Protokoll der Sitzung vom 14.07.2004

Ein zweiter Punkt, der aus unserer Sicht fehlt, ist der einheitliche Legislativrat, also ein Gremium der Staaten, das durch die gleichen Personen besetzt ist und die europäischen Gesetze zusammen mit dem Parlament beschließt. Die Wurzel von manchem Problem, das wir heute mit Richtlinien oder Verordnungen haben, liegt darin, dass bisher Fachministerkonferenzen die Dinge beraten haben und eine Gesamtschau fehlt. Leider war dieser Legislativrat nicht mehrheitsfähig. Ich möchte hier aber auch ausdrücklich positiv erwähnen, dass Außenminister Fischer in der Regierungskonferenz diesen Legislativrat verteidigt und unterstützt hat. Nur war bei den anderen die erforderliche Mehrheit nicht zu erreichen. Umso mehr sind jetzt die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, der Bürgerkammer, die zusammen mit dem Rat Gesetze beschließt, gefordert. Denn manche Vorlage der Kommission mag aus fachlicher Sicht richtig sein, ist aber aus gesamtpolitischer Verantwortung fraglich und manchmal sogar falsch. Hier muss dann das Parlament die Dinge kritischer als bisher unter die Lupe nehmen und gegebenenfalls auch einmal Vorlagen ablehnen, die aus der Gesamtverantwortung heraus für uns nicht tragbar sind.

Lassen Sie mich jetzt zu den positiven Ergebnissen kommen, die bei weitem überwiegen. Ich möchte auch hier aus den vielen Einzelpunkten, die angesprochen worden sind, drei herausgreifen.

Das ist zum einen die Daseinsvorsorge, die im Sinne der Länder verbessert worden ist. Bisher hieß es im Konventsentwurf, dass die Grundsätze und Bedingungen der Daseinsvorsorge durch europäische Gesetze festgelegt werden sollen. Nun heißt es im Verfassungstext, dass im Sinne der Mitgliedsstaaten eine Einschränkung vorgenommen worden ist und dass die Mitgliedsstaaten das Zurverfügungstellen, das Inauftraggeben und die Finanzierung der Daseinsvorsorge selbst bestimmen. Insbesondere für die kommunale Selbstverwaltung in Baden-Württemberg ist das eine wichtige und notwendige Verbesserung, die erreicht werden konnte.

Der zweite Punkt ist, dass als Ziel der nachhaltigen Entwicklung die Preisstabilität neben dem Wirtschaftswachstum in den Verfassungsentwurf aufgenommen worden ist. Auch das halte ich für eine richtige und gute Ergänzung des Konventsentwurfs.

Lassen Sie mich an dieser Stelle auch ein Wort zur gestrigen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Stabilitätspakt sagen. Wir begrüßen diese Entscheidung außerordentlich.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Denn es ist für viele unverständlich, dass Deutschland zwar die Stabilitätskriterien durchgesetzt hat – als es diese Stabilitätskriterien durchsetzte, stand Deutschland unter der Regierung Helmut Kohl mit solider Haushaltspolitik an der Spitze der Länder –

(Lachen bei der SPD)

und dass die damaligen Schlusslichter – –

(Zurufe von der SPD)

Ja, Sie hören das nicht gerne, aber die damaligen Schlusslichter Italien und Griechenland machen heute eine solide Haushaltspolitik, während Deutschland mit dem Haushalt der rot-grünen Bundesregierung heute am Ende der 25 EULänder steht. Das ist der eigentliche Skandal auf europäischer Ebene.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Junginger SPD: Also von Finanzpoli- tik hat der Kollege Herrmann keine Ahnung!)

Dann sagt die Bundesregierung noch, dass man Ausnahmen machen sollte, weil Frankreich und Deutschland, die größten Länder der Europäischen Union, diese Kriterien nicht einhielten. Dass das das Vertrauen, das Helmut Kohl aufgebaut hat, nicht stärkt, sondern Misstrauen schürt, versteht doch jeder, nur unsere rot-grüne Bundesregierung offenbar nicht.

