Protokoll der Sitzung vom 23.05.2007

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Halten Sie ein Drit- tel für zu wenig?)

Wir brauchen, Herr Röhm, künftig mehr Abiturienten in Baden-Württemberg. Dies ist eine Forderung, die vor allem gerade vonseiten der Wirtschaft an uns gestellt wird. Dem haben wir noch lange nicht entsprochen. Machen Sie da einmal Ihre Hausaufgaben, bevor Sie hier so sehr die Backen aufblasen!

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Für die Fraktion GRÜNE erhält Frau Abg. Rastätter das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Welchen Sinn haben diese heutige Debatte und die Tatsache, dass Sie Ihren Antrag zur Realschule hochgezogen

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Eingebracht haben, nicht hochgezogen!)

und ihn hier einen Tag vor der Debatte über den Brief von 100 Schulleitern aus dem Bodenseekreis eingebracht haben? Der einzige Sinn, den diese Debatte für Sie hat, ist offensichtlich,

sich hier als Retter der eigenständigen Realschulen aufzuspielen. Ich sage: Wir müssen vom Kind ausgehen. Es geht uns nicht um den Erhalt einer Institution um jeden Preis. Es geht uns um Lern- und Entwicklungsbedürfnisse von Kindern in diesem Land. Das müssen Sie endlich in den Blick nehmen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: So ist es!)

Meine Damen und Herren, die Realschule hat durch den neuen Bildungsplan, so wie das auch in der Stellungnahme steht, durchaus positive Impulse erhalten, die ich gar nicht aufzählen will; die stehen alle in der Stellungnahme. Auch Sie, Herr Kollege Hoffmann, haben sie aufgezählt. Aber wir müssen doch berücksichtigen: Die Realschule ist ein Teil des hoch selektiven, sozial ungerechten Bildungssystems.

(Abg. Dieter Kleinmann FDP/DVP: Warum denn? – Gegenruf von der CDU)

Die Realschule ist in der Vergangenheit – seit den Siebzigerjahren – in diesem hoch selektiven Schulsystem die Schulart der Bildungsaufsteiger gewesen.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: Ei, ei, ei! Jetzt komm!)

Ich habe Mitte der Siebzigerjahre als Realschullehrerin in Königsbach-Stein angefangen. Die Schüler und Schülerinnen waren die ersten Bildungsaufsteiger aus den umliegenden Dörfern. Die Kinder meiner ehemaligen Schüler gehen heute nicht mehr auf diese Realschule; ihre Kinder gehen heute alle aufs Gymnasium.

(Abg. Klaus Herrmann CDU: Immer noch! – Heiter- keit)

Die Kinder sind jetzt in dem Alter, in dem sie in die Realschule gehen könnten. Das heißt konkret: Inzwischen hat die Realschule eine große integrative Kraft entwickelt. Heute besuchen die Schüler und Schülerinnen, die früher auf die Hauptschule gegangen wären, die Realschule. Meinen Sie, Sie können diesen Prozess stoppen und sagen: „Bis hierher und nicht weiter“? Wir müssen doch diese integrative Kraft, die in der Realschule steckt, weiter nutzen, damit wir die Realschulen durch eine bessere individuelle Förderung für Kinder, die heute in den Hauptschulen unter sich bleiben, für Kinder mit Migrationshintergrund, für Kinder aus sozial schwachen Familien weiter öffnen können. Ich finde es beschämend, welche Abschottungspolitik Sie betreiben und dass Sie nur an eine Institution denken und nicht an die Kinder,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ha no!)

die ebenfalls ein Recht auf einen Zugang zu höherwertiger Bildung haben.

(Beifall bei den Grünen – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jetzt tun Sie uns aber weh! – Gegenruf des Abg. Reinhold Gall SPD: Hoffentlich! – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Das ist richtig gemein! Das ist gemein, was Sie sagen! – Gegenruf des Abg. Rein- hold Gall SPD: Aber richtig ist das!)

Meine Damen und Herren, das ist in der Tat so. Ich kann Ihnen das noch einmal anhand der Schülerbewegungen aufzei

gen. Kollege Zeller ist schon auf die Schülerbewegungen eingegangen, die in der Tabelle aussagekräftig dargestellt sind.

