Protokoll der Sitzung vom 06.10.2004

Ich möchte wiederholen, was ich bereits in der Debatte über den Beitritt am 1. Mai erwähnt habe: Fakt ist: Schon 1963 hat die EWG mit Unterstützung der damaligen Bundesregierung – Konrad Adenauer und Ludwig Erhard – ein Assoziierungsabkommen mit der Option – das ist sehr wichtig – einer späteren Mitgliedschaft mit der Türkei abgeschlossen; das ist jetzt 40 Jahre her.

(Unruhe)

1996 hat dann die EG, wieder mit Unterstützung der deutschen Bundesregierung – Helmut Kohl –, eine Zollunion mit der Türkei beschlossen.

(Abg. Drexler SPD: So ist es!)

1997 hat der Europäische Rat in Luxemburg – wen wundert’s? –, wieder mit Unterstützung der deutschen Bundesregierung – Helmut Kohl –,

(Abg. Gall SPD: Das traut man denen gar nicht zu!)

beschlossen, eine Strategie zu entwickeln, die es der Türkei ermöglicht, beizutreten. Das war 1997.

(Abg. Drexler SPD: So ist es!)

1999 wurde in Helsinki folgerichtig beschlossen, dass für die Türkei die gleichen Kriterien wie für die osteuropäischen Länder gelten, um Mitglied in der EU zu werden. Die politischen Kopenhagen-Kriterien müssen aber – das ist die Ausnahme – vor Aufnahme von Verhandlungen bereits erfüllt sein.

Die Glaubwürdigkeit Deutschlands in der Welt würde massiv in Gefahr geraten, wenn die Bundesregierung nicht der Türkeipolitik der Vorgängerregierungen – Adenauer, Erhard und Kohl – folgen würde.

(Abg. Schmiedel SPD: Sehr gut!)

Darum schadet auch, meine Damen und Herren, der außenpolitische Aktionismus der CDU-Vorsitzenden momentan dem Ansehen Deutschlands in der Welt.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Drex- ler SPD: Klar!)

Für die, die jetzt lachen: Ich erinnere nur ungern an die erste außenpolitische Exkursion der CDU-Vorsitzenden, als sie nach Amerika gereist ist und dem amerikanischen Präsidenten ihre Unterstützung der CDU Deutschlands in Sachen Irak-Krieg offeriert hat.

(Abg. Drexler SPD: So ist es!)

Heute wie damals, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, sollten Sie Ihrer Parteivorsitzenden raten, in diesen Dingen etwas zurückhaltender zu sein.

(Beifall bei der SPD und den Grünen – Abg. Kretschmann GRÜNE: Da stelle man sich einmal vor, die wäre Kanzlerin geworden!)

Meine Damen und Herren, wie anfangs erwähnt, sind wir sehr froh über die europapolitischen Diskussionen hier im Landtag, weil sie uns auch Gelegenheit geben, den Menschen Europa näher zu bringen, Ängste und Bedenken, die mit dem Begriff „Europa“ verbunden werden, auszuräumen und Europa für die Menschen greifbarer zu machen. Denn nach wie vor – das zeigt der Bericht der Landesregierung sehr deutlich – ist es notwendig, dass sich der Landtag von Baden-Württemberg mit dem Thema Europa beschäftigt.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Das Wort erhält Herr Abg. Theurer.

(Abg. Stickelberger SPD: Der führt jetzt wieder die D-Mark ein! – Abg. Kretschmann GRÜNE: So, jetzt kommt die Wiedereinführung der D-Mark! – Heiterkeit)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Baden-Württemberg als Land mit 10,5 Millionen Einwohnern und einer Wertschöpfung der Industrie, die größer ist als die mancher Mitgliedsstaaten, liegt im Herzen Europas. Deshalb ist für die FDP/DVPLandtagsfraktion Europa auch eine Herzensangelegenheit.

