Protokoll der Sitzung vom 01.07.2004

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Alfred Winkler SPD: Das Sein be- stimmt das Bewusstsein!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hauk.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat ist es so, dass die Waldvegetation – nicht nur die Waldvegetation, aber diese in Sonderheit – unter der Jahrhunderttrockenheit 2003 gelitten hat. Es war fast eine Jahrtausendtrockenheit im letzten Sommer.

(Abg. Wieser CDU: Jetzt spricht der Fachmann!)

Wenn man von Januar letzten Jahres bis Juni dieses Jahres bilanziert, fehlt in der Summe ein halber Jahresniederschlag, was die Wasserbevorratung insbesondere unserer Waldböden sehr stark beeinträchtigt, da im Boden nach 10 bis 20 Zentimetern de facto schon Trockenheit herrscht. Unter dieser Trockenheit leiden alle Baumarten, ganz besonders die Fichte, aber auch die Buche und andere Laubhölzer.

Nun will ich nicht sagen, dass der Wald stirbt, aber das Problem ist, Herr Kollege Walter, dass in den Achtzigerjahren mit dem Thema Waldsterben eine Horrorerwartung in der Bevölkerung geweckt wurde,

(Abg. Walter GRÜNE: „Erwartung“ nicht!)

die nicht eingetreten ist. Jetzt sagt man: „Na, er steht ja immer noch; dann ist ja alles gar nicht so problematisch.“ Aber die Waldvegetation verändert sich gravierend und unterliegt auch weiteren Veränderungen. Das hat Ursachen. Lassen Sie mich in der ersten Runde einfach einmal ein paar dieser Ursachen nennen.

Wir hatten in den letzten 40 Jahren einen Anstieg des CO2Anteils der Luft von 315 auf 360 parts per million. Das bedeutet eine Zunahme um fast 20 %. Ich stelle das einfach einmal wertfrei fest. Die Schlussfolgerungen, über die sich ja auch die Wissenschaftler nicht einig sind, muss man letztendlich selbst ziehen.

Wir hatten in den letzten 50 Jahren, an den Klimastationen in Villingen und Freiburg gemessen, im Mittel einen Temperaturanstieg um rund ein Grad Celsius.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Endlich wird das erkannt!)

Wir haben also einen Zuwachs der Durchschnittstemperatur von 1950 bis 1999 um ein Grad Celsius. Erwartet werden, je nachdem, ob man den Best Case oder den Worst Case annimmt, zwischen 1,4 Grad Celsius und 5,8 Grad Celsius bis zum Jahr 2100. Das ist ein breites Spektrum; aber alle

sind sich darüber einig, dass die Durchschnittstemperatur steigen wird.

(Abg. Schmiedel SPD: Das sagt ja schon alles!)

Bemerkenswert war, dass wir in den letzten Jahren die höchsten Temperaturextreme des letzten Jahrhunderts überhaupt gemessen haben – seit dem Zeitpunkt, ab dem es überhaupt Messungen gibt. Wir hatten im Jahr 2003 und im Jahr 1998 die höchsten Jahresdurchschnittstemperaturen der letzten 100 Jahre. Die Zahl der Frosttage nimmt in der Summe ab. Interessant ist auch, dass sich die Vegetationszeit, also die Zeit, in der die Laubbäume – bei den Laubbäumen sieht man es besonders deutlich – beginnen, auszutreiben, bis zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihre Blätter wieder abwerfen, in den letzten 50 Jahren um rund 14 Tage im Jahr verlängert hat. Das bedeutet eine Zunahme der Zeit, in der die Bäume auch eine entsprechende Ernährung, nämlich vor allem Niederschläge, brauchen, um zwei Wochen.

Meine Damen und Herren, das Nächste ist, dass die Niederschläge tendenziell zwar sogar zunehmen, dass aber hier eine Verschiebung stattfindet. Im Winter werden die Niederschläge eher stärker; im Sommer werden sie eher weniger. In Kombination damit, dass die Vegetationsperiode länger geworden ist, führt die Tatsache, dass die Niederschläge gerade in der Periode, in der sie besonders gebraucht werden, weniger geworden sind, dazu, dass der Stress für die Bäume und für die Vegetation insgesamt zunimmt.

