Protokoll der Sitzung vom 05.11.2014

Nicht nur unser Staat, sondern auch unsere Demokratie ist wehrhaft. Jetzt kommt es darauf an, dass wir diese Verantwor tungsgemeinschaft auch als solche begreifen, dass sich jeder an seinem Platz, an seiner Stelle, im Rahmen seiner Möglich keiten in diesen Prozess entsprechend einklinkt. Dann werden wir dieser Entwicklung, jedenfalls mittelfristig, entgegenwir ken können.

In diesem Sinn bedanke ich mich für die Signale der Gemein samkeit, die gegeben worden sind. Ich sage Ihnen zu: Wir rei chen die Hand, wir sind an Gemeinsamkeit gerade bei diesem Thema interessiert.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU meldet sich.)

Nein, es gibt keine Re dezeit mehr, Kollege Dr. Lasotta. Die CDU liegt bei minus zwei Minuten 30 Sekunden. Die Redezeit ist im Minus.

(Zuruf: Minus fünf!)

Okay. Dann haben Sie noch zweieinhalb Minuten. – Bitte schön, Herr Kollege.

(Zuruf von der CDU: Gekonnt, gekonnt! Beispiel haft!)

Es ist gut, wenn man den Überblick behält. In der ersten Runde galt eine Redezeit von jeweils fünf Minuten. Wenn dann „minus zwei Minuten 30 Se kunden“ angezeigt wird, bleiben bei insgesamt zehn Minuten Redezeit noch zweieinhalb Minuten übrig. So viel zur Mathe matik.

Ich möchte mich ausdrücklich für die positive Grundhaltung bedanken, auch die Gemeinsamkeiten zu betonen. Aber die Debatten in der Gesellschaft laufen natürlich ein Stück weit anders. Denn mittlerweile besteht die Gefahr, dass durch den islamistischen Extremismus die Themen Islam und Islamis mus verwechselt werden. Dadurch entsteht ein Bild in der Ge sellschaft, das nicht den Tatsachen entspricht. Der Großteil der Muslime ist nämlich friedlich.

Auf der anderen Seite schauen wir nicht genau genug hin, wenn es um Radikalisierung und Parallelwelten von bestimm ten Moscheevereinen geht, von Gruppierungen, die sich wirk lich gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Ich glaube, wir brauchen insgesamt eine entspannte re, eine offenere Debatte und nicht gleich Vorwürfe, wenn man kritisch hinschaut, Herr Gall. Ansonsten wird nämlich die Ver antwortungsgemeinschaft, die Sie betont haben, ihrer Aufga be nicht gerecht.

Der zweite Punkt ist: Ich glaube, wir müssen uns schon über legen, ob die bisherigen Maßnahmen, die wir zur Bekämp fung der Radikalisierung geschaffen haben, ausreichen, wenn man diese vier M nimmt – männlich, muslimisch, Migrations

hintergrund, Misserfolge –, wie es auch Herr Poreski betont hat. Diese „Karrieren“, die da gestaltet werden, entsprechen schon lange nicht mehr dem Bild, das wir ansonsten wahrneh men, weil teilweise gut ausgebildete Leute sich radikalisie ren, weil plötzlich ganz normale Mitbürger konvertieren, bei denen wir gedacht haben, sie seien auf einem ganz normalen Weg. Ich glaube, da müssen wir noch einen Schritt weiter ge hen in der Analyse und auch in der Frage, wie wir die Men schen betreuen und wie wir den Zugang zu ihnen bekommen.

Noch einmal: Ich lege Ihnen ans Herz – ich habe das schon im Frühjahr im Bildungsausschuss gesagt, als dort mein An trag zum Thema Salafismus behandelt wurde –: In NRW gibt es ein Programm, das eine Sozialraumbetreuung vorsieht, das sehr stark aussteigerorientiert ist. Das ähnelt dem, was wir im Bereich des Rechtsradikalismus machen. Hessen hat ein Pro gramm, das stärker auf die Kompetenz und die Bündelung der unterschiedlichen Aufgaben abhebt. Ich erkenne an: Das Lan deskriminalamt macht viel, das Landesamt für Verfassungs schutz, die Sozialarbeit – alle sind dabei, aber oft wissen die Beteiligten nicht voneinander, was gemacht wird, und sind die Ansprechpartner vor Ort nicht vorhanden.

Der dritte Punkt: Ihre Rede, Herr Gall, hat eindrücklich ge zeigt, dass das Bild, das Herr Sckerl vom Landesamt für Ver fassungsschutz – Stichwort „Schlapphüte“ – gezeichnet hat, endgültig ad acta gelegt ist und dass wir den Verfassungs schutz brauchen – nicht nur für Aufklärung und Beobachtung, sondern auch für präventive Maßnahmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wenn diese Debatte dazu beiträgt, dass sich die Grünen von diesem Bild verabschieden, wenn die Grünen nicht mehr sa gen: „Wir wollen Personal einsparen“, sondern: „Wir schich ten dies in eine positive Kraft um, um den Verfassungsschutz auch insgesamt zu stärken, um unsere Kompetenz in BadenWürttemberg, gerade was das Thema Islamismus betrifft, zu stärken“, dann hat die Debatte etwas gebracht. Sie haben jetzt schon viele Sprünge gemacht, und ich fordere Sie von den Grünen auf, nun auch noch den letzten Schritt zu tun. Dann werden wir Ihnen sogar hier im Parlament Beifall zollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP/ DVP)

Für die Fraktion GRÜ NE erteile ich Herrn Abg. Poreski das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Nur einige ganz kurze Kommentare: Es ist natürlich rührend, wenn Sie vonseiten der Opposition uns, die Sozialpolitiker der Koalition, unterstützen wollen. Aber für die Bewilligung der 700 000 € – das kann man nach weisen – haben wir diese Unterstützung wirklich nicht ge braucht. Wir haben diese Programme und deren Verstetigung durchaus in internen Verhandlungen durchgesetzt. Das zeigt auch, dass wir Sozialpolitiker in der Koalition einen starken Stand haben.

Zum Thema Verfassungsschutz: Der Mythos, für die Grünen sei der Verfassungsschutz Teufelszeug,

(Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU: Das habe ich nicht gesagt!)

ist natürlich völliger Unsinn. Was wir uns aber nicht gefallen lassen dürfen – gerade als demokratische Gesellschaft dürfen wir uns das nicht gefallen lassen –, ist, dass eine Debatte über den Verfassungsschutz tabuisiert wird. Ich habe viele Debat ten hier im Parlament und auch in Ausschüssen erlebt – Sie waren zum Teil dabei – und habe dabei beispielsweise darauf hingewiesen, dass die Rolle des Verfassungsschutzes im Zu sammenhang mit den NSU-Opfern – die zum Teil zu Tätern erklärt worden waren – durchaus einer Aufarbeitung bedarf. Darauf gab es bislang keine Reaktion.

(Zuruf des Abg. Dr. Bernhard Lasotta CDU)

Ich freue mich, dass wir jetzt auf einem anderen Weg sind. Aber die Tabuisierung einer Institution in einem demokrati schen Staat führt uns in solchen Debatten auch nicht weiter. Wenn wir wirklich besser werden wollen, müssen wir auch darüber offen diskutieren. Alles andere wäre übrigens, Herr Kollege Glück, auch illiberal.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Andreas Glück FDP/DVP)

Für den Kampf gegen den Extremismus haben wir viele Pro gramme. Diese müssen – da hat Kollege Lasotta völlig recht – miteinander vernetzt sein. Uns ist es aber wichtig – deshalb habe ich vorhin auch diese lange Aufzählung gemacht –, dass sie in eine politische Gesamtstrategie, die in weiten Teilen auch vorhanden ist, noch besser eingebunden und verwoben werden.

Eine ganzheitliche Sozialpolitik kann sich nicht darauf redu zieren lassen, zu sagen: „Wir haben viele Programme; jetzt brauchen wir einfach nur noch mehr Programme.“ Wir brau chen vielmehr einen ganzheitlichen Ansatz, der eines ganz klar erkennt: Über Demokratie und Menschenrechte Men schen zu belehren wird uns nichts nützen, wenn die angespro chenen Menschen dies nicht auch gleichzeitig real in ihrem Leben erleben – beispielsweise dadurch, dass sie vor Diskri minierung geschützt werden, oder dadurch, dass wir in unse ren Schulen zu Toleranz und zu Akzeptanz von gesellschaft licher Vielfalt erziehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und des Abg. Claus Schmie del SPD)

Meine Damen und Her ren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aktuelle Debatte beendet und Punkt 3 der Tagesordnung abgeschlossen.

Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:

a) Antrag der Fraktion der CDU, der Fraktion GRÜNE,

der Fraktion der SPD und der Fraktion der FDP/DVP – Einsetzung und Auftrag des Untersuchungsausschus ses „Die Aufarbeitung der Kontakte und Aktivitäten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in BadenWürttemberg und die Umstände der Ermordung der Polizeibeamtin M. K.“ – Drucksache 15/6049

b) Wahl der Mitglieder und der stellvertretenden Mitglie

der, der/des Vorsitzenden und der/des stellvertretenden Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses

c) Antrag der Fraktion der CDU, der Fraktion GRÜNE,

der Fraktion der SPD und der Fraktion der FDP/DVP – Vorläufiges Ruhenlassen der Arbeit der Enquetekom mission „Konsequenzen aus der Mordserie des Natio nalsozialistischen Untergrunds (NSU)/Entwicklung des Rechtsextremismus in Baden-Württemberg – Hand lungsempfehlungen für den Landtag und die Zivilge sellschaft“ – Drucksache 15/6047

Die Fraktionen haben sich für die Aussprache auf eine Rede zeit von fünf Minuten je Fraktion verständigt.

Für die CDU-Fraktion darf ich das Wort Herrn Abg. Hauk er teilen.

