Protokoll der Sitzung vom 06.10.2004

Seither ist eine Art Weltanschauungsstreit entstanden, der jetzt gerade wieder aufbrandet. Es gibt einige praktische Gründe für die Reform und einiges, was vielleicht an dieser Rechtschreibreform befremdlich ist. Aber dafür, dass man sich weltanschaulich darüber streitet und den Untergang der deutschen Sprache befürchtet, habe ich wenig Verständnis.

(Beifall der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP und Brigitte Lösch GRÜNE)

Ich kann ein paar Beispiele nennen, bei denen es auch mir schwer fällt, dass der Verstand mitmacht: Ob man das Wort „Blumenstängel“, das man viele Jahre mit e geschrieben hat, unbedingt mit ä schreiben muss, nur weil es vom Wort „Stange“ kommt, ob man das Wort „Schifffahrt“ mit drei f schreibt oder mit zwei – immerhin wird das Wort bei der Trennung wieder mit drei f geschrieben – und ob man das vom Griechischen abgeleitete Wort „Geografie“ mit ph oder mit f schreibt, ist keine Weltanschauung.

Siehe da, es hat ja auch immer wieder stückchenweise Befreiungen gegeben – gerade wieder im Juni –, sodass also,

ohne dass wir ein schlechtes Gewissen haben müssten, häufig beide Schreibweisen als richtig anerkannt werden.

Lassen Sie mich meine persönliche Ansicht in einigen Worten sagen: Es muss nicht unbedingt so sein, dass wir Änderungen strikt ablehnen. Denn in den Änderungen liegt zum Teil eine gewisse Logik. Lassen Sie mich dies als Mathematikerin sagen. Auch die drei f haben zum Beispiel eine Logik. Diese Logik und diese Konsequenz, die in einigen Änderungen enthalten sind, machen es den jüngsten Schülern, die die neue Rechtschreibung jetzt erlernen, im Grunde leichter, sie zu erlernen. Diese Erfahrung haben Lehrer gemacht. Wir müssen einmal nicht von denjenigen ausgehen, die ein Leben lang gleich geschrieben haben – richtig oder falsch –, sondern von denen, die die Rechtschreibung neu erlernen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass das Erlernen sogar leichter wird.

(Zuruf des Abg. Dr. Caroli SPD)

Das sollten wir doch berücksichtigen.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben uns auf den Weg der neuen Rechtschreibung begeben. Ich denke, wir sollten diesen Weg auch nicht abbrechen.

Die CDU-Fraktion teilt die Meinung der Kultusministerin; sie hat ihre Meinung ja auch schon über die Presse bekannt gegeben. Wir teilen auch den Vorschlag, einen „Rat der deutschen Sprache“ einzurichten, einen Rat von Fachleuten, in dem durchaus auch Gegner der neuen Rechtschreibung vertreten sind, die noch im Nachhinein jahrelang ständig und kritisch überprüfen, was sinnvoll ist, was angenommen wird und was sich tatsächlich als nicht sinnvoll erweist, und die schließlich flexibel genug sind, um auch die entsprechenden Änderungen vorzunehmen.

Unrealistisch wäre die Erwartung, dass alle nach der neuen Rechtschreibung gedruckten Bücher wieder eingestampft und die Allerjüngsten, die bereits nach der neuen Rechtschreibung gelernt haben, vielleicht wieder umerzogen werden. Das wäre unrealistisch.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP sowie der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Ich darf noch ein Wort zu den doch massiven Vorstößen sagen, die jetzt von einigen Medien kommen. Ich möchte nicht wissen – da wird ja Druck ausgeübt –, was bei den Medien passieren würde, wenn bei irgendeiner anderen Gelegenheit von der Politik umgekehrt ein derartiger Druck auf sie ausgeübt würde. Man muss also beides in der richtigen Relation sehen.

Fazit: Die neue Rechtschreibung kann in Einzelheiten durchaus kritisch gesehen und noch korrigiert werden. Aber insgesamt sollten wir ihre Umsetzung jetzt nicht behindern.

Ein ganz persönliches PS: Ich kann es nicht ganz verstehen, nachdem sich unsere Auffassungen wohl gar nicht unterscheiden, dass uns die Grünen am späten Abend noch mit einem solchen Antrag beschäftigen. Deswegen möchte ich es kurz machen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP sowie des Abg. Wintruff SPD – Abg. Win- truff SPD: Wo sie Recht hat, hat sie Recht!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Zeller.

(Abg. Alfred Haas CDU, auf eine verbundene Hand des Abg. Zeller SPD anspielend: Herr Zeller hat einen Motorradunfall gehabt!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Rechtschreibreform findet eine breite Zustimmung: Der Bundeselternrat, der Bundesschülerrat, viele Lehrerverbände, Schulbuchverlage, alle stimmen dieser Rechtschreibreform zu. Bundesweit lernen 14 Millionen und in Baden-Württemberg über 1,3 Millionen Schülerinnen und Schüler nach der neuen Rechtschreibung. Ein Stopp dieser Reform wäre unzumutbar und nicht zu verantworten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen halten wir es für richtig, dass die neue Rechtschreibung am 1. August 2005, im nächsten Jahr also, verbindlich wird.

Die Rechtschreibreform verursacht kein Durcheinander, sondern bringt Ordnung in eine Ansammlung von Ungereimtheiten. Ich will das im Detail gar nicht begründen. Das haben wir hier an dieser Stelle schon zur Genüge getan.