Wir können nun feststellen, dass die spätsommerlichen Trockenheitsperioden – das sieht man auch im Bereich der landwirtschaftlichen Kulturen deutlich – zunehmen. Für uns alle ist bemerkenswert – darüber haben wir uns vor drei Jahren unterhalten müssen, und es hat uns im Land, sowohl die privaten als auch die öffentlichen Waldbesitzer, viel Geld gekostet –, dass auch die Zahl der Stürme zwar abnimmt, dass das einzelne Sturmereignis in seiner Intensität und Mächtigkeit jedoch deutlich stärker geworden ist.

Wenn man das alles bilanziert, stellt man fest, dass wir in den letzten 50 Jahren eine Häufung der Extreme hatten. Die Klimaextreme haben in der Summe zugenommen. Dass dies nicht ohne Einfluss auf die Waldvegetation bleibt und dass dies bei einem Jahrtausendsommer – oder meinetwegen einem 500-Jahr-Sommer – wie im letzten Jahr und geringen Niederschlägen in diesem Jahr zu einer gravierenden Beeinträchtigung der Waldvegetation führt, ist, glaube ich, nachvollziehbar. Deshalb haben wir im Augenblick – das hat Herr Kollege Drautz gerade vollkommen zu Recht gesagt – eine Situation draußen im Wald, die nahezu vergleichbar ist mit der Situation nach dem Sturmereignis Lothar. Wir haben Kalamitäten durch Borkenkäfer und auch andere Insekten. Im Augenblick springt im Wald alles herum, was an Raupen, Schmetterlingen, Käfern und Pilzen Rang und Namen hat,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Haben die Rang und Namen?)

und zwar bei allen Baumarten. Manche Baumarten sind resistenter, andere sind weniger resistent. Bei den zumindest bei uns in Baden-Württemberg hauptsächlich verbreiteten Baumarten wie der Fichte zeigt sich sehr deutlich, dass der

Borkenkäfer fast überall Schaden anrichtet. Es gibt ein paar Lagen, wo es besonders extrem ist. Dabei denke ich etwa an den Schwäbisch-Fränkischen Wald und an die Hohenloher Ebene, also an die Gebiete im Norden Baden-Württembergs insgesamt, in denen wir weniger Niederschlag haben.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Welzheimer Wald!)

Auch im Welzheimer Wald, im Taubertal oder im Bauland ist es besonders extrem und wird es besonders deutlich. Wir haben in fast allen Höhenlagen einen erheblichen Anfall von totem Holz durch den Borkenkäferfraß. Aber wenn Sie mit wachen Augen durch die Gegend fahren, sehen Sie, dass auch resistentere Bäume, beispielsweise die Buche als in der Fläche von Baden-Württemberg zweithäufigste Baumart, nicht nur unter der Trockenheit leiden, sondern auch punktuell und in manchen Bereichen flächenhaft beginnen, durch die Trockenheit abzusterben.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Herr Kollege, sagen Sie doch einmal etwas zu den Ursachen! – Abg. Teßmer SPD: Was folgt daraus?)

So viel, meine Damen und Herren, im ersten Teil zur Ursachenanalyse. Zu den Konsequenzen und zu dem, was für uns in Baden-Württemberg folgen muss, komme ich in der zweiten Runde.

(Beifall bei der CDU – Abg. Walter GRÜNE: Jetzt sind wir aber gespannt! – Abg. Rüeck CDU: Da hat der Fachmann gesprochen!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Winkler.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zweifellos ist das Thema Waldschäden – –

(Abg. Drautz FDP/DVP: Wo ist jetzt Drexler? Für den wäre es wichtig! – Gegenruf von der SPD: Im Wald mit Noll!)

Zweifellos stehen die Themen Waldsterben und Jahrhundertsommer oder Klimaphänomene und Waldsterben in einem direkten Zusammenhang. Zweifellos wird auch das Klima nicht mehr nur von Petrus allein gemacht, sondern von menschlichen Aktivitäten beeinflusst.