Frau Präsidentin, meine sehr verehr ten Damen und Herren! Die erschreckenden Bilder der Hoo ligan-Gewaltexzesse in Köln lassen schlimme Erinnerungen an Zeiten aufkommen, die wir alle längst hinter uns geglaubt hatten. Grölende und gewaltbereite Massen verletzen Polizis tinnen und Polizisten und zerstören wahllos Eigentum.

Die Vorkommnisse in Köln waren mehr als ein Warnschuss für unsere Demokratie. Es zeigt sich – auch dank der Aufklä rungsarbeit der Verfassungsschutzbehörden und der Polizei behörden –, dass zwischen Hooligans und Rechtsextremen sehr enge Verbindungen bestehen. Vor allem ist es auch mög lich, unter Einsatz neuer, moderner Kommunikationsmittel sehr schnell gewaltbereites Aktionspotenzial auf die Straße zu bringen.

Das muss uns alle erschrecken – und das umso mehr, wenn man sich vor Augen führt, dass vor etwa drei Jahren das Mord trio des NSU aufgeflogen ist, dessen Mitglieder eine andere Form der Gewaltbereitschaft gepflegt haben, nämlich, Morde zu verüben und damit, wenn man so will, sogar Terrorismus auszuüben.

Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist die Be drohung durch Extremisten – egal, welcher Couleur, auch durch Rechtsextremisten – in unserem Staat real. Diese Be drohung darf nicht verheimlicht oder verniedlicht werden, sondern überall dort, wo Bedrohungslagen bestehen, muss hie rüber aufgeklärt werden. Diesen Themen müssen sich auch parlamentarische Untersuchungsausschüsse stellen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wir, die CDU-Fraktion, haben uns, als vor wenigen Monaten darüber diskutiert wurde, wie denn die NSU-Mordserie par lamentarisch zu behandeln sei, einem Untersuchungsaus schuss nicht verschlossen. Aber die parlamentarische Mehr heit in diesem Haus hat sich, maßgeblich von der SPD getrie ben, für eine Enquetekommission entschieden. Wir haben da mals unsere Zusage gegeben, auch hieran konstruktiv mitzu arbeiten. Wir waren von Anfang an skeptisch, aber als konst ruktive Opposition haben wir diesen Weg mitgetragen.

Doch die Arbeit der Enquete stand leider von Anfang an un ter keinem guten Stern. Die Zusammenarbeit innerhalb der Regierungskoalition war schwierig. Schließlich wurde die En quete schon bald, noch bevor sie ihre Arbeit eigentlich rich tig aufgenommen hatte, durch die Gutachtenaffäre und die äu ßerst fragwürdige Vorgehensweise der Kollegen Halder, Sckerl und Lede Abal mit Vollgas an die Wand gefahren.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Wir begrüßen es ausdrücklich, dass mit dem Untersuchungs ausschuss nun ein Neuanfang in dieser Frage gewagt wird. Wir haben uns dem nicht verschlossen, und wir haben eigene Vorstellungen eingebracht. Ich will vor allem auch dem Kol legen Claus Schmiedel herzlich danken, der in der vergange nen Woche mit uns gemeinsam daran gearbeitet und dafür ge sorgt hat, dass ein gemeinsamer Einsetzungsantrag zustande kam, ein Antrag, den alle vier Fraktionen in diesem Haus un terschreiben und den sie mittragen können.

Wir wollen diesen Antrag nun befördern, weil wir – wie alle in diesem Haus – höchstes Interesse daran haben, dass die Mordserie aufgeklärt wird, dass die dahinterstehenden Netz werke aufgeklärt werden und dass Klarheit über die Frage her gestellt wird, warum gerade nach Baden-Württemberg so vie le Verbindungen von dem NSU ausgingen. Das ist ja kein blo ßer Zufall. Ich glaube nicht, Herr Innenminister, dass dies al les nur Zufall war – so, wie die Ermittlungsgruppe „Umfeld“ es uns als Ergebnis präsentiert hat. Es müssen vielmehr ande re Dinge dahinterstehen.

Dazu ist es notwendig, zu schauen, ob die Verfassungsschutz behörden und das Landeskriminalamt in dieser Frage zusam mengearbeitet haben, in welcher Art und Weise dies geschah und wie dort insgesamt ermittelt wurde. Es wird natürlich auch gefragt werden müssen, was denn passiert ist, nachdem vor drei Jahren bekannt wurde, dass die Verantwortung für die Morde in der Täterschaft des NSU liegt, vor allem die Verant wortung für den Mord an Michèle Kiesewetter. Denn dieser Zeitraum ist bislang gänzlich unbeleuchtet geblieben. Dabei wusste man seit November 2011, wonach man suchen muss te.

Uns interessiert natürlich schon die Frage: Was haben die Be hörden in dieser Zeit denn getan, als man bereits wusste, wo nach zu suchen war? Ich danke sehr dafür, dass auch diese Fragen in den Einsetzungsantrag aufgenommen wurden.