Protokoll der Sitzung vom 26.11.2014

Meine Damen und Herren, auch das Verfahren zur disziplina rischen Ermittlung ist noch nicht abgeschlossen. Auch inso weit möchte ich also kein abschließendes Fazit ziehen.

Die Geschehensabläufe spielen natürlich auch eine Rolle bei der Frage, wie das Ministerium reagiert hat. Wie Sie wissen, haben wir im Ministerium festgestellt – dies habe ich im Aus schuss ausführlich erläutert –, dass wir in diesem Fall entge gen der bisherigen Praxis unsere Kontrollaufgabe stärker wahr nehmen müssen.

Wie sich herausgestellt hat, besteht ein Kontrolldefizit. Ich ha be das im Ausschuss klar eingeräumt. Dieses Kontrolldefizit hat sich aber vor dem Hintergrund der bestehenden Rechtsla ge zu den Kontroll- und Hinweispflichten bei der Haftanstalt ergeben. Das heißt, es wurde bei diesem Fall verfahren wie in den Jahren zuvor auch, was das Berichtswesen über Einzel haft angeht, was das Berichtswesen über Sicherheit angeht.

Wir haben im Ministerium gleich reagiert. Wie es über viele Jahre praktiziert wurde und was rechtlich vorgesehen war, das hat die Vorgängerregierung geregelt. Ich sage das ohne jede Häme und ohne Kritik. Das war die Rechtslage, innerhalb der sich die Reaktion des Ministeriums vollzogen hat.

Dieser schreckliche Fall hat uns gezeigt, dass die Mechanis men auf Basis der gegebenen Rechtslage nicht ausreichen und wir deshalb dieses Kontrolldefizit, das zutage getreten ist, be heben müssen. Deshalb haben wir die Kontroll- und Berichts

praxis geändert. Dies darf man nicht gering schätzen. Deshalb möchte ich kurz erläutern, was das bedeutet.

Zunächst haben wir eine Stichtagserhebung aller Einzelfälle durchgeführt. Diese Stichtagserhebung hat im Übrigen auch dazu geführt, dass ein zweiter Fall, bei dem es Zweifel gab, ob die nötigen Fristen eingehalten wurden, bekannt wurde.

Wir haben – Kollegin Sitzmann und Kollege Schmiedel ha ben bereits darauf hingewiesen – zusätzliche Mittel für exter nen Sachverstand freigestellt, weil es immer mehr schwieri ge, psychisch auffällige Straffällige bzw. Inhaftierte gibt, die unser Personal erheblich belasten. Von den etwa 17 000 Ge fangenen, die im Jahr 2013 unsere Haftanstalten durchlaufen haben, waren etwa 2 600 psychisch auffällig. Die Vollzugs praktiker sagen uns, die Zahl der schwierigen Strafgefange nen nehme zu, und dies stelle uns zunehmend vor Probleme. Wir werden deshalb entsprechend tätig und haben Mittel um geschichtet; das habe ich bereits dargelegt.

Wenn Sie mir jetzt vorwerfen, dass Sie davon aus der Zeitung erfahren hätten, dann wundert mich das doch etwas nach dem medialen Furor, den Sie entfacht haben, mit fast täglichen Pressemitteilungen, in denen Sie mir vorgeworfen haben, ich würde nicht hinreichend informieren, ich würde mich wegdu cken, ich würde auf Tauchstation gehen. Diese Reaktion wun dert mich dann doch etwas. Ich habe informiert. Die Maßnah men, die wir einleiten, ziehen wir jetzt auch durch.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie des Mi nisters Dr. Nils Schmid)

Meine Damen und Herren, wir haben insbesondere die recht liche Situation geändert, was die Berichtspflichten für Einzel haft angeht. Bisher war es so – diese Vorgaben haben wir über nommen –, dass uns Einzelhaft gemeldet werden musste, wenn sie über drei Monate angeordnet war. Wenn kein Antrag mehr kam, musste man nach der geltenden Rechtslage davon ausgehen, dass auch keine Einzelhaft mehr verfügt war.

