Protokoll der Sitzung vom 28.06.2012

Wer eigentlich ist HSV-Fan?

(Zuruf des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Ernsthaft: Die kommunalrechtliche Würdigung seinerseits tei le ich ohne Zweifel.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Gut!)

Meine Damen und Herren, Sie haben die Stellungnahmen der kommunalen Landesverbände zumindest teilweise zitiert, teil weise deshalb, weil insbesondere die des Gemeindetags recht

umfangreich ist, keine Frage. In allen diesen Stellungnahmen wird klar und deutlich ausgeführt, dass sie diese gesetzliche Regelung für nicht erforderlich halten.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Beim Städ tetag nicht!)

Langsam, wir bekommen die Kurve. – Es gibt bei allem trotzdem den Hinweis, dass sich die Verantwortlichen im In nenministerium zusammensetzen und sich noch einmal darü ber unterhalten, ob in den entsprechenden Verordnungen oder Ausführungsbestimmungen an der einen oder anderen Stelle ob der bekannteren neueren Vorgänge entsprechender Hand lungsbedarf besteht. Ich sage ausdrücklich zu, dass wir dies selbstverständlich machen, wenn die kommunalen Verbände dies so sehen.

Trotzdem ist das Grundvotum bei den kommunalen Landes verbänden, dass gesetzliche Regelungen in der von Ihnen vor geschlagenen Form nicht notwendig sind.

Weil Sie exakt die Formulierung aus Sachsen übernommen haben: Ich habe seinerzeit im Rahmen der Aktuellen Debatte schon gesagt, dass die Formulierung „spekulative Finanzge schäfte“ Interpretationsspielraum en masse bietet und nicht die Rechtssicherheit, die Sie erwarten. Es wundert mich wirk lich, dass Sie exakt deren Formulierung in Ihren eigenen Ge setzentwurf übernommen haben.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Wenn Sie einen besseren Weg vorschlagen, sind wir offen!)

Meine Damen und Herren, mir lie gen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aus sprache beendet.

Ich schlage vor, den Gesetzentwurf Drucksache 15/1571 zur weiteren Beratung an den Innenausschuss zu überweisen. – Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.

Damit ist dieser Tagesordnungspunkt erledigt.

Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:

Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Einbeziehung von Lebenspartnerschaften in ehebezogene Regelungen des öffentlichen Dienstrechts und zu weiteren Änderungen des Landesbesoldungsgesetzes Baden-Württemberg, des Landesbeamtenversorgungsge setzes Baden-Württemberg und des Versorgungsrückla gegesetzes – Drucksache 15/1719

Das Wort zur Begründung erteile ich Herrn Minister Dr. Schmid.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesen Tagen erinnern wir an den 100. Geburtstag des großen englischen Mathematikers Alan Turing. Er wurde am 23. Ju ni 1912 geboren, und er ist einer der großen Mathematiker un serer Zeit und Begründer der modernen Mathematik. Bekannt geworden ist er insbesondere dadurch, dass er es geschafft hat, im Zweiten Weltkrieg die deutsche Chiffriermaschine Enig ma zu entziffern. Er hat sich diesen Forschungen sein ganzes Leben lang gewidmet.

Alan Turing wurde 1952 wegen Homosexualität angeklagt; er hat daraufhin seinen Sicherheitsstatus verloren und durfte da raufhin seine Dechiffrierkünste nicht mehr im öffentlichen Dienst, im Dienst seines Heimatlands, anwenden. Er hat, si cherlich auch aufgrund dieser schwierigen gesellschaftlichen Diskussion um seine Homosexualität, 1954 den Tod gefun den; die allermeisten seiner Biografen gehen davon aus, dass es Selbstmord war.

Sie sehen, die Akzeptanz von Homosexualität, von gleichge schlechtlichen Lebenspartnerschaften im öffentlichen Dienst ist eine Errungenschaft unserer Zeit. Deshalb bringt die Lan desregierung heute den Gesetzentwurf zur Einbeziehung von Lebenspartnerschaften in ehebezogene Regelungen des öf fentlichen Dienstrechts und zu weiteren Änderungen des Lan desbesoldungsgesetzes, des Landesbeamtenversorgungsgeset zes und des Versorgungsrücklagegesetzes mit einem gewis sen Stolz und auch mit dem Verweis auf diese tatsächlich his torische Leistung ein.

Die Überschrift des vorliegenden Gesetzentwurfs, die ich ge rade vorgelesen habe, klingt technisch und kompliziert. Das geplante Gesetz ist jedoch vor allem eines: Es ist ein wichti ger Schritt auf dem Weg zu einer echten Gleichstellung in Ba den-Württemberg.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Mit diesem Entwurf lassen wir den Worten Taten folgen. Im Koalitionsvertrag haben wir unter der Überschrift „Gleiche Pflichten – gleiche Rechte“ vereinbart, dass die eingetragene Lebenspartnerschaft in vollem Umfang mit der Ehe gleichge stellt werden soll. Mit der Aufhebung des Gesetzes zur Aus führung des Lebenspartnerschaftsgesetzes wurde die Aufga be der Begründung von eingetragenen Lebenspartnerschaften bereits entsprechend der Praxis bei Ehegatten in die Zustän digkeit der Standesämter überführt. Das entsprechende Ge setz auf Grundlage eines Entwurfs des Innenministeriums wurde vom Parlament bereits verabschiedet.