Wir haben die Situation, dass die Realschule, vor allem im siebten, achten und neunten Schuljahr, einen erheblichen Zulauf aus den Gymnasien hat. Dieser Zulauf ist allerdings tendenziell abnehmend. Das heißt, dass auch am Gymnasium Lehrer und Lehrerinnen stärker ihre Verantwortung für eine integrative Förderung von Kindern übernehmen, und zwar trotz steigender Zahlen der Übergänge in die Gymnasien.

Zweitens haben wir die Situation, dass der Zulauf zur Realschule von der Hauptschule größer ist als der Rücklauf von Schülern aus der Realschule in die Hauptschule. Das ist insbesondere in den Klassen 5, 6 und 7 der Fall. Das heißt aber, dass die Eltern nach der Grundschulempfehlung für die Hauptschule alle Hebel in Bewegung setzen, ihre Kinder im fünften, sechsten und siebten Schuljahr noch in die Realschule zu bringen. Das hat zum Ergebnis, dass sich dadurch in der Hauptschule die soziale Selektion verstärkt: Es werden auch noch die letzten Vorbilder, die letzten Motoren an die Realschule abgegeben, und zurück bleiben deshalb noch mehr Kinder aus sozial benachteiligten Familien.

Statt jetzt zu überlegen, wie wir eine Lösung erreichen können, die Kinder aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen zusammenbringt, eine Lösung, durch die die Kinder auch von ihrer Heterogenität, ihrer Unterschiedlichkeit profitieren, statt auch zu überlegen, wie wir die Schulen besser mit Ressourcen ausstatten, statt solcher Überlegungen wollen Sie abschotten. Herr Kollege Hoffmann, noch ein Wort dazu: Es geht hier nicht um eine schlichte Zusammenlegung von Schularten, sondern es geht um eine innovative Schulentwicklung, wie wir sie aus anderen Ländern längst kennen. Es geht um neue Lern- und Schulkonzepte, die wir in Baden-Württemberg brauchen, damit wir in diesem Land endlich allen Kindern einen gerechten Zugang zu Bildung und Bildungserfolg ermöglichen. Deshalb müssen wir jetzt auf die Impulse, die wir aus ganz Baden-Württemberg bekommen, hören und dazu endlich konkrete Schritte ergreifen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kleinmann für die Fraktion der FDP/DVP.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Debatten und parlamentarische Initiativen zum Thema Realschule sind in diesem Haus vergleichsweise selten. Umso mehr freue ich mich, dass dieser Antrag von der CDU gestellt worden ist. Ich erinnere auch daran, dass die FDP/DVP-Landtagsfraktion vor sechs Jahren eine Große Anfrage zum Thema Realschulen eingebracht hat. Dies zu den Präliminarien.

Ich möchte gleich auf meine Vorredner eingehen. Herr Zeller, wenn Sie fragen, was ein Realschüler sei, ob er Realschulgene habe, frage ich: Was ist ein Hauptschüler, was ist ein Gymnasiast? Wir können selbstverständlich eine Einheitsschule machen und diese Schulen Gymnasien nennen, und dann gibt es halt wieder den Zug A, den Zug B und den Zug C. Das wäre aber genauso stigmatisierend, als wenn ich von Hauptschule, Realschule und Gymnasium spreche.

Wenn Sie sagen, dass die meisten Länder längere gemeinsame Grundschulzeiten, gemeinsame Lernzeiten haben, haben Sie ja völlig recht. Nur darf ich dann daran erinnern, dass bei PISA eindeutig zum Ausdruck kam, dass Baden-Württemberg international – nicht nur national, sondern international! – im oberen Drittel, ja sogar im oberen Viertel liegt, was die Erfolge unserer Schulen betrifft.

(Abg. Dieter Hillebrand CDU: So ist es! Jawohl!)

Wenn es darum geht, Frau Rastätter, zu fördern und zu fordern, sind wir uns ja völlig einig. Das ist das Ergebnis von PISA. Mir geht aber nie in den Kopf, warum, wenn ich eine größere Vielfalt habe, die Förderung schlechter sei, als wenn ich einen Einheitsbrei habe und alle beieinander sind. Das müssten Sie mir einfach einmal klarlegen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Aber das Thema heißt heute Realschule. Morgen führen wir die Strukturdebatte. Warum also ist die Realschule so erfolgreich? Und vor allem: Woran misst sich ihr Erfolg? Es gibt aus Sicht der FDP/DVP-Landtagsfraktion letztlich nur einen Maßstab, und der lautet: Wie bereitet die Realschule ihre Schülerinnen und Schüler auf ihr Leben in der Gesellschaft und im Beruf vor? Wohin entlässt sie ihre Absolventen?

