Protokoll der Sitzung vom 19.07.2012

Aber zunächst einmal zu den beiden Fällen, die passiert sind, zu den Fällen in Karlsruhe und in Lehrensteinsfeld. Dass wir da sprachlos sind, braucht man, glaube ich, nicht weiter zu be tonen. Dabei wird einem allerdings, wenn man über diese Sprachlosigkeit ein bisschen nachdenkt, klar, dass wir auch deswegen sprachlos sind, weil sich diese Fälle eigentlich ei ner normalen Regelung entziehen. Wenn man genau hinschaut, sieht man: Diese Fälle entziehen sich einer Gesetzgebung, die für alle gelten soll, weil diese Fälle sehr aus dem Rahmen fal len. Das trifft insbesondere auf den Lehrensteinsfelder Fall zu. In Karlsruhe waren sowieso illegal besessene Waffen im Spiel. Wer die Situation in Lehrensteinsfeld kennt, die in die sem Haus bestand, der hat wenig Zweifel daran, dass es, wenn es nicht mit einer legal erworbenen Waffe passiert wäre, mit einer illegal erworbenen Waffe geschehen wäre. Das ist kei ne Frage. Da sind natürlich auch ganz andere Faktoren und Ursachen im Spiel, die mit dem Waffenrecht einfach nicht zu fassen sind, auch wenn man das bedauern mag.

Lieber Herr Sckerl, ich habe Ihnen natürlich wie immer auf merksam zugehört. Sie haben zu Recht gesagt: „Gesetze, die wir haben, müssen vollzogen werden.“ Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Wir sind für den Vollzug der bestehenden Gesetz gebung. Wie weit diese übrigens ausgebaut ist, zeigt gerade Ihr Beispiel, lieber Herr Sakellariou, auch wenn Sie es viel leicht ein bisschen unfreiwillig zitiert haben. Gerade das Bei spiel des Gerichtsvollziehers zeigt doch, wie restriktiv unser Waffenrecht schon heute ist. Jetzt wenden wir es an. Wir sind darin beieinander, dass wir es anwenden sollten – vielleicht mit einer einzigen Ausnahme: Ich verstehe in der Tat, wenn

manche nicht verstehen, dass man anlassunabhängige Kontrollen selbst bezahlen muss.

(Beifall des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr rich tig!)

Das sehen wir anders. Das sehen auch manche Gemeinden so wie wir. Wir freuen uns darüber. Das muss man auch aus un serer Sicht nicht so machen. Aber kontrollieren muss man; da sind wir völlig beieinander.

Sie waren im Übrigen in Ihren Vorschlägen, was das Land an belangt, reichlich vorsichtig. Sie haben allerdings auf den Bund verwiesen. Was im Bund im Moment passiert und was Sie für unterstützenswert halten, ist schon interessant: Im Bund fordern die Grünen eine Verschärfung des Waffenrechts. Dazu gab es gerade auch eine Anhörung im Innenausschuss, bei der allerdings gerade die Sprecher der Polizeigewerkschaft sich skeptisch und ablehnend gegenüber den Vorschlägen der Grünen geäußert haben.

Es geht im Prinzip um zwei Forderungen. Zunächst wurde in der Anhörung natürlich noch einmal betont, dass die eigent liche Herausforderung, das eigentliche Problem bei den ille gal erworbenen Waffen besteht, von denen es anscheinend bis zu viermal so viele gibt wie legal erworbene Waffen. Gerade die Sprecher der Polizeigewerkschaft haben unisono gesagt: Unser Problem sind die illegal erworbenen Waffen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Richtig!)

Dann zu Ihren beiden Vorschlägen, soweit sie greifbar sind. Der erste Vorschlag besteht in einer zentralen Aufbewahrung, also Aufbewahrung nicht zu Hause, sondern zentral. Ich erin nere allerdings daran, dass der Eislinger Fall, den Sie erwähnt haben, gerade dadurch gekennzeichnet war, dass die Jugend lichen die Waffen im Schützenhaus geklaut haben und an schließend ihre Eltern erschossen haben, übrigens mit klein kalibrigen Waffen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: So ist es!)

