Protokoll der Sitzung vom 29.04.2015

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Manfred Lucha GRÜNE: Da sind wir d’accord!)

Das Zweite: Sie sagen, es gebe Konsens in der Koalition. Ich sage – übrigens auch in Bezug auf meine Vorredner, Herrn Minister Friedrich und Sie –: Die Grünen und die SPD haben einen völligen Dissens bei der Frage der Zuwanderung und der Einwanderung – einen völligen Dissens! Die SPD hat vor geschlagen, beispielsweise das Kanada-Modell einzuführen, mit einem Punktesystem. Das wird von den Grünen vollstän dig abgelehnt.

Das heißt, wir müssen irgendwann schon die berechtigte Fra ge ehrlich beantworten: Wie viel Zuwanderung und welche Einwanderung braucht Deutschland, und auf welchem Weg können wir das auch klug steuern? Das kann nicht einfach nach dem Motto gehen: „Wir müssen alle reinlassen.“ Das wird Deutschland überfordern. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, wenn Sie über die Fluchtursachen sprechen: Wie können wir vor Ort helfen? Da sind die Vorschläge, Migrati onszentren vor Ort, auch in Afrika, einzurichten, sinnvoll.

Damit komme ich auch zum Thema Entwicklungspolitik und zu diesem Landeshaushalt. Wir hatten 2011 noch 4 Millio nen € für Entwicklungspolitik eingestellt. – Übrigens, Kolle ge Hauk, Kollege Lasotta und andere waren jetzt in Burundi. – Sie haben diese Mittel – in der jetzigen Zeit! – auf 2,9 Mil lionen € gekürzt – trotz steigender Steuereinnahmen. Das ist doch in meinen Augen von Ihnen nicht beantwortet.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Wie kann man in einer solchen Zeit kommen und sagen: „Wir wollen mehr Hilfe in der Entwicklungspolitik vor Ort“, und gleichzeitig um 25 % kürzen? Auch darüber muss man fair und offen sprechen.

Jawohl, Herr Minister, Sie haben richtigerweise die Proble matik Libyens angesprochen. Wenn Libyen nicht stabilisiert wird, werden wir dieses Problem vor Ort, an der libyschen Grenze, nicht lösen können. Das ist eines der ungelösten Pro bleme; das muss man auch ehrlich sagen.

De Maizière haben Sie, Kollege Lucha, natürlich unvollstän dig zitiert. Ich empfehle Ihnen wegen der Kürze der Zeit: Le sen Sie seine Rede, die er in der vergangenen Woche vor dem Deutschen Bundestag gehalten hat, dann werden Sie seine Haltung kennenlernen.

Aber eines will ich hier ergänzen: Wir werden bei 28 EU-Staa ten nicht mit Deutschland allein das Problem Europas lösen können. Deutschland gehört zu den Ländern, die hier sehr fair vorgehen. Dafür werden wir in der Bundesrepublik Deutsch land übrigens heute sehr gelobt. Nehmen Sie einmal die „Stuttgarter Zeitung“ von heute: Wir brauchen eine faire Auf nahmequote – jawohl, das hat gestern auch die EVP-Fraktion in Brüssel gefordert –, entsprechend legale Zugangswege, auch zeitweise befristete Aufnahme von Flüchtlingen als Ar beitskräfte oder zur Ausbildung. „Als Einwanderungsland ist die Bundesrepublik sehr liberal“, so heißt es gleich am An fang. Das stimmt. Gleichzeitig heißt das: Wir brauchen alle 28 EU-Staaten. Nehmen Sie einmal Großbritannien und an dere Länder.

(Glocke des Präsidenten)

Würden Sie bitte zum Schluss kommen.

Es geht natürlich nicht, dass sich manche EU-Staaten einen schlanken Fuß machen und Deutschland die Probleme der Welt lösen soll. Das wird uns überfordern. Auch das will ich an dieser Stelle hinzufü gen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Zu dieser angesprochenen Bundesratsinitiative: Lieber Kol lege Glück, dazu muss ich schon sagen, Politik in Berlin spielt sich nicht im Sandkasten ab.

(Heiterkeit der Abg. Friedlinde Gurr-Hirsch CDU)

Sie sagen: eine Bundesratsinitiative zum Demonstrieren. Da wird mir der Minister sicher recht geben: Bevor Sie eine Mehrheit haben, brauchen Sie erst einmal 35 Stimmen der Länder. Aber damit ist es noch nicht getan. Sie waren auch einmal in einer Koalition in Berlin. Sie brauchen zwei große Koalitionspartner, und Sie brauchen Mehrheiten.

