Protokoll der Sitzung vom 14.03.2007

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Frau Sozialministerin hat auf die gesamtgesellschaftliche Dimension der Diskussion hingewiesen und hat auch darauf hingewiesen, dass wir uns über die Ziele einig sind. Da hat sie recht. Wir sind uns aber natürlich nicht einig über den Weg dahin. Da beginnen die Unterschiede.

Ich möchte Ihnen noch einmal die Punkte benennen, die wir Grünen vorschlagen: Zum einen soll es einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab einem Jahr geben, zum Zweiten treten wir für den stufenweisen Ausbau der Versorgungsquote bis zum Jahr 2010 auf durchschnittlich 25 % ein. Das heißt, das wäre in jedem Jahr ein Ausbauschritt von vier Prozentpunkten.

Sehr geehrte Frau Sozialministerin Stolz, das ist kein Aktionismus, sondern ein geordnetes Verfahren, wie Sie es auch eingefordert haben. Es ist ganz klar: Wenn wir jedes Jahr einen Ausbau um vier Prozentpunkte haben, dann kommen wir bis zum Jahr 2010 auf 25 %. Wenn dann in diesen Ausbauschritten von vier Prozentpunkten weitergemacht wird, kommt man übrigens genau auf 35 % im Jahr 2013.

Zum anderen möchten wir eine Erhöhung der Betriebskostenbeteiligung des Landes auf 30 %.

Zum Thema Finanzierung: Kollege Klenk, ich meine, es ist ganz klar – ich habe das auch vorhin schon gesagt –: Wenn sich der Bund einmischt, muss er auch sagen, woher das Geld kommen soll. Darin sind wir uns einig. Ich glaube, dass wir jetzt im Rahmen der Föderalismusreformkommission II die Möglichkeit haben, die Steuereinnahmen neu zu verteilen und auch zu prüfen, welche Möglichkeiten es gibt, um Bundesgeld für den Ausbau der Kleinkindbetreuung zur Verfügung zu stellen. Ich verstehe nicht, aus welchen Gründen man sich diesem Ansinnen versperren kann. Wir haben jetzt die Föderalismusreformkommission II, und somit besteht jetzt die Möglichkeit, zu prüfen. Ich glaube, diese Zeit sollten wir uns nehmen, um die Vorschläge auch ordentlich zu diskutieren.

Ein letztes Wort: Was machen denn die anderen Bundesländer? Wir sind in diesem Bereich Mittelmaß. Aber wer will schon Mittelmaß sein? Normalerweise wollen wir doch immer spitze sein.

(Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU: Wir haben die meis ten Kinder! Unsere Familien haben die meisten Kin- der! Wir sind spitze! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Wir haben immer noch die meisten Kinder!)

Schauen wir uns einmal Nordrhein-Westfalen an. In Nord rhein-Westfalen trägt das Land zukünftig 32,1 % der Betriebskosten.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Oh! Dieses arme Land!)

Und Hessen will jährlich 45 Millionen € in die Förderung von Einrichtungen und Tagesbetreuungsangeboten stecken.

(Zuruf des Abg. Dr. Stefan Scheffold CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde, da muss das Land Baden-Württemberg doch noch ganz kräftig zulegen, um im vorderen Drittel mitzuspielen.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Wenn überhaupt!)

Ich möchte Ihnen gern nochmals Frau von der Leyen aus der Plenardebatte in der letzten Woche in Berlin zitieren:

Ich sage als Familienministerin ganz selbstbewusst: Ungefähr ein Drittel aller Eltern hat Bedarf an einem Betreuungsangebot. Dies ist im Übrigen europäischer Durchschnitt. Im Augenblick jedoch liegen wir, was die Betreuungsmöglichkeiten angeht, noch im unteren Drittel.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: 8 %!)

Diese Zahl ist durch das Deutsche Jugendinstitut, eines der renommiertesten deutschen Institute, die auf diesem Gebiet forschen und veröffentlichen, bestätigt worden.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Schrecklich!)

Dies ist Barcelonastrategie.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen hier nicht so tun, als ob wir die Bedarfe und die Bedürfnisse ganz neu erforschen müssten. Die Bedarfe liegen auf dem Tisch.

Kollege Noll, Sie wissen, dass bei der Bedarfsermittlung natürlich der Elternwunsch zählt, aber dass als Kriterium auch die Erwerbstätigkeit der Eltern zählt. Darüber muss man nicht lange forschen. So werden heutzutage Bedarfe ermittelt, und so kommen wir auf die Bedarfe zwischen 30 und 35 %. Das ist keine Ideologie, das ist nicht aus der Luft gegriffen, sondern das sind Fakten.

Ich sage abschließend: Wenn wir für ein bedarfsgerechtes Angebot hier in Baden-Württemberg sorgen, dann ist auch gewährleistet, dass wir den Eltern und den Kindern große Diens te tun. Wir können es uns nicht leisten, Zeit zu vertun, nur weil wir uns über die Zuständigkeiten nicht einigen können. Es geht doch ums Handeln. Es geht um das Wohl der Kinder und Familien in Baden-Württemberg.

Von daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns diesen Schritt mutig angehen. Lassen Sie uns althergebrachte Vorurteile aufgeben und in diesem Zusammenhang keine rückwärtsgewandten Familiendiskussionen führen, sondern lassen Sie uns über die Realitäten diskutieren und gemeinsam über das Wohl der Kinder und Familien streiten.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe überhaupt nicht bestritten, dass es seriöse Bedarfsberechnungen gibt. Aber ich will mich jetzt erst einmal mit den Bedürfnissen beschäftigen, nicht mit den Bedarfen. Ich halte es weder für modern noch altmodisch oder sonst etwas, sondern ich will einfach einmal die Bedürf

nisse von Eltern und ihren Kindern in den Mittelpunkt stellen und nicht die eigenen Vorstellungen, wie denn Familie zu leben sei.

