Protokoll der Sitzung vom 16.03.2005

In einem zweiten Schritt würde ich auch ganz deutlich sagen: Davon ist die Frage zu unterscheiden: Sollen solche Tests verboten sein oder nicht? Denn wie wir wissen, ist nicht alles, was verboten ist, auch strafbar. Da würde ich eindeutig sagen: Ich würde die Tests nicht verbieten, wenn es sich um Personen handelt, die anfechtungsberechtigt sind, die auch einen Anfechtungsprozess führen könnten. Da würde ich im Gendiagnostikgesetz klarstellen: Diese Personen können Tests verlangen, und zwar aus eigenem Recht. Das halte ich für den vernünftigsten Weg. In der Folge erreichen Sie, dass das Verwertungsverbot des BGH sozusagen in sich zusammenbricht. Dann könnte der Test verwertet werden. Das ist bei weitem, Herr Oelmayer, der einfachste Weg.

Denn auch ein so genanntes niederschwelliges Verfahren zwingt die Leute natürlich in den Prozess. Wir haben alle Nachteile des Prozesses.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Die haben halt auch alle Grundrechte! Um diese kommen Sie nicht herum! – Gegenruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Die hat der Vater doch auch! – Abg. Oelmayer GRÜNE: Was ist mit dem Kind?)

Darum finde ich es besser, den Test nicht zu verbieten. Für die anfechtungsberechtigten Personen – Mutter, Kind, Vater – würde ich den Test nicht verbieten und schon gar nicht strafbar machen. Für die Angehörigen darf es, wie gesagt, keine Strafbarkeit geben. Dann haben wir eine abgestufte Regelung, die dem Problem gerecht wird und die vor allem der Tatsache gerecht wird, dass sich, wie wir aus den Labors wissen, in 75 % der Fälle Gott sei Dank herausstellt, dass die Zweifel unberechtigt waren.

Mir ist, wenn ich das so sagen darf, in der Debatte etwas zu oft gesagt worden: „Wenn solche Heimlichkeiten vorkommen, dann ist ja eine Beziehung sowieso schon am Ende.“ Aber um Gottes willen! Wenn Sie einmal mit Ehetherapeuten und mit anderen über Beziehungen, die gerettet wurden, reden, dann erkennen Sie, dass es doch einfach vorschnell ist, zu sagen: „Wenn eine Heimlichkeit vorkommt, dann

(Minister Dr. Goll)

geht die Beziehung schon den Bach runter.“ Wo kämen wir denn da hin? Diesen Standpunkt halte ich für etwas weltfremd. Ich glaube ganz fest, dass dann, wenn ein solcher Zweifel ausgeräumt ist, diese Beziehung wieder auf die Beine kommen kann und in vielen Fällen natürlich auch wieder auf die Beine kommt – zum Wohl des Kindes und zum Wohl der Partner.

Deswegen mein Appell: Wir sollten nicht durch eine Diskussion, die zu sehr moralisiert, die versucht, Heimlichkeit zu einer Straftat zu erklären – mit dieser Theorie werden Sie übrigens im realen Leben nicht sehr weit kommen –, zu einer Regelung kommen, die die Position der möglicherweise Getäuschten und sogar im strafrechtlichen Sinne Betrogenen

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Ja!)

nicht genügend berücksichtigt und die in der Familie viel Schaden anrichtet. Darum bitte ich Sie, mitzuwirken – das betrifft natürlich besonders diese Seite des Hauses –, dass das von Frau Zypries geleitete Bundesjustizministerium diesen Vorschlag zur Strafbarkeit so schnell wie möglich zurückzieht und im Gendiagnostikgesetz zur Frage der Verbote eine vernünftige Regelung, wie eben vorgeschlagen, findet.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Pauli CDU: Richtig!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Theurer.

(Abg. Schmiedel SPD: Jetzt aber Mäßigung, Herr Kollege! – Abg. Stickelberger SPD: Jetzt kommt der Übervater!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst bin ich froh, dass in diesem Parlament auch Nichtväter zu diesem Thema sprechen dürfen. Ich habe bisher auch keinen Vaterschaftstest gebraucht.

(Abg. Dr. Lasotta CDU: Das war immer klar!)

Ich habe nicht deshalb weniger Haare, weil man sie dafür gebraucht hätte.

Herr Kollege Oelmayer und Herr Kollege Stickelberger, Sie sprechen hier davon, dass Grundrechte nicht richtig abgewogen würden und dass das Thema emotionalisiert werde. Sie spielen sich, Herr Kollege Oelmayer, selber als Moralapostel auf, und das halte ich für scheinheilig. Ich will Ihnen das auch an Beispielen begründen.

