Protokoll der Sitzung vom 30.06.2005

Herr Kollege Kleinmann, nachdem Sie gerade die Hauptschule Amtzell zitiert haben:...

(Abg. Theurer FDP/DVP: Radolfzell!)

Nicht Radolfzell, Amtzell.

... Ist Ihnen bewusst, dass diese Schule im Grunde genommen als eine regionale Schule geführt wird, also ein Angebot an die Kinder und Jugendlichen macht, das andere Schulen, beispielsweise in RheinlandPfalz, unter dem Stichwort „Regionale Schule“ haben, und sowohl die mittlere Reife als auch den Hauptschulabschluss anbietet?

(Abg. Wieser CDU: Es gibt doch einen Vortrag und keine Frage!)

Herr Kollege Zeller, die Schule in Amtzell ist eine Schule, die besonders – was ich vorhin in meinem ersten Redebeitrag schon sagte – fördert und fordert. Die guten Schülerinnen und Schüler werden dahin gehend gefördert, dass sie einen qualifizierten Werkrealschulabschluss machen, um nachher ein berufliches Gymnasium besuchen und das Abitur machen zu können.

(Zuruf des Abg. Zeller SPD)

Ich war ja dort und habe mir das genau angesehen. Und da es ein Treppenwitz wäre, die guten Schüler zu fördern und die schlechten nicht, deshalb werden die schlechten Schüler in gleicher Weise gefördert. Damit gibt es dort auch hervorragende mittlere Abschlüsse bzw. hervorragende Hauptschulabschlüsse.

Ich sage es noch einmal: Fordern und fördern ist das Ziel, ob Sie das in einer Hauptschule – also Grund- und Hauptmit Werkrealschule – oder in einer Realschule oder einem Gymnasium machen.

(Abg. Zeller SPD: Die Schüler machen den Real- schulabschluss!)

Auch am Gymnasium muss gefördert werden. Es kann nicht sein, dass man da nur sagt, hier müsse allein gefördert werden.

(Abg. Zeller SPD: Nein! Das ist die Schule, die wir wollen! Amtzell ist die Schule, die wir wollen! Die Schüler dort machen einen Realschulabschluss!)

Ja, das können sie doch machen. Das eine tun und das andere in gleicher Weise.

(Abg. Göschel SPD: Das haben Sie doch vorhin abgelehnt!)

Das habe ich nicht abgelehnt. Warum denn?

(Abg. Göschel SPD: Wissen Sie überhaupt noch, was Sie geredet haben? – Abg. Wintruff SPD: Aber Herr Seimetz hat es abgelehnt! – Abg. Göschel SPD: Habt ihr zwei verschiedene Redenschreiber?)

Nach den ersten PISA-Untersuchungen war für viele rasch ausgemacht: Das in der Summe unbefriedigende Abschneiden Deutschlands ist auf Defizite im Primar- und Elementarbereich zurückzuführen. Durch die weiteren Untersuchungen ist mittlerweile manches geradegerückt.

An den ersten nationalen PISA-Befunden habe ich kritisiert, dass sie unberücksichtigt ließen, dass in Baden-Württemberg ein Drittel der Schülerinnen und Schüler über einen mittleren Abschluss und den Besuch eines beruflichen Gymnasiums den Zugang zur Hochschule erreichen. Aber trotzdem erzielt Baden-Württemberg national Bestnoten hinsichtlich geringer sozialer Disparitäten – die Gretchenfrage an jedes Bildungssystem.

(Zuruf von der SPD)

Ich rede über den Antrag meiner Fraktion. – Bei Einbeziehung des Weges über die beruflichen Vollzeitschulen zeigt sich ein gerade in dieser Hinsicht auch international sehr hohes Niveau unseres gegliederten Schulsystems. Das verpflichtet uns allerdings auch – das will ich schon dazusagen –, Engpässe auf diesem Weg nicht zuzulassen.

