Protokoll der Sitzung vom 19.04.2012

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Gesunde Krankenhäuser in BadenWürttemberg in Gefahr – angemessene Finanzausstattung durch den Bund erforderlich – beantragt von der Frakti on GRÜNE

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 40 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die einleitenden Erklärungen der Fraktionen und für die Rednerinnen und Redner in der zweiten Runde gilt jeweils ei ne Redezeit von fünf Minuten. Ich darf die Mitglieder der Landesregierung bitten, sich ebenfalls an den vorgegebenen Redezeitrahmen zu halten.

Schließlich darf ich auf § 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung verweisen, wonach im Rahmen der Aktuellen Debatte die Aussprache in freier Rede zu führen ist.

Das Wort für die Fraktion GRÜNE erhält Herr Abg. Lucha.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Damen und Herren, Vertreter von Krankenhausträgern und Kolleginnen und Kollegen, die in diesem Thema seit Jahren tätig sind! Heute Morgen hat der Bundespräsident sehr eindrücklich skiz ziert, was das Erfolgsmuster dieser Republik war und ist: Frei heitsgedanke, Solidarität, Initiativrecht, offene Gesellschaft. Ich glaube, ein Erfolgsmuster dieser Gesellschaft ist auch, dass es uns gelungen ist, ein flächendeckendes verlässliches Gesundheits- und Versorgungssystem und im Kern dieses Ver sorgungssystems ein Krankenhaussystem zu schaffen, auf das sich die Menschen verlassen konnten und können, sodass sie, wenn sie der Hilfe bedürfen, diese adäquate Hilfe auch bereit gestellt wissen.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir haben die heutige Aktuelle Debatte aus wirklich aktuel lem Anlass beantragt, weil genau diese Situation, die Sicher heit der Krankenhausversorgung und die Stabilität vieler Kran kenhäuser, im Kern gefährdet ist.

Selbstverständlich gab es immer Krankenhäuser, die effekti ver, besser gewirtschaftet haben als andere und möglicherwei se auch bessere Rahmenbedingungen hatten. Das war auch der Ausgleich zwischen großen, erfolgreichen Krankenhäu sern und kleinen und manchmal unter schwierigen Bedingun gen agierenden Krankenhäusern.

Wir haben gerade eine Untersuchung der BWKG vorliegen, wonach 60 % aller Krankenhäuser im Jahr 2011 keinen posi tiven Abschluss machen konnten. Das Besondere daran ist, dass wir bei den Rückmeldungen zum ersten Mal Kranken häuser finden, die unter denselben Bedingungen, also mit den selben Leistungen, die sie den Bürgerinnen und Bürgern an gedeihen ließen, ein Jahr zuvor noch positive Zahlen schrei ben konnten. Nun ist das eingetreten, was lange befürchtet wurde, nämlich dass diese Leistungen erbracht wurden, aber aufgrund bundespolitischen Fehlverhaltens und bundespoliti scher Passivität den Kliniken nicht mehr erstattet werden. Das ist ein Skandal und muss verändert werden.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Durch diese Tatsache fehlten den Kliniken im Jahr 2011 ca. 220 Millionen €. Dieses Geld stand nicht zur Verfügung, um die erbrachten – wohlgemerkt: die erbrachten – Leistungen, die notwendig waren, weil die Bürger sie in Anspruch genom men haben, vergütet zu bekommen. Die Kliniken sind einsei tig auf ihren Rechnungen sitzen geblieben.

Wir sind der Meinung: Das ist kein Zustand mehr; das müs sen wir jetzt ändern. Weil diese Entscheidung auf Bundesebe ne zu treffen ist, muss heute von diesem Haus und von der Landesregierung, die bereits angekündigt hat, da aktiv zu wer den, das Signal ausgehen, dass wir den Bundesgesundheits minister auffordern, endlich tätig zu werden.

Sie müssen sich einmal vergegenwärtigen: Wir haben im Au genblick in Baden-Württemberg 150 000 Beschäftigte in un seren Krankenhäusern, davon 100 000 auf Vollstellen; Sie se hen daran, wie wichtig dieser Bereich für den Teilzeitarbeits markt und für Frauenarbeitsplätze ist. Insgesamt eine Million Beschäftigte in Krankenhäusern gibt es in der Bundesrepub lik.

Wir haben die Situation, dass den Krankenhäusern in Deutsch land Sonderopfer im Umfang von 1 Milliarde € zugemutet wurden, verbuchen aber gleichzeitig einen Gesamtüberschuss im Gesundheitsfonds in Höhe von 20 Milliarden €. Der Bun desgesundheitsminister diskutiert populistisch, ob wir die Pra xisgebühr in Arztpraxen kürzen, statt dass wir diese Gelder, diese tatsächlichen Überschüsse dort hingeben, wo sie drin gend benötigt werden, nämlich in die Krankenhäuser.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Deshalb: Unterstützen Sie uns in unserem Vorhaben in Form einer Bundesratsinitiative, dass die Fallpauschalen und der da zugehörige Orientierungswert so erhöht werden, dass die Kli niken diese Leistungen tatsächlich angemessen vergütet be kommen, damit sie in die Lage versetzt werden, gemeinsam mit uns, dem Land Baden-Württemberg, auch die Moderni sierung der Versorgungslandschaft weiterzubetreiben.

