Protokoll der Sitzung vom 19.04.2012

über nachdenken, dann stellen wir fest, dass das Betreuungs geld für die wohlhabende Ehefrau tatsächlich einen Mitnah meeffekt darstellt.

Wir haben deshalb bereits vor längerer Zeit durch die Bun desratsinitiative „Betreuungsgeld stoppen, Bundesmittel zum Ausbau der Kleinkindbetreuung aufstocken“ umfassend auf die zutage tretenden Fehlentwicklungen durch ein Betreuungs geld hingewiesen. Die zuständigen Ausschüsse des Bundes rats haben unsere Linie einhellig unterstützt, dem verstärkten Ausbau der Kinderbetreuung vor der Einführung einer zusätz lichen Leistung Vorrang einzuräumen. Am 11. Mai dieses Jah res wird unsere Bundesratsinitiative im Plenum des Bundes rats behandelt werden.

Ich darf hier all diejenigen, die sich bezüglich des Betreuungs gelds sehr skeptisch geäußert haben, auffordern, mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Bundesländern zu sprechen, damit wir für diese Bundesratsinitiative eine Mehr heit erhalten und tatsächlich Geld

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

für den Ausbau der Kinderbetreuung zur Verfügung stellen können – nicht das Betreuungsgeld. Da kann man sich manch mal auch ein klein wenig über die Koalition hinausbewegen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Wenn das Betreuungsgeld kommen sollte, dann muss man zur Kenntnis nehmen: Es verhindert, dass Frauen frühzeitig in den Beruf zurückkehren, und es erhöht das Armutsrisiko sowohl im Fall einer Scheidung als auch im Alter.

Ich finde, gerade wir in Baden-Württemberg sollten angesichts des bei uns bestehenden Fachkräftemangels und des demo grafischen Wandels – der uns zugegebenermaßen später als andere Bundesländer trifft – ein besonderes Interesse haben, die Potenziale von Frauen zu fördern, um zu ermöglichen, dass bei uns so viele Frauen wie möglich als Fachkräfte ar beiten.

Dafür, meine sehr geehrten Damen und Herren, müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu muss gewährleistet sein, dass das Kinderbetreuungsangebot entsprechend ausge baut ist und Frauen die Möglichkeit haben, zu arbeiten, so dass sie nicht während der Zeit, die sie zu Hause verbringen, alimentiert werden.

Daher bin ich froh, dass wir am 1. Dezember 2011 mit den Kommunen den Pakt für Familien mit Kindern unterzeichnen konnten, denn damit wird zum ersten Mal – wir sind hier Vor reiter vor allen anderen Bundesländern – umfassend geregelt, wie der weitere Ausbau der Kinderbetreuung und damit die Verbesserung der Rahmenbedingungen für das gesunde Auf wachsen von Kindern in Familien erfolgen können.

Ich denke, dass sich die CSU und Frau Schröder mit dem Be treuungsgeld auf dem Holzweg befinden und wir mit dem Pakt mit den Kommunen einen zukunftweisenden Weg gewiesen haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Zuruf des Abg. Walter Heiler SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit Erlaubnis der Ministerin würde ich gern noch eine Übersetzungshilfe für die Mitglieder aus dem nicht würt tembergischen Teil Baden-Württembergs leisten. „Hendersche fir“ kann man ins Hochdeutsche übersetzen mit „hintenher um“.

(Widerspruch und Heiterkeit – Zurufe: Nein! – Zu ruf der Abg. Rita Haller-Haid SPD)

Nein? Also mit „kreuz und quer“, „durcheinander“, „von hinten nach vorn“. Gut.

