Protokoll der Sitzung vom 28.11.2007

Die Landesregierung blockiert den Ausbau der Windenergie weiterhin. Sie weigert sich, auch ganz einfache Maßnahmen umzusetzen, wie etwa, Ökostrom für ihre Landeseinrichtun gen zu bestellen.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Wer in der letzten Woche hier die Informationsveranstaltung zum Flughafenausbau erlebt hat, der wird wie ich den Ein

druck gehabt haben, in einer Parallelwelt zu sitzen. Diese Planung spielt sich in einer Welt ab, die noch nichts vom Klimawandel gehört hat, die den IPCC-Bericht nicht kennt. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, kommen Sie endlich in dieser Welt an – in einer Welt, die eine nachhaltige Entwicklung

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Das sagen gerade Sie!)

und einen konsequenten Klimaschutz braucht.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Auch im Bereich Naturschutz mangelt es nicht an Zielen. Es gab einmal Naturschutzleitlinien des Landes. Wer kennt sie noch? Es gab die Zielsetzung der EU – es gibt sie noch –, den Artenverlust bis 2010 zu stoppen. Im nächsten Jahr haben wir in Deutschland die UN-Naturschutzkonferenz zu Gast, und im Herbst 2008 hat Baden-Württemberg in Karlsruhe den Deutschen Naturschutztag zu Gast.

Was macht Baden-Württemberg im Vorfeld dieser wichtigen Ereignisse? Zusammen mit Hessen und Niedersachsen hat Baden-Württemberg mit einem Entschließungsantrag im Bundesrat die Axt an die Grundlagen des Naturschutzes gelegt. So jedenfalls hat Bundesumweltminister Gabriel diesen Entschließungsantrag bewertet.

Das Volumen des Naturschutzetats liegt bei unter einem Promille des Landeshaushalts. Die Chancen, die ein moderner Naturschutz für den ländlichen Raum bietet, lassen sich damit nicht erschließen.

Stattdessen verbuddelt man die Steuermehreinnahmen in Stuttgart 21 und baut neue Straßen. Für eine nachhaltige Entwicklung fehlt gleichzeitig das Geld.

Nun komme ich zur Nachhaltigkeitsstrategie selbst. Seit der Auftaktveranstaltung war es ruhig. Das war auch ein Grund dafür, dass wir diesen Antrag eingebracht haben. Aus der Stellungnahme dazu wird jetzt sehr deutlich, dass das Projekt ein Großprojekt ist, was die Anzahl der Beteiligten angeht, aber ein Zwerg, was die zur Verfügung stehenden finanziellen und personellen Mittel betrifft.

Ich möchte ganz klar sagen: Wir finden es gut, dass sich so viele Gruppen und so viele Personen in den Projektgruppen engagieren. Ich möchte ausdrücklich insbesondere all jenen danken, die sich ehrenamtlich engagieren. Aus dieser großen Zahl der Beteiligten erwächst den Projektverantwortlichen eine Verantwortung, das Projekt zu einem Erfolg zu führen.

Nun wird dieses Projekt aber von einer Geschäftsstelle mit zwei Mitarbeitern geleitet. Zunächst standen gar keine Finanzmittel zur Verfügung; inzwischen sind im Nachtragshaushaltsentwurf 2,5 Millionen € pro Jahr vorgesehen. Allerdings ist unklar, wofür diese Mittel ausgegeben werden sollen. Sie können sicher sein, dass wir ganz genau darauf achten werden, was mit diesen Mitteln passiert, und dass wir ein sehr großes Augenmerk darauf haben werden, wie mit den Beschluss empfehlungen der Projektgruppen umgegangen wird. Denn nur, wenn wir vom Reden zum Handeln kommen, macht die ganze Sache Sinn.