(Beifall der Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP)

Das Leben ist sehr vielfältig, und eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte man nicht tun: Man sollte niemandem ein schlechtes Gewissen einreden, nicht den Eltern, die sich bewusst für ein längeres Zuhausebleiben entscheiden, genauso wenig den Eltern – –

(Abg. Brigitte Lösch GRÜNE: Das macht doch auch niemand!)

Ein bisschen hatte ich jetzt schon das Gefühl. – Ich wollte darauf eingehen,

(Zuruf von der SPD)

dass es wirklich eine freie Entscheidung sein soll. Dazu müssen Angebote vorhanden sein; da stimme ich völlig mit Ihnen überein. Wir lehnen nur starre Quoten, die einheitlich über das Land gelegt werden, ab, weil dies häufig nicht den tatsächlichen Verhältnissen entspricht und auch unterschiedliche Angebote möglich sein müssen.

Jetzt noch einmal zu Ihnen, Frau Kollegin Lösch: In der Debatte ist doch wieder folgende Frage deutlich geworden – Kollege Klenk hat es angesprochen –: Müssen wir bei dem Thema Betreuung eigentlich alles der Wirtschaft unterordnen, als wäre das der vorrangige Sinn? Natürlich ist es auch ein Ziel, vermehrt Frauen in Arbeit bringen zu können. Aber das ist doch nicht ein Wirtschaftsbedürfnis, sondern das ist ein Bedürfnis dieser Menschen,

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Familien!)

die gut ausgebildet sind, die studiert haben und ihren Beruf ausüben und trotzdem Familie haben wollen. Deshalb darf man das nicht gegeneinander ausspielen. Doch witzigerweise nimmt das jede Seite für sich als Argument in Anspruch.

Ich erinnere mich, Frau Vogt: Als es um die Freigabe der Ladenöffnungszeiten ging, haben Sie furchtbar darüber lamentiert, dass damit das traditionelle Familienleben nicht mehr möglich sei.

(Abg. Ute Vogt SPD: Nein, das muss nicht traditio- nell sein!)

Einmal nimmt die eine Seite dies zum Anlass, zu sagen, dass alles nicht gehe, einmal die andere. Lasst uns da ganz unideo logisch die Realitäten sehen. Danach ist manchmal mehr Familie möglich, als man sich das vorstellen kann.

Zu den Bedürfnissen der Kinder: Es ist in der Tat nicht so – die Frau Ministerin hat noch einmal darauf hingewiesen –, dass sich der, der sich für außerfamiliäre Betreuung entscheidet, aus der Verantwortung verabschiedet. Erziehung und Bildung finden trotzdem in der Familie statt; das ist überhaupt keine Frage. Wenn eine zufriedene Elternschaft zusammen mit den Betreuern das Kind gedeihlich aufwachsen lässt, ist allen gedient.

Es ist ein wichtiger Schritt, dass wir sagen: Kinderbetreuung hat auch einen erzieherischen und einen Bildungsaspekt, denn gerade in Zeiten, in denen viele Kinder als Einzelkinder aufwachsen, ist es ein Wert per se, dass Kinder frühzeitig mit anderen Kindern in Kontakt kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Von daher brauchen wir nicht über moderne oder altmodische, sondern einfach nur über realistische Perspektiven zu reden.

Eine letzte Bemerkung zum Thema Finanzierung. Was noch nicht thematisiert worden ist, was ich aber für wichtig halte: Frau von der Leyen hat angekündigt, sie wolle prüfen, welche familienpolitischen Leistungen über den Bundeshaushalt insgesamt gewährt werden und ob alle zielgenau ankommen. Das sind ganz erhebliche Summen. Unter der Maßgabe, nicht tausend neue Töpfchen aufzumachen, sondern den Familien klare Grundlagen für die materielle Existenz zu geben, können wir vielleicht Geld frei machen, um beides zu tun – einerseits Transferleistungen bieten und andererseits für Kinder ein gutes Betreuungsangebot schaffen –, damit junge Menschen nicht wieder vor die Wahl gestellt werden, sich entweder für das eine oder für das andere entscheiden zu müssen, sondern die Freiheit haben, beides miteinander zu vereinbaren, Familie und Beruf, und übrigens auch die Freiheit haben, zu wählen, in welcher Form sie dann ihre Kinder betreuen lassen wollen. Das wollen wir gemeinsam, Land und Kommunen, mit den Eltern vor Ort organisieren.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich der Ministerin für Arbeit und Soziales Dr. Stolz.

Die Irritation darüber, wie man hier von der linken Seite mit dem TAG umgeht, treibt mich jetzt nochmals ans Rednerpult, um etwas klarzustellen, was das geordnete Verfahren der Bedarfs ermittlung betrifft.

Das Elterngeld ändert an dem Tagesbetreuungsausbaugesetz überhaupt nichts.

(Zuruf der Abg. Ute Vogt SPD)

Vor allem ist das Tagesbetreuungsausbaugesetz nach dem Elterngeld nicht eine Sache für die Mottenkiste, sondern das Tagesbetreuungsausbaugesetz hat zum Ziel, für Kinder unter drei Jahren Plätze in der Kindertagespflege vorzuhalten, wenn die Erziehungsberechtigten einer Erwerbstätigkeit nachgehen oder eine Erwerbstätigkeit aufnehmen. Das Elterngeld ändert an dieser Zielsetzung überhaupt nichts.