Protokoll der Sitzung vom 11.11.2004

Im Jahr 2004, also jetzt, haben wir mit unserem Antrag vom 18. Juni 2004 nachgehakt, wo denn jetzt das Konzept und die Maßnahmenvorschläge blieben, meine Damen und Herren. Immerhin war das ein Beschluss des Landtags, und die Landesregierung hat eigentlich doch – so sollte man meinen – die Pflicht, diesem Beschluss nachzukommen.

Wir haben in diesem Antrag nochmals beantragt, diese Maßnahmenvorschläge jetzt vorzulegen. Was ist geschehen? Wir haben von dem zwischenzeitlich ausgeschiedenen Innenminister Dr. Schäuble eine Antwort bekommen. Er hat auf die Entscheidungen des Staatsgerichtshofs verwiesen, wonach die Wahlprüfungsbeschwerden abgewiesen worden seien.

(Abg. Hauk CDU: Alle abgewiesen!)

Das haben wir ja heute auch noch einmal gehört. Das ist keine Frage.

Aber er hat dann immerhin noch dazugesagt, dass ein solcher Bericht auf den Landtagsbeschluss vom 6. März 2002 zurückgestellt sei – ich zitiere –, „bis im politischen Raum grundsätzliche Überlegungen zu möglichen Änderungen des Landtagswahlrechts abgeschlossen sind“.

Heute höre ich vom Innenminister zum Thema „Überlegungen zur Reform des Landtagswahlrechts“ überhaupt nichts. Das heißt, ich kann dem parlamentarischen Verfahren jetzt zunächst einmal entnehmen, dass die Überlegungen insoweit abgeschlossen sind, als jetzt in fünf Wahlkreisen die Zugehörigkeit der Wahlberechtigten, also der Zuschnitt der Wahlkreise, geändert werden soll. Das spielt aber in der heutigen parlamentarischen Debatte keine Rolle, sondern wir werden das sozusagen im Hauruckverfahren versuchen müssen. Sie werden das natürlich mit Ihrer Mehrheit durchsetzen. Das ist ja klar. Es steht ja schon jetzt fest, dass Sie

die Mehrheit dafür zustande bekommen werden, diese fünf Wahlkreise, die sie ändern wollen,

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Ändern müssen!)

zu ändern.

Ich finde, nachdem wir jetzt in dieser Wahlperiode schon gut dreieinhalb Jahre miteinander verbracht haben, hätten Sie in dieser Zeit alle Möglichkeiten und alle Chancen gehabt, diese umfassende Wahlrechtsreform anzugehen. Wir haben ja nicht gesagt, wir wollten jetzt eine Konzeption erarbeiten und ein neues Landtagswahlrecht vorlegen, sondern wir haben Sie vom Beginn der Wahlperiode an durch entsprechende Diskussionen hier in diesem Hause bis zuletzt mehrfach aufgefordert, etwas zu erarbeiten. Unser Fraktionsvorsitzender hat die Vorsitzenden der anderen Fraktionen gebeten, doch eine Arbeitsgruppe einzusetzen. Das war kurz nach der Sommerpause. Die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses hat im September beantragt, eine Kommission einzusetzen. Wie immer man das auch nennt, wäre es sinnvoll gewesen, die Themen, die zu diskutieren sind, gemeinsam anzugehen. Kollege Birzele hat ja viele davon benannt. Ich will sie nicht alle noch einmal im Detail wiederholen. Aber ein paar zentrale Punkte muss man nennen.

Das Allerwichtigste – das haben Sie ja jetzt selbst eingesehen – ist die Anpassung der Wahlkreise, weil die Gleichheit der Stimmen – Frau Kollegin Berroth, das ist gar nicht lustig, weil es dabei um das wichtigste Grundrecht dieses Parlaments, nämlich die Zusammensetzung des Landtags, geht – gewährleistet werden muss.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: So ist es! – Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Was machen Sie? Sie passen dort an, wo Sie die Gefahr sehen, dass Sie durch entsprechende Gerichtsentscheidungen, aufgrund der Änderungen der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs und der Anpassung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegebenenfalls tatsächlich mit erfolgreichen Klagen rechnen müssen. Das ist das Allermindeste, was wir tun müssen. Wir müssen diese fünf Wahlkreise, die mehr als 25 % nach oben oder nach unten abweichen, anpassen.

Aber wir diskutieren nicht über das Zweistimmenwahlrecht, wir diskutieren nicht über das Auszählverfahren – ob d’Hondt oder Hare/Niemayer –, obwohl in vielen anderen Bundesländern und auch auf Bundesebene zwischenzeitlich das Hare/Niemayer-Verfahren angewandt wird.

