehlung des Innenministers nehmen.

Ich bin davon ausgegangen, dass nach der Geschäftsordnung zunächst die CDU das Wort erhält. Aber ich weiß es nicht.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Warum denn? Können Sie das mal erklären? Das stimmt doch gar nicht!)

Ich nehme natürlich jederzeit das Wort.

(Zuruf von der CDU: Leider! – Abg. Dr. Reinhart CDU: Er hat seine Medikamente schon genom- men!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, Ihr Wort „stürmen“ zum Schluss hat mir richtig gefallen. Nur: Wenn ich heute die Zeitungsberichte zu einem Reformprojekt, das das Bundesverfassungsgericht uns vorschreibt, nämlich zum Alterseinkünftegesetz, lese, dann sehe ich von Ihrem Sturm überhaupt nichts.

(Heiterkeit bei der SPD – Abg. Carla Bregenzer SPD: Im Gegenteil!)

Das Bundesverfassungsgericht schreibt vor, dass Renten und Pensionen besteuert werden. Aufgrund dieser Vorschrift macht die Bundesregierung ein Gesetz, und Sie sagen Nein. Das ist Ihr „Sturm“ zum Reformvorhaben, Herr Minister.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Kretschmann GRÜNE – Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU)

Im Übrigen muss man sich auch überlegen: Wenn wir das Alterseinkünftegesetz in Deutschland nicht verabschieden würden, würden wir ab 1. Januar nächsten Jahres die Pensionen im Land Baden-Württemberg nicht mehr besteuern können. Stellen Sie sich einmal vor, was das bedeuten würde und was für einen Murks diese Landesregierung in diesem Fall beschlossen hat.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Kübler CDU)

Jetzt nehme ich einmal den positiven Unterton des Herrn Ministers auf. Selbstverständlich brauchen wir eine Verwaltungsreform. Im Übrigen waren wir die Ersten, die im Janu

ar des vergangenen Jahres das gesagt haben. Selbstverständlich haben wir einen viel – –

(Widerspruch bei der CDU)

Ja, natürlich! Wir haben hier eine Debatte geführt.

(Abg. Fischer SPD zur CDU: Und ihr habt gesagt: Wir brauchen nichts!)

Wo haben Sie denn jetzt das dicke Buch hin? Das hätte ich jetzt noch einmal gezeigt. Das habe ich vor einem Jahr gezeigt und habe gesagt: „Wir brauchen das.“ Da war kein Beifall auf der rechten Seite. Da gab es ausschließlich auf unserer Seite Beifall. Im März waren Sie dann so weit, einen Vorschlag zu bringen, der im Übrigen weniger mutig als unserer war.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Ach! Der hat euch über- rascht!)

Natürlich ist das so. Wir hätten eine Ebene wegfallen lassen wollen, nämlich die Kreisebene. Das ist mutiger und wäre viel reformfreudiger als zum Beispiel Ihr Vorschlag.

(Abg. Hillebrand CDU: Das wäre eine Katastro- phe!)

Das wäre gar keine Katastrophe. Ich komme nachher noch einmal darauf.

Jetzt sage ich: Es gibt drei verschiedene Auffassungen. Wir sind der Auffassung: Zuerst muss die Aufgabenkritik da sein, Herr Minister, und auch die Aufgabenanalyse. Das hätte uns im Landtag natürlich sehr gut getan. Das hätte man auch zuerst machen können. Was hätte es denn geschadet, wenn wir gesagt hätten: „Machen wir mal eine Debatte zu der Frage, was wir wegfallen lassen können“? Was wäre denn daran schlecht gewesen?

(Abg. Alfred Haas CDU: Dass Sie alles zerreden!)

Das finde ich schon toll, dass die eigenen Parlamentarier den Vorwurf hier erheben, wir hätten das dann zerredet. Wieso denn? Wir hätten von unserer Seite gesagt, wie wir uns das vorstellen, und Sie hätten Ihre Vorstellungen dargelegt. Dann wären wir in die Ausschüsse gegangen. Dann hätten wir uns gezerft, und die Öffentlichkeit hätte wahrgenommen, dass der eine der Meinung ist, das brauche man nicht mehr, und der andere seine Vorstellung beibehalten will. Was wäre daran schlimm gewesen? Nichts! Wir wären heute in einer anderen Situation.

(Abg. Alfred Haas CDU: Da wäre nichts herausge- kommen!)