Alle Welt warnt also vor dieser zentralen Aufbewahrung. Denn dann müsste man aus den Schützenhäusern Festungen machen. Denn das sind dann natürlich Anziehungspunkte für jeden, der daran interessiert ist, durch einen Einbruch eine Waffe illegal zu „erwerben“. Die Waffen können Sie in einem normalen Schützenhaus heutigen Zuschnitts überhaupt nicht sicher lagern.

(Abg. Thomas Blenke CDU: Und jeder weiß, wo die Waffen sind!)

Dann der zweite Punkt: großkalibrige Waffen oder kleinkali brige Waffen. Ich habe den bedauerlichen Fall von Eislingen genannt. Man staunt manchmal auch über die Unkenntnis, die in der Debatte herrscht. Verzeihung, wir wollen hier nicht in Details gehen, aber eines muss man schon sagen: Sie können natürlich mit mancher kleinkalibrigen Waffe durch eine Tür schießen; umgekehrt gibt es 8-mm-Waffen, mit denen man nicht durch eine Wand schießen kann. Da ist es eigentlich in Bezug auf den Fall, den Sie zitiert haben, überhaupt kein Un terschied, ob ich ein Großkaliber oder ob ich ein Kleinkaliber habe.

Es ist für mich irgendwo verständlich, dass man noch nach Möglichkeiten sucht. Aber ich bitte um Verständnis, dass wir uns, was das Waffenrecht anbelangt, auf den Standpunkt stel len: Die Möglichkeiten im Waffenrecht sind bei vernünftiger Betrachtung ausgereizt. Das ist unser Standpunkt, für den ich um Unterstützung bitte.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die Landesregierung spricht Herr Innenminister Gall.

Herr Präsident, werte Kolle ginnen, werte Kollegen! Drei Jahre nach Winnenden und Wendlingen haben schreckliche Ereignisse das Thema Schuss waffen wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt und geben Anlass, heute auch im Parlament wieder darüber zu diskutieren.

In Karlsruhe sind vier Menschen getötet worden. Der Täter hat sich dann selbst gerichtet. In Lehrensteinsfeld hatten wir einen sogenannten erweiterten Suizid zu beklagen, bei dem zuvor aber auf eine dritte, unschuldige Person geschossen wurde.

Ich finde schon: Da darf man auch zum Ausdruck bringen, dass uns dies bestürzt und fassungslos macht und dass wir da von betroffen sind. Deshalb, Herr Dr. Goll, finde ich – es tut mir jetzt wirklich leid – Äußerungen, wie sie gerade von Ih nen gemacht wurden, einfach nicht angebracht. Von Hirnlo sigkeit in der Argumentation zu sprechen,

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

davor zu warnen, Rattenfängern auf den Leim zu gehen, fin de ich da einfach nicht passend. Das will ich ausdrücklich sa gen.

Richtig ist in der Tat: Bei dem Fall in Karlsruhe hat es sich um illegalen Waffenbesitz in Deutschland gehandelt, weil die se Waffen aus einem legalen Waffenbesitz in Frankreich nach Deutschland gebracht worden sind; in Frankreich ist ihr Be sitz – nach heutigem Kenntnisstand jedenfalls bei den meis ten von ihnen – legal gewesen, aber die Verbringung nach Deutschland war es eben nicht.

In Lehrensteinsfeld waren die Waffen, die zur Tatausübung benutzt wurden, in legalem Besitz, und zwar von einem Sport schützen. Nach dem heutigen Erkenntnisstand gab es keinen Anlass einzuschreiten, was die ordnungsgemäße Aufbewah rung von Waffen, was Eignung, was Zuverlässigkeit anbe langt. Das heißt – das muss man schon nüchtern konstatieren –, dass die seit Winnenden durchgeführten waffenrechtlichen Verschärfungen – meines Wissens haben wir sie in diesem Plenum auch einheitlich unterstützt – zum besseren Schutz vor unberechtigtem Zugriff durch Dritte – die vorgenomme nen rechtlichen Verschärfungen betrafen in der Tat die Auf bewahrung – diese Taten nicht verhindert haben.