Das ändern wir. Wir haben jetzt eine positive Berichtspflicht eingeführt. Wir nehmen die Fälle auf Wiedervorlage, verlan gen einen Abschlussbericht. Das heißt, wir fragen nach. Es ist vorhin bereits von Bring- und Holschuld die Rede gewesen. Wir verändern unsere Aufsichtskultur und schaffen eine grö ßere Kontrolldichte, damit uns diese Fälle immer gewärtig sind. Wir haben auch die Maßstäbe dazu neu definiert und in haltlich erweitert, welche Anforderungen wir an diese Be richtspflichten stellen, damit wir ein zuverlässiges Bild bei der Kontrolle vor Ort bekommen.

Ferner haben wir – meine Damen und Herren insbesondere auf der rechten Seite des Hauses, ich bitte Sie, dies nicht ge ring zu schätzen – jetzt eine Kommission ins Leben gerufen. Sie soll Maßstäbe erarbeiten, wie wir den modernen Entwick lungen im Strafvollzug, diesen neuen Herausforderungen, be gegnen können. Wir werden an dieser Kommission Fachleu te, Wissenschaftler beteiligen, wir werden Praktiker aus dem Vollzug einbeziehen, wir werden die Strafvollzugsbeauftrag ten der Fraktionen bitten, in dieser Kommission mitzuarbei ten, damit wir verlässliche Standards bekommen, um dieser zunehmenden Problematik begegnen zu können. Das ist kei ne leichte Aufgabe. Das ist eine neue Herausforderung. Eine vergleichbare Herausforderung haben wir etwa noch im Zu sammenhang mit der wachsenden Zahl älterer Straffälliger.

Diesen neuen Herausforderungen begegnen wir, und wir er warten uns natürlich Vorschläge in personeller, organisatori scher und inhaltlicher Hinsicht, wie wir den Strafvollzug neu aufstellen, damit wir unsere Bediensteten verstärkt in die La ge versetzen, auch mit psychisch schwierigen Straffälligen besser umzugehen. Dazu sind auch entsprechende Schulungs maßnahmen vorgesehen.

Ich bin der Frau Kollegin Sozialministerin dankbar, dass wir unser Personal, das ja primär unter Sicherheitsgesichtspunk ten ausgebildet wird, auch in Einrichtungen der Psychiatrie im Land hospitieren lassen können, damit wir diesen Sach verstand verstärkt im Strafvollzug zur Geltung bringen – ei ne äußerst wichtige Maßnahme.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Man kann es sich leicht machen und zunächst einmal auf per sonelle Defizite verweisen. Der Betreuungsschlüssel im Straf vollzug hat sich in den letzten Jahren aufgrund stetig leicht zurückgehender Gefangenenzahlen etwas verbessert. Gleich wohl gehe ich davon aus, dass wir uns, wenn die Kommissi on ihre Ergebnisse vorlegt, ernsthaft auch darüber Gedanken machen müssen, ob und in welchem Umfang personelle Ver stärkungen nötig sind. Der Bund der Strafvollzugsbeamten hat hierzu einen umfassenden Forderungskatalog vorgelegt, der wohl auch den Fraktionen zugegangen ist. Ich freue mich auf die Mitarbeit aller in dieser Kommission.