Klar ist: Mit der Nachhaltigkeitsstrategie, wie sie jetzt läuft, wird es dem Land nicht gelingen, Nachhaltigkeit zu erreichen. Das ist etwa so, als wenn Sie sich ungesund ernährten – sagen wir, Sie würden jeden Tag Currywurst und Pommes essen –

(Zuruf des Abg. Nikolaos Sakellariou SPD)

und dann meinten, daraus würde eine gesunde Ernährung, wenn Sie jeden Tag ein Salatblatt dazulegten. So ähnlich ist es mit der Nachhaltigkeitsstrategie. Das Regierungshandeln ist von Nachhaltigkeit weit entfernt. Und dann macht man die se Strategie und meint, damit wären die Probleme gelöst. Herr Ministerpräsident, Sie müssen dafür sorgen, dass das Regierungshandeln mit den grünen Aussagen in der Regierungserklärung vom letzten Jahr übereinstimmt.

Ich möchte noch einen Aspekt ansprechen. Der Begriff Nachhaltigkeit ist eng mit der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung verknüpft, die 1992 in Rio stattfand. Nachhaltigkeit hat mit unserer Verantwortung für eine gerechte globale Entwicklung zu tun. Es geht nicht nur darum, Umweltprobleme hier bei uns zu lösen, sondern es geht darum, Entwicklungs- und Umweltbedürfnissen der heutigen und der kommenden Generationen weltweit zu entsprechen.

Auch in dieser Hinsicht kann ich nicht erkennen, dass die Ankündigung, eine Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln, sich im Regierungshandeln niederschlägt. Das Land hat seinen Etat für Entwicklungszusammenarbeit bis auf null zurückgefahren. Die entwicklungspolitischen Akteure mussten sich aktiv bemühen, hinsichtlich der Nachhaltigkeitsstrategie überhaupt Gehör zu finden. Wichtige Anliegen und Projekte, z. B. ein faires Beschaffungswesen, haben noch keinen Eingang in die Nachhaltigkeitsstrategie gefunden. Wir fordern, dass hier nachgebessert wird.

Wir fordern einen Nachhaltigkeitscheck für das Regierungshandeln. Ich bin dankbar, dass Sie in der Stellungnahme zu unserem Antrag Offenheit dafür signalisiert haben. Wir wollen, dass die Nachhaltigkeitsstrategie von Anfang an projektbegleitend evaluiert wird. Sie müssen klarmachen: Was sind bei der Strategie Ihre Ziele, und woran messen Sie den Erfolg? Auch dazu fehlen uns konkrete Aussagen.

Insgesamt muss es darum gehen, vom Reden und von Zieldefinitionen und der immer wieder neuen Definition von Zielen endlich zum Handeln zu kommen. Das sind wir kommenden Generationen schuldig, und zwar jetzt.

(Beifall bei den Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Stehmer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir alle haben die Verpflichtung, die Aufgaben zu lösen, die sich jetzt stellen, und sie nicht unseren Kindern oder Enkeln zu überlassen. Das ist der zentrale Kern, der zentrale Gedanke einer nachhaltigen Entwicklung.

In Ihrer Antwort auf die Große Anfrage zur Nachhaltigkeitsstrategie sagen Sie auch, die konsequente Verwirklichung des

Nachhaltigkeitsprinzips in allen Politikfeldern sei Voraussetzung für das Wohlergehen jetziger und künftiger Generationen. Das einzig wirklich Nachhaltige, das wir an dieser Landesregierung erkennen können, ist jedoch ihre nachhaltig ablehnende und blockierende Haltung in verschiedenen wichtigen Bereichen der Zukunftsgestaltung, vor allem in der Bildungspolitik, im Klimaschutz und in der übrigen Umweltpolitik.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Pe- ter Wetzel FDP/DVP)

Es reicht nicht, Herr Wetzel, nachhaltige Politik anzukündigen, Beiräte darüber beraten zu lassen und schöne Broschüren zu drucken. Wir müssen dies auch umsetzen. Sie stellen doch die Regierung und haben die Möglichkeit dazu. Warum handeln Sie denn nicht? Herr Raab, Sie wollen handeln, aber Sie tun es nicht. Sie tun es deswegen nicht, weil dies eine konsequente Politik erfordern würde, die für die Zukunft auch Maßstäbe hinsichtlich sozialer Gerechtigkeit und Solidarität setzen sollte. Danach müssten Sie Ihre Politik ausrichten – nicht nach Ressortdenken und nach denen, die zufällig gerade Chef sind. Es muss eine zusammengeführte, ganzheitliche Konzeption sein, und zur Umsetzung einer solchen Konzeption sind Sie nicht in der Lage.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Hans-Pe- ter Wetzel FDP/DVP)

Eine nachhaltige Politik ist nicht nur Umweltschutz, sondern auch soziale Sicherung, Solidarität mit den Schwachen unserer Gesellschaft und soziale Gerechtigkeit.

