Meine Damen und Herren, wie kann es passieren, dass nahezu 17 000 Einsatzkräfte in Heiligendamm und in der Umgebung anscheinend nicht in der Lage sind, 2 000 Gewalttäter in Schach zu halten? Dies muss hinterfragt werden.
Wenn bislang nur ein Straftäter verurteilt wurde – zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten ohne Bewährung; prima, kann ich da nur sagen – und nur gegen zehn weitere Personen Ermittlungsverfahren anhängig sind, dann muss es hier einfach Versäumnisse der Sicherheitsbehörden und der Justiz geben, die aufgearbeitet werden müssen. Nicht von mir, sondern aus den Reihen der Polizei stammt die Formulierung, dass auch einsatztaktische Fehler gemacht worden sind.
Die Verantwortung der Veranstalter, Herr Kollege Blenke, will ich auch ansprechen. Veranstalter solcher Veranstaltungen sind auch verpflichtet, mit dafür Sorge zu tragen, dass solche Randalierer in ihren Reihen keine Rückzugsgebiete finden können.
Ob der Ertrag des G-8-Gipfels – das will ich zum Ende der ersten Runde sagen – den Aufwand, der betrieben wurde, rechtfertigt, will ich an dieser Stelle eigentlich nicht diskutieren. Aber wenn Abertausende von Sicherheitskräften und Hunderte von Stäben, die bei den Sicherheitsbehörden, die dort zugange waren, eingerichtet wurden, Ausgaben von 100 Millionen € hervorrufen für das pure Lippenbekenntnis, über den CO2-Ausstoß auf der Welt nachzudenken, dann muss das uns allen zu denken geben.
Welcher Handlungsbedarf jetzt tatsächlich besteht und worauf wir verzichten können, darauf komme ich in der zweiten Runde zu sprechen.
(Beifall bei der SPD – Abg. Stefan Mappus CDU zu Abg. Reinhold Gall SPD: Kann ich das haben? – Abg. Reinhold Gall SPD überreicht Abg. Stefan Mappus CDU eine Pressemeldung.)
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Die Ereignisse um den G-8-Gipfel in Heiligendamm dürfen nicht zu den Akten gelegt werden, und wir legen sie auch nicht zu den Akten. Sie verlangen nach Aufklärung, Bewertung und Konsequenzen, aber das in einem wohlverstandenen, umfassenden Sinne. Alle Aspekte, die dort aufgetreten sind, müssen in diese Bewertung einfließen.
Wir – auch ich persönlich – hatten im Vorfeld die Hoffnung und die Erwartung geäußert – an die Veranstalter, aber auch an alle anderen gerichtet, die damit zu tun haben –, das Ganze möge friedlich verlaufen. Wir haben auch einen klaren Blick darauf geworfen, dass die übergroße Mehrzahl der Demonstrantinnen und Demonstranten, die nach Rostock und Heiligendamm reisen, friedlich gesinnt seien und friedlich demonstrierten. Das hat sich zum Glück bewahrheitet.
Was sich leider nicht bewahrheitet hat, war die Hoffnung, Erwartung und Forderung, dass die Großdemonstration am 2. Juni insgesamt friedlich bleibt. Leider hat sich die zwischen der Polizeiführung und den Veranstaltern wie Attac, kirchlichen Gruppen und anderen abgesprochene Deeskalationsstrategie nicht durchsetzen können. Leider gab es eine Minderheit von 2 500 sogenannten Autonomen – ich nenne sie Trittbrettfahrer –,
die den Anlass, berechtigte Kritik an dem G-8-Gipfel zu äußern und berechtigte Forderungen hinsichtlich dessen, was er zu tun hat, zu erheben, zum Vorwand genommen haben, um vor Ort Randale zu machen – offensichtlich sinn- und inhaltsentleert. Das ist eine nüchterne Bilanz, meine Damen und Herren, die auch wir ziehen müssen, die natürlich für uns Konsequenzen hat. Das bleibt nicht folgenlos. Es war nicht ein Tagesereignis, das vorübergeht und nach dem wir anschließend zur Tagesordnung zurückkehren können.
Grüne haben übrigens zu diesem Rostocker Ereignis, Herr Kollege Mappus – Sie haben bei dieser Frage offenbar Klä
rungsbedarf gesehen –, deutlich Stellung genommen, und zwar am 2. Juni, am 3. Juni und am 4. Juni. Unsere Leute waren vor Ort; unsere Bundesvorsitzende war vor Ort. Sie waren zwischen den Reihen und trugen dabei ein hohes persönliches und körperliches Risiko, um für eine friedliche Demonstration zu werben.
(Oh-Rufe von der CDU – Abg. Karl Zimmermann CDU: Jetzt übertreiben Sie aber! – Abg. Helmut Wal- ter Rüeck CDU: Das ist doch blauäugig!)
Viele andere Mitglieder unserer Partei waren vor Ort, um für strikt gewaltfreie Demonstrationen zu werben. Daher haben wir überhaupt keinen Nachholbedarf, was die Bedeutung der Gewaltfreiheit bei Demonstrationen angeht.
(Beifall bei den Grünen – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Mittendrin waren sie! Mittendrin! – Abg. Karl Zimmermann CDU: Also, Frau Roth hat keinem Ver- mummten die Mütze runtergezogen! Das habe ich ge- nau gesehen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Ja, was hat Frau Roth denn dann dort gemacht? – Zuruf der Abg. Ute Vogt SPD – Unruhe)
Dazu wäre Frau Roth auch nicht berechtigt, sehr geehrter Herr Kollege Zimmermann. Das ist immer noch Aufgabe der Polizei. Aber dass wir gewaltfreie Demonstrationen gefordert haben und dass wir gleichzeitig das Recht auf gewaltfreie Demonstrationen verteidigen, steht für uns außer Frage,
Herr Kollege Blenke, dazu gehört auch das Recht auf friedliche Blockade und das Recht auf zivilen Ungehorsam an diesem Punkt. Das hat eine Tradition in diesem Land,
(Widerspruch bei der CDU – Abg. Stefan Mappus CDU: Wie bitte? – Abg. Helmut Walter Rüeck CDU: Unglaublich!)
Es hat eine Tradition in der Friedensbewegung, und das war auch bei den Demonstrationen vor dem damaligen Atomwaffenlager in Mutlangen so: Friedlich durchgeführte Blockaden, von denen keine Gewalt ausgeht,
Es geht um die brutale, menschenverachtende Gewalt, und es geht um das Steinewerfen auf Polizisten. Das verurteilen wir in aller Schärfe,
und wir treten mit Entschiedenheit dafür ein, dass z. B. globalisierungskritische Gruppierungen keine Bündnisse mehr mit gewaltbereiten Autonomen machen und dass da ein klarer Trennungsstrich gezogen wird. Denn das ist offensichtlich innerhalb einer Demonstration nicht beherrschbar. Das ist eine klare Konsequenz.
Wir treten dafür ein, sage ich, Herr Zimmermann. Ich spreche hier nicht für Attac oder für sonst jemanden, sondern ich spreche für die Grünen.
Und ich sage Ihnen: Wir treten in Konsequenz dieses Ereignisses mit aller Entschiedenheit dafür ein.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich die Sechskilometerzone um den Veranstaltungsort, in der ein Demonstrationsverbot gilt, bestätigt hat und dass das nicht kompatibel ist mit dem, was Sie gerade in puncto ziviler Ungehorsam gesagt haben?
Herr Kollege, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist mir bekannt. Es entstand unter dem Eindruck des 2. Juni,
und gleichzeitig steht in diesem Urteil, dass dieses Urteil nur wegen der Ereignisse am 2. Juni so ausgefallen ist
und dass das Sicherheitskonzept insgesamt mit dem Grundrecht auf Demonstration nicht vereinbar ist. Es steht dort auch, dass das Urteil anders ausgefallen wäre, wenn die Demonstration am 2. Juni friedlich gewesen wäre.