Protokoll der Sitzung vom 07.10.2009

Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Umsetzung der Föderalismusreform im Jus tizvollzug – Drucksache 14/5012

Das Präsidium hat für die Aussprache eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt. Die Begründung erfolgt durch die Regierung.

Ich erteile hierfür Herrn Minister Professor Dr. Goll das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Hinter dem relativ unscheinbar klingenden Tagesordnungspunkt verbirgt sich ein Projekt, in dem sehr viel Arbeit steckt. Darauf möchte ich am Anfang doch hinweisen. Sie haben uns eine relativ kurze Redezeit zugestanden, und das ist auch in Ordnung, denn der Gesetzentwurf, über den nun zu beraten ist, ist nicht in dem Sinn problembehaftet, dass man sehr lange hierüber debattieren müsste. Aber man muss sich doch einmal klarmachen, dass in diesem Gesetzesvorhaben nun wirklich eine ganze Menge saurer Arbeit steckt. Denn Gesetzgebung ist eine Aufgabe, die nach Qualität verlangt. Das gilt schon bei einem kleineren Gesetz.

Was uns hier nun vorliegt, ist jedoch ein größeres Gesetz; denn es geht dabei um nicht mehr und nicht weniger, als dass der gesamte Justizvollzug dieses Landes auf eine neue gesetzliche Grundlage gestellt wird. Hierbei konnten wir natürlich teilweise auf Bewährtes zurückgreifen, zu anderen Teilen jedoch hatten wir Bereiche zu regeln, die bislang noch gar nicht gesetzlich geregelt waren, wie z. B. die Untersuchungshaft.

Zu diesem Gesetzentwurf kam es u. a. auch deshalb, weil die Föderalismuskommission I in lobenswerter Weise beschlossen hat, bestimmte Gesetzgebungszuständigkeiten, darunter die Zuständigkeit für den Strafvollzug, den Ländern zu geben. Das war nicht ganz unumstritten. Nach meiner Meinung war es richtig. Wir haben seit Jahrzehnten die Anstalten; wir haben die entsprechenden Aufgaben, und wir sind natürlich auch in der Lage, die dazugehörige Gesetzgebung selbst zu übernehmen. Andere Länder hatten da Bedenken, auch hinsichtlich der Frage, ob sie das schaffen. Im Bund kam damals das hässliche Wort vom „drohenden Schäbigkeitswettbewerb“ auf, worin sich die Sorge spiegelte, dass der Strafvollzug, sobald man ihn den Ländern übertragen würde, in eine Spirale nach unten gerate. Ich darf an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass dieser Vorwurf ausdrücklich zurückgenommen wurde, weil es nämlich eine Spirale nach oben und keine Spirale nach unten gegeben hat.

Wir haben mittlerweile, nachdem wir zunächst das Jugendstrafvollzugsrecht geregelt haben, den gesamten Komplex geregelt. Wir stellen den Justizvollzug auf eine moderne, umfassende gesetzliche Grundlage und beziehen das Gesetz, das bei uns den Vorreiter gemacht hat, nämlich das Jugendstrafvollzugsrecht, natürlich jetzt hier ein. Wir beenden aber mit dem künftigen Untersuchungshaftvollzugsrecht auch eine seit nahezu 40 Jahren andauernde ergebnislose bundespolitische Diskussion. Daran sei auch erinnert. Seit 40 Jahren wird über eine gesetzliche Grundlage der Untersuchungshaft diskutiert. Diese Grundlage ist verfassungsrechtlich nötig, und sie wird jetzt auf Länderebene geschaffen.

Dann kommen natürlich das Strafvollzugsrecht für Erwachsene und der Justizvollzugsdatenschutz dazu. All dies sind Inhalte des neuen Gesetzbuchs, das einerseits auf Bewahren und andererseits auf Modernisieren setzt. Es wird Bewährtes fortgeführt, aber es werden auch neue Ansätze aufgegriffen.

An nur wenigen Beispielen sei das deutlich gemacht. In der Untersuchungshaft wird vieles geregelt, was schon jetzt Pra

xis ist; es wird, wenn man so will, nur in eine Form gegossen. Aber es werden auch neue Akzente gesetzt. Einer davon ist die besondere Behandlung junger Untersuchungsgefangener, die in unserem Gesetz betont ist. Auch junge Untersuchungsgefangene, nicht nur junge Strafgefangene, haben natürlich besondere Bedürfnisse und stellen den Vollzug vor besondere Aufgaben. In diesem Gesetz wird ausdrücklich betont, dass man die vorhandenen Möglichkeiten nutzt, einem negativen Einfluss der Umgebung in der U-Haft auf die weitere persönliche Entwicklung gegenzusteuern, damit der Vollzug erzieherisch gestaltet wird. Wir betonen die besondere Bedeutung von Bildung und Arbeit. Allerdings können Jugendliche dann eben auch verpflichtet werden, in der Untersuchungshaft Ausbildungs- und Arbeitsangebote anzunehmen, wenn es für ihre Erziehung nötig ist.

Beim Vollzug an Erwachsenen konnten wir auf eine in weiten Bereichen überzeugende Gesetzesgrundlage des Bundes zurückgreifen. Das Strafvollzugsgesetz aus dem Jahr 1977, ein Bundesgesetz, war ein ordentliches Gesetz. Deswegen erfinden wir da auch nicht an jeder Stelle das Rad neu, sondern wir führen Bewährtes fort und setzen zugleich neue Akzente.

Wir halten in der Grundkonzeption am großen Ziel der Resozialisierung fest. Da gibt es natürlich keine Änderung. Ich bin der Meinung – und nicht nur ich –, dass Gefangene, die nach ihrer Entlassung keine neuen Straftaten begehen, der beste Beitrag zur inneren Sicherheit sind. Um dies zu erreichen, halten wir deshalb an den bewährten Mitteln des Strafvollzugsgesetzes fest: der strukturierte Tagesablauf, die Pflicht zur Arbeit, zur Aus- und Weiterbildung, die soziale Betreuung während der Haft, Angebote für eine sinnvolle Freizeitgestaltung, vollzugsöffnende Maßnahmen, der offene Vollzug. Das ganze Instrumentarium bleibt erhalten, wird teilweise modernisiert, ein bisschen an die baden-württembergische Praxis angepasst, aber im Kern greifen wir hier auf Bewährtes zurück.

Aber da kommt dann wie schon im vorigen Beispiel Neues hinzu. In diesem Fall ist es die Bedeutung der Nachsorge. Wir setzen einen starken Akzent bei der Frage der Nachsorge, Stichwort Entlassungsloch. In die vollzugspolitischen Aktivitäten der letzten Jahre kommt dieses Thema immer stärker hinein. Wir schaffen es unter Umständen, im Strafvollzug bestimmte Strukturen aufzubauen, ein Stück weit eben das zu erreichen, was ich vorhin gesagt habe: eine Verbesserung der Prognose, dass hinterher keine Straftaten mehr begangen werden. Wenn wir uns um die Betreffenden – meist sind es Männer – nach der Entlassung überhaupt nicht mehr kümmern, besteht natürlich die Riesengefahr, dass das mühevoll Erreichte sofort wieder zusammenbricht, wenn der Betroffene wieder in sein Milieu zurückgeht, in die alten Verhaltensweisen zurückfällt.

Deswegen gehört dem Thema Nachsorge für mich in gewisser Weise auch die vollzugspolitische Zukunft. Da haben wir für die jungen Täter, aus Stiftungsmitteln finanziert, eine besondere Betreuung. Jetzt wird dieser Bereich, die Nachsorge, die schon während der Haftzeit zu planen ist, im Strafvollzugsgesetz generell hervorgehoben. Man muss schon während der Haftzeit, gerade in der letzten Phase, eine Perspektive haben: Was wird aus dem Betroffenen hinterher? Wie kann man ihm

auch hinterher helfen, wieder Fuß zu fassen? Ich brauche nicht zu betonen, dass wir in diesen Bereichen von justiznahen, ehrenamtlich tätigen Organisationen sehr viel Hilfe bekommen.

Interessant ist auch die Betonung und in gewisser Weise natürlich auch der Ausbau der Sozialtherapie. Wir haben die Sozialtherapie räumlich ausgebaut. Wir haben jetzt die Abteilung in Offenburg und die Sozialtherapeutische Anstalt auf dem Hohenasperg. Wir haben dort auch die Vorschriften ein bisschen umgestaltet. Die Sozialtherapie ist eine Vollzugsform, die besonders geeignet ist, Rückfälle zu vermeiden. Das ist statistisch belegbar. Aber es müssen natürlich die Richtigen sein, die dort landen. Sie müssen therapierbar sein. Wir müssen achtgeben, dass in den Einrichtungen nicht Menschen sind, bei denen wir – das gibt es leider auch – wenig Erfolg erzielen können. Man darf auch nicht nur auf die Straftat abheben, sondern muss vor allem auf die Wiederholungsgefahr abheben. Da haben wir die Vorschriften also auch ein Stück weit nach unseren Vorstellungen gestaltet, um diese besonders aufwendige Vollzugsform dann auch besonders erfolgreich praktizieren zu können.

Ich habe von der Resozialisierung gesprochen und dieses Thema bewusst an den Anfang gestellt. Aber keine Frage: Die Sicherheit und Ordnung in den Anstalten ist eine grundlegende Bedingung für einen erfolgreichen Vollzug, beispielsweise das Ziel, die Begehung von Straftaten aus den Anstalten heraus oder in den Anstalten selbst zu verhindern. Wenn es darum geht, Straftaten aus den Anstalten heraus zu verhindern, erinnere ich auch an unseren Vorstoß, das mobile Telefonieren zu unterbinden. Aber es geht auch um andere Dinge, wie beispielsweise um notwendige Überwachung innerhalb der Anstalten, auch die Überwachung der Besuche. All das ist auf eine Grundlage gestellt, auf der man die notwendigen Maßnahmen treffen kann.

Ich nenne Ihnen noch ein Beispiel: Was wir künftig nicht mehr dulden werden, sind beispielsweise Lebensmittelpakete. Das ist zwar ein bisschen schade, aber der Empfang von Lebensmittelpaketen muss unterbunden werden, weil da einfach zu viel passiert ist. Wir haben das durch eine andere Maßnahme ersetzt: Die Angehörigen der Betroffenen können Geld zur Verfügung stellen, mit dem dann intern eingekauft wird. Im Endeffekt bekommt der Betroffene nach wie vor seine Lebensmittel, aber wir sind dann sicher,

(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Sind da so viele Fei- len drin?)

dass keine Säge im Brot ist. Heute sind es tatsächlich eher die Handys. Jetzt kann man sagen: In irgendeiner Zukunft werden wir überall, wo es sein muss, Mobilfunk verhindern können. Aber das werden wir peu à peu tun. Heute geht es im Wesentlichen um Bestandteile von Handys, die auf diese Art eingeschmuggelt werden. Das aber nur als kleines Beispiel, damit es noch ein bisschen plastischer wird.

Insgesamt ist es ein umfassender Entwurf, der den gesamten Strafvollzug regelt. Ich hoffe, dass er in diesem Haus eine breite Unterstützung findet. Wir reden ja – auch in Gremien und Fraktionen – nicht das erste Mal darüber. Aber jetzt erfolgt die parlamentarische Behandlung hier im Landtag. Ich

würde mich freuen, wenn der Entwurf freundlich aufgenommen wird.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Zimmermann für die Fraktion der CDU.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Justizvollzugsgesetz, wie es jetzt heißt, beinhaltet vier Bücher und setzt eigentlich die Föderalismusreform um. Vor zwei Jahren, Herr Kollege Oelmayer, haben wir den Jugendstrafvollzug geregelt,

(Zuruf des Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE)

der jetzt Inhalt von Buch 4 ist. Deshalb darf ich, wenn wir über dieses Buch reden, vielleicht mit einer kleinen Kritik beginnen und, Herr Minister, gleich sagen: Wenn man diesen Gesetzentwurf liest, bestätigt sich die Erfahrung: Wenn man ein dickes Buch liest, dann weiß man oft nicht genau, wo man eigentlich ist. Deshalb ein kleiner redaktioneller Hinweis: Es sollte wie bei jedem anderen Gesetzbuch auch oben auf der Seite stehen, ob man jetzt beim Vollzugsgesetz, beim Jugendstrafvollzugsgesetz, beim Untersuchungshaftgesetz etc. ist. Dieser redaktionelle Hinweis möge mir erlaubt sein. Eine solche Kennzeichnung muss einfach erfolgen, damit sich der Leser – wenn es schon eine zusammenfassende Regelung gibt – besser zurechtfindet.

Sehr erfreulich ist – da stimme ich mit Ihnen voll überein, wie ich im Übrigen mit dem Gesamtwerk einverstanden bin, auch wenn ich am Schluss noch einen kleinen Kritikpunkt äußern will –, dass dieser Entwurf – das muss auch die Opposition, die immer wieder darauf abhob, sagen – keinen „Schäbigkeitswettbewerb“ in Kraft setzt, sondern tatsächlich sogar fast eine Verbesserung der Bundesregelung ist. Ich habe Sie nie verstanden, wenn Sie sagten, der Bund sei für den Strafvollzug zuständig. Das Land bezahlt ihn. Ich habe noch keinen Bundestagsabgeordneten im Gefängnis gesehen, zumindest nicht als Besucher.