Wenn nun Herr Müller – ich meine nicht Sie hier, sondern Herrn Müller aus dem Saarland – oder Herr Wulff neue Profilierungsfelder suchen und dazu die Rechtschreibreform nutzen wollen, so halte ich dies für unverantwortlich. Ich halte auch das, was zurzeit in Bezug auf die Kultusministerkonferenz betrieben wird, für unverantwortlich und für sehr populistisch.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Ich halte es auch für bedenklich, wenn große Medien wie der „Spiegel“, „Bild“ und „Die Welt“ – im Übrigen eine interessante Kombination – ausscheren wollen. Ich bin froh, dass die meisten Chefredakteure in dieser Hinsicht abgewinkt haben.

Das, was soeben über die Autoren gesagt wurde, klingt auch nicht sehr überzeugend.

Meine Damen und Herren, die Kultusministerkonferenz plant die Einsetzung eines Rats für die deutsche Rechtschreibung. Das unterstützen wir ausdrücklich. Dieser Rat soll sich aus Wissenschaftlern, Pragmatikern und Verlegern zusammensetzen. Er wird ein internationales Gremium sein. Wir tun ja manchmal so, als ob wir hier in Deutschland über die deutsche Sprache allein entscheiden könnten. In diesem Gremium sind auch Vertreter aus Österreich und der Schweiz dabei. Im Übrigen: Diese Vertreter haben überhaupt kein Verständnis für die Debatte, die bei uns in Deutschland geführt wird.

(Abg. Alfred Haas CDU: Für Sie habe ich auch kein Verständnis!)

Deswegen ist es wichtig, dass dieses Gremium eingesetzt wird und dann natürlich die Sprache weiterentwickelt, aber auf der Basis der neuen Rechtschreibung. Es ist Aufgabe dieses Gremiums, entsprechende Vorschläge zu machen

und das nicht nur einem Verlag, dem Dudenverlag, allein zu überlassen, sondern in einem internationalen Gremium Absprachen zu treffen.

Meine Damen und Herren, die CDU-Fraktion und die FDP/ DVP-Fraktion haben einen Antrag vorgelegt.

(Abg. Alfred Haas CDU: Einen guten Antrag!)

Dieser Antrag spiegelt die Position der KMK wider. Insofern muss ich sagen, Herr Kollege Haas: Endlich einmal ein vernünftiger Antrag.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Dr. Ca- roli SPD: Weil er nicht von Herrn Haas ist! – Abg. Alfred Haas CDU: Da kann etwas nicht stimmen, wenn der Zeller zustimmt!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kleinmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Zeller, ganz so einfach ist es dann doch nicht. Wenn wir uns auch im Ergebnis einig sind, möchte ich Ihnen doch sagen, wo das eigentliche Problem der Rechtschreibreform liegt.

(Unruhe)

Es ist noch niemand auf die Idee gekommen – jetzt müssen Sie zuhören, sonst kommen Sie nicht mit –, eine deutsche Grammatik zu schreiben mit dem Ziel, der Sprache und denen, die sie sprechen, irgendwelche Ungereimtheiten austreiben zu wollen. Jeder halbwegs Kundige weiß: Grammatik setzt keine Regeln, sondern beschreibt Regeln, nämlich die, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt als Regeln des allgemeinen Gebrauchs feststellen lassen.

Der in der Reformdiskussion viel geschmähte Konrad Duden wusste, dass für den schriftlichen Gebrauch von Sprache und dessen Regeln dasselbe gilt. Er schrieb nicht auf, welchen Regeln die Schreibung seiner Meinung nach zu folgen hätte, sondern er trug zusammen, was der seinerzeit zu beobachtende Schreibgebrauch war. Die spätere DudenRedaktion – auch diese heute viel geschmäht – tat nichts anderes. Veränderungen im schriftlichen Gebrauch und auch in der Sprache selbst wurden sukzessiv in das Wörterbuch und in das Regelwerk aufgenommen. Das ist übrigens bis heute auch die Praxis zum Beispiel der hoch angesehenen französischen Sprachakademie.

Die Urheber der Rechtschreibreform verfolgten den gegenteiligen Ansatz.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Diese Belehrungen brau- chen wir nicht! Zur Sache!)

Sie wollten nicht beschreiben, was tatsächlicher Gebrauch ist, sondern normativ vorgeben, wie man, den Regeln außersprachlicher Logik und selbst gebastelter Volksetymologien folgend, eigentlich richtig zu schreiben hätte. Das ist im Grunde der Webfehler im Denkansatz dieser Reform.

50 renommierte Rechtswissenschaftler haben zu Protokoll gegeben, dass ihnen die reformierten Regeln nicht mehr er

möglichen, komplizierte Sachverhalte schriftlich eindeutig festzuhalten.

(Abg. Zeller SPD: Ist das jetzt eine Vorlesestunde? – Zuruf des Abg. Wintruff SPD)

Kann man dies als Reformergebnis ernsthaft in Kauf nehmen wollen zugunsten angeblicher Erleichterungen beim Lesen- und Schreibenlernen in der Schule?

(Abg. Zeller SPD: Zu welchem Ergebnis kommen Sie?)

Es kommt noch viel dicker. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung gehört zu den ausgewiesenen Reformkritikern. Im März, April und Mai 2004 haben zwischen ihr und der Zwischenstaatlichen Kommission für deutsche Rechtschreibung Gespräche stattgefunden.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Sind Sie für oder gegen den Antrag?)