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Jawohl!)

Seit Jahren besuchen mehr als ein Viertel der Realschulabsolventen, nämlich 28 %, anschließend ein berufliches Gymnasium und erwerben dort die Hochschulzugangsberechtigung. Das ist ein Beitrag zum Thema – Kollege Hoffmann hat darauf hingewiesen – „kein Abschluss ohne Anschluss“. Das ist aber auch ein Beitrag zum Thema „Abhängigkeit der Bildungsteilhabe von der sogenannten sozialen Herkunft“.

In den PISA-Untersuchungen – daran kann nicht oft genug erinnert werden – wird dieser baden-württembergische Weg über Realschule und das berufliche Gymnasium nicht berücksichtigt.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es! Das wis- sen die überhaupt nicht!)

Dieses gute Viertel der baden-württembergischen Realschülerinnen und Realschüler, die anschließend eine Hochschulzugangsberechtigung erwerben, ist bei PISA eben noch in der Realschule und wird hinsichtlich ihrer Bildungsteilhabe total falsch eingeschätzt.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Richtig!)

Das Statistische Landesamt hat vor wenigen Tagen, am 18. Mai dieses Jahres, mitgeteilt, dass im Jahr 2006 35 % der Ausbildungsverträge mit Jugendlichen geschlossen wurden, die einen Realschulabschluss haben. Immerhin 35 %, meine Damen und Herren! In absoluten Zahlen sind das knapp 27 000 Jugendliche – und damit praktisch verlustfrei jene drei Viertel der Realschulabsolventen, die anschließend nicht auf ein berufliches Gymnasium wechseln. Das ist die Realität dieser Schulart. Das ist ihr Erfolg.

Keiner von uns – auch niemand von Ihnen von der Opposition – sollte wollen, dass dieser Erfolg fahrlässig aufs Spiel ge

setzt wird. Es geht um unsere Kinder und um deren Zukunfts chancen. Aber auch in der Realschule muss der Erfolg ständig neu gesichert werden; das ist richtig. Die Realschule muss sich ebenfalls neuen Anforderungen stellen. Sie muss sich also kontinuierlich weiterentwickeln.

Das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport hat in seiner Stellungnahme dargelegt, auf welchen Feldern und mit welchen Zielen diese Weiterentwicklung gegenwärtig vor allem erfolgt. Ich will hier den Bereich des Fremdsprachenerwerbs hervorheben und dabei insbesondere den Ausbau des bilingualen Unterrichts – an der Rheinschiene auf Französisch; man mag es hören wollen oder nicht. Derzeit gibt es an etwa 25 % aller Realschulen im Land bilingualen Unterricht in einzelnen Fächern und in Unterrichtssequenzen. Ziel muss es sein, dies für möglichst viele Realschulen zu erreichen.

(Abg. Dietmar Bachmann FDP/DVP: Sehr richtig!)

Die Einführung themenorientierter Projekte ist ein richtiger und wichtiger Schritt zur Weiterentwicklung der Schulart Realschule. Passgenau für die Realschule lässt er bei jedem der vier obligatorischen Projekte die Handlungsorientierung und den Praxisbezug im Mittelpunkt stehen, und zwar jeweils in Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern, worauf wir besonderen Wert legen.

Mit diesem Lob stehe ich nicht allein. Der Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“ des Deutschen Bundestags hat sich vor zwei Jahren mit dem themenorientierten Projekt „Soziales Engagement“ befasst. Er hat festgestellt, dass dieses Beispiel auch in anderen Bundesländern Nachahmung finden sollte.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss: Die Realschule ist und bleibt ein Erfolgsmodell.

(Beifall der Abg. Hagen Kluck FDP/DVP und Karl Zimmermann CDU)

Sie eröffnet ihren Absolventinnen und Absolventen hervorragende Chancen – entweder direkt am Arbeitsmarkt oder auf dem Weg über das berufliche Gymnasium zum Studium.

Nicht zuletzt: Ich bedanke mich dafür in gleicher Weise wie Sie, Herr Zeller, bei den engagierten Lehrerinnen und Lehrern der Realschule. Ich danke ihnen für ihre Arbeit. Gemeinsam mit ihnen sind wir auf einem guten Weg.

Ich danke Ihnen.