(Beifall des Abg. Matthias Pröfrock CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sollen wir vielleicht einen Arbeitskreis einrichten oder ein Gutachten an fordern? Als Hohenloher verstehe ich das! – Abg. Walter Heiler SPD: Vielleicht sollten wir zu dieser Frage einen Dringlichen Antrag einbringen! – Zuruf der Ministerin Katrin Altpeter)

Jetzt erteile ich Frau Abg. Wölfle für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kol leginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich eines klarstellen. Die SPD hat damals in der Großen Koalition dem Betreuungsgeld nur in einer Kompromissform zugestimmt.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Aber zuge stimmt! – Abg. Dieter Hillebrand CDU: Aber immer hin!)

Es gibt eine sehr, sehr schwammige Formulierung. Man hat gesagt, man macht bei dem Betreuungsgeld mit, und im Ge genzug will man den Rechtsanspruch auf Bildung und Betreu ung haben. Das war uns wichtig. Das war damals der Kom promiss.

(Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP: So will man die kalte Progression auch lösen! – Zuruf der Abg. Muh terem Aras GRÜNE)

Das Betreuungsgeld suggeriert eine Wahlfreiheit, die in Wahr heit überhaupt keine Wahlfreiheit ist. Familien mit geringem Einkommen stehen vor der Wahl, ob die Frau aus dem Beruf aussteigt, um dieses Geld zu erhalten, anstatt einen gebühren pflichtigen Betreuungsplatz in Anspruch zu nehmen. Hinge gen haben gut verdienende Familien die freie Wahl, sich ent weder für den öffentlichen Krippenplatz zu entscheiden oder stattdessen die 150 € Betreuungsgeld als Zuschuss zur priva ten Kinderbetreuung in Anspruch zu nehmen. Wo ist denn da bitte die Wahlfreiheit? Müssen wir mit Steuergeldern das Kin dermädchen der finanziell gutgestellten Familie, in der die Gattin zu Hause bleiben kann, mitfinanzieren?

(Abg. Ulrich Lusche CDU: Was ist denn das für ein Familienbild? Was ist denn das für ein Klischee? Das ist furchtbar!)

Das Betreuungsgeld ist keine Hilfeleistung, sondern eine Art Anerkennungsprämie. Frauen wollen in der Mehrzahl – und zwar steigt dieser Anteil seit Jahren kontinuierlich – erwerbs tätig sein. Wir müssen ihnen die Rückkehr in den Beruf deut

lich erleichtern und die Chancen verbessern. Wir brauchen mehr frauen- und familienfreundliche Arbeitsplätze.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Im Hinblick auf die zunehmende Altersarmut gerade bei Frau en können wir doch nicht allen Ernstes mit solchen Prämien aktiv die Rückkehr der Frauen in den Beruf verzögern. Frau en sind aufgrund schlecht bezahlter Jobs und überwiegender Teilzeittätigkeit extrem von Armut bedroht. Wir brauchen an dere Konzepte, um Kindererziehungszeiten bei der Rente bes ser zu berücksichtigen, und wir müssen uns für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf einsetzen. Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen, damit Frauen eben mehr als nur Teilzeitjobs machen können.

(Beifall der Abg. Rosa Grünstein und Rainer Hinde rer SPD)

Gerade darauf sollten wir unseren Blick richten und nicht 2 Milliarden € dafür ausgeben, dass die Frauen zu Hause blei ben – womit wir aktiv dazu beitragen, dass Kinder von Fami lienarmut und Frauen von Altersarmut betroffen sein werden. Dieses Geld brauchen wir stattdessen dringend für den Aus bau der Betreuungsplätze. Wir sind hier vom tatsächlichen Be darf weit entfernt. Es ist kaum zu vermitteln, dass wir seit Jah ren viel Geld in den Ausbau der Betreuungseinrichtungen in vestieren und dann am Ende den Frauen Geld dafür zahlen, dass sie ihre Kinder nicht dorthin bringen. Das ist völlig ab surd.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Die OECD hat das Betreuungsgeld als desaströs bezeichnet. Der Paritätische Wohlfahrtsverband kritisiert, dass dieses Geld ein Bonus für Besserverdiende ist. Das Einzige, was das Be treuungsgeld bewirkt, ist, dass die überkommene Rollenver teilung zwischen Frauen und Männern zementiert wird. Da her verwundert es überhaupt nicht, wenn wir hören, woher diese unsinnige Idee kommt: Sie stammt von der CSU; das sagt uns dann natürlich auch gleich alles.

