Protokoll der Sitzung vom 12.03.2015

(Abg. Peter Hauk CDU: Wo sind denn Ihre Kollegen aus Hessen?)

Auch Hessen, da gebe ich Ihnen ausdrücklich recht. – All diejenigen haben sich weggeduckt, nur Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg nicht. Die Bundesumweltministerin hat vor wenigen Wochen erklärt, dass sie da nicht weiter zu schaut und selbst einen Vorschlag vorlegen wird – der mit Si cherheit die Überlegung beinhalten wird, fünf Behälter aus La Hague nach Philippsburg zu bringen. Ich erwarte von Ihnen, dass Sie in dieser Frage mitziehen und nicht den Konsens, den man 2012 gefunden hat, in der Art und Weise unterminieren, wie Sie es bisher in dieser Frage gemacht haben. Sie müssen endlich Verantwortung zeigen für die Dinge, die über die letz ten Jahrzehnte in der Atompolitik gelaufen sind. Das sieht an ders aus als das, was Sie hier aufgeführt haben.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD – Glocke des Präsidenten)

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Rapp?

Bitte.

Bitte schön, Kollege.

Herr Untersteller, um Ihren Blutdruck wieder etwas abzusenken: Vor wenigen Wochen gab es einen Störfall in Fessenheim. Da habe ich Sie ange schrieben mit der Bitte um Unterstützung, bei den Franzosen nachzufragen, auch was die Laufzeit betrifft. Ich habe bis heu te noch keine Antwort bekommen.

Herr Kollege Rapp, ich gehe nachher auf Fes senheim ein, wenn Sie erlauben.

Ich möchte einen zweiten Punkt in Bezug auf das Thema „Ver antwortliche Atompolitik in Baden-Württemberg“ ansprechen, nämlich die Frage: Was haben wir in Bezug auf die Aufsicht der Atomkraftwerke geändert? Herr Kollege Lusche, Sie ha ben angesprochen, dass die Atomaufsicht auch in der Vergan genheit schon verantwortlich mit diesen Fragen umgegangen ist. Das hat niemand in Abrede gestellt.

(Abg. Ulrich Lusche CDU: Das impliziert aber Ihr Titel!)

Trotzdem haben wir in meiner Amtszeit einige Modifikatio nen vorgenommen. Ich will versuchen, deutlich zu machen, welche:

Auf Basis der 2012 verabschiedeten Sicherheitsanforderun gen für Kernkraftwerke haben wir eine ergänzende Sicher heitsüberprüfung veranlasst.

Bei der Überprüfung der Nachweise des Betreibers ziehen wir wie auch bei anderen Überprüfungen neben dem Hauptgut achter, nämlich dem TÜV SÜD, zwischenzeitlich verstärkt weitere Gutachterorganisationen hinzu.

Die Nachrüstungen infolge der Fukushima-Überprüfungen verfolgen wir stringent auf der Basis eines veröffentlichten Aktionsplans.

Ein weiteres Beispiel für die intensive Atomaufsicht in Ba den-Württemberg ist unser sogenanntes MTO-Aufsichtspro gramm. Was steckt dahinter? Hier kontrollieren wir die mensch lichen, die technischen und die organisatorischen Auswirkun gen der Abschaltungen bzw. der verkürzten Laufzeiten, wie z. B. Motivation der Mannschaften, Know-how-Erhalt, Per sonalplanung, veränderte Aufgaben und Fremdfirmeneinsatz.

Einen dritten Punkt möchte ich in Bezug auf das Thema „Ver antwortliche Atompolitik“ und die Frage, was sich in den letz ten Jahren geändert hat, nennen: Wir haben auch – das ist von verschiedenen Vorrednern schon angesprochen worden – Fort schritte bei der Information und der Beteiligung der Öffent lichkeit erreicht. An den Standorten in Baden-Württemberg haben wir die sogenannten Infokommissionen eingerichtet, bisher bundesweit einmalig. Es gibt eine Reihe von Bundes ländern, die sich nach zwei Jahren jetzt bei uns nach dem Ver lauf erkundigen. Ich gehe davon aus, dass das eine oder an dere Bundesland die Überlegungen, die wir angestellt haben, die erfolgreich waren, nämlich Bürgerinnen und Bürgern über die formale Öffentlichkeitsbeteiligung hinaus regelmäßig die Gelegenheit zu geben, Dinge gegenüber dem Betreiber, ge genüber der Aufsichtsbehörde intensiv anzusprechen, in Zu kunft auch nutzen wird. Damit haben wir bei den Vor-Ort-Ter minen Diskussionsplattformen geschaffen, die von der Bevöl kerung intensiv genutzt werden.

Einen vierten Punkt will ich nennen – jetzt wird es ein wenig juristisch –, nämlich die Verteidigung des Atomausstiegsge setzes. Herr Kollege Lusche, eines möchte ich raten: Wir soll ten nicht so groß öffentlich über das reden, was heute in der Zeitung steht.

(Abg. Winfried Mack CDU: Nein, ja nicht!)