Wir hätten nicht mehr Zeit gebraucht, Herr Minister.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Zweitens: Um die Frage Bürgernähe geht es doch bisher in diesem Gesetzentwurf gar nicht. Was wird denn auf die Kommunen verlagert? Doch fast nichts.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Es ist doch bürgernäher, die Kreisebene zu erhalten, als sie abzuschaffen!)

Ich spreche ja davon, von der Kreisebene viele Dinge auf die Kommunen zu verlagern, Herr Kollege. Da können Sie eine ganze Menge verlagern, ohne dass Sie eine Gemeindereform machen. Wir haben das im Übrigen in langen Anhörungen mit Fachleuten diskutiert. Deswegen sage ich noch einmal: Die Kommunen werden nicht so mit neuen Aufgaben „belastet“, wie es hätte sein können. Das heißt, die Bürgernähe findet nicht statt.

Jetzt komme ich zum Dritten, Herr Minister: Regionen. Wenn ich heute die Zeitungen lese, lese ich überall: Die Region Stuttgart ist ein Erfolgsmodell.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Das kann man so oder so sehen!)

Jetzt haben Sie – das will ich Ihnen gar nicht vorwerfen – noch ein bisschen draufgelegt. Aber klar ist doch, dass es andere Regionen gibt, die das auch wollen. Ich weiß gar nicht: Nehmen Sie das Lebensgefühl gar nicht wahr? Ich war gestern in Karlsruhe. Selbstverständlich will die Region Karlsruhe etwas Ähnliches. Mannheim, Freiburg, der Bodenseekreis wollen das auch, weil sie natürlich sehen, was ein solcher Regionalverband tatsächlich erreicht. Erkundigen Sie sich einmal! Das ist so.

Aber die Region spielt in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt keine Rolle. Das halten wir für falsch. Wir halten das auch nicht für zukunftsträchtig, Herr Kollege Scheuermann, denn Ihr eigener Fraktionsvorsitzender und heute wieder der Herr Minister hat nur von Kooperationen gesprochen. Viele Landkreise sind aber überhaupt nicht in der Lage, die weiteren Aufgaben, die sie bekommen, sauber durchzuführen. Sie brauchen schon jetzt Kooperationen. Das ist kein zukunftsorientierter Zuschnitt einer Verwaltungsreform, was Sie machen. Das war unser Vorwurf.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und den Grünen)

Jetzt komme ich noch einmal auf die Art und Weise zurück, in der hier vorgegangen wird. Herr Minister, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, das nehmen wir Ihnen wirklich übel. Es geht nicht darum, 400 Organisationen oder Interessenvertreter einzuladen, irgendwelche schriftlichen Stellungnahmen zu diesem Gesetzentwurf abzugeben. Wir hatten zum Beispiel die Absicht, Herr Minister, wenn wir unsere Vorstellungen von einem anderen Verwaltungsaufbau nicht durchsetzen können, an dem Entwurf mitzuarbeiten. Diese Mitarbeit können wir aber gar nicht leisten. Beispielsweise wäre es beim Forst ganz interessant gewesen, zu den Beratungen im zuständigen Ausschuss zum Beispiel den Forstpräsidenten a. D., Herrn Ott, einzuladen, der erklärt, warum ein Landesbetrieb zehnmal besser – –

(Zuruf des Abg. Alfred Haas CDU – Gegenruf der Abg. Carla Bregenzer SPD: Das war vor der Ver- waltungsreform!)

Herr Haas, seien Sie doch bitte einmal ruhig; Sie haben davon doch keine Ahnung. – Dieser Mann hat Ahnung, und wir hätten ihn gern eingeladen. Dann hätten wir um die richtige Position gerungen und wahrscheinlich gesagt: „Innerhalb Ihrer Reformvorstellungen wären wir für einen Landesbetrieb.“ Wir hätten auch Herrn Hauk zu der Frage reden lassen – ich würde ihm sogar meine Redezeit abtreten

, ob ein zentraler Forstbetrieb nicht besser wäre als eine Aufteilung auf 44 Landkreise. Das wollten wir. Das haben Sie mit einem Federstrich unterbunden. Das ist undemokratisch. Diesen Vorwurf erhalte ich aufrecht.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Alfred Haas CDU: Zerredet! – Zurufe von der SPD)

Sie wissen, dass der Innenausschuss zum Schluss der Ausschussberatungen noch einmal tagen muss. Da werden noch nicht einmal die Protokolle der Sitzungen der vorberatenden Ausschüsse – die Sitzungen finden zum Teil sogar am gleichen Tag statt – vorliegen. Da von einem geordneten Verfahren zu reden, halte ich für sehr problematisch.