Das schließt auch die Finanzpolitik ein, weil bei der Verteilung der Haushaltsmittel die Entscheidungen darüber fallen, ob wir nur von der Hand in den Mund leben oder ob wir Vorsorge für die Zukunft treffen wollen. Da ist es richtig, dass Sie mit der Schuldentreiberei Ihrer Regierung aufhören wollen, dass Sie die beenden wollen und im nächsten Jahr einen ausgeglichenen Haushalt ohne neue Kredite vorlegen wollen.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: 1996 sind kräftig Schulden gemacht worden! – Abg. Werner Raab CDU: Waren Sie noch nie in einer Koalition?)

Wir könnten uns vorstellen, dass nicht so viel in undurchsichtige Töpfchen gesteckt wird, sondern dass Sie direkt an den Abbau des riesigen Schuldenbergs herangehen, des Schuldenbergs, den Sie angehäuft haben.

(Beifall bei der SPD)

Doch eines dürfen wir in dieser Situation nicht tun, und zwar die Bildungsausgaben kürzen.

(Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/DVP: Das will ja niemand!)

Denn was nützt es der künftigen Generation, wenn sie einige Millionen Euro weniger Zinsen zahlen muss, dafür aber die zehnfache Summe aufwenden muss, um die Versäumnisse der Bildungspolitik, die Sie derzeit begehen, mit teuren Qualifizierungsprogrammen wieder auszugleichen?

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Deswegen haben wir nichts gestrichen! Wo kürzen wir denn? Vielleicht könnten Sie das einmal ausführen! – Abg. Stefan Mappus CDU: Sagen Sie uns doch bitte, wo wir ge- kürzt haben! – Abg. Klaus Herrmann CDU: Wo kür- zen wir denn in der Bildungspolitik?)

Wenn Sie Lehrerstellen sperren, dann kürzen Sie in der Bildungspolitik.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Man kann nur entsper- ren, wenn man vorher gesperrt hat!)

Anstatt das Schulsystem mutig und zukunftssicher umzubauen und den Schülern durch längeres gemeinsames Lernen unabhängig von ihrer Herkunft mehr Chancen zu geben, reiten Sie das Pferd der Hauptschule, obwohl es schon lange tot ist.

(Beifall bei der SPD – Abg. Klaus Herrmann CDU: Bildungspolitik ist mehr als Lehrerstellen!)

Die strukturellen Versäumnisse, die Sie jetzt trotz besseren Wissens in Kauf nehmen, werden der nächsten Generation vor die Füße fallen. Das wissen Sie, aber Sie tun nichts dagegen. Das ist keine nachhaltige Politik.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Stehmer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

(Abg. Stefan Mappus CDU: Das ist aber schade! – Abg. Klaus Herrmann CDU: Dann könnten wir et- was richtigstellen!)

Sie können das nachher noch richtigstellen. Sie haben ja noch Redezeit.

Eine nachhaltige Politik wäre es auch gewesen, den jungen Menschen mit Migrationshintergrund durch Sprachförderung, Betreuung und integrative Modelle frühzeitig zu helfen, einen Platz in unserer Gesellschaft zu finden, der ihnen die gleichen Möglichkeiten wie anderen Jugendlichen bietet, und vor allem auch jenen einen Chance zu geben, die in Bildungsschleifen verkümmern.

(Beifall bei der SPD – Abg. Stefan Mappus CDU: Das ist die falsche Rede! – Gegenruf des Abg. Tho- mas Knapp SPD)

Nein, nein, nein. Sie wollen das bloß nicht hören, Herr Mappus.