Es war die Entscheidung der Vorgängerregierung, im März 2011 Bescheide zur Stilllegung der beiden Kernkraftwerke herauszuschicken. Ich stütze das in der juristischen Ausein andersetzung ausdrücklich, insbesondere vor dem Hintergrund – so viel will ich dazu sagen; da kommt ein wenig meine per sönliche Verwunderung zum Ausdruck –, dass das betroffene Unternehmen am 15. März 2011 – sprich bevor meine Vor gängerin die Bescheide zur Stilllegung der Anlagen heraus geschickt hat – eine Pressemitteilung veröffentlicht hat, in der es heißt – ich zitiere –:

Vor dem Hintergrund der dramatischen und menschlich zutiefst bewegenden Ereignisse in Japan hat die EnBW Energie Baden-Württemberg AG erklärt, ihr Kernkraft werk GKN 1 vorübergehend freiwillig abfahren zu wol len. Die EnBW folgt damit ihrer besonderen Verantwor tung als Betreiber von Kernkraftwerken.

Wohlgemerkt: Das war vor der Entscheidung meiner Vorgän gerin, Bescheide zur Stilllegung der Anlagen herauszuschi

cken. Wir haben jetzt eine gerichtliche Auseinandersetzung. Vor Gericht wird dann zu klären sein, wie die Sache ist. Sie dürfen davon ausgehen, dass ich die Entscheidung meiner Vor gängerin mit allen Mitteln verteidigen werde. Sie sind gut be raten, hier mit uns an einem Strang zu ziehen. Mehr möchte ich an dieser Stelle dazu gar nicht sagen.

Auf einen Punkt möchte ich aber doch noch eingehen. Es gibt nicht nur dieses Verfahren. Zwischenzeitlich gibt es auch vor dem Bundesverfassungsgericht ein Verfahren, das von drei Unternehmen, nämlich von E.ON, RWE und Vattenfall, an gestrengt wurde. Dabei handelt es sich um eine Verfassungs klage gegen das novellierte Atomgesetz. Die EnBW ist nicht dabei.

In der Stellungnahme der Bundesregierung zu dieser Verfas sungsklage fällt auf, dass der Risikoaspekt vollkommen fehlt. Deshalb hat sich Baden-Württemberg entschlossen, gemein sam mit dem Land Schleswig-Holstein eine umfangreiche ver fassungsrechtliche und risikobezogene Verteidigung mit in das Verfahren einzuführen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt in diesem Verfahren, vor allem vor dem Hintergrund, dass wir damit das Ziel verfolgen, zu vermeiden, dass die Steuerzah lerinnen und Steuerzahler für die Versäumnisse der damali gen Bundesregierung nachträglich noch zur Kasse gebeten werden.

Ich möchte noch einen fünften Punkt ansprechen – jetzt kom me ich zu dem, was Herr Kollege Rapp angesprochen hat –: die Anforderungen an Atomkraftwerke in Europa.

Wie in Deutschland müssen wir auch in Europa zu Laufzeit begrenzungen und hohen Sicherheitsstandards kommen. Die ältesten und anfälligsten Meiler müssen möglichst zügig vom Netz gehen.

Wir haben die Sicherheit der grenznahen Anlagen, sprich der beiden Reaktoren in Fessenheim und der Reaktoren in Bez nau in der Schweiz, einer gutachterlichen Bewertung unter zogen. Die Ergebnisse haben wir öffentlich gemacht. Wir ha ben sie den verantwortlichen Ministerinnen und Ministern, den zuständigen Behörden übermittelt und in die Fachdiskus sionen der bilateralen Kommissionen eingebracht.

In politischen Gesprächen, so auch beispielsweise in Gesprä chen, die ich mit der früheren französischen Umweltministe rin Delphine Batho oder zuletzt auch mit dem engsten Bera ter der jetzigen Umweltministerin Ségolène Royal, mit Herrn Jean-Louis Bianco, geführt habe, habe ich das Thema Fessen heim angesprochen und unsere Sicht der Dinge dargelegt. Da bei habe ich auch unseren dringenden Wunsch zum Ausdruck gebracht, die Anlage spätestens zu dem Zeitpunkt stillzule gen, den der französische Präsident selbst genannt hat, näm lich spätestens bis zum Jahr 2016. Diese Gespräche habe ich auch mit den Ergebnissen der Gutachten unterfüttert. Diese haben wir vorgelegt.

Sie alle kennen die derzeitige Diskussion. Ich bin persönlich ein wenig darüber besorgt, was in den letzten Wochen zu die sem Thema veröffentlicht wurde. Sie können aber davon aus gehen, dass wir weiterhin unsere Möglichkeiten nutzen, un serem dringenden Wunsch in der Frage des grenznahen Kraft werks Fessenheim, das übrigens in Frankreich das älteste noch am Netz befindliche Kraftwerk ist, Nachdruck zu verleihen.