Ich habe Ihnen ja – Kollege Sckerl hat es angedeutet – im Sep tember des zurückliegenden Jahres unsere Evaluation vorge stellt: Welche Wirkungen hatten die neuen Instrumentarien, die Beschränkungen, die Kontrollen? Ich habe aufgezeigt,

dass wir im Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis Mitte 2011 14 300 Kontrollen durchgeführt haben. Das Erfreuliche dabei war – da finde ich die Gebührendiskussion auch daneben; das will ich ausdrücklich sagen –, dass wir bei den Erstkontrollen Beanstandungen von etwa 50 % hatten, aber bei der im Juni des zurückliegenden Jahres wieder erfolgten Kontrolle eine deutliche Verringerung bei den Beanstandungen auf 20 %, 25 % hatten. Ich habe Ihnen damals auch aufgezeigt, worin diese Beanstandungen bestanden

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Die Quali tät!)

die Qualität der Beanstandungen. Auch das relativiert diese Zahlen noch einmal. Aber jedenfalls sind die Tendenz und die Richtung positiv. Deshalb sind diese Waffenkontrollen auch in Zukunft noch außerordentlich wichtig. Aber wir sollten uns auch immer wieder vor Augen führen: Diese Waffenkontrol len sind letztlich nichts anderes als eine Momentaufnahme, als eine Tages-, eine Stundenaufnahme. Eine Stunde später, am nächsten Tag kann sich die Situation wieder völlig anders darstellen.

Aber – es wurde gesagt – es ist nun einmal so: Waffenrecht ist Bundesrecht, und unsere direkten Möglichkeiten sind da außerordentlich eingeschränkt. Deshalb hat der Bundestag die Bundesregierung aufgefordert – meines Wissens mit breiter Mehrheit, quer durch alle Parteien –, bis Ende 2011 dem Par lament wieder eine Evaluierung der bisherigen Verschärfun gen im Waffenrecht vorzulegen. Dies ist bis heute nicht ge schehen.

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Richtig! Ja!)

Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion jetzt in einem erneu ten Antrag die Bundesregierung aufgefordert, diese Evaluati on bis zum Ende dieses Jahres tatsächlich vorzulegen. Sie hat auch eingefordert – auch das war Inhalt dieser Resolution, der Aufforderung des Bundestags –, deutlich zu machen, welche Möglichkeiten noch bestehen würden, insbesondere auch, über welche technisch realisierbaren Möglichkeiten – Stich wort „pragmatisch“, Herr Dr. Goll – noch diskutiert werden kann, was Waffen, was Munition und was die Verbesserung der Sicherheit anbelangt.

Einige Themenbereiche wurden heute schon genannt, z. B. das Blockieren von Erbwaffen, weil es, glaube ich, doch wirk lich unbestritten so ist, dass bei einem Großteil der Erben ei gentlich kein Bedürfnis besteht, die Waffen zu empfangen, weil sie nicht, wie es der Vererbende war, Mitglied im Schüt zenverein oder Jäger sind. Deshalb, finde ich, sind dies durch aus Themenbereiche, die man angehen kann.

Ich füge da auch ausdrücklich einmal an: Wenn ich mir an schaue, wie viele Mitglieder der Sportschützenvereine tatsäch lich an Wettbewerben teilnehmen, dann finde ich, dass das Thema Blockiersysteme auch in Bezug auf diejenigen, die nicht mehr aktiv Schießsport betreiben, diskussionswürdig ist, wenn wir über eine erneute Novellierung des Waffenrechts sprechen. Genauso verhält es sich mit dem Unbrauchbarma chen von Munition, die in den Haushalten häufig noch vor handen ist.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Warum soll man denn nicht noch einmal ernsthaft darüber nachdenken dürfen, eine erneute Waffenamnestie in Gang zu bringen? Denn die zurückliegenden Erfolge sind doch durch aus positiv. Die bisherigen Amnestieregelungen haben dazu geführt, dass wir bundesweit mehr als 200 000 Waffen weni ger haben, 53 000 davon allein in Baden-Württemberg. Das zeigt doch, dass solