Protokoll der Sitzung vom 26.11.2014

Herr Präsident, meine sehr verehr ten Damen und Herren! Wir sind doch etwas erstaunt.

(Zurufe von der SPD: Was? – Wir auch!)

Da wird ein Entlassungsantrag gestellt. Dass der Ministerprä sident den Minister verteidigt, damit haben wir gerechnet. Dass sich der Minister selbst bemüßigt sieht, zu einer Selbst verteidigungsrede anzusetzen, ist hingegen ein Novum in der Geschichte dieses Landes,

(Staatssekretär Ingo Rust: Das ist doch richtig! – Zu ruf des Abg. Martin Rivoir SPD)

so, wie auch der Anlass ein Novum ist. Ich sage es noch ein mal.

(Zurufe von den Grünen und der SPD – Glocke des Präsidenten)

Ich bin ja dankbar dafür – – Jetzt hören Sie doch mit dem Ge schrei auf! Die Sache ist eigentlich zu ernst, um hier herum zuschreien.

(Beifall bei der CDU – Abg. Klaus Herrmann CDU zu Grünen und SPD: Offenbar seid ihr sehr empfind lich!)

Ich sage es noch einmal: Da kommt ein Mensch zu Tode, und zwar unter den Augen baden-württembergischer Beamter, un ter dem Wappen des Landes. Jetzt zu sagen – das sage ich auch in Richtung der FDP/DVP –: „Jetzt warten wir doch einmal ab, zu welchem Ergebnis die Staatsanwaltschaft mit ihren Er mittlungen in Bezug auf die Frage nach der Schuld und nach dem Versagen vor Ort kommt“, ist die eine Seite. Es geht uns nicht nur um die Frage der Schuld; es geht uns um die Frage der Verantwortung.

(Zurufe von den Grünen und der SPD)

Was die Verantwortung betrifft, mögen auch Bedienstete der JVA Bruchsal, wenn man so will, in Haftung genommen wer den; gar keine Frage. Aber was war denn wirklich neu in den Berichten des Justizministers? Neu war Folgendes – und zwar in diesem November, genauer gesagt am vergangenen Mon tag; nicht etwa schon in der Vergangenheit, im Oktober –: Erstmals war von einer neuen Kultur die Rede, hier und heu te. Erstmals war von verstärkten Kontrollmaßnahmen, von ei nem Verstoß gegen die Berichtspflichten die Rede. Von all dem war im Oktober gar nichts zu hören. Im Oktober hat sich der Minister noch vollständig die Meinung des Ministeriums zu eigen gemacht, es sei alles in Ordnung. Das war Tatsache.

Erst jetzt kommt so langsam der Verdacht auf, dass auch im Ministerium die Dinge nicht in Ordnung waren. Das ist der Neuigkeitswert. Hierfür jedoch gibt es eine Person, die dem Landtag gegenüber klar die Verantwortung trägt. Das ist kein Abteilungsleiter, und es ist auch niemand im mittleren Dienst oder auch im höheren Dienst. Vielmehr gibt es nur einen Ein zigen, der gegenüber dem Landtag von Baden-Württemberg hierfür verantwortlich ist, nämlich der Justizminister. Von die sem Justizminister erwarten wir, hierfür die Verantwortung zu

übernehmen. Tun Sie dies, Herr Stickelberger. Treten Sie zu rück! Es ist überfällig.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Jörg Fritz GRÜNE: Lauer Applaus! – Unruhe – Glocke des Prä sidenten)

Gemäß § 82 Absatz 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Fraktionsvorsitzen dem Dr. Rülke das Wort.

Herr Präsident, lie be Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein in der Geschichte des Landes Baden-Württemberg einmaliger Vorgang, dass ein Ge fangener in einer Haftanstalt des Landes verhungert ist. Das führt mit Sicherheit dazu, dass das Ansehen der baden-würt tembergischen Justiz und möglicherweise auch das Ansehen des Landes insgesamt Schaden nehmen.

Es ist natürlich die Verantwortung der Landespolitik – der Re gierung, des Landtags –, dafür zu sorgen, dass sich solche Vor fälle nicht wiederholen, und eigentlich auch, festzustellen, dass so etwas niemals hätte passieren dürfen.