(Zuruf des Abg. Klaus Herrmann CDU)

Frauenverbände, Gewerkschaften und auch die Bürgerinnen und Bürger sind in diesem Land mit klarer Mehrheit gegen das Betreuungsgeld. Auch die EU-Kommission ist überrascht, dass es in Deutschland Ideen gibt, Frauen zu ermutigen, zu Hause zu bleiben. Jetzt hat sich ganz aktuell sogar der Präsi dent des BDA, Dieter Hundt, zusammen mit den Gewerk schaften bei den Gegnern eingereiht; er bezeichnet das Vor haben als grundverkehrt.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Der Gleichstellungsbericht der Bundesregierung zeigt deut lich auf, auf welche Weise das Betreuungsgeld ein wider sprüchliches Signal in unserer Gesetzgebung darstellt. Wäh rend das neue Unterhaltsrecht Frauen zu Erwerbstätigkeit mo tivieren soll, wird mit dem Betreuungsgeld doch genau das Gegenteil erreicht. Es ist ein völlig falscher Anreiz für sozial schwache Familien mit wenig Einkommen. Deren Kinder ha ben keine Chance auf gute vorschulische Bildung und Erzie hung und unter Umständen auch nicht auf soziale Kontakte außerhalb der Familie.

Bei Ihnen von der CDU Baden-Württemberg scheint es bis auf einige Ausnahmen auch Widerstand gegen das Betreu ungsgeld zu geben. Mir ist trotzdem völlig unverständlich, wie sich auch Abgeordnete aus diesem Haus öffentlich für die ses Betreuungsgeld aussprechen können. Noch unverständli cher ist mir die Haltung Ihres politischen Nachwuchses, der Jungen Union.

Ich vermisse nach wie vor – auch nach Ihrem heutigen Bei trag – eine klare Erklärung der CDU-Landtagsfraktion, wie sie nun eigentlich zu diesem Betreuungsgeld steht.

Im Übrigen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, haben wir längst ein Betreuungsgeld. Wir haben nämlich das Ehe gattensplitting, ein Relikt aus der Adenauerzeit. Genau in die se Zeit gehört meiner Meinung nach auch das Betreuungsgeld.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen – Glocke der Präsidentin)

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage.

Nein.

Soeben ist schon das Beispiel Thü ringen angesprochen worden. Es gibt noch andere Beispiele. Schauen Sie sich das Beispiel Norwegen an. Dort hat man das eingeführt. Was für fatale Auswirkungen das hatte, kann man nachlesen.

Es heißt immer, der CDU-Landesverband sei ein mächtiger Landesverband in Deutschland. Machen Sie diesen Einfluss geltend, und stoppen Sie bitte diesen familienpolitischen Un sinn.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Abg. Brunnemer das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Man hat fast den Eindruck, hier werde zum Marsch in eine andere Republik geblasen. Man könnte meinen, das Betreuungsgeld werde den gesellschaft lichen Fortschritt und die Zukunftsfähigkeit Deutschlands auf dem Weltmarkt verhindern.

(Zuruf der Abg. Charlotte Schneidewind-Hartnagel GRÜNE)

Mit Ihrer maßlos überzogenen Argumentation wird nicht nur das Betreuungsgeld, sondern auch die Lebensentscheidung, den Nachwuchs in den ersten Jahren selbst zu betreuen, als gemeinwohlschädlich dargestellt.

(Abg. Walter Heiler SPD: Was will jetzt die CDU? Können Sie einmal sagen, was Sie wollen? – Weite re Zurufe von der SPD)

Das gute Recht der Eltern wird plötzlich gemeinwohlschäd lich. Das verbürgte Recht der Eltern wird rechtfertigungsbe dürftig.