Mein Wunsch wäre es, dass hier alle Fraktionen an einem Strang ziehen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Meine Damen und Herren, vier Jahre verantwortungsvolle Atompolitik in BadenWürttemberg haben deutliche Fortschritte gebracht: erstens bei der Endlagerthematik, zweitens bei der Sicherheitsüber wachung der Anlagen im Land, drittens bei der Einbeziehung der Bevölkerung, viertens bei der Fortführung des Atomaus stiegs und fünftens bei der grenzüberschreitenden Diskussion über die Sicherheit der Kernkraftwerke.

An dieser Stelle will ich auch betonen, dass wir erst dann am Ziel sind, wenn die Kernkraftwerke abgeschaltet und abge baut und wenn die Abfälle in die Endlager verbracht sind. Auf dem Weg dahin müssen hohe Sicherheit und wirksamer Strah lenschutz, auch im Zusammenhang mit der Freimessung der Abfälle – das will ich an der Stelle auch betonen –, gewähr leistet werden. Ich hoffe, ich konnte deutlich machen, dass sich die Fortschritte unserer Atompolitik auf diesem Weg wirklich sehen lassen können.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf: Sehr gut!)

In der zweiten Runde erteile ich Herrn Abg. Raufelder für die Fraktion GRÜNE das Wort.

Vielen Dank, Herr Mi nister, dass Sie deutlich gemacht haben, was die grün-rote Landesregierung hier schon alles auf den Weg gebracht hat.

Ich möchte noch kurz auf die Infokommission eingehen. Die se hat eine ganz wichtige Funktion. Im Fall Philippsburg wur de beispielsweise auch Rheinland-Pfalz mit einbezogen. Denn das Kernkraftwerk liegt genau an der Grenze zu RheinlandPfalz. Die Kollegen aus Rheinland-Pfalz, also Bürgermeister, Gemeinderäte usw., sind sehr froh darüber, dass sie – auch von unserer Landesregierung – in die Diskussionen einbezo gen worden sind.

In Obrigheim haben wir viel darüber gelernt, wie man schwach, mittel und hoch radioaktive Abfälle bewerten kann und wie man diese entsorgen muss. Es war eine große Leistung, an die sem Projekt zu lernen, wie die Thematik weiter angegangen werden kann. Das Ministerium ist hier auch sehr vorbildlich vorgegangen. Man hat gemerkt, dass bei den daran beteilig ten Firmen ein Know-how entstanden ist, das wir weiter för dern müssen.

Es ist wichtig, dass diese Technologie und die Umsetzung, die Recyclingmöglichkeiten bzw. die Möglichkeiten für die End lagerung von Fachleuten begleitet werden. Es gibt viel zu we nige Fachleute, um diese schwierige Materie umzusetzen. Da ran arbeiten wir. Daran hat der Minister auch mit verschiede nen wissenschaftlichen Institutionen gearbeitet. Es ist wich tig, dass wir dies fortsetzen können.

Es ist mir auch wichtig, deutlich zu machen, dass wir zurzeit noch einen Atomstromanteil von 30 % haben. Dies ist noch relativ viel. Deswegen ist es auch wichtig, dass alternative

Technologien, die nun Gott sei Dank im Kommen sind, von Solarstrom über Windenergie bis zu Aktivitäten in der Bio technologie, weiter gefördert werden. Man sollte auch die Geothermie nicht ganz vergessen.

Es gibt wirklich vieles, was wir hier vorantreiben. Es läuft auch sehr gut. Die Leute beteiligen sich. Wir müssen uns aber immer wieder sagen: 30 % Atomstrom sind noch zu viel. Das müssen wir reduzieren. Wir müssen Alternativen anbieten, weil die Versorgungssicherheit, wie Herr Stober bereits ge sagt hat, für uns ganz wichtig ist. Ich meine, das ist auch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass hier, wie Gott sei Dank zu merken ist, ein gemeinsames Interesse besteht, dass diese Energiewende gelingt.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Für die Fraktion der CDU ertei le ich dem Kollegen Nemeth das Wort.

Guten Morgen, Herr Präsident, mei ne Damen und Herren! Was ich bisher gehört habe, war so ein bisschen eine Nostalgiedebatte. Das ist auch in Ordnung. Man muss auch nach hinten schauen. Den Spaß habe ich mir heu te Morgen auch gemacht. Seit 2011, seit der Regierungsüber nahme von Grün-Rot, sind etwa 50 Millionen MWh Atom strom in Baden-Württemberg produziert und verbraucht wor den. Herr Kollege Raufelder, ich will nur darauf hinweisen, dass 37 % unseres Strommixes nach wie vor aus Kernenergie produziert werden.

(Zuruf: Woran liegt das?)

Daran hat sich nichts geändert.

(Abg. Edith Sitzmann GRÜNE: Das ist doch erheb lich niedriger als früher!)

Herr Minister Untersteller hat nach der Regierungsübernah me 2011 gesagt, bis 2017 könne man die restlichen Reakto ren, also Philippsburg 2 und Neckarwestheim II, abschalten.