Die FDP/DVP-Fraktion ist selbstverständlich für die Grundrechte des Kindes und für das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Wir sind auch für die Grundrechte von Mutter und Vater. Aber wie ist es denn tatsächlich? Da merkt man doch, dass Ihre Argumentation scheinheilig ist. Das Kind kann das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung selber bis zu einem gewissen Alter ja gar nicht ausüben.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Das stimmt doch gar nicht!)

So lange üben es Vater und Mutter gemeinschaftlich aus.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Gerade deswegen!)

Es kann doch nicht sein, dass dann, wenn beispielsweise das Kind ab einem gewissen Alter sagt, man möge einen Vaterschaftstest machen, weil es wissen will, ob der Vater tatsächlich der Vater ist, die Mutter Nein sagen kann. Da ist doch die Frage: Wer hat dann eigentlich ein Recht, und wer hat es nicht, meine Damen und Herren?

(Abg. Birzele SPD: Das entscheidet der Vormund- schaftsrichter!)

Hier werten Sie offensichtlich das Recht der Mutter höher als das Recht des Vaters, und deshalb spielen Sie sich nach meinem Dafürhalten in dieser Frage als Moralapostel auf.

Ich bin der Meinung, dass Kollege Lasotta zu Recht gesagt hat, dass sich dieses Thema nicht für parteipolitischen Schlagabtausch eignet. Wir müssen die Rechte vielmehr tatsächlich abwägen.

Ich zitiere mit Einverständnis des Präsidenten aus einem in der „Zeit“ veröffentlichten Artikel von Bernd Ulrich. Dort schreibt er:

Ja, in so einer Welt möchten wir leben: Wo es zwischen den Menschen keine Geheimnisse gibt, vor allem keine dunklen. Wo einer dem anderen stets sagen kann, nein: muss, was ihn umtreibt. Wo es nur eine Form der Kommunikation gibt: die Auge in Auge, ehrlich, ungeschminkt. „Du, der Kevin ist nicht von dir.“ – „Du, ich weiß, ich habe einen Vaterschaftstest machen lassen.“

So Bernd Ulrich in der „Zeit“.

Aber ist die Welt denn tatsächlich so? Herr Kollege Stickelberger, sollte sich bei einem Vaterschaftstest herausstellen, dass der Vater nicht der leibliche Vater ist, dann stellt sich doch die Frage, wer hier wen austrickst. Sie sprachen davon, dass der Vater die Mutter austrickse. Aber sollte tatsächlich der Vater nicht der leibliche Vater sein, stellt sich doch die Frage, wer hier wen ausgetrickst hat, wer hier wem etwas verschwiegen hat, wer das Vertrauen tatsächlich missbraucht hat, meine Damen und Herren.

Jetzt komme ich auf die Regelungen, die Sie vorschlagen, zu sprechen. Wir als Fraktion haben ja die Vaterschaftstests nicht erfunden; die gibt es halt einfach. Die sind von Wissenschaftlern erfunden worden. Vaterschaftstests sind jetzt eben technisch möglich. Jetzt geht es um die Frage, was wir mit Menschen machen, die diese technischen Möglichkeiten anwenden. Sie schlagen vor, dass diese Vaterschaftstests im Gerichtsverfahren vom jeweiligen Vater erst erstritten werden müssen. Das heißt, Sie wollen, dass der Vater, wenn auch niederschwellig, zunächst in einem Prozess klären lässt, ob er einen Vaterschaftstest machen lassen kann oder nicht. Das heißt, die Mutter wird dann durch ein Gericht praktisch gezwungen, ihr Einverständnis zu diesem Vaterschaftstest zu geben. Ist denn das besser?

Meine Damen und Herren, wenn dann in der Familie erst einmal darüber diskutiert werden muss, wenn der Vater Zweifel hat und sagt, man müsste einen Vaterschaftstest machen, und die Mutter dann Nein sagt, wird doch der Zweifel eher noch genährt.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: So ist es!)

Meine Damen und Herren, was soll denn das? Das ist doch überhaupt nicht lebenspraktisch.

(Zurufe der Abg. Kleinmann FDP/DVP und Sti- ckelberger SPD)

Wenn sie Ja sagt, okay, dann kann es gemacht werden, wenn sie Nein sagt, gibt es ein Gerichtsverfahren: Das soll den Kindern nützen? Schauen Sie sich das doch einmal an! Ich bin kein Jurist, aber Sie, Herr Oelmayer, sind doch Jurist und sind als Anwalt auch an Familiengerichten tätig. Hilft denn das den Kindern, wenn vor Familiengerichten gestritten wird, meine Damen und Herren? Ich sage: nein. Aus allen Gesprächen, die mir bekannt sind, kann man klar den Schluss ziehen, dass das den Kindern nicht nützt.