Ich möchte aber auch betonen, dass wir dafür sicher in ver stärktem Maß auch finanzielle Leistungen erbringen müssen. Heute habe ich die Kritik gehört, dafür hätten wir nichts im Haushalt vorgesehen. Kollege Schmiedel und Kollegin Sitz mann haben schon gesagt, wie wir das haushaltsmäßig han deln. Letzte Woche hat die Sitzung des Finanzausschusses stattgefunden. Der Justizhaushalt war in einer Rekordzeit von schätzungsweise 20 Minuten durchgesprochen, und es gab zum Justizhaushalt von Ihrer Seite, vonseiten der CDU, über haupt keinen Vorschlag für eine Änderung der von uns ge wählten Haushaltsansätze.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Klaus Herrmann CDU: Das ist Aufgabe der Regierung! – Abg. Peter Hauk CDU: Jetzt wird es dreist! – Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Kollege Mack, weil Sie gerade einen Einwurf machen: Ich muss zugeben, eine Frage wurde gestellt. Sie kam von Ihnen, aber leider erst, als wir diesen Tagesordnungspunkt schon ab geschlossen hatten.

(Abg. Karl Zimmermann CDU: Hätten Sie denn zu gestimmt, wenn ich fünf Millionen verlangt hätte, Herr Minister? – Gegenruf des Abg. Claus Schmie del SPD: Hätte, hätte, Fahrradkette! – Weitere Zuru fe)

Ich möchte noch einmal auf die Vorgänge eingehen, die jetzt im Zusammenhang mit dem schlimmen Ereignis in Bruchsal thematisiert wurden. Es wurden Vorgänge thematisiert wie diese Maskerade, dieser schlimme Vorgang. Da hat die Justiz gehandelt. Da wurden Disziplinarverfahren eingeleitet. Die Summen wurden schon genannt; es wurden erhebliche Beträ ge

(Zuruf des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

als Geldbuße für Beamte des mittleren Dienstes verhängt. Da hat die Justiz doch gezeigt, dass sie handlungsfähig ist.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Sie hat auch in Bezug auf den Vorgang der Verschredderung von persönlichen Notizen von Angestellten bzw. Beamten, die in der Sozialarbeit tätig waren, Handlungsfähigkeit gezeigt. Der betreffende Sozialarbeiter wurde versetzt; das Beschäfti gungsverhältnis mit der betreffenden Sozialarbeiterin wurde beendet. Wir haben sofort gehandelt.

Die früheren Vorkommnisse, die jetzt erwähnt wurden – etwa der Vorgang bei der Unterbringung von Gefangenen in Ra vensburg im Jahr 2009 und andere Vorgänge –, sind aufgear beitet. Dort haben wir eine gegebenenfalls rechtswidrige Pra xis nicht zuletzt aufgrund von Gerichtsverfahren eingestellt. Da haben wir für ordnungsgemäße Zustände gesorgt. Das wer den wir auch weiterhin tun.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch einmal betonen: Der Strafvollzug ist für alle unsere Mitarbei terinnen und Mitarbeiter ein schwieriges Feld. Mir liegt dar an, dass wir diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Rü cken stärken. Mir liegt aber auch daran, dass wir eine neue Kultur der Aufsicht, der Kontrolle im Strafvollzug schaffen. Dazu sind die Maßnahmen, die ich genannt habe, der geeig nete Weg.

Dafür haben wir auch die personellen Weichenstellungen vor genommen. Mit dem bisherigen Abteilungsleiter waren wir uns einig, dass dafür der Weg freigemacht wird. Wir werden mit einer neuen Abteilungsleitung die verstärkten Kontroll maßnahmen umsetzen. Ich bin sicher, dass wir noch sehr vie le Änderungen in der Organisation, im Verhältnis zu den Haft anstalten vornehmen müssen, um diese Kontrolldichte zu ver bessern. Dies ist notwendig. Dieser Aufgabe stelle ich mich und werde das auch weiterhin tun.

Ich lade Sie alle ein, uns bei diesem Vorhaben zu unterstüt zen. Denn der Strafvollzug ist bisher wenig in den Blick der Politik geraten, ein Feld, das vielleicht auch in der Öffentlich keit nicht immer die gebührende Beachtung findet. Dass dies nun durch diesen schrecklichen Vorfall geschehen ist, bedau re ich außerordentlich. Aber wir stellen uns den künftigen He rausforderungen.

Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei den Grünen und der SPD so wie auf der Regierungsbank)

Für die Landesregie rung erteile ich Herrn Ministerpräsident Kretschmann das Wort.

Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Der äußerst bedauerliche Fall vom 9. August, der Tod eines Häftlings in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal, der uns alle sehr erschüttert hat, macht weiter eines deutlich: Jedes Kont rollsystem ist verbesserungsfähig, muss fortlaufend kritisch hinterfragt und weiterentwickelt werden. Trotzdem gilt: Kon trollmechanismen können noch so perfekt sein, aber dagegen,

dass sich Einzelne nicht an die Vorgaben und Regeln halten, ist letztlich kein System gefeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Deutlich geworden ist jedenfalls: Die vom Justizminister vor gefundenen Strukturen im Justizministerium konnten diese Schwächen in diesem außerordentlichen Extremfall nicht auf fangen.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Dabei ist eines klar: Ein Freiheitsentzug geschieht zwar in der Regel aus guten Gründen, doch der Rechtsstaat hört nicht an den Gefängnismauern auf; seine Prinzipien gelten auch in den Gefängnissen. Der Rechtsstaat hört auch nicht an den Zell wänden auf; er gilt auch in den Gefängniszellen, und zwar auch gegenüber denjenigen, die zuvor rechtsstaatliche Regeln gebrochen haben. Dies macht unseren Rechtsstaat aus, und dies ist Ausdruck der Stärke unserer Rechtskultur.

Nachdem sich die Mangelhaftigkeit des Systems gezeigt hat, hat der Justizminister gehandelt, Konsequenzen gezogen und eine Reihe von Maßnahmen ergriffen.

Das waren zum einen personelle Konsequenzen: Der Justiz vollzugsanstaltsleiter wurde umgehend suspendiert. Es wur den Disziplinarverfahren eingeleitet, um den Fall umfassend aufzuklären. Es gab eine Neuausrichtung in der zuständigen Abteilung.

Zum anderen wurden aber auch Konsequenzen im Aufsichts system gezogen. Es wird eine neue Kultur im Frühwarnsys tem geben, weg von der bisherigen Bringschuld hin zu einer Kultur, die proaktiv und engmaschiger die Einhaltung der Re geln überprüft.

Ein Weiteres haben die Vorfälle in der Justizvollzugsanstalt gezeigt: Wir brauchen gerade in geschlossenen Systemen, wie es eine JVA nun einmal ist, eine erhöhte Sensibilität, und es schadet auch nicht, externen Sachverstand hinzuzuziehen. Auch hier handelt der Justizminister und stärkt das Personal vor Ort.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Zudem setzt er in Kürze eine Fachkommission ein, um Vor schläge zum Umgang mit psychisch auffälligen Gefangenen zu entwickeln und umzusetzen. Die Strafvollzugsbeauftrag ten der Fraktionen hat er zur Mitwirkung eingeladen.

Herr Justizminister Stickelberger hat soeben noch einmal deutlich gemacht, wie sehr ihn dieser tragische Fall betrifft und mit welch großem Ernst er Maßnahmen einleitet, um sol che Vorgänge in Zukunft möglichst zu vermeiden. Die in Ih rem Entlassungsantrag formulierten Vorwürfe konnten hinge gen einer kritischen Prüfung nicht standhalten. Daher gibt es keinen Grund, Ihrem Entlassungsantrag zu folgen.

Justizminister Stickelberger genießt mein volles Vertrauen.

(Anhaltender Beifall bei den Grünen und der SPD)

Gemäß § 82 Absatz 4 der Geschäftsordnung erteile ich das Wort Herrn Fraktions vorsitzendem Hauk.

(Zurufe von den Grünen und der SPD: Zurückziehen! – Entschuldigung!)

Herr Präsident, meine sehr verehr ten Damen und Herren! Wir sind doch etwas erstaunt.