Dieses Thema wird uns beschäftigen, aber es ist viel zu ernst, als dass man Show-Demonstrationsinitiativen im Bundesrat einbringt. Wir brauchen Mehrheiten und vernünftige Lösun gen für Deutschland. Deshalb will ich abschließend schon da rauf hinweisen: Die Komplexität ist sehr groß. Die Union, un sere Fraktion,...

(Glocke des Präsidenten)

Herr Kollege, ich bitte Sie jetzt wirklich, zum Ende zu kommen.

... fordert in Europa ei ne humanitäre Flüchtlingspolitik, eine moderne Zuwande rungspolitik und eine kommunalfreundliche Asylpolitik.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE – Zuruf des Abg. Manfred Lucha GRÜNE)

Für die Fraktion der SPD erteile ich das Wort der Kollegin Haller-Haid.

Herr Präsident, liebe Kollegin nen und Kollegen! Der Kollege Glück hat zu Recht gefragt: Was können wir hier in Baden-Württemberg machen? Natür lich kann man über den Bundesrat etwas machen, gemeinsam mit anderen, und genau das werden wir auch tun. Dazu haben wir gerade eine Anfrage vorgelegt.

Aber wir können noch etwas anderes machen. Wir können als Parlament von Baden-Württemberg hier Stellung beziehen. Stellung zu beziehen in der Frage der Flüchtlingspolitik ist ei ne ganz wichtige Sache. Die Menschen schauen, was hier drin passiert, ob wir es schaffen, uns gemeinsam für eine humane Zuwanderung auszusprechen. Das ist eine ganz wichtige Fra ge, ebenso wie die Frage: Wie gehen wir mit einer Flüchtlings politik um, die wir nicht akzeptieren, die dazu führt, dass Menschen ums Leben kommen? Dass wir dazu Stellung be ziehen, das wird von uns erwartet, und das sollten wir tatsäch lich parteiübergreifend gemeinsam machen. Deshalb ist es notwendig und richtig, dass wir diese Debatte führen und hier Stellung beziehen.

Das Zweite, was wir hier von Baden-Württemberg aus ma chen können: Wenn es um die Nothilfe für die Mitgliedsstaa ten an den Außengrenzen geht, dann können wir auch etwas machen. Die sind nämlich in einer ganz anderen Weise betrof fen. Wir dürfen nicht bloß darüber diskutieren, wie nun die gerechte Verteilung aussieht, und fragen: Überfordern wir hier unsere Gesellschaft? Eine Überforderung erleben ganz ande re Länder, z. B. die Türkei. Dort befinden sich Millionen Men schen in den Flüchtlingslagern. Darauf muss man einmal hin weisen. Dies gilt auch für die afrikanischen Länder; diese sind mit ihren Flüchtlingen in einer Art und Weise überfordert, wie wir es uns hier kaum vorstellen können. Hier von Überforde rung zu reden, führt daher nicht zu einer größeren Akzeptanz.

Wir müssen tatsächlich anfangen, den Staaten zu helfen, die überfordert sind, und das sind auch europäische Staaten. Das sind Griechenland und vor allem Italien. Da können wir eini ges machen. Vor allem müssen wir aufhören, eine schiefe De batte zu führen, wie sie in diesem Land immer wieder geführt wird. Da sagt man: „Griechen, spart ein bisschen mehr, aber die Flüchtlinge müsst ihr anständig unterbringen.“ Das passt alles nicht zusammen. Ich denke, wir können hier einiges tun, um diesen Mitgliedsstaaten zu helfen.

Jetzt komme ich noch einmal zur Verdreifachung der Mittel. Das ist ein richtiger Schritt. Was aber haben wir für die Ban kenrettung ausgegeben? Da haben wir viele Sondergipfel ver anstaltet. Auch was die Rettung der Handelsschiffe anbelangt, organisieren wir sehr viel und engagieren uns stark am Kap Horn mit ganz vielen Schiffen. – Jetzt stellt Deutschland zwei Schiffe; das ist in der Relation sehr, sehr wenig. Ich denke, wir sind alle aufgefordert, Stellung zu beziehen und mit da für zu sorgen, dass in dieser Frage künftig mehr Engagement von Deutschland ausgeht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die FDP/DVP-Fraktion ertei le ich das Wort dem Kollegen Glück.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind der Landtag von Ba den-Württemberg. Da tut es manches Mal gut, sich die Frage

zu stellen: Was können wir nicht tun, und was liegt in unserer Schlagweite, was können wir tun?

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Sehr rich tig!)

Wenn wir uns diese Frage nicht stellen, dann kommen am Schluss irgendwelche tollen Worte, denen keine Taten folgen. Ich glaube, wir sind uns einig: Das darf an dieser Stelle nicht sein.