(Abg. Göschel SPD: So ist es!)

Ich denke, da besteht auch kein Zweifel. Insofern sind wir Menschen mitverantwortlich. Damit gehört auch BadenWürttemberg dazu. Da stellt sich von Anfang an die Frage: Was hat eigentlich das Land gemacht, um zum Beispiel umweltpolitisch und finanziell der Klimaveränderung zu begegnen, sie abzumildern oder wenigstens seinen Anteil daran zu erbringen?

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Ein gutes Zeugnis? Können wir ein Resümee ziehen? Leider – ich sage es – können wir es nicht. Der Umweltminister hat hier an dieser Stelle vor einigen Wochen seine Defizite erklärt,

(Abg. Teßmer SPD: Er hat sich bemüht!)

wir hätten die selbst gesteckten Ziele zum Klimaschutz in Baden-Württemberg nicht erreicht. Das waren seine Worte.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Peng!)

Wir haben immer noch zu viel CO2. Wir produzieren immer noch zu wenig mit regenerativen Energien. Aber es trifft den Wald dabei besonders hart. Das ist überhaupt keine Überraschung. Bei der Wetterkonstellation in diesem Jahr nach dem letzten Sommer ist von Fachleuten die Populationsexplosion der Borkenkäfer vorhergesagt worden. Gestern wurde in der „Landesschau Baden-Württemberg“ ganz aktuell gesagt: 70 % der baden-württembergischen Waldfläche sind geschädigt.

Wie ist die Vorsorge des Landes? Sie lautet: Prinzip „Hoffnung“. Vielleicht, so könnte man vermuten, hofft das Land auf einen überraschenden Wintereinbruch im Juli

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Kleinmann FDP/DVP: Glauben Sie an Mär- chen, Herr Kollege?)

oder auf eine lange Nassperiode von März bis Ende September. Man könnte das vermuten, wenn man die Mittel, die zur Verfügung stehen, anschaut. Die Vorsorge des Landes lautet nämlich: Kürzung der Mittel. Erst vor kurzem wurde 1 Million € aus dem Etat gestrichen.

(Abg. Hauk CDU: Wo, Herr Kollege?)

Erst kürzlich wurde versucht, die Haushaltssperre aufzuheben. Minister Stächele versucht ja zurzeit immer noch, die gesperrten Restmittel zur Borkenkäferbekämpfung frei zu bekommen. Damit könnte man eigentlich sagen: In BadenWürttemberg macht der Finanzminister

(Abg. Teßmer SPD: Die Bäume kaputt!)

Borkenkäferpolitik. Das ist ja geradezu ein exemplarisches Beispiel. Wenn man Geld zur Schadensvermeidung nicht ausgibt, braucht man viel, viel mehr Geld zur Schadensbehebung. Forstleute sagen ganz aktuell: Es werden dringend 18 Millionen € benötigt, um die Käferpopulation aus dem Wald zu bekommen und den Schaden einzugrenzen. Was wir bräuchten, wäre eigentlich ein Schadensfeuerwehrfonds und nicht eine Haushaltssperre für läppische Beträge im Vergleich zum Schaden.

(Beifall bei der SPD)

Aber das frei gegebene Geld wird interessanterweise nicht der Schadensvermeidung zugeführt, sondern steht der Landesforstverwaltung zur Verfügung. Vielleicht hat sie jetzt mehr Geld, um die Schadenshöhe zu beurteilen. Ich kann mir vorstellen, dass sich Buchdrucker und Kupferstecher darüber freuen, aber leider eben nicht zu Tode lachen.

(Zuruf des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Jetzt kommt noch das Szenario Verwaltungsreform. Ausgerechnet die Landkreise sind für den Wald zuständig, ausgerechnet die einzigen, die wirtschaftlich gar nicht daran interessiert sind, die vom Wald keinen Vorteil oder Nachteil haben. Die Landratsämter brauchen Zeit, bis die Bürostühle

vorhanden und die Haushaltstitel eingerichtet sind. Die Nahrungskette für den Borkenkäfer ist also gesichert.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)