(Abg. Knapp SPD: Ziehen Sie die 2 Milliarden € von Baden-Württemberg ab; dann wird es besser! – Zuruf des Abg. Gall SPD)

Deshalb halte ich es für richtig, dass der Europäische Gerichtshof hier eine klare Entscheidung getroffen hat. Das stärkt das Vertrauen auch der kleineren Länder in Europa, und die großen müssen sich an das halten, was einmal vereinbart worden ist.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Röhm CDU: Bravo! – Abg. Reichardt CDU: Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren, der dritte Punkt, den ich ansprechen möchte, sind das Frühwarnsystem und die Kontrolle der Subsidiarität mit dem Einspruchsrecht und dem Klagerecht.

Wir haben in Deutschland die Situation, dass die nationalen Parlamente – Bundestag und Bundesrat – eine Einspruchsmöglichkeit gegen Rechtsetzungsvorschläge der Kommission haben. Wenn solche Einsprüche nicht berücksichtigt werden, besteht die Möglichkeit, Klage zu erheben. Über eine innerstaatliche Regelung kann auch jedes Bundesland ein Einspruchs- und ein Klagerecht erhalten. Wir sollten innerhalb der Bundesrepublik Deutschland rasch klären, wie die Länderparlamente hier mit eingebunden werden können. Ich vertraue hier darauf, dass unser Landtagspräsident dieses Thema in der Konferenz der Landtagspräsidenten mit zur Sprache bringt und recht bald Vorschläge unterbreitet, wie auch die Länderparlamente in dieses Verfahren mit eingebunden werden können.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Herr Ministerpräsident, Sie haben vorgeschlagen, dass die EU-Vorlagen auch unmittelbar dem Landtag übermittelt werden sollten. Wir sollten uns hier durchaus überlegen, wie wir uns effektiver mit den EU-Vorlagen befassen können; Herr Kollege Kretschmann hat das vorhin angesprochen. Wir haben in Europaangelegenheiten ein gutes Beteiligungsverfahren zwischen Landesregierung und Landtag. Nach dem gegenwärtigen Verfahren berät der zuständige Fachausschuss des Landtags abschließend. In den letzten drei Jahren dieser Legislaturperiode sind uns von der Landesregierung 20 EU-Vorlagen zur Stellungnahme zugeleitet worden. Ich finde, das ist von der Zahl her ausgesprochen wenig. Wir sollten überlegen, ob EU-Vorlagen künftig nach der Behandlung im Fachausschuss nicht zusätzlich im für Europafragen zuständigen Ständigen Ausschuss beraten werden sollten.

(Beifall der Abg. Beate Fauser FDP/DVP)

Herr Kollege Kretschmann, wir brauchen keinen zusätzlichen Ausschuss hier im Parlament. Wir können im Rahmen der vorhandenen Strukturen besser Einfluss nehmen als bisher. Sitzungen des Ständigen Ausschusses zu EU-Vorlagen können dann auch einmal in der Mittagspause einer Landtagsplenarsitzung stattfinden. Denn auf unserer Ebene gilt dasselbe wie auf europäischer Ebene: Manche Verordnung oder Richtlinie, die aus fachlicher Sicht vielleicht richtig ist, kann aus gesamtpolitischer Verantwortung heraus gesehen falsch sein. Deshalb sollten wir diese Dinge etwas intensiver und effektiver im Rahmen der vorhandenen Strukturen im Landtag beraten.

Meine Damen und Herren, zu Transparenz und Verständlichkeit gehört nicht nur, dass die Verfassungstexte entsprechend abgefasst sind, sondern hierzu gehört auch, dass unsere Presse und unsere anderen Medienorgane über die Beratungen im EU-Parlament und die künftig öffentlichen Beratungen im Gesetzgebungsverfahren des Ministerrats berichten und die uns konkret betreffenden Punkte besser herausarbeiten. Es ist nicht gut, wenn sich die Berichterstattung über europapolitische Themen auf einige Wochen vor der Europawahl beschränkt und sich ansonsten nur auf die Tagegelder der Europaabgeordneten oder den Krümmungsgrad der Gurken bezieht. Eine Transparenz der europäischen Entscheidungsprozesse wird so nicht hergestellt.

