Protokoll der Sitzung vom 18.06.2015

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist Baden-Würt temberg auch. Wir haben Ultranet und SuedLink. Unabhän gig von der Tatsache, dass Bayern vom EEG in seiner jetzi gen Form mehr profitiert als jedes andere Bundesland – Bay ern kassiert aus dem Aufkommen der EEG-Umlage jährlich 1 Milliarde € mehr, als die Bayern an EEG-Umlage bezahlen –, unabhängig also davon, dass Bayern ohnehin an anderer Stelle profitiert, können, wenn Bayern den Konsens jetzt auf kündigt, zwei Dinge drohen.

Erstens: Die SuedLink-Trasse wird bis 2022 nicht fertigge stellt. Zweitens: Es droht eine Aufspaltung in zwei Preiszo nen, in eine Preiszone Nord mit niedrigeren Strompreisen und eine Preiszone Süd mit höheren Strompreisen. Das darf nicht sein. Das ist nicht unser Interesse; das ist auch nicht das Inte resse Bayerns. Aber entweder verstehen die Bayern es nicht, oder sie haben sich für den populistischen Weg entschieden, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das darf nicht sein.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Diese Entwicklung betrachten wir mit Sorge. Deswegen ha ben wir bereits im April dieses Jahres einen Antrag mit dem Titel „Gefährdet die Bayerische Staatsregierung die Strom versorgung in Baden-Württemberg?“ gestellt. Die Stellung nahme des Umweltministeriums, für die ich danken möchte, zeigt, dass es auch ein Risiko für uns ist, wenn diese Strom trassen so nicht gebaut werden können.

Die Bayerische Staatsregierung erinnert hierbei ein ganz klei nes bisschen an eine Burg, die aus Populismus alle Zugbrü cken nach oben gezogen hat und sich eines Tages wundert, dass die Vorräte an Wein zur Neige gehen, meine sehr geehr ten Damen und Herren.

Ich bin aber guter Dinge, dass das auch die Bürgerinnen und Bürger in Bayern verstehen. Der Freie-Wähler-Chef Aiwan ger in Bayern sagte auch schon über Aigners Pläne, sie seien so, wie wenn man eine Kegelbahn in Nachbars Garten bauen möchte, weil man sich selbst den eigenen Rasen nicht versau en wolle.

Ich bin also guter Dinge, dass auch Aigner und Seehofer mög licherweise kapieren, dass sie da auf dem Holzweg sind.

Ich habe jetzt zwei Forderungen zu stellen. Die eine Forde rung möchte ich an die CDU-Fraktion richten. Sie haben sich

heute schon – Kollege Nemeth hat es gesagt – zum Strom netzausbau bekannt. Das ist gut so. Räumen Sie da bitte die Unklarheiten aus. Es kann nicht sein, dass diese Unklarheiten in der Union immer wieder auch uns hier in Baden-Württem berg schwer zu schaffen machen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP, der Grünen und der SPD)

Ich möchte bloß sagen: Das ist z. B. der Streit um die Maut oder die Erbschaftsteuer und jetzt auch noch der Streit bei den Stromnetzen. Fahren Sie nach Bayern. Erzählen Sie Herrn Seehofer und Frau Aigner, dass die Pläne, die sie haben, schlicht Mist sind.

(Beifall bei der FDP/DVP und den Grünen sowie Ab geordneten der SPD)

Die zweite Forderung möchte ich an die Landesregierung rich ten. Setzen Sie sich weiterhin für das Bundesbedarfsplange setz, Stand 2013, ein, und kommen Sie bitte den bayerischen Seifenblasen keinen Millimeter entgegen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Das Wort für die Landesregie rung erhält Minister Untersteller.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kol legen! Die Diskussion um den Stromnetzausbau in Deutsch land schlägt seit einigen Wochen – man kann das durchaus sa gen – erneut Wellen. Grund dafür sind – das ist hier schon an geklungen – die neuen Vorschläge der Bayerischen Staatsre gierung, die die bisher, Herr Kollege Glück, im beschlosse nen Bundesbedarfsplan – dafür muss man sich nicht mehr ein setzen, sondern dieses Bundesbedarfsplangesetz ist beschlos sen, übrigens mit Zustimmung der Bayerischen Staatsregie rung – enthaltenen Vorgaben ändern wollen. Wir sitzen ja im Bundesrat bekanntermaßen nach dem Alphabet sortiert. Ne ben Baden-Württemberg sitzt Bayern. Da sieht man: Wer stimmt wie ab? So, wie wir mit unseren sechs Stimmen dem Bundesbedarfsplangesetz im Jahr 2013 zugestimmt haben, hat auch Bayern zugestimmt.