Herr Kollege Reinhart, Sie wollten uns vorhin darüber auf klären, dass das Asylrecht überfordert ist. Wenn Sie gut zuge hört haben, haben Sie vielleicht gehört, dass jeder andere Red ner das genauso gesagt hat. Das Asylrecht ist nicht ausrei chend,

(Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU)

das Asylrecht ist – Stand heute – überfordert und wird für et was angewendet, für das es ursprünglich nicht gemacht wur de. Wenn ich mir überlege: Eine Flucht aus Afrika nach Eu ropa, das ist ein riesengroßer Aufwand. Es ist ein organisato rischer und ein finanzieller Aufwand. Die Leute geben alles an Kraft und an Geld, was sie geben können. Ich überlege mir jetzt: Wenn ein Flüchtling aus der Sahelzone mit dem glei chen Aufwand die Möglichkeit bekommt, eine Ausbildung zu machen und Deutschkenntnisse zu erlangen, z. B. an einem Goethe-Institut, und beides dann Berücksichtigung in einem Punktesystem findet, das wir im Rahmen eines Einwande rungsgesetzes etablieren, dann lohnt der legale Weg, weil er weniger Risiko birgt.

Dann passieren zwei Dinge: Das Erste ist, dass wir auf ein mal einen Menschen mit einer Ausbildung, der noch dazu ei ne Fremdsprache beherrscht, in Afrika haben, der möglicher weise – weil er besser ausgebildet ist – keine Ursache mehr für eine Flucht sieht. Das ist das eine, was passieren kann.

Das andere, was passieren kann, ist, dass dieser Mensch nach Deutschland kommt, aber dann nicht als Asylant, sondern als Fachkraft.

Mit solchen Rahmenbedingungen haben wir die Möglichkeit, auch unserer Bevölkerung die Chancen der Zuwanderung zu vermitteln und nicht nur das Risiko.

Herr Kollege Reinhart, auch beim Vermitteln der Chancen sind Sie ganz besonders gefragt.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Herr Minister Friedrich, Sie wün schen noch einmal das Wort? – Bitte.

Ich möchte noch zwei kurze Hinweise geben.

Mein erster Hinweis bezieht sich auf das Thema Einwande rungsgesetz. Herr Reinhart, ich weiß nicht, wie Sie auf eine Uneinigkeit zwischen SPD und Grünen gekommen sind.

(Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU: „Stuttgarter Zei tung“ von heute! – Gegenruf des Abg. Daniel Andre as Lede Abal GRÜNE: Wenn es in der Zeitung steht, wird es schon stimmen!)

Sicher gibt es bei der Ausgestaltung der einzelnen Punkte – – Ich empfehle Ihnen einmal die Lektüre der Presse aus der Zeit, als das Konzept der SPD-Bundestagsfraktion vorgestellt wur de. Ich erinnere mich ganz gut, dass es da Uneinigkeit zwi schen einem Herrn Tauber und einem Herrn de Maizière da rüber gab, ob die CDU ein Einwanderungsgesetz will oder nicht. Ich finde, wir sollten Ihre Aussage aus der ersten Run de sozusagen nutzen, um gemeinsam für ein echtes Zuwan derungsrecht und Einwanderungsrecht zu streiten. Vielleicht bekommen wir dafür auch Mehrheiten im Deutschen Bundes tag hin, wenn Sie sich in der Union durchsetzen können.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die wieder holt aufgestellte Behauptung, wir hätten die Mittel in der Ent wicklungshilfe gekürzt. Das ist schlicht und ergreifend un wahr. Schauen Sie sich einmal den Bericht des Bundesminis teriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung über die ODA-Quote der Bundesländer an. Die ODA-Leis tung Baden-Württembergs beträgt inzwischen 124 Millio nen €. Das ist übrigens fast doppelt so viel wie in Bayern. Ba den-Württemberg steht damit auf dem zweiten Platz. Die Mit tel sind in den letzten Jahren auch immer weiter angestiegen.

Sie haben einen Haushaltsposten herausgegriffen, in dem das frühere Internationale Institut für Berufsbildung Mannheim enthalten war, dessen Weiterentwicklung Sie damals während Ihrer Regierungszeit versäumt haben. Dieses Institut hat zum Schluss faktisch keine Entwicklungsarbeit mehr gemacht, son dern war vor allem für den Bereich China tätig und hat dort fast ausschließlich nur noch Fortbildungen für Fachkräfte für China angeboten. Dies entspricht ehrlicherweise nicht unbe dingt dem Ansatz von Entwicklungszusammenarbeit, den wir uns gemeinsam mit unseren Leitlinien des Landes BadenWürttemberg gegeben hatten.