Die IGLU-Untersuchungen bescheinigen unseren Grundschulen höchste Leistungsfähigkeit. Gerade bezüglich der Förderung leistungsschwacher Kinder liegen wir mit ihnen international nach den Niederlanden und Lettland an der Spitze, meine Damen und Herren. Das darf selbstverständlich kein Freibrief dafür sein, in den Anstrengungen für eine weitere intensivierte frühe Förderung, insbesondere für eine frühe sprachliche Förderung, nachzulassen. Wir wissen, dass zunehmend auch Schülerinnen und Schüler ohne Migrationshintergrund dieser frühen Förderung bedürfen. Die Stärkung des Bildungsauftrags des Kindergartens und seine noch engere Verzahnung mit der Grundschule – darauf haben Sie, Frau Rudolf, gerade hingewiesen – bleiben hierfür wichtige Bedingungen; da sind wir uns völlig einig. Die gemeinsame Zuständigkeit des Kultusministeriums für beide Bereiche schafft dafür auch administrativ verbesserte Voraussetzungen.

Um die verstärkte Förderung derjenigen, die Schwierigkeiten haben, schulische Anforderungen zu erfüllen, geht es richtigerweise auch bei der Einführung von Bildungsstandards. Baden-Württemberg hat hierbei – Sie wissen es – die Vorreiterrolle übernommen. Im Kern geht es darum – ich habe es hier im Hause bereits ausführlich dargelegt –, mit den Bildungsstandards Mindestanforderungen zu formulieren, die von allen Schülern, auch den schwächeren, erfüllt werden müssen. Schule muss sich also mehr als bisher, und zwar innerhalb der jeweiligen Schulart, um die Schülerin

nen und Schüler kümmern, die Schwierigkeiten haben, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Ich glaube, da sind wir uns auch einig. Das ist die so genannte Outputsteuerung, das ist der Paradigmenwechsel, die mit der Einführung von Bildungsstandards vorgenommen werden. Das ist das Gegenteil von „Alter Wein in neuen Schläuchen“.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und des Abg. Wacker CDU – Abg. Wintruff SPD: Rasen- der Beifall bei der FDP/DVP! – Gegenruf des Abg. Göschel SPD: Aber nicht geschlossen! Theurer hat nicht geklatscht!)

Das Wort erhält Frau Abg. Rastätter.

Verehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Ein Wort der Rückmeldung an Sie, Herr Kleinmann, weil Sie wieder die Schule in Amtzell erwähnt haben:

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ja!)

Die Schule in Amtzell ist keine Hauptschule mehr. Sie ist genehmigt als Versuchsschule des Landes Baden-Württemberg und heißt mittlerweile „Ländliches Schulzentrum“. Das ist die erste Schule in Baden-Württemberg, die nicht mehr nach Schularten etikettiert ist. Es ist eine Schule, wie wir sie uns künftig vorstellen,

(Abg. Zeller SPD: Das weiß Herr Kleinmann halt alles nicht! – Gegenruf des Abg. Kleinmann FDP/ DVP: Das weiß ich schon!)

eine Schule, die Kinder integrativ zu einem mittleren Bildungsabschluss und zu einem Hauptschulabschluss führt. Dort findet soziales Lernen verbunden mit individueller Förderung statt. Diese Schule hat eine Vorbildfunktion. Ich frage Sie: Warum soll so etwas in Baden-Württemberg nicht flächendeckend möglich sein?

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Zeller SPD: So ist es! – Abg. Wintruff SPD zu Abg. Kleinmann FDP/DVP: Was sagst du jetzt dazu?)

Ein solches Erfolgsmodell muss doch geradezu in die Fläche getragen werden.

Die Bildungsplanreform – das habe ich in der Vergangenheit schon gesagt – geht zwar grundsätzlich in die richtige Richtung, hat aber zwei ganz wesentliche Kardinalfehler. Zum einen halte ich es für einen riesigen Fehler, dass die jetzt kommenden Vergleichsarbeiten benotet werden müssen. Denn wenn wir uns erfolgreiche Bildungssysteme anschauen, stellen wir fest, dass dort Vergleichsarbeiten immer eine Rückmeldung an die Schule geben, ob sie die Qualität, die von ihr erwartet wird, und die Bildungsstandards erreicht. Wenn sie sie nicht erreicht, hat sie ein Problem und muss unverzüglich Verbesserungen einleiten. In dem Augenblick aber, in dem Vergleichsarbeiten benotet werden, passiert wieder das Gleiche, was wir in der Vergangenheit hatten: Es wird gepaukt für die Tests, „teaching for the tests“. Das führt gerade nicht zu einer besseren indi

viduellen Förderung der Kinder und nicht zu einer Qualitätsverbesserung der Schule. Deshalb müssen wir dringend dafür sorgen, dass diese Vergleichsarbeiten wirklich als echtes Evaluationsinstrument der Schule eingesetzt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen)

Zweiter Kardinalfehler der Bildungsplanreform: Wir haben schulformabhängige Bildungsstandards. Damit wird verhindert, was bei PISA erstmalig möglich war, dass die Leistungen von Schülern über die Schularten hinweg zu einem bestimmten Zeitpunkt verglichen werden können. Das ist mit den schulartabhängigen Bildungsstandards gar nicht möglich, und möglicherweise ist es auch gar nicht erwünscht. Denn dann würde man ja feststellen, dass es an allen Schularten Kinder mit gleicher Begabung und gleicher Leistung gibt. Diese Leistungsüberlappung hat sich gerade bei PISA gezeigt.

Deshalb werden wir Grüne uns weiterhin dafür einsetzen, dass wir schulformübergreifende Bildungsstandards bekommen und dass als erster Schritt die Niveaukonkretisierungen schulartübergreifend umgesetzt werden.

Es passt auch, meine Damen und Herren, überhaupt nicht zu einer Stärkung der Selbstständigkeit und Eigenverantwortung von Schulen, dass wir mit der dreistufigen Übergangsregelung von der Grundschule in die weiterführenden Schulen ein bürokratisches Monster als Verfahren haben. Ich sage bewusst: Das ist ein bürokratisches Monster. Denn es gibt kein Einvernehmen mit den Eltern. Eine freie Wahl nach der Grundschule haben nur die Eltern, die sowieso schon eine freie Wahl haben, nämlich alle diejenigen, deren Kinder Gymnasialempfehlung bekommen. Sie können natürlich die Schulart wählen. Aber alle diejenigen Kinder, die eine Empfehlung für die Hauptschule bekommen, sind gezwungen, dort hinzugehen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Wieso?)

Sie werden in ein Verfahren getrieben, bei dem am Schluss über eine Aufnahmeprüfung, die eine Ausnahmesituation für Kinder darstellt, ein unglaublicher Stress und Druck auf die Kinder ausgeübt wird.

(Abg. Rückert CDU: Ja, liebe Zeit!)

Zusätzlich werden sie noch stigmatisiert, wenn sie bei dieser Prüfung durchfallen.

Die verpflichtende Grundschulempfehlung führt zu einer extremen Belastung des pädagogischen Klimas an der Grundschule. Das pädagogische Klima wird zunehmend vergiftet, es wird ein Druck ausgeübt auf Kinder, auf Eltern, auf Lehrkräfte, und damit ist der originäre Bildungs- und Erziehungsauftrag der Grundschule zunehmend gefährdet.

Gerade weil es so ist, Herr Kollege Wacker, weil die Grundschule als eine Schule für alle tatsächlich gut abschneidet,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Ja!)

ist es nicht gerechtfertigt, dass dieser zunehmende Druck auf die Grundschule immer mehr verschärft wird. Deshalb ist es ganz wichtig, diesen Druck der verpflichtenden

Grundschulempfehlung aus der Grundschule herauszunehmen.

(Beifall bei den Grünen)

Meine Damen und Herren, wir Grüne verlangen mit unserem Antrag überhaupt nichts Abwegiges. Der VBE – der Verband Bildung und Erziehung –, der Lehrerverband im Beamtenbund, die Praktiker an den Grundschulen, sie alle verlangen, dass endlich „der viel gepriesenen Pädagogisierung der Grundschule zum Erfolg verholfen werden muss durch die Weitergabe der Übergangsentscheidung in den Verantwortungsbereich der Eltern nach einer umfassenden, verbindlichen und zu dokumentierenden Beratung durch Grundschullehrkräfte unter Einbeziehung der Beratungskompetenz von Beratungslehrerinnen bereits ab der dritten Klasse“.

(Glocke der Präsidentin)