Ich nehme Ihnen persönlich ab, Herr Kollege Stickelberger, dass Sie dies sehr belastet und dass Sie gern alles unternom men hätten, was in Ihrer Macht steht, wenn Sie damit dafür hätten sorgen können, dass dies nicht passiert wäre. Ich glau be Ihnen auch, dass Sie alles Ihnen zu Gebote Stehende tun, um zu verhindern, dass sich so etwas wiederholt.

Aber, Herr Kollege Schmiedel, es macht schon einen Unter schied, ob ein Strafgefangener in einer baden-württembergi schen Haftanstalt verhungert oder ob sich ein Strafgefange ner das Leben nimmt. Insofern waren Ihre Versuche, dies gleichzusetzen, mehr als schäbig.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Ich folge Ihnen, Herr Minister Stickelberger, wenn Sie sagen: „Das muss ausermittelt werden. Es sollten keine Vorverurtei lungen stattfinden.“ Deshalb möchte meine Fraktion, bevor wir zu einer endgültigen politischen Bewertung kommen und bevor wir uns zu der Frage äußern, ob ein Rücktritt notwen dig ist, das Ergebnis dieser Ermittlungen abwarten.

Das unterscheidet uns auch – Herr Kollege Hauk, Sie haben gerade meine Fraktion angesprochen – von der CDU. Für uns ist es schon ein Unterschied, ob sich dann herausstellt, dass der Tod dieses Strafgefangenen ein unabweisbarer Vorgang gewesen ist, für den letztlich keinerlei Verschulden Dritter an genommen werden kann, oder ob sich herausstellt, dass man das Verhungern des Strafgefangenen hätte verhindern können und möglicherweise auch hätte verhindern müssen. Das ist die entscheidende Frage.

Herr Ministerpräsident, Sie sagen zu Recht, vor Fehlern sei kein System gefeit. Im politischen Raum stellt sich aber im mer die Frage nach den Folgen dieser Fehler. Sollte es hier Fehler gegeben haben, sind die Folgen, die Auswirkungen dra matisch.

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Ja!)

Denn wenn sich herausstellen sollte, dass dieser Strafgefan gene deshalb verhungert ist, weil es Fehler gegeben hat, dann stellt sich natürlich die Frage nach der politischen Verantwor tung des zuständigen Ministers.

Herr Minister, Sie haben im Grunde die Verantwortung für Ihr Ministerium schon eingeräumt. Entweder Sie gehen davon aus, dass es auf der Ebene des Ministeriums keinerlei Versa gen gegeben hat – dann stelle ich mir die Frage, warum nun ein Abteilungsleiter gehen muss –,

(Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: So ist es! Ja!)

oder Sie halten es für nötig, dass dieser Abteilungsleiter ge hen muss – damit räumen Sie als Justizminister ein, dass es auf der Ebene des Ministeriums Fehler gegeben hat.

Sollte sich am Ende herausstellen, dass es da eine Kette von Fehlern bis hin zum Ministerium gibt, die zum Tod eines Strafgefangenen geführt haben, dann allerdings, Herr Minis ter, ist es aus unserer Sicht unabweisbar, dass nicht nur dafür gesorgt wird, dass so etwas nie mehr vorkommt, sondern dass eben auch aufgrund der Tragweite dieses Ereignisses der po litisch Verantwortliche für diesen Fall dann die politischen Konsequenzen zu ziehen hat.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Nach § 82 Absatz 4 der Geschäftsordnung erteile ich das Wort der Frau Fraktionsvor sitzenden Sitzmann.

Herr Präsident, liebe Kolle ginnen und Kollegen! Die Kritik des Abg. Hauk, dass der Jus tizminister hier im Landtag Stellung bezogen hat, weise ich ausdrücklich zurück. Ich finde es gut und richtig so.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Die Sitzung des Ständigen Ausschusses am vergangenen Mon tag war eine nicht öffentliche Sitzung. Minister Stickelberger hat zu Recht die Möglichkeit genutzt, in einer öffentlichen Sit zung darzustellen, wie sich der Fall des Hungertods des Häft lings der JVA Bruchsal in der zeitlichen Folge dargestellt hat, und auch, welche Schritte vonseiten des Justizministers un ternommen wurden. Deshalb, meine Damen und Herren, bin ich dem Justizminister ausgesprochen dankbar, dass er die Ge legenheit zu einer öffentlichen Stellungnahme genutzt hat.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Eines habe ich bei Ihnen sehr vermisst, Herr Kollege Hauk. Sie haben zwar Konsequenzen gefordert, Sie haben Kritik ge übt, aber Sie haben sich mit den Konsequenzen, die bereits gezogen worden sind und die in Zukunft das Kontrollsystem und den Umgang mit psychisch auffälligen Gefangenen ver bessern sollen, in keiner Weise auseinandergesetzt. Wenn Sie ein ernsthaftes Interesse an Verbesserungen hätten, an einem anderen Umgang, an einer anderen Berichtspraxis und an ei ner Aufarbeitung mit Blick darauf, wie mit der zunehmenden Anzahl von psychisch auffälligen Gefangenen umgegangen werden kann, dann hätten Sie zu den Konsequenzen Stellung nehmen müssen. Das haben Sie nicht getan, und das macht Ihren heutigen Auftritt und auch Ihren Entlassungsantrag un glaubwürdig.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf: Bra vo!)

Deswegen werden wir Ihrem Antrag selbstverständlich nicht zustimmen.

Ich kann an dieser Stelle auch noch einmal sagen, dass wir er warten, dass auch die CDU-Landtagsfraktion konstruktiv mit arbeitet, wenn es z. B. um die Kommission geht, die Hand lungsempfehlungen erarbeiten soll. Wir erwarten auch, dass Sie davon ablassen, sich nur auf die reine Skandaliserungs ebene zu begeben. Es hätte Ihnen gut angestanden, nach der heutigen Debatte, die ernsthaft geführt worden ist, Ihren An trag zurückzuziehen.

(Zurufe von der CDU)

Diese Chance haben Sie nicht genutzt. Wir werden Ihren An trag ablehnen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Nach § 82 Absatz 4 der Geschäftsordnung erteile ich das Wort Herrn Fraktionsvorsit zendem Schmiedel.

Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Es wurde von mehreren Rednern darauf hingewiesen, dass der Rechtsstaat nicht an den Gefängnis mauern endet. Zu den Regeln des Rechtsstaats gehört es, dass jemand, der außerhalb des Gefängnisses die Nahrung verwei gert, nicht gegen seinen Willen zwangsernährt werden kann und darf. Dasselbe gilt innerhalb des Gefängnisses.

Deshalb ist diese Frage nicht so einfach zu beantworten. Es ist doch kein Zufall, dass die Staatsanwaltschaft ein Gutach ten in Auftrag gibt, das diese Frage klärt. Deshalb, Herr Dr. Rülke, sollten Sie sich von Vorurteilen und Vorwürfen an die ser Stelle trennen.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Welche Vor urteile habe ich denn formuliert?)

Ihr Vorwurf, Herr Kollege Hauk: „Das kommt jetzt alles ganz spät. Jetzt, im November, hören wir zum ersten Mal davon. Warum nicht im Oktober?“, zeigt, dass Sie entweder Augen und Ohren verschlossen haben oder nichts hören wollen.

(Zuruf des Abg. Peter Hauk CDU)

Am 4. September dieses Jahres hat der Minister per Erlass die Justizvollzugsanstalten nachdrücklich auf die Einhaltung der gesetzlichen Berichtspflicht zur Einzelhaft hingewiesen und Inhalte genannt, die in derartigen Berichten enthalten sein müssen.

Am 10. September ließ Minister Stickelberger eine Stichtags erhebung aller Einzelhaftfälle durchführen und aufklären. Die se Aufklärung führte dazu, dass ein weiterer Fall bekannt wur de, und dann sagen Sie – Vorwurf, Vorwurf –: „Das ist ja gar kein Einzelfall.“ Sie verlangen Aufklärung, aber dann, wenn aufgeklärt wird und dabei ein Fall zutage tritt, werfen Sie dem Minister vor, dass er aufklärt. Da müssen Sie sich einmal ent scheiden, was Sie ihm eigentlich vorwerfen.

Am 8. Oktober wies der Justizminister die Justizvollzugsab teilung an, alle Einzelfälle genauer zu überwachen und eine Wiedervorlage zum Ablauf der Dreimonatsfrist einzuführen.