Lassen Sie mich dies an einem konkreten Beispiel darlegen: Derzeit beraten wir in vielen Kreistagen und Gemeinderäten sehr intensiv die Meldung der Gebiete aufgrund der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie. Als die FFH-Richtlinie im Europäischen Parlament behandelt wurde, gab es 53 Änderungsanträge des Parlaments an die Kommission. Verabschiedet wurde sie noch nach altem Recht nichtöffentlich im Ministerrat. Ich hätte mir gewünscht, dass dieses Diskussionsverfahren etwas transparenter in den Medien dargestellt worden wäre, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Aber wir müssen uns hier auch an die eigene Nase fassen: Der Umweltausschuss dieses Landtags hat die FFH-Richtlinie am 24. April 1991, wie ich finde, nicht sehr gründlich beraten. Hier ist es notwendig, mehr Dinge, die uns in zehn oder mehr Jahren einholen und die ganz konkret viele von uns in den Städten und Gemeinden betreffen, gründlicher zu beraten und der Öffentlichkeit zu vermitteln. Ich meine das, was auf europäischer Ebene beraten wird und die Landes-, teilweise sogar die Kommunalpolitik betrifft.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Drautz FDP/DVP: Sehr richtig!)

Dazu gehört auch, dass dann, wenn das Verfahren der Gesetzgebung abgeschlossen ist, auch im Internet ganz konkret nachvollziehbar ist, wie Entscheidungen zustande gekommen sind – so, wie es auch unserer Parlamentstradition in Deutschland entspricht, nach der wir Gesetzentwürfe mit Begründung, Berichte über die Ausschussberatungen sowie Protokolle über die Plenardebatten auch noch nach Jahren nachlesen und die Entscheidungen nachvollziehen können. Diese Transparenz und diese Verständlichkeit waren im Rechtsetzungsverfahren der EU bisher nicht vorhanden. Ich hoffe und wünsche, dass das Verfahren künftig im neuen Rahmen, in der neuen Verfassung der EU transparenter, verständlicher und nachvollziehbarer gemacht werden kann.

Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt, den ich noch ansprechen möchte, ist die Beteiligung an der letzten Europawahl, die in allen Ländern der EU ausgesprochen ernüchternd und gering gewesen ist. Ich habe dafür teilweise auch Verständnis.

(Abg. Capezzuto SPD: Was?)

Denn wie wollten wir den Wählern erklären, warum man aus europäischer Sicht die eine Partei wählen und die ande

re Partei nicht wählen soll? Und, Herr Kretschmann, es war ja nicht das erste Mal, dass Länderinteressen und Innenpolitik bei Europawahlen einen größeren Raum eingenommen haben. Das haben auch die Grünen bei den vergangenen Europawahlen schon so gemacht, wie es auch jetzt von der derzeitigen Opposition auf Bundesebene gemacht worden ist.

Ich halte es für notwendig, Europa künftig mehr mit Personen zu verbinden. Dass dies in Europawahlkämpfen künftig mehr zur Geltung kommt und dass wir europäische und nationale Spitzenkandidaten haben und sie auch in den Medien besser zur Geltung bringen, das erwarte ich mir auch vom neuen Kommissionspräsidenten, der ja alle fünf Jahre vom Parlament gewählt wird. Dann sind auch Abgrenzungen zwischen den Parteien zu europäischen Themen besser möglich, und es ist eher denkbar, dass bei der Europawahl die europäische Politik eine größere Rolle spielt und nicht nationale Themen, wie es in fast allen Ländern der EU beim vergangenen Wahlkampf leider der Fall gewesen ist.

Zum Schluss, meine Damen und Herren, noch eine Grundsatzbemerkung: Die Verfassung wird jetzt in 25 Staaten der EU ratifiziert. Es werden noch mehr werden; bald sind es 27 und mit den Staaten des Balkans gegebenenfalls noch mehr. Bei allen Problemen, die die EU immer wieder hat und die auch in der Öffentlichkeit immer wieder dargestellt werden, sollten wir nicht übersehen, welch großartige Leistung in den letzten Jahren und Jahrzehnten erreicht wurde. Meine Eltern und Großeltern mussten in den Fünfzigerjahren noch ein Visum beantragen, um nach Frankreich oder Spanien oder auch nur nach Straßburg zu reisen. Heute steigen wir wie selbstverständlich in Stuttgart ins Flugzeug ein,

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Nein! Nicht fliegen!)

fliegen nach Spanien oder Frankreich oder machen einen Sonntagsausflug nach Straßburg. Wir können ohne Visum reisen und in der gleichen Währung bezahlen wie hier. Das ist ein ganz großer Fortschritt, der nur durch die europäische Einigung möglich war. Das muss man auch einmal positiv darstellen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Ab- geordneten der SPD – Zuruf von der SPD: Das muss man auch einmal sagen!)

Hätten wir zu Beginn des 20. Jahrhunderts den gleichen Einigungsprozess gehabt, wie wir ihn jetzt zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben, dann wäre uns viel Leid durch zwei Weltkriege erspart geblieben. Das ist allemal wichtiger als manche kleinkarierte Diskussion über die eine oder andere Finanzfrage oder über die eine oder andere Detailregelung, die durch Europa erfolgt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP/DVP – Zuruf von der SPD: Oder über den Stabilitätspakt! Genau!)

Die jetzt vorliegende Verfassung ist ein entscheidender Baustein für dauerhafte Sicherheit, für dauerhaften Frieden und für Wohlergehen für alle Menschen in ganz Europa im 21. Jahrhundert. Sorgen wir mit dafür, dass sie in allen Staaten ratifiziert wird, damit wir für das 21. Jahrhundert

eine gute Grundlage im Miteinander der Menschen in Europa haben!

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Das Worte erteile ich Herrn Abg. Rust.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Endlich mal ein Highlight!)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als sich vor knapp vier Wochen die Staats- und Regierungschefs Europas auf eine Europäische Verfassung geeinigt haben, war dies zweifellos ein historischer Schritt, historisch in dreierlei Hinsicht:

Zum einen mussten sich bei einer Entscheidung dieser Tragweite zum ersten Mal 25 Mitgliedsstaaten, also auch die zehn neuen Mitglieder, auf einen Kompromiss einigen und haben diesen dann auch einstimmig verabschiedet.

Historisch ist zum anderen, dass sich Europa mit dieser Verfassung ein Regelwerk für die künftige Zusammenarbeit gegeben hat, um auch als „Europa der 25“ weiterhin handlungsfähig zu bleiben.

Historisch ist drittens – es wurde schon mehrfach erwähnt –, dass das Europäische Parlament durch diese Verfassung entscheidend gestärkt wurde. Damit wurden die demokratische Kontrolle und die demokratische Legitimation in Straßburg und Brüssel gestärkt. Dies, meine Damen und Herren, ist ein großer Erfolg für die Demokratie in Europa.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Seimetz CDU und Theurer FDP/DVP)

Ich möchte kurz auf einige Einzelpunkte der Verfassung eingehen – nicht auf alle, weil wir in vielen Teilen sehr große Einigkeit haben.

Ich halte es in der Tat für enorm wichtig, dass Europa zukünftig für die Menschen viel stärker greifbar wird: durch Gesichter. Die Menschen verbinden Politik zwar nach wie vor auch mit Inhalten, aber zunehmend mit Menschen, mit Köpfen, mit Gesichtern. Deshalb ist es unbedingt notwendig, dass Europa diese Gesichter, diese Köpfe, diese Menschen bekommt. Es ist daher wichtig, dass wir mit der Wahl des Kommissionspräsidenten durch das Europäische Parlament, mit dem europäischen Außenminister und mit einer längeren Amtszeit des Vorsitzenden des Europäischen Rates Ämter und Personen haben, die Europa besser und stärker repräsentieren können, als es bisher möglich war.