Meine Damen und Herren, der Europabericht, der uns hier zum wiederholten Male von der Landesregierung vorgelegt wird, zeigt, wie wichtig die Europapolitik von der Landesregierung genommen wird. Wir haben – hier stimme ich dem Kollegen der SPD-Fraktion ausdrücklich zu – auch hier im Landtag in diesem Jahr sehr intensiv über die Frage der Neugestaltung Europas diskutiert. Wenn man sich um

hört und in Gesprächen mit unseren Bürgerinnen und Bürgern die Frage Europa und Europapolitik diskutiert, stellt man immer wieder fest, dass Europa stark reduziert wird auf Ängste, auch auf Stereotypen, die entwickelt werden. Dies schlägt sich auch in den Diskussionen hier im Landtag nieder. Das merkt man daran, dass der erste Punkt, der beim Thema Europa angesprochen wird, die Zuschussprogramme sind. Ich glaube, damit wird man dem europäischen Gedanken

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Nicht gerecht!)

und der Aufgabe der europäischen Einigung nicht gerecht.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut! Richtig! – Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Europa ist mehr als Zuschussprogramme. Es ist viel wichtiger, dass Europa richtig organisiert wird, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, innerhalb derer die Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaftsunternehmen sich frei bewegen können, frei arbeiten können, innerhalb derer sie einen Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts haben und innerhalb derer wirtschaftliche Entwicklung und damit die Sicherung unseres Wohlstands möglich ist.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Genau darum ist es der liberalen Politik auf Bundesebene, in Regierungsverantwortung, aber auch in zahlreichen parlamentarischen Initiativen immer gegangen, und genau darum geht es uns auch hier im Landtag von Baden-Württemberg.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr gut!)

Deshalb war es auch richtig, dass sich die von FDP/DVP und CDU getragene Landesregierung in der Verfassungsdiskussion im Konvent sehr stark engagiert hat. Dieser Bereich nimmt ja auch einen ganz maßgeblichen Anteil im Europabericht ein. Es geht darum, wie man das neue, das größer gewordene Europa, das Europa der 25, organisiert. Klar ist, dass diese Vertiefung dringend stattfinden muss, dass die Institutionen an dieses größer gewordene Europa angepasst werden müssen, dass 25 Staaten anders zusammenarbeiten müssen als 15. Deshalb sind die vom Konvent im Verfassungsentwurf gefundenen Lösungen auch nur ein erster Schritt. Wichtig ist aber, dass wir für diese Verfassung in Deutschland, in Baden-Württemberg kämpfen und hierfür auch eine Unterstützung in unserer Bevölkerung erhalten.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Deshalb, meine Damen und Herren, plädieren wir als FDP dafür, eine Volksabstimmung über die Europäische Verfassung vorzunehmen. Nachdem Nachbarländer wie Frankreich, aber auch Großbritannien und andere ein Referendum, eine Volksabstimmung ins Auge fassen bzw. durchführen müssen, stellt sich für uns zunehmend die Frage, warum wir in der Bundesrepublik Deutschland nicht die einmalige Chance ergreifen, hier ein Zeichen zu setzen, dass wir keine Angst vor einer Diskussion mit den Bürgerinnen und Bürgern haben. Denn wenn man zur Europäischen Union eine nüchterne Bilanz von Soll und Haben aufstellt,