(Heiterkeit)

Aber warten wir einmal ab; die Zeiten kommen vielleicht noch, und dann sind wir Gott sei Dank vom Land aus zuständig und haben auch etwas zu sagen.

Ich sage Ihnen ehrlich: Der „Schäbigkeitswettbewerb“ war ein Begriff, der seit zwei Jahren von den Kritikern immer wieder genannt wurde. Es handelt sich aber um ein Gesetz, das das bisherige Bundesgesetz weiterentwickelt und verbessert hat. Der Herr Minister hat auf einige Punkte hingewiesen: Sozialtherapie, Entlassungsvorbereitung etc. Deshalb gilt auch hier das Motto: Wer bezahlt – das war schon immer das Land –, der bestellt auch und sagt etwas.

(Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: Zuerst bestellt man, und dann bezahlt man!)

An diesem Gesetz – da habe ich mich vor Ort erkundigt, Herr Kollege – hat die Praxis mitgearbeitet; das heißt, es gab kei

nerlei Kritik. Die Anstaltsleiter haben gesagt, dass vielleicht nicht alles umgesetzt worden ist. Wir haben aber das Wesentliche hineingepackt und einbringen können. Deshalb ist das endlich in den richtigen Händen – natürlich nicht nur bei der FDP/DVP, sondern auch bei der CDU, bei den Regierungsfraktionen,

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Die kennen sich halt mit Gefängnissen aus!)

werter Herr Kollege.

Das mit den Lebensmittelpaketen mag den einen oder anderen stören, der dann sagt: „Herrgott, wieso bekommen die jetzt keine Pakete mehr? Verkraftet es der Strafvollzug wirklich nicht, dass Angehörige Pakete schicken?“ Die Pakete waren aber tatsächlich meist ursächlich für den Schmuggel, auch für den Drogenschmuggel. Das mit dem Handy haben wir mehr oder weniger im Griff. Der Justizminister hat das Gesetz nicht erwähnt – ich erwähne es trotz meiner beschränkten Redezeit: Es ist das Landesjustizmobilfunkverhinderungsgesetz,

(Abg. Thomas Oelmayer GRÜNE: So heißt das aber nicht!)

das wir auch einmal in Kraft gesetzt haben und das zum ers ten Mal in der neuen JVA in Offenburg angewendet wird und sehr erfolgreich funktioniert.

Ich sehe schon jetzt voraus, dass anschließend von der Opposition ein bestimmter Kritikpunkt kommen wird. Daher vielleicht noch etwas zu § 7 in Buch 1, was die Einzelunterbringung angeht.

(Abg. Nikolaos Sakellariou SPD: Woher wussten Sie das?)

Ihre Gedanken kann man lesen – sie sind so offensichtlich –, die von Herrn Schmiedel weniger; da bin ich auch immer überrascht, was ich da lese. Ihre Gedanken kenne ich aber.

Ich gebe Ihnen recht: Es mag einmal ein Problem gewesen sein. Für die Zuhörer im Plenarsaal sage ich aber: Wir haben im Land rund 20 große und 18 kleinere Haftanstalten; wir haben knapp 8 000 Gefangene. In Hochzeiten waren es einmal 8 800. Jetzt haben wir erfreulicherweise weit unter 8 000, ungefähr 7 700. Nehmen wir einmal eine große Haftanstalt, die Haftanstalt in Rottenburg. Nach dem Stand von heute – ehrlich gesagt: von gestern – haben wir dort 585 Inhaftierte. Vor zwei Jahren waren es noch 750. Wer also heute den Wunsch hätte oder vor einem halben Jahr gehabt hätte, in ein Einzelzimmer,

(Abg. Katrin Altpeter SPD: Das heißt doch Zelle! Das ist doch kein Hotel!)

also in eine Einzelzelle zu gehen, dem könnte man diesen Wunsch erfüllen. Deshalb ist das kein Problem. Im Übrigen brauchen wir auch Gemeinschaftsräume. Zum einen wollen das viele Gefangene – sie wollen nicht allein sein –, zum anderen brauchen wir Gemeinschaftszellen gerade für Suizidgefährdete.

Ich möchte nicht auf jeden Punkt eingehen; das ist ja ein ganz dicker Wälzer. Lassen Sie mich aber dennoch etwas dazu sa

gen, damit Sie verstehen, was es alles in einer Haftanstalt gibt, in einer Welt, die Sie Gott sei Dank nicht so kennen

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Aber Sie!)

wie ich als Strafvollzugsbeauftragter.