Protokoll der Sitzung vom 09.11.2006

(Heiterkeit – Abg. Ursula Haußmann SPD: Die zi- tieren Sie nie!)

und der Philologenverband, dem ich persönlich angehöre, stehen der Evaluation sehr positiv gegenüber, natürlich mit der allzu verständlichen Forderung nach mehr Stunden bzw. nach einem größeren Zeitbudget, wie sie es zu nennen pflegen. Aber hier ist wichtig: Beide – sowohl die GEW als auch der Philologenverband – stimmen mit uns darin überein, dass Evaluation weder ein Kontroll- noch ein Rankinginstrument darstellt und schon gar nicht dem Ziel dienen soll – der Minister hat es eben eindeutig dargelegt –, Schulen oder gar einzelne Kollegen an den Pranger zu stellen.

Selbstevaluation, Fremdevaluation und die daraus resultierenden Zielvereinbarungen dienen – das ist das Entscheidende – allein einem Ziel, nämlich der Verbesserung der Unterrichtsqualität. Aus diesem Grunde gehe ich davon aus, dass gerade dieses Anliegen auch in Ihrem Sinne ist, und freue mich auf die weiteren Beratungen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Dr. Mentrup das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eingangs eine kleine persönliche Erinnerung. Als ich mit knapp elf Jahren als Schüler aufs Gymnasium kam und gleich meine ersten Erfahrungen in der Schülermitverantwortung hatte,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wann war das?)

war ich begeistert. Da gab es Vollversammlungen in Turnhallen und Direktwahlen der Schülersprecher, und man hatte eifrige Diskussionen darüber, wie man die Schülermitverantwortung in Baden-Württemberg denn weiterentwickeln könnte und wie vermieden werden kann, dass es zu dem kommt, was zeitweise behauptet wurde: Es könnte sich daraus ein politischer Sandkasten entwickeln.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Ist das jetzt im Landtag auch so?)

Nun, Sie wissen, die Entwicklung ist weitergegangen. Als ich mich später als Schülersprecher zur Wahl stellte, gab es keine Vollversammlung und keine Direktwahl mehr. Man musste bei den Lehrern bitteln und betteln, damit man sich den Schülerinnen und Schülern als Kandidat überhaupt einmal vorstellen konnte. Anschließend wählte einen der Schülerrat, und die Diskussion um das imperative Mandat hat schon damals in der Schule angefangen.

(Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: Genau!)

Ich bin sehr froh, dass ich ausgerechnet heute zu einem Gesetzentwurf sprechen darf, der versucht, ein Stück dieser jahrzehntelangen Entdemokratisierung ansatzweise wieder zu verändern. Wir sind nämlich endlich an dem Punkt angekommen, an dem man die Schule als Verantwortungsgemeinschaft aller begreift.

Ich bin auch sehr froh, dass dies mit dem Thema Evaluation verknüpft ist. Denn in der Tat kann man keine Evaluation mit gleichberechtigten Partnern an einer Schule durchführen, wenn man nicht jedem dieser Partner nicht nur die Möglichkeit gibt, mitzureden und mitzuwirken, sondern auch die Möglichkeit, mitzugestalten und mitzuverantworten.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter GRÜNE)

Daher begrüßen wir die Intention dieses Gesetzentwurfs in beiden Teilen ausdrücklich: Evaluation und mehr Demokratie an der Schule.

Sie sind über drei Hürden gesprungen, Herr Minister Rau. Wir würden Ihnen mit unseren Vorschlägen gern helfen, nicht nur jeweils die erste, sondern gleich auch schon die nächste Hürde zu nehmen.

Das Erste: Sie erkennen jetzt endlich an, dass die bisherigen Mitwirkungsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler nicht ausreichen, was Sie in den letzten Jahren immer noch bestritten haben. Dass das im Zusammenhang mit der Evaluation passiert, hatte ich angedeutet. Lassen Sie uns jetzt aber weiter springen und uns auch über zusätzliche und vertiefte Mitwirkungsmöglichkeiten weiter diskutieren.

Wir werden dazu Vorschläge machen. Das besprechen wir im Fachausschuss.

Sie erkennen damit aber auch noch einmal an – das ist angesichts der gestrigen Diskussion um die Schulsozialarbeit außerordentlich wichtig –: Schule ist keine allein fachpädagogische Veranstaltung mehr, sondern es geht um eine Verantwortungsgemeinschaft der verschiedenen Gruppen. Schule lässt sich nur dann erfolgreich durchführen und in die Zukunft führen, wenn man allen diesen Gruppen das entsprechende Recht im Rahmen der Organisation, vor allem aber auch der Identitätsfindung gibt. Die Schulkonferenz beschließt ja nicht alles bindend, was im Schulablauf vorkommt, sondern sie beschränkt sich sehr stark auf Punkte, die etwas mit der Profilierung und auch der Identifizierung der einzelnen Schule zu tun haben.

Warum aber springen Sie so kurz? Warum sagen Sie nicht: „Es gibt auch noch andere Berufsgruppen, die wir in der Schule brauchen“? Warum haben wir gestern – leider ohne Sie – eine Diskussion geführt, die den Eindruck erweckte, die Jugendhilfe wolle die Schulsozialarbeit in die Schule hineinprügeln? Es sind doch die Lehrerinnen und Lehrer selbst, die sagen: „Wir brauchen zusätzliche berufliche Kompetenz. Wir brauchen zusätzliche Berufsgruppen an der Schule.“ Dann lassen Sie uns diese alle doch auch im Schulgesetz so verankern, dass sie sich gegebenenfalls auch in der Schulkonferenz wiederfinden. Auch dazu werden wir Vorschläge machen.

Auch die dritte Hürde finde ich sehr bemerkenswert. Sie reagieren nicht so, dass Sie ein gesellschaftliches Problem mit jahrelangen Projekten und Projektphasen beantworten möchten, sondern Sie sagen hier: „Wir brauchen zur Qualitätsentwicklung Evaluation. Dann muss sie auch gleich ins Schulgesetz.“ Eine ähnliche Konsequenz hätte ich mir auch gern beim Thema Ganztagsschule gewünscht, denn auch das ist unzweifelhaft eine wichtige Ausrichtung auf die Zukunft. Auch die gehört ins Schulgesetz.

(Beifall bei der SPD)

An dieser Stelle zeigen Sie eine Konsequenz, wie Sie sie gern öfter zeigen könnten. Auch dazu werden wir Ihnen erweiterte Vorschläge machen, die wir im Fachausschuss diskutieren können.

Enttäuscht sind wir davon, wie die Gegenfinanzierung dieser Evaluation aussehen soll. Es ist schon zynisch, dass ich allein in der Stadt, aus der ich komme, in den letzten zwei Monaten gegen die schlechte Unterrichtsversorgung demonstrierende Gymnasiasten und Berufschülerinnen und Berufschüler erleben musste.

(Abg. Rudolf Köberle CDU: Bei mir nicht!)

Hier geht es nicht nur um 280 Stellen – die sich ja übrigens aufgrund weiterer Ankündigungen von Ihnen mittlerweile schon auf 1 600 Stellen ausweiten, die man sperrt und damit dem aktiven Schuldienst vor Ort entzieht –, sondern es geht auch darum, wie Sie Motivation in einer Lehrerschaft schaffen wollen, wenn ein Platz im Lehrerzimmer frei bleibt, weil die zugehörige Lehrerstelle in das Institut, das die Evaluation begleitet, delegiert wurde. Wie soll den Leh

rern dann der Eindruck vermittelt werden, es mache Spaß und es mache Sinn, an dieser Art von Qualitätsverbesserung mitzuwirken, wenn sie gleichzeitig den Eindruck bekommen, es kämen zusätzliche Aufgaben hinzu, die sie auch noch bewältigen müssten?