dann überwiegt eindeutig das Haben, überwiegen eindeutig die Vorteile für Baden-Württemberg, für unsere Wirtschaft, für die Bürgerinnen und Bürger in ganz Deutschland.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Das sollten wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Bürgern auch sagen. Deshalb mein klares Plädoyer für eine Volksabstimmung.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, mein Ziel ist, dass wir es schaffen, die vereinigten Staaten von Europa zu erreichen. Denn in einer Welt mit 6,3 Milliarden Menschen hat Europa nur dann dauerhaft wirtschaftliches und politisches Gewicht, wenn wir den Weg der Einigung konsequent weitergehen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: So geht es! – Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Da stellt sich dann auch die Frage: Wie geht es mit der Integration der zehn Beitrittsländer, die am 1. Mai zu uns gekommen sind, der mittel- und osteuropäischen Staaten, weiter? Ich denke, die wirtschaftliche Entwicklung dieser Länder in den vergangenen Jahren zeigt, dass die Orientierung auf die Europäische Union die dortige Wirtschaft stabilisiert hat, Möglichkeiten geschaffen hat, dass sich diese Wirtschaften gut entwickeln können. Dieser Beitritt hat aber auch die noch jungen Demokratien stabilisiert. Das ist, glaube ich, auch nicht zu unterschätzen. Denn es wäre viel aufwendiger, dort Krisenherde stabilisieren zu müssen. Glücklicherweise sind diese Demokratien durch den Beitritt zur Europäischen Union stabil geworden.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/ DVP: So ist es!)

Deshalb sind wir auch dafür, dass wir bei den weiteren Beitrittskandidaten, insbesondere bei Bulgarien und Rumänien, genauso in diese Richtung gehen. Ich denke, wir sollten diese Kriterien auch im Hinblick auf die Türkei anwenden. Die Frage des Beitritts der Türkei ist sehr stark von großen Ängsten und großen Emotionen, die in unserer Bevölkerung vorhanden sind, überschattet. Ich denke, diesen müssen wir begegnen, weil wir bei der Diskussion um einen Beitritt der Türkei zur EU offensichtlich auch die Frage ungelöster Integrationsprobleme in den europäischen Mitgliedsstaaten haben, weil die Bundesrepublik Deutschland, Baden-Württemberg, aber auch unser Nachbarland Frankreich über eine große türkischstämmige Minderheit verfügen. Wenn wir einmal ganz ehrlich zu uns selbst sind, müssen wir sagen, dass es ja diese ungelösten Fragen und die großen Sorgen im Miteinander von Christen und Muslimen sind, die großen Fragen der Zusammenarbeit der westlichen Welt mit der islamischen Welt, die diese Diskussion überschatten.

Ob man der Meinung ist, dass die Freundschaft mit der Türkei eine Sonderfreundschaft sein solle, so wie es die badenwürttembergische FDP in einem Landeshauptausschussbeschluss in Biberach beschlossen hat – im Sinne einer privilegierten, besonderen Partnerschaft –,

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Was soll denn das sein?)

oder ob man die Frage durch eine Vollmitgliedschaft löst, wie es immer auch die Politik der von der FDP mitgetragenen Bundesregierungen war,

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Jetzt erläutern Sie einmal den Unterschied!)

möchte ich einmal ein Stück weit hintanstellen. Denn eines ist doch völlig klar: Wer Vollmitglied in der EU wird, hat dann volle Rechte, aber auch volle Pflichten. Genau das soll nun bei den Kopenhagener Kriterien überprüft werden. Deshalb plädiere ich nachhaltig dafür, diesen Kriterienkatalog abzuarbeiten. Ich bin der Meinung, dass wir dafür werben sollten, der Türkei auch einen Weg nach Europa zu eröffnen, wenn sie diese Kriterien erfüllt. Wir sehen hier aber noch große Bedenken, da sie diese Kriterien in vielen Bereichen nicht erfüllt.

Klar ist für mich, dass die Türkei als Kleinasien eine Sonderrolle einnimmt und sie für uns als Mitteleuropäer besonders wichtig ist. Die Türkei hat uns in ihrer geostrategischen Position über Jahre hinweg die Südflanke gesichert. Das ist ein Beitrag, den ich hier einmal ausdrücklich anerkennen möchte. Wir sind unseren türkischen Freunden als NATO-Partner, als Europäer zu großem Dank verpflichtet.

(Beifall des Abg. Kleinmann FDP/DVP)