(Zuruf der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Wir diskutieren nicht über eine bezirksbezogene Landesliste oder eine kleine Landesliste für das gesamte Land, wie dies die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses befürwortet. All diese grundsätzlichen Überlegungen, insbesondere zur Verkleinerung des Landtags, die Sie selbst schon einmal angedacht hatten – durch die Reduzierung der Zahl der Wahlkreise –, spielen offensichtlich bei Ihnen keine Rolle.

Ich gehe davon aus, dass die Änderungs- bzw. Ergänzungsanträge bis zu den nun anstehenden Ausschussberatungen

vorliegen werden. Vielleicht ist dann irgendjemand da, der sie einbringt und begründet.

Ich gehe davon aus, dass wir im Ausschuss die Gesamtthematik beraten werden. Ich kann mich dem Kollegen Birzele hinsichtlich der Frage, wie wir damit umzugehen haben, im Prinzip nur anschließen. Wenn Sie nicht in der Lage und bereit sind, zumindest für die nächste reguläre Wahl im Jahr 2011 – wenn zwischendurch keine Wahl stattfindet, was natürlich auch passieren kann – einen Beschluss zu fassen, der dann auch gesetzlich normiert und verankert wird, eine grundsätzliche Neuregelung des Landtagswahlrechts anzugehen, werden wir seitens der Fraktion GRÜNE auch der kleinen minimalistischen Reform nicht zustimmen können.

Ich bin der Auffassung, dass wir das Landtagswahlrecht grundsätzlich reformieren müssen. Wir sind in Verzug, und den Verzug haben Sie, meine Damen und Herren von den die Regierung tragenden Fraktionen, zu verantworten.

Enttäuscht bin ich auch darüber, dass die Landesregierung nicht in der Lage war, Beschlüsse des Landtags umzusetzen, und nur darauf verweist, dass Debatten im politischen Raum noch nicht abgeschlossen seien. Dies kann ja keine Begründung dafür sein, auf die Vorlage effektiver Maßnahmenvorschläge zu verzichten.

Wir sind gespannt darauf, wie die Änderungsanträge aussehen werden. Wir werden sie im Ausschuss mit entsprechenden Maßnahmen und Initiativen begleiten. Wir wollen dies festschreiben, um die grundsätzliche Reform spätestens für die übernächste Wahl angehen zu können. Ich hoffe dabei jedenfalls auf Ihre Unterstützung.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Hauk.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten. Aber, Herr Kollege Birzele und Herr Kollege Oelmayer, man wird auch sehr schnell einige Unterschiede bei der Bewertung der Wahlrechtsreform feststellen.

Unstrittig ist, dass die tatsächliche Abweichung der Wahlkreisgrößen auch zu einem Ungleichgewicht der Bewertung des Bürgervotums führt. Dies ist nachvollziehbar. Deshalb sieht das Gesetz ja vor – übrigens vom baden-württembergischen Staatsgerichtshof so bestätigt –, dass maximale Abweichungen von 15 % bestehen sollen und zwingender Änderungsbedarf ab einer Abweichung von 25 % besteht.

In fünf Wahlkreisen – Herr Kollege Birzele, Sie haben dies erwähnt – ist diese Abweichung um 25 % gegeben. Dort werden wir etwas tun müssen – nicht allein deshalb, weil wir von diesen Fakten gezwungen sind, sondern auch aus dem Prinzip heraus, dass unter dem Strich eine möglichst große Gleichheit des Bürgervotums erreicht werden soll.

Meine sehr geehrten Herren Kollegen, die Sie gesprochen haben, wissen, dass die Fraktionen untereinander auf einem, denke ich, guten Weg sind, einen gemeinsamen Nenner zu

finden. Dieser Nenner wird nicht so groß sein – das wissen Sie bereits –, wie Sie das wollen. Aber es gibt eine gewisse gemeinsame Basis,

(Abg. Dr. Caroli SPD: Was heißt denn das?)

und diese bedeutet, dass wir uns dem Anliegen, für das Jahr 2011 in einem größeren Umfang, als dies für 2006 erforderlich ist, eine Änderung, insbesondere bei den Wahlkreisgrößen, vorzunehmen, nicht verschließen werden. Dazu soll dann ein gemeinsamer Entschließungsantrag im Ständigen Ausschuss verabschiedet werden – ebenso wie Vorschläge zur zukünftigen Abgrenzung dieser fünf Wahlkreise: Biberach in Südwürttemberg, Geislingen, Heilbronn, Böblingen

(Abg. Rückert CDU: Leonberg!)