Selbstverständlich wissen wir, dass auch infolge von verän dertem Verhalten der Patientinnen und Patienten nicht jeder Standort dauerhaft gesichert sein kann, weil das betreffende Krankenhaus eventuell nicht in der Lage ist, tatsächlich wirt schaftlich zu überleben. Aber wir brauchen gerechten Wett bewerb, wir brauchen eine Ausgangslage für alle Anbieter, für alle Krankenhäuser, die ihnen die Chance gibt, bei guter, ef fektiver und innovativer Arbeit die Erträge zu erwirtschaften, die ein gutes Krankenhaus benötigt. Das haben wir derzeit nicht.

Wir fordern Sie auf: Werden Sie im Bund mit uns aktiv, da mit wir den Krankenhäusern eine Zukunft geben.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Teufel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, mei ne sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in BadenWürttemberg und in Deutschland ein sehr gutes Gesundheits wesen. Diese Feststellung möchte ich gleich an den Anfang

dieser Debatte stellen und hinzufügen, dass unser Gesund heitswesen auch dank der guten Pflege durch die Politik des Landes, aber natürlich auch dank der Beschäftigten einen Spit zenwert in Europa einnimmt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Es geht in der heutigen Debatte um die Weiterentwicklung der Krankenhausstrukturen in unserem Land Baden-Württemberg, aber auch in Deutschland, sowie um neue Finanzierungsme thoden, um die Deckung der Betriebskosten sichern zu kön nen. Wir wollen in Baden-Württemberg die bestmögliche me dizinische Versorgung für unsere Bevölkerung. In einem Flä chenland wie Baden-Württemberg sind wohnortnahe Struk turen und eine gute Vernetzung zwischen stationärer und am bulanter Behandlung unerlässlich.

Wir benötigen in unseren Kliniken auch weiterhin eine Schwer punktbildung, um die hohe Qualität sicherzustellen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Kliniken se hen sich einem dauernden Veränderungsprozess ausgesetzt, zum einen durch die Zunahme der Zahl ambulanter Operati onen, zum anderen aber auch durch die Halbierung der durch schnittlichen Verweildauer innerhalb der letzten 20 Jahre. Aber auch die Spezialisierung stellt die Kliniken in unserem Land Baden-Württemberg vor große Herausforderungen.

Das Land Baden-Württemberg und auch die CDU-Fraktion stehen zur dualen Finanzierung. Die CDU-Fraktion hat die duale Finanzierung eingeführt, und ich glaube, sie ist ein Er folgsmodell für dieses Land und auch für die Kliniken. Seit 1990 hat das Land Baden-Württemberg über 6 Milliarden € über die duale Finanzierung mitgetragen. Wir haben in der Tat einen Antragsstau bei den Investitionskosten. Ich bitte Sie, die neue Landesregierung, darum, diesen Antragsstau abzubau en, so wie Sie es im Wahlkampf versprochen haben. Sie hat ten angekündigt, innerhalb einer Legislaturperiode den An tragsstau von über 1 Milliarde € abbauen zu wollen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Kliniken se hen sich den Tarifsteigerungen, aber auch den Steigerungen bei den Sachkosten ausgesetzt. Diese Steigerungen belaufen sich für das Jahr 2012 auf über 255 Millionen €. Dem steht ein Landesbasisfallwert von 1,7 gegenüber, aus dem sich ein Erlös von 95 Millionen € ergibt. Dennoch haben die Kliniken ein Defizit von 160 Millionen €.

Wir arbeiten, auch mit unserer Bundestagsfraktion, daran, dass die Krankenhausfinanzierung, vor allem das DRG-System, ein lernendes System wird, dass nicht die Mengendiskussion bestimmend für die Vergütung wird, sondern der Gedanke der Bedarfsorientierung. Nicht jede Mengensteigerung in der Kli nik stellt tatsächlich eine Qualitätsverbesserung dar. Die Fehlan reize in der Mengensteuerung müssen vor allem im Fallpau schalensystem korrigiert werden. Der Bedarf an medizini schen Leistungen wird aber in den nächsten Jahren aufgrund der demografischen Entwicklung noch zunehmen. Nicht jede medizinische Leistung kann hundertprozentig über die Fall pauschale abgebildet werden.

Die Krankenkassen haben im Jahr 2011 ca. 6,5 Milliarden € für die Krankenhausstruktur, aber auch für die Betriebskos tenfinanzierung zur Verfügung gestellt. Auch in diesem Jahr

wird dieser Betrag weiter steigen; im Jahr 2012 ist er auf ca. 7 Milliarden € taxiert. Dennoch schreiben 60 % unserer Kli niken keine schwarzen Zahlen.