Es gibt aber einen Unterschied: Wenn wir, aus Berlin kom mend, die Landesgrenze wieder überschreiten, stehen wir noch zu dem, was wir in Berlin beschlossen haben. Das ist in Bayern anders.

(Heiterkeit der Abg. Edith Sitzmann GRÜNE)

Wie das geht, ist mir rätselhaft. Wenn man sich einmal vor stellt, wir hätten das so gemacht – ich wäre, wie ich immer sa ge, hier an die Wand genagelt worden von der Industrie, von der Opposition, von den Medien, und ich füge hinzu: zu Recht.

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Auch von uns!)

Ich halte das schlicht und ergreifend für ein wirklich verant wortungsloses Verhalten, was die Bayerische Staatsregierung hier gezeigt hat.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Johannes Stober SPD)

Blicken wir einmal zurück: Im Herbst letzten Jahres erklärte der bayerische Ministerpräsident, dass die großen Übertra gungsnetzvorhaben in Richtung Süden eigentlich gar nicht notwendig wären, und forderte damals stattdessen einen von allen deutschen Netzkunden zu finanzierenden Neubau von Gaskraftwerken in Bayern. Das war im Herbst letzten Jahres.

Mittlerweile sieht die Bayerische Staatsregierung – das ist hier schon angeklungen – eine Lösung in der Verschiebung mög licher Trassenkorridore des sogenannten SuedLink-Projekts Richtung Westen, also um Bayern herum, mit der Folge, dass Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg mit diesem Projekt wesentlich stärker belastet wären.

Ganz ehrlich: Unter solider und verlässlicher Politik, Herr Kollege Nemeth, verstehe ich etwas anderes, und Sie, so glau be ich, wenn Sie ehrlich sind, auch; ganz abgesehen davon, dass insbesondere, was jetzt das SuedLink-Projekt betrifft, die Vorschläge, die gemacht werden, für die baden-württember gische Landesregierung völlig indiskutabel sind. Schließlich will sich Bayern hier zulasten der benachbarten Bundeslän der aus der Verantwortung stehlen.

Ich befinde mich übrigens in dieser Frage in voller Überein stimmung mit den Kollegen in Hessen und auch in NordrheinWestfalen. Der Ministerpräsident von Hessen hat sich hier sehr klar geäußert, denke ich.

Bevor ich aber auf die bayerischen Vorschläge näher eingehe, möchte ich noch kurz darstellen, wie die Fakten um das The ma „Notwendigkeit des Netzausbaus“ aussehen.

Der bedarfsgerechte Stromnetzausbau in Deutschland und in Baden-Württemberg ist ein fester und wichtiger Bestandteil der Energiewende.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Ich will so weit gehen, zu sagen: Wer den Netzausbau und den Ausbau der Infrastruktur infrage stellt in Zeiten, in denen die – in Fachbegriffen – volatile Einspeisung, sprich Wind und Sonne, zunimmt, der stellt die Energiewende infrage. Dieser Netzausbau gilt ja nicht nur für den Übertragungsnetzausbau, sondern er gilt auch für das Thema Verteilnetze. Wir erzeugen heute vor allem im ländlichen Raum Strom, das heißt in Re gionen, wo die Netze dafür, das, was erzeugt wird, aufzuneh men, gar nicht vorhanden sind. Deswegen werden wir unab hängig von der Frage des Ausbaus der Übertragungsnetze in den kommenden Jahren auch den Verteilnetzausbau voran bringen müssen.