(Beifall bei der SPD und des Abg. Siegfried Leh- mann GRÜNE)

Sie haben einige Ängste angesprochen, und das ist ganz wichtig. Es geht nicht darum, ein Gängelungs- und Bewertungsinstrument für Lehrerinnen und Lehrer zu finden, und es geht auch nicht darum – auch wenn die Presse das leider zum Teil so thematisiert hat –, einen Schul-TÜV dergestalt zu schaffen, dass von außen alle zwei Jahre jemand einfliegt – so, wie man das bei den Autos kennt –, einen Stempel aufdrückt und dann wieder entschwindet. Vielmehr geht es darum, eine Verantwortungsgemeinschaft zu definieren, die Ziele verfolgt und die in einem gemeinsamen Diskussionsprozess überprüft, ob sie diesen Zielen näherkommt oder nicht, und dann gegebenenfalls auch noch durch eine Fremdevaluation abzugleichen, wie die Ziele denn anderswo erreicht werden und wie die Diskussion dort aussieht. Das ist unser Ziel.

Um diese beiden Ängste auszuräumen, sollten wir uns auf den Weg begeben, diese auf einen Nenner zu bringen. Ich hatte es bereits angedeutet: Je mehr Mitwirkungs-, Mitverantwortungs- und Mitgestaltungsrechte wir den einzelnen Gruppen in der Schule geben, desto eher und desto besser können wir genau diesen Ängsten entgegenwirken. Denn dann steht nicht mehr die Lehrerin oder der Lehrer im Fokus, sondern die gesamte Schulgemeinschaft mit all ihren Teilbereichen. Dabei geht es um Qualitätsverbesserung und nicht um Zeugnisnoten oder um eine Art TÜV, der eine „Scheinbeurteilung“ abschließt und danach wieder entschwebt.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich im Sinne einer Aufsatzbewertung zusammenfassen: Die Überschrift Ihres Entwurfs stimmt, die Einleitung ist okay, und auch das Ziel, das Sie unten beschreiben, ist in Ordnung. Aber im Hauptteil, Herr Minister, könnte man noch etwas mehr Fleisch an die Rippen bringen und ein bisschen tiefer schürfen.

Wenn ich mir den heutigen Tag und das heutige Datum vergegenwärtige, dann stelle ich fest, dass von diesem Datum auch eine Mahnung ausgeht. Wir müssen uns stärker demokratisieren, wir müssen stabile demokratische Systeme in allen Gesellschaftsbereichen entwickeln, und wir müssen auch den Einzelnen so einbinden, dass er oder sie dennoch zusätzlich Zivilcourage zeigt und seinen bzw. ihren aktiven Part in diesem demokratischen System übernimmt. Dazu haben Sie einen Auftakt gegeben und einen Aufschlag gemacht, den wir gerne noch ein bisschen weiterführen würden. In diesem Sinne freue ich mich auf die weitere Zusammenarbeit.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen sowie des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Das Wort erteile ich Frau Abg. Rastätter für die Fraktion GRÜNE.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Tat so: Der Gesetzentwurf weist in die richtige Richtung.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Schön!)

Wir Grünen haben seit vielen Jahren gefordert, die Beteiligungsrechte von Eltern sowie von Schülerinnen und Schülern an den Schulen zu stärken. Wir haben auch wirksame Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Schulen eingefordert. Dazu gehören insbesondere die Stärkung der pädagogischen Freiräume der Schule, die Eigenverantwortung der Schule, aber vor allem auch die interne und die externe Evaluation, die Rechenschaftspflicht und die Herausforderung, daraus dann auch die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.

So richtig also der heute vorgelegte Ansatz ist – er wurde ja auch in der Anhörung von den Sachverständigen als richtig bestätigt –, so bedarf er doch einer erheblichen Verbesserung, und zwar zum einen mit Blick auf den Vorschlag einer stärkeren Demokratisierung der Schule – da springen Sie zu kurz – und zum Zweiten bezüglich der Art und Weise, wie die Evaluation eingeführt und umgesetzt werden soll.

Zunächst zur Demokratisierung der Schule: Natürlich ist es richtig, jetzt die seit Langem bestehenden Forderungen der Schülerinnen und Schüler – das hat ja auch mein Vorredner ausgeführt – endlich im Schulgesetz festzuschreiben. Es ist auch richtig, dass jetzt die Mitbestimmungsrechte der Schulkonferenz erweitert werden. Das sind die Konsequenzen aus der Bildungsplanreform. Aber wir müssen natürlich insgesamt die schulische Demokratie stärken.

Entscheidend ist dabei, welche Stimmrechte Eltern und Schülerinnen und Schüler in der Schulkonferenz haben. Wir haben das schon in der Vergangenheit gefordert und finden, dass jetzt der richtige Zeitpunkt dafür ist, im Schulgesetz zu verankern, dass Lehrer und Lehrerinnen, Schüler und Schülerinnen und Eltern in der Schulkonferenz gleiche Stimmrechte haben. Das ist mit Sicherheit eine große Herausforderung für die Schulen, auch für die Lehrer und Lehrerinnen. Aber wenn wir in diesem wichtigsten schulischen Gremium die gleichen Stimmanteile haben, dann wird eine demokratische Konsensfindung bei wichtigen Zielen der Schule bedeutsamer werden, und dadurch werden wir die Erziehungspartnerschaft an den Schulen erheblich stärken.

Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, Sie reden ja auch immer von der Stärkung der Erziehungspartnerschaft. Ministerpräsident Oettinger hat in der Vergangenheit populistisch gefordert, die Eltern stärker in die Pflicht zu nehmen, unter anderem durch die Pflicht zum Besuch des Elternabends.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Was ist daran populistisch?)

Das ist populistisch.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Das ist notwen- dig, Frau Rastätter, dringend notwendig!)

Ich frage Sie: Wie will er die Eltern zwingen, zum Elternabend zu kommen? Diesen Nachweis ist er bis jetzt noch schuldig geblieben.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Wenn er es nicht macht, ist das dann undemokratisch?)

Jetzt haben Sie die Chance, zu beweisen, wie wichtig es Ihnen ist, dass die Eltern mehr Stimmrechte in der Schule bekommen. Lassen Sie uns diesen ersten wichtigen Schritt machen, und dann können wir sehen, wie wir auch die Pflichten erweitern.

Meine Damen und Herren, die Evaluation ist eine riesige Herausforderung für die Lehrer und Lehrerinnen an der Schule. Herr Kultusminister Rau, ich stimme Ihnen völlig zu: Evaluation kann nur in einer Atmosphäre des Vertrauens an der Schule geschehen. Auch wir lehnen eine Veröffentlichung der Ergebnisse und ein Ranking ab. Evaluation heißt nicht Bundesliga spielen, sondern Evaluation ist eine Vergewisserung: Wo stehen wir? Was müssen wir als nächstes Ziel erreichen? Wo sind unsere Stärken? Wo müssen wir uns weiterentwickeln? Dazu brauchen die Schulen natürlich vor allem professionelle Hilfe und Unterstützung.

Damit komme ich auch gleich zu den Schwachpunkten der Evaluation in Baden-Württemberg. Denn leider ist die professionelle Vorbereitung mit schweren Mängeln behaftet. Lehrerinnen und Lehrer wurden ausschließlich in einer Schnellbleiche auf die Evaluation vorbereitet. Es gibt keinerlei zusätzliche Mittel, weder für die Fortbildung der Lehrer und Lehrerinnen noch für die Einsetzung von Evaluationsteams. Die Mittel werden aus der Unterrichtsversorgung herausgenommen. Es gibt nicht einmal zusätzliche Fortbildungsmittel – ganz abgesehen davon, dass natürlich auch Lehrerstellen nicht besetzt werden und dass Lehrerstellen in andere Bereiche abgezogen werden.