Sie kennen wie wir und wie alle draußen den Unterschied zwi schen können, sollen und müssen. Dazu stehen im Schulge setz eindeutige Regelungen. Sorgen wir nicht für Irritationen, sondern sorgen wir dafür, dass die Schulen nach den politi schen Entscheidungen, die getroffen worden sind, mit dieser guten Konzeption im nächsten Schuljahr ungestört ihre Arbeit aufnehmen können.
Herr Präsident, liebe Kollegin nen, liebe Kollegen! Frau Ministerin Schick, Sie haben ge sagt, Sie wollten keinen Blick zurückwerfen. Aber einen Blick zurück möchte ich Ihnen schon empfehlen. Sie sollten sich die Drucksachen geben lassen, in denen wiedergegeben wird, was Ihr Vorgänger Rau bei der Einführung der Werkrealschu le Typ I hier zum Besten gegeben hat. Da haben wir nämlich
auch gehört: „Zum ersten Mal werden wir …“, „Zum ersten Mal werden wir …“ und all das Gute. Er hat die endgültige Rettung der Hauptschule vor der krisenhaften Entwicklung versprochen.
Wenn Sie das lesen, dann verstehen Sie auch, woran Ihr Vor gänger gescheitert ist. Er hat geglaubt, dass seine schönen Worte irgendetwas mit der Schulrealität in diesem Land zu tun hätten.
Ihre Ankündigungen bleiben hohl, weil sie in keinem Bezug zu den Herausforderungen der Hauptschule stehen.
Jetzt gehe ich nicht auf das Klein-Klein ein, sondern auf zwei Themen, die existenziell für die Entwicklung der Hauptschu le in Baden-Württemberg sind.
Das erste Problem der Hauptschule ist, dass in den größeren Städten ein Großteil der Schulabgänger – bei mir in Ludwigs burg sind es 80 % – den Übergang in die berufliche Ausbil dung nicht finden. Den Glauben, dass sich das mit der Werk realschule ändert, haben jedenfalls die Eltern nicht. In dieser Woche hat die Oberbürgermeisterin Keck von Kornwestheim im Gemeinderat über einen erneuten massiven Rückgang der Anmeldungen für die Werkrealschule in Kornwestheim be richtet. Das heißt, die Flucht aus diesem Schultyp hält an. Das geht erstens zurück auf die Schulempfehlung, bei der die Werkrealschule halt an dritter Stelle kommt, und zweitens da rauf, dass dort kein echter Realschulabschluss möglich ist.
Der zweite Aspekt der Krise in der Hauptschule sind die Hauptschulen im ländlichen Raum. Diese haben aber gar nicht das Problem des Übergangs in die berufliche Ausbildung.
Da sind die wunderbar. Ich nehme einmal das Beispiel Wald dorfhäslach: 16 Kinder in der neunten Klasse. Alle bekom men eine berufliche Ausbildung, oder sie machen die mittle re Reife an der Berufsschule. Überhaupt kein Problem! Aber deren Thema ist: Es sind jetzt noch 16 Schüler, und ihre Zahl wird immer weniger. Wenn Sie jetzt in Walddorfhäslach ver sprechen, dass die Fahrt zur Schule im Dorf künftig nicht wei ter ist als die Fahrt in das nächste Gymnasium, dann müssten die Schüler aber in die nächste Schule ziemlich weit fahren. Da ist nichts mehr mit der Schule im Dorf in Walddorfhäs lach.
Wenn Sie als Merkmal, als Kennzeichen der Werkrealschule sagen – wogegen wir gar nichts haben –, dass die individuel le Förderung in den Mittelpunkt rückt, dass man aufhört, die Vorstellung zu haben, das seien alles Menschen mit handwerk licher Begabung, sondern sagen: „Wir wollen die Menschen individuell annehmen und individuell fordern und fördern“, was spricht denn dann dagegen, dass Sie in Walddorfhäslach dem Wunsch der Gemeinde, der Eltern, der Schule nachge ben und sagen: „Wir wollen eine zehnte Klasse, und wir wol len auch einen Realschulabschluss anbieten“? Was spricht denn dagegen, Realschüler mit Realschulempfehlung auf die
Wie das funktionieren kann, zeigt das Beispiel in Mulfingen. Dort herrscht dieselbe Situation: einzügige Hauptschule, zum Schluss 16 Anmeldungen. Die haben gesagt: „Das geht so nicht weiter, wir wollen unsere Schule im Dorf halten“, und bieten jetzt eine Schule an mit einer zehnten Klasse und der Möglichkeit, einen Realschulabschluss abzulegen – ganz kon zentriert, individuelle Förderung, Klassenverbände weitge hend aufgelöst in Lerngruppen. Das Konzept geht auf. Sie ha ben jetzt 34 Anmeldungen, nicht mehr 16. Schade nur, dass sie das nicht in staatlicher Regie machen können, sondern ei ne Privatschule werden mussten.
(Zuruf von der SPD: Privatschule! – Abg. Ingo Rust SPD: So ist es! – Abg. Dr. Hans-Peter Wetzel FDP/ DVP: Schade ist das? Was privat ist, ist schade? – Ge genruf der Abg. Bärbl Mielich GRÜNE)
(Abg. Volker Schebesta CDU: Das ist doch lächer lich! – Abg. Dr. Dietrich Birk CDU: Sie sind ge schichtsvergessen, Herr Kollege! – Zuruf der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)
Sie geben vor, wie es zu sein hat. Warum lassen Sie den Wett bewerb der guten Hauptschulen nicht zu?
Diese haben wirklich gute pädagogische Konzepte. Aber sie haben einen Wettbewerbsnachteil, weil sie keinen Realschul abschluss anbieten können. Das ist der Punkt.
Sobald sie die Freiheit haben, auch einen Realschulabschluss mit individueller Förderung anzubieten – nicht alles gleich machen, sondern individuelle Förderung –,
sobald sie mit ihren guten pädagogischen Konzepten einen Realschulabschluss anbieten können, blühen sie auf. Dann kommen neue Kinder, dann kommen neue Eltern. Dann bleibt die Schule im Dorf.
Dann kann das Versprechen gehalten werden, Frau Schick. Ansonsten ist alles hohl gesprochen und hat mit der Realität nichts zu tun: Die Flucht aus diesem Schultyp hält an.
Herr Kollege Schmie del, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Schebesta? – Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Schmiedel, halten Sie in einer bildungspolitischen Debatte aufrecht, die Zentrumspar tei mit zentralistischen Tendenzen in Zusammenhang zu brin gen? In einer bildungspolitischen Debatte finde ich es wich tig, dass man manchen Vergleich nicht unbedingt so stehen lässt.
(Abg. Reinhold Gall SPD: Claus, gib gar keine Ant wort darauf! Das ist lächerlich! – Abg. Ursula Hauß mann SPD: Darauf musst du nicht antworten! – Zu ruf des Abg. Klaus Herrmann CDU)
Vergessen wir das „Zentrum“, sondern kommen wir noch einmal zum Thema. Wir wollen ein Stück Freiheit
(Abg. Hagen Kluck FDP/DVP: Das ist aber neu! – Abg. Volker Schebesta CDU: Das ist das Neueste! – Gegenruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)
die die individuelle Förderung in den Mittelpunkt stellen, die sagen: „Wir können mehr. Wir können auch einen Realschul abschluss anbieten und haben deshalb ein attraktives Angebot als Schule in unserem Dorf.“
(Abg. Volker Schebesta CDU: Ich habe keine Rede zeit mehr! Ich hätte antworten können, wenn ich noch gelassen worden wäre!)
Oder an Frau Schick. – Wenn es schon so ist, dass Sie in der Lehrerausbildung für die Sekundarstufe I nicht mehr zwischen Hauptschule und Realschule unterscheiden, warum müssen Sie die Kinder dann noch trennen?