Wir gehen diesen Weg jetzt konsequent weiter. Denn mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf sollen die verpartnerten gleichgeschlechtlichen Beamtinnen oder Beamten künftig bei Besoldung und Versorgung, bei der Beihilfe und beim Reise kostenrecht ihren verheirateten Kolleginnen und Kollegen gleichgestellt werden.

Bislang berücksichtigen die ehebezogenen Regelungen im öf fentlichen Dienstrecht, insbesondere im Besoldungs- und Ver sorgungsrecht, die gleichgeschlechtlichen Lebenspartner oder die früheren Lebenspartner von Beamten und Richtern nicht – und das, obwohl diese bereits seit dem Jahr 2001 eine Le benspartnerschaft nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz be gründen können.

Ihre auf Dauer angelegte Bindung ist ein familienrechtliches Institut, das der Ehe rechtlich angenähert ist. Gleichwohl blieb es beamteten Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern bislang verwehrt, den ehebezogenen Teil des Familienzuschlags zu erhalten, an der beamtenrechtlichen Hinterbliebenenversor gung teilzuhaben oder bei der Beihilfe als Angehöriger be rücksichtigt zu werden.

Neben der Öffnung der bislang geltenden Schranken in den erwähnten Bereichen wirkt sich im Rahmen des vorliegenden

Gesetzentwurfs die Gleichstellung auch im Reisekosten-, Um zugskosten- und Trennungsgeldrecht aus.

In der Anhörung wurden verschiedene Anliegen vorgebracht; die entsprechenden Stellungnahmen finden sich in den Mate rialien zum vorliegenden Gesetzentwurf.

Ich will einen Punkt herausgreifen: Dem Anliegen, die Gleich stellung verpartnerter Beamtinnen und Beamter bereits ab De zember 2003 vorzusehen, konnte nicht entsprochen werden. Das im vorliegenden Gesetzentwurf gewählte Datum der zeit lichen Rückwirkung – der 1. September 2006 – knüpft an den Übergang der Gesetzgebungskompetenz vom Bund an die Länder durch die Föderalismusreform I an. Erst seit diesem Zeitpunkt hat Baden-Württemberg die gesetzliche Eigenzu ständigkeit für die beamtenrechtliche Besoldung und Versor gung.

Gegenüber dem ursprünglich diskutierten Gesetzentwurf, der eine rückwirkende Gleichstellung ab dem 1. Januar 2009 vor sah, wurde die Rückwirkung erheblich erweitert. Eine noch weiter gehende zeitliche Rückanknüpfung ist rechtlich weder gefordert, noch wäre diese unproblematisch. Höchstrichter lich werden nämlich eingetragene Lebenspartnerschaften erst seit Juli 2009 als der familienrechtlichen Institution Ehe ver gleichbar – im Sinne der Regelung im Grundgesetz – angese hen. Diesem Datum folgt das Bundesverwaltungsgericht in seinen Entscheidungen.

Auch das Europarecht fordert keine weiter gehende Rückwir kung. Der EuGH hat im Jahr 2011 bekräftigt, dass die Beur teilung der Vergleichbarkeit zwischen Ehe und Lebenspart nerschaft in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte fällt.

Ein Hinweis zu den Kosten: Ab dem Jahr 2011 fallen durch den Gesetzentwurf jährlich 1,29 Millionen € an. Diese Mehr belastungen für den Landeshaushalt werden durch die Mehr belastungen aufgrund der Rückwirkung ergänzt. Diese belau fen sich auf 5,42 Millionen €.

Bei dem Vorgriff auf die gesetzliche Regelung, dass gleich stellende Leistungen bereits seit dem 1. Januar 2009 vom Lan desamt für Besoldung und Versorgung unter Vorbehalt ge währt werden, sind die Mehrbelastungen insoweit bereits im Landeshaushalt 2011 berücksichtigt. Die weiter gehende Rückwirkung, die mit dem Gesetzentwurf in der jetzigen Form angeregt wird, nämlich zum 1. September 2006, könn te den Landeshaushalt 2012 zusätzlich mit 2,88 Millionen € belasten. Wir wollen diese Kosten im laufenden Haushalts vollzug auffangen.

Ich finde, dieser Gesetzentwurf ist zusammen mit der Ände rung der Zuständigkeit der Standesämter ein ganz wichtiger Schritt für ein weltoffenes, modernes, tolerantes Baden-Würt temberg, damit – egal, ob sie große Mathematiker oder ein fach fleißige Beamtinnen und Beamte im öffentlichen Dienst des Landes sind – diese Bürgerinnen und Bürger, diese öffent lich Bediensteten des Landes die gleichen Rechte haben wie alle anderen auch. In diesem Sinn werbe ich für Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Grünen)

Für die Aussprache hat das Präsidi um eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion festgelegt.

Für die CDU-Fraktion spricht Kollege Dr. Löffler.

Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Soweit die Landesregierung in ihrem Bericht zu den Beschlüssen vom 11. März und vom 29. Juli 2010 die Notwendigkeit der rechtlichen Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften mit der Ehe hervorhebt, ist das semantisch missverständlich und irreführend. Es geht nicht um die Frage, ob sich die Institutsgarantie der Ehe in Ar tikel 6 unseres Grundgesetzes auf eingetragene Lebenspart nerschaften erstreckt oder ob irgendwelche homosexuellen Mathematiker vor 100 Jahren in England diskriminiert wur den, sondern um die Frage, ob wir ehebezogene Regelungen im Landesbeamtenrecht der Lebenswirklichkeit anpassen und auf eingetragene Lebenspartnerschaften erstrecken.

Ich meine, das ist längst überfällig und für ein modernes öf fentliches Dienstrecht eigentlich unverzichtbar. Nur darüber debattieren wir heute. Beamtinnen und Beamte sind nach Leistung und Eignung, nach gleichen Grundsätzen zu alimen tieren und nicht danach, wie sie ihren privaten Lebensentwurf verwirklichen. Offen gesagt ist es mir gleichgültig, ob mir ein homosexueller Beamter, eine lesbische Beamtin oder ein he terosexueller Beamter einen Strafzettel gibt.

(Abg. Muhterem Aras GRÜNE: Am besten gar kei nen!)

Ich mache da keinen Unterschied; ich ärgere mich in allen drei Fällen gleichermaßen.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

An gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften nimmt ge sellschaftlich niemand mehr Anstoß, und mit dem Lebenspart nerschaftsgesetz ist dem Bedürfnis gleichgeschlechtlicher Le benspartner nach staatlicher Anerkennung und rechtlicher Ab sicherung Rechnung getragen worden. Lebenspartner sind nach dem Gesetz Familienangehörige. Wir unterscheiden al lenfalls nach nahen und sonstigen Angehörigen, aber nicht nach gleich- und gemischtgeschlechtlichen Angehörigen. Al le Angehörigen sind also gleich zu behandeln, auch nach dem Landesbeamtenrecht. Das haben wir noch nicht erreicht, und daran müssen wir arbeiten.

Aus dem verfassungsrechtlichen Schutz der Ehe ist nicht be gründbar, dass andere Lebensgemeinschaften mit geringeren Rechten ausgestattet werden können.

(Beifall bei den Grünen und der SPD sowie des Abg. Helmut Walter Rüeck CDU)

Das ist eine falsche Verteilung hier. – Das ist nicht der Schutzzweck der Norm. Die Ehe ist verfassungsrechtlich pri vilegiert und steht unter dem besonderen Schutz der staatli chen Ordnung. Artikel 6 begründet für die Ehe Schutz- und Abwehransprüche. Der Staat muss alles unterlassen, was die Ehe schädigt, und es steht ihm frei, die Ehe zu fördern. Es ist aber nicht staatliche Aufgabe und sachlich nicht gerechtfer tigt, eingetragene Lebenspartnerschaften bei der beamten rechtlichen Versorgung durch die Verweisung auf die Ehe schlechterzustellen, sie zu benachteiligen oder bei der Erbrin gung von gleichen Leistungen versorgungsrechtlich sogar zu diskriminieren.

Auch eingetragene Lebenspartnerschaften sind auf Dauer an gelegt und begründen wechselseitige Einstandspflichten. Zu

dem hat die Europäische Union in ihrer Richtlinie vom 27. November 2000 klar gesagt, dass eine mittelbare oder un mittelbare Diskriminierung wegen Religion, Weltanschauung, Alter, Behinderung oder sexueller Ausrichtung gemeinschafts rechtlich unzulässig ist.

Die Richtlinie ist bei uns Gesetz. Eine versorgungsbezogene finanzielle Schlechterstellung von eingetragenen Lebensge meinschaften hat mit dem Schutz der Ehe nichts zu tun. Eine diskriminierungsfreie Versorgung aller Angehörigen ist eine Selbstverständlichkeit. Dafür brauche ich kein Urteil des Bun desverfassungsgerichts. Das sagt mir schon der gesunde Men schenverstand, wenngleich das Bundesverfassungsgericht der öffentlichen Hand erklären musste, dass der Ausschluss gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften bei der Zusatz versorgung und bei der Hinterbliebenenrente verfassungs rechtlich nicht darstellbar ist.

Bei uns muss es dazu nicht kommen. Es ist Zeit, dass wir das Landesbeamtenrecht im Sinne des Gesetzentwurfs ändern. Im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst haben wir das erreicht, und auch im Abgeordnetengesetz für Baden-Württemberg fin den wir die Gleichstellung. Die Lücke im Landesbeamten recht sollten wir schließen.