Es kommt noch etwas anderes hinzu. Netzausbau ist auch, wenn es um Flexibilitätsoptionen geht – vorhin ist der Begriff gefallen: wir brauchen Speicher, und wir brauchen anderes, Herr Kollege Nemeth –, mit Abstand die kostengünstigste Fle xibilitätsoption weit vor dem Thema Speicher. Wenn wir heu te erneuerbare Energien in größerem Maß erzeugen, wie das in Norddeutschland der Fall ist, dann braucht man eine ent sprechende Netzinfrastruktur, um diesen wachsenden Anteil erneuerbarer Energien hier aufzunehmen.

Gerade in Baden-Württemberg, verehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, stehen wir vor ganz besonderen Her ausforderungen. Ich will die wichtigsten nennen.

Erstens: Wir benötigen nun einmal in diesem großen Indust rieland mit 10,4 Millionen Einwohnern relativ viel Strom. Um eine Zahl zu nennen: Wir haben einen jährlichen Verbrauch von rund 80 Milliarden kWh. Wir erzeugen aber in BadenWürttemberg gegenwärtig etwa 60 Milliarden kWh. Dies be deutet, dass wir schon heute rund ein Viertel unseres Stroms importieren. Übrigens: Baden-Württemberg war schon immer eine Stromimportregion, auch zu den Zeiten, als noch fünf Kernkraftwerke hier am Netz gewesen sind, wenn auch nicht in dem Maß, wie das heute der Fall ist.

Zweitens: In den kommenden Jahren, genauer gesagt in den Jahren 2019 und 2022, gehen zwei weitere große Kernkraft werke vom Netz als Folge des beschlossenen Atomausstiegs. Das sind noch einmal 2,6 GW an Leistung. Das heißt, es wird dann noch einmal etwa ein Drittel der heutigen Stromproduk tion nicht mehr zur Verfügung stehen. Das Delta wird also eher größer als kleiner, trotz des Zubaus von erneuerbaren Energien, von KWK, trotz mehr Energieeffizienz in BadenWürttemberg in den kommenden Jahren. Dass wir hier wei ter zubauen werden, ist klar.

Drittens: Wir werden erleben, dass in den kommenden Jahren neben dem Abgang der Kernkraftwerke in Bayern und in Ba den-Württemberg – insgesamt fallen sechs Anlagen weg – auch im konventionellen Bereich Kraftwerke wegfallen, sei es aus genehmigungsrechtlichen Gründen, wie es in Mann heim der Fall ist, sei es aus Altersgründen oder sei es auch aus wirtschaftlichen Gründen, insbesondere in der heutigen Situ ation des Strommarkts. Das Delta wird auch dadurch noch größer werden.

Es kommt noch etwas anderes hinzu: Wir werden unter den Bedingungen des Strommarkts, wie wir ihn heute haben, nicht erleben, dass ein Unternehmen wie EnBW oder MVV oder andere – ganz egal, wer – auf die Idee kommt, neue Gaskraft werke zu bauen. Nur wenn sich das wieder rechnet, werden wir hier den Neubau von Kraftwerkskapazitäten erleben.

Meine Vorschläge dazu – Sie kennen sie – liegen auf dem Tisch. Ich habe schon gesagt: Wir haben heute einen Anteil der erneuerbaren Energien von etwa 23, 24 %. Diesen werden wir in den kommenden Jahren weiter steigern müssen. Wir haben hier ambitionierte Ziele. Ich hoffe, dass sie erreichbar sind – trotz aller Schwierigkeiten, Herr Abg. Wolf, bei der Windkraft in der Anfangsphase. Aber ein solcher Zubau von Erzeugungskapazitäten auf der Basis der erneuerbaren Ener gien oder auch auf der Basis von KWK wird den Ausbau der großen Stromleitungen von Nord nach Süd nicht entbehrlich machen.

Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass wir bis 2022 al lein in Süddeutschland, Bayern und Baden-Württemberg zu sammengenommen, über 8 000 MW an atomaren Kapazitä ten abschalten werden. Das heißt, nicht nur in Baden-Würt temberg, sondern auch in Bayern kann nicht auf den geplan ten Ausbau der Nord-Süd-Verbindungen verzichtet werden, ohne dass wir Risiken in Bezug auf die Gewährleistung der Versorgungssicherheit auf uns laden. Ich finde, daran kann man kein Interesse haben.