Entschuldigung, Leonberg und Bietigheim-Bissingen in Nordwürttemberg.

Meine Damen und Herren, auf die Reform dieser fünf Wahlkreise werden wir uns im Zuge dieses Gesetzgebungsverfahrens mit Sicherheit verständigen können. Eine größere Reform, wie Sie sie sich vorstellen, die auch Abweichungen um 15 % umfasst, würde in der Summe weitaus mehr Wahlkreise, mindestens 20, berühren und Probleme in der Einheitlichkeit der Zuschnitte der Bundestagswahlkreise, der Landtagswahlkreise und der Landkreis- und Stadtkreisgrenzen verursachen.

Meine Damen und Herren, ein Eckpunkt, den die SPDFraktion in ihrem Antrag formuliert hat, ist die Reduzierung der Regelsitzzahl.

(Abg. Birzele SPD: Nicht der Regelsitzzahl, son- dern der tatsächlichen Sitzzahl!)

Der Landtag von Baden-Württemberg besteht nun seit über 50 Jahren. Hatte Baden-Württemberg 1952 noch etwa 7 Millionen Einwohner, so hat das Land heute 10,5 Millionen Einwohner. Die Zahl der Sitze im Landtag ist jedoch nicht angewachsen. Das heißt, jeder Abgeordnete vertritt per saldo ein starkes Drittel mehr Einwohner als 1952. Ich glaube, da kann man nicht von einer Überbesetzung oder von einer Überzahl an Sitzen bzw. Abgeordnetenmandaten sprechen.

(Beifall der Abg. Seimetz und Döpper CDU)

Meine Damen und Herren, das zweite, sehr durchsichtige Ziel des SPD-Antrags ist die Einführung der Erst- und Zweitstimme bei Landtagswahlen. Ich behaupte, wir haben den besten Landtag in Deutschland überhaupt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Schmid: Bei den Abgeordneten sowieso! – Abg. Döpper CDU: Herr Oelmayer, da hätten Sie ruhig auch klatschen können!)

Meine Damen und Herren von der Opposition, in diesem Fall schließe ich Sie sogar mit ein. Lassen Sie mich das begründen: Bei keinem anderen Wahlrecht in Deutschland hat die persönliche Stimme des Bürgers bei der Stimmabgabe so viel Gewicht bei der Zusammensetzung, insbesondere bei der personellen Zusammensetzung des Landtags wie beim baden-württembergischen Wahlrecht. Nirgendwo! Ich

fordere gerade diejenigen, die ständig vollmundig Forderungen nach mehr Basisdemokratie erheben,

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Ja, ja, ja! – Zuruf der Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD)

die ständig eine Erhöhung der Einbeziehung des Bürgers im Munde führen, auf, diese Bürgerbezogenheit des badenwürttembergischen Wahlrechts nicht aufzugeben, sondern beizubehalten.

(Beifall des Abg. Seimetz CDU – Abg. Oelmayer GRÜNE: Deswegen wählt ihr den Ministerpräsi- denten in den Verbänden!)

Herr Kollege Oelmayer, wenn Sie wiedergewählt werden wollen – ich sage es einmal ganz konkret –, dann müssen Sie sich für Ihre Bürger in Ihrem Wahlkreis Ulm engagieren. Ansonsten laufen Sie unter Umständen Gefahr, nicht mehr wiedergewählt zu werden.

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Die CDU braucht Bürgerbeteiligung! – Abg. Oelmayer GRÜNE: Das gilt doch sowieso!)

Meine Damen und Herren, was ist daran schlecht? Ich finde daran nur Gutes.

(Abg. Walter GRÜNE: Aber es herrscht keine Frei- heit! – Abg. Stickelberger SPD: Das ist doch die Erststimme!)

Das ist die Erststimme. Ich komme gleich zur Zweitstimme. – Es geht um die Frage der Ausschließlichkeit. Interessanterweise fordern genau diejenigen, die immer wieder von Parteienmauscheleien sprechen und fordern, wir müssten die Bürger mehr beteiligen und Mitgliederbefragungen durchführen

(Lachen bei der SPD und den Grünen – Abg. Sti- ckelberger SPD: Machen Sie doch gerade! – Abg. Regina Schmidt-Kühner SPD: Das machen Sie ge- rade selber! – Abg. Oelmayer GRÜNE: Eigentor! – Abg. Ursula Haußmann SPD: Vorsicht, Herr Kolle- ge, Glatteis!)