Deshalb, meine Damen und Herren: Wir sind bereit, die Grundrechte abzuwägen. Wir haben auch nichts dagegen, die gerichtlichen Verfahren der Vaterschaftsfeststellung zu vereinfachen und niederschwelliger zu gestalten. Das ist ja alles vernünftig und in Ordnung. Aber wir sind entschieden dagegen, dass jemand, der privat einen Vaterschaftstest machen lässt, kriminalisiert wird und auch noch Gefahr läuft, mit dem Strafgesetz in Konflikt zu geraten. Das wollen wir nicht.

Wir bitten Sie und fordern Sie dazu auf, uns zu helfen, dass wir diese Position auch auf Bundesebene entsprechend realisieren können.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Kleinmann FDP/ DVP: Sehr richtig!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Lasotta.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte schon etwas zum Gendiagnostikgesetz sagen, weil diese ganze Frage von der Bundesjustizministerin Zypries in diesem Zusammenhang diskutiert wurde. Ich darf sie mit folgendem Satz zitieren:

Die Gefahr besteht, dass sich jedermann leicht zu erlangendes genetisches Material besorgt und testen lässt.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ja!)

Deshalb muss man zu diesem Bereich schon ein paar Klarstellungen vornehmen.

Auch Herr Oelmayer hat ja gesagt, die DNA wäre das Intimste, was der Mensch hat. Ich persönlich bin im Gegenteil der Meinung, dass das Intimste die Gedanken, die Gefühle und die Seele des Menschen sind und nicht die DNA, um das einmal deutlich zu sagen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Oelmayer GRÜNE: Aber die Gedanken sind frei, Kollege Lasotta! Die sind noch nicht lesbar! Aber die Gene sind entschlüsselbar!)

Das ist gut so; Herr Oelmayer, das ist doch klar. Deswegen sagt ja hier auch jeder seine Meinung, weil die Gedanken frei sind.

Wenn wir schon über die Frage der Vaterschaftstests diskutieren, müssen wir hier eines völlig klarstellen: Vaterschaftstests sind keine Gentests. Auf der DNA sind 10 % der Abschnitte wirklich Gene. Beim Vaterschaftstest hingegen werden Abschnitte zwischen den Genen untersucht, also so genannte Mikrosatelliten, Wiederholungseinheiten auf der DNA, die vererbt werden und individuell verschieden sind, der so genannte genetische Fingerabdruck. Bei diesen Vaterschaftstests werden also keinerlei Gene untersucht, vor allem wird letzten Endes auch kein Aufschluss über die Persönlichkeit oder über Krankheitsgene gewonnen, sondern es geht um individuelle Merkmale, die vererbbar sind, also den genetischen Fingerabdruck.

Man darf in der Öffentlichkeit auch nicht den Eindruck erwecken, als ob das alles gefährlich wäre und der gläserne Mensch entstünde, als ob jeder eine Haarlocke oder Speichelprobe einschicken könnte und man dann sofort über den anderen Menschen Bescheid wüsste. So ist es nicht. Dies muss auch in der Öffentlichkeit diskutiert und klargestellt werden.

Die echten Gendiagnostiktests, die davon zu unterscheiden sind, beschäftigen sich eben wirklich mit den krankheitsrelevanten Genen und zeigen das Vorhandensein einer Krankheit oder die Prädisposition für eine Krankheit.

Entscheidend bei all diesen Fragen ist doch letzten Endes, dass wir ein Stück weit Ruhe und Klarheit in die Familien bekommen, dass wir die gerichtlichen Verfahren so gestalten und fördern müssen, dass bei begründetem Anfangsverdacht – so ein privater Vaterschaftstest wäre meines Erachtens so ein Anfangsverdacht, sofern als Ergebnis herauskommt, dass ich nicht der Vater bin – der Test zugelassen werden kann. Dazu brauchen wir eine gesetzliche Regelung. Sie muss sicherlich sehr streng gefasst werden. Nicht jeder darf so einen Vaterschaftstest machen lassen, das ist vollkommen klar, weder die Nachbarin noch die Schwiegermutter. Aber die Betroffenen haben doch ein Recht darauf, auf ihre Fragen eine Antwort zu erhalten. Ebenso wie der Vater ein Recht darauf hat, zu wissen, wem er sein Leben weitergegeben hat, hat auch das Kind ein Recht darauf, zu wissen, wer sein Vater ist. Alles andere, nämlich dafür hohe juristische Hürden zu setzen, wäre weltfremd.