Das Delta, das wir haben – ich habe vorhin die Zahlen ge nannt: plus/minus 80 Milliarden kWh Verbrauch, 60 Milliar den kWh Erzeugung –, hat übrigens auch Bayern. Bayern hat

nach Zahlen der Bundesnetzagentur eine Differenz zwischen Verbrauch und Erzeugung von etwa 30 Milliarden kWh. Da her verstehe ich die Haltung der Bayerischen Staatsregierung hier umso weniger.

Es ist ganz offensichtlich, dass es neuer Transportkapazitäten von Nord nach Süd bedarf, um die in Norddeutschland erzeug ten und weiter wachsenden Windstromkapazitäten in die Last zentren des Südens zu bringen, in den Münchner Raum, in den Stuttgarter Raum, in den Raum Mannheim, Ludwigsha fen oder den Frankfurter Raum.

Dieser Ausbau der Netze trägt in der Zukunft unter den sich verändernden Bedingungen der Energiewirtschaft ganz we sentlich zur Versorgungssicherheit hier in Süddeutschland bei. Das gilt insbesondere für die sogenannte HGÜ-Verbindung SuedLink mit einer Übertragungskapazität von 4 GW.

Meine Damen und Herren, mit Sorge nehme ich deshalb zur Kenntnis, dass die Bayerische Staatsregierung einen alterna tiven Trassenvorschlag für die SuedLink-Verbindung von Wilster in Schleswig-Holstein nach Grafenrheinfeld in Bay ern – so war die bisherige Planung – in die Diskussion ge bracht hat, obwohl diese, wie ich eingangs bereits gesagt ha be, in der Bundesnetzagentur bestätigt und auch vom Bundes tag und vom Bundesrat im Bundesbedarfsplangesetz beschlos sen war. Der Vorschlag der Bayerischen Staatsregierung, den Trassenkorridor Wilster–Grafenrheinfeld nach Westen zu ver schieben und über den östlichen Landesteil Baden-Württem bergs nach Gundremmingen zu führen, muss schon sehr ver wundern.

Meine Damen und Herren, die Bayerische Staatsregierung hat es in der Vergangenheit aus meiner Sicht versäumt, die Not wendigkeit des Netzausbaus und die von ihr mitgetragenen Netzausbauplanungen den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort zu kommunizieren und zu erklären. Nun versucht sie nach die sem Versäumnis, die Probleme, die sie heute hat, auf die Nach barländer abzudrücken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das geht meines Erachtens mit dem besten Willen nicht. Ich hal te das für absolut inakzeptabel.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir lehnen den bayerischen Vorschlag zu SuedLink aber auch aus folgenden Gründen strikt ab: Erstens zielt der Vorschlag hauptsächlich darauf, Bayern auf Kosten anderer Bundeslän der zu entlasten. Allein für Baden-Württemberg würde sich aus der geänderten Verbindung Großgartach–Gundremmin gen eine Mehrbelastung von rund 150 Streckenkilometern HGÜ-Leitung ergeben.

Zweitens stellt der bayerische Vorschlag die bisherigen Netz ausbauplanungen für das Projekt SuedLink wieder auf null. Das bedeutet aus meiner Sicht, dass wir befürchten müssten, dass es zu Verzögerungen von plus/minus drei Jahren käme. Der bislang geplante Fertigstellungstermin im Jahr 2022, der heute schon fast außer Reichweite ist und wackelt, würde sich nochmals auf Jahre hinaus verschieben, mit allen Konsequen zen, die das mit sich brächte.

Wie vorhin schon kurz angeklungen ist, kann man nicht aus schließen, dass wir dann über kurz oder lang wieder eine De batte über die Frage hätten: Muss man nicht das eine oder an dere Kernkraftwerk, das zur Stilllegung ansteht, doch noch

länger laufen lassen? Ich finde, wir sollten alle ein Interesse daran haben, dass uns diese Debatte erspart bleibt.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)