Die CDU-Fraktion begrüßt die Überlegungen der CDU/CSUBundestagsfraktion zu einem teilweisen Tarifausgleich im Jahr 2012, und sie begrüßt, dass der Orientierungswert eingeführt wird und auch eine dauerhafte strukturelle Begrenzung bei den Mehrleistungen vollzogen wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU-Fraktion steht zu den Kliniken im Land Baden-Württemberg. Wir for dern weitere Überlegungen von der Landesregierung, um die sektorenübergreifende Zusammenarbeit zu manifestieren. Die Zukunft, meine sehr verehrten Damen und Herren, liegt für die Kliniken in einem abgestimmten Miteinander.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort für die SPDFraktion erteile ich Herrn Abg. Wahl.

Frau Präsidentin, meine sehr geehr ten Damen und Herren! Natürlich haben wir in Baden-Würt temberg ein hoch leistungsfähiges Netz an kommunalen, frei gemeinnützigen, kirchlichen und privaten Krankenhäusern und auch Universitätskliniken von internationalem Rang. Aber wir wissen auch: Nur einige der Krankenhäuser sind momen tan gut aufgestellt, und bei Weitem nicht die Mehrheit.

Mit Erlaubnis der Frau Präsidentin zitiere ich aus der „Zeit schrift für Wirtschaftsforschung“ des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung zum Krankenhausrating 2011:

Am besten war die wirtschaftliche Lage der Krankenhäu ser 2009 demnach in Rheinland-Pfalz/Saarland, SachsenAnhalt/Thüringen und in Sachsen, gefolgt von NordrheinWestfalen. Am schwierigsten war die Situation in BadenWürttemberg, Hessen, Niedersachsen/Bremen und Bay ern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, auch das ist ein Ergebnis Ihrer Regierungszeit.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

Viele Krankenhäuser werden heute so, wie sie arbeiten und finanziert sind, nicht mehr lange weiterarbeiten können, weil die strukturellen Probleme immer mehr zunehmen. Diese Pro bleme haben unterschiedliche Ursachen. Zum einen erwarten wir einen Strukturwandel in der stationären Versorgung: die Verbesserung der ambulanten Behandlungsmöglichkeiten, die Spezialisierung, die demografischen Veränderungen, den Fort schritt in der Medizin. Das alles führt, wie von Herrn Kolle gen Teufel schon gesagt wurde, zu einer Verkürzung der Lie gezeiten und in diesem Zusammenhang zur Notwendigkeit des Abbaus von Betten. Damit sind die Abteilungen und so gar ganze Krankenhäuser, vor allem im ländlichen Raum, nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben.

Das ist ein schmerzhafter Prozess, den keine Landesregierung und keine Bundesregierung wird stoppen können. Aber wir können diesen Prozess begleiten und dafür sorgen, dass jeder

zeit und überall eine gute Versorgung der Patienten gesichert ist. Darum kümmern wir uns in der Koalition auch sehr inten siv. Auch die neuen Förderkriterien berücksichtigen diesen Wandel.

Zum anderen geht es um die Investitionskostenförderung. Lange befand sich Baden-Württemberg im Vergleich der Bun desländer bei der Investitionskostenförderung pro Kopf deut lich unter dem Bundesdurchschnitt auf den hinteren Rängen. Vergleichbaren Ländern wie Bayern und Hessen war die Ge sundheit ihrer Einwohner einfach mehr wert als der schwarzgelben Koalition in Baden-Württemberg. Auch hier haben wir gehandelt: 50 Millionen € mehr im Nachtragshaushalt 2011, und im Haushalt 2012 kamen noch einmal 45 Millionen € hin zu.

Drittens – damit komme ich nun zur Bundesebene –: Als Mit glied einer Partei, die sowohl in der rot-grünen als auch in der schwarz-roten Koalition im Bund jahrelang die Gesundheits ministerin gestellt hat, weiß ich natürlich, dass in wirtschaft lichen Krisenzeiten manchmal auch im Gesundheitsbereich Haushaltsdeckelungen erforderlich sind. Aber ich sage Ihnen eines: Bereits mit dem Sparpaket der schwarz-gelben Koali tion im Bund, mit dem die Folgen des Fiaskos, das die Spe kulanten an den internationalen Weltmärkten, Finanzmärkten angerichtet haben, aufgefangen werden mussten, wurden fal sche Prioritäten gesetzt.

(Abg. Martin Rivoir SPD: Genau!)

Mir und der SPD jedenfalls ist eine gute Gesundheitsversor gung unserer Bevölkerung wichtiger als die Erhöhung der Ge winne mancher Hoteliers.

Die Deckelung der Veränderungsraten für die Krankenhaus entgelte war schon damals falsch. Das haben wir in der Op position auch immer heftig kritisiert. Selbst wenn zum dama ligen Zeitpunkt eine solche Deckelung unumgänglich gewe sen sein sollte – in einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit mas siv zugenommen hat und die Gewerkschaften die Sparrunden bei den Tarifabschlüssen mitgemacht haben –, so muss man doch heute feststellen, dass die Wirtschaft glücklicherweise wieder angezogen hat und wir durch den hohen Beschäfti gungsgrad gerade keine Notlage mehr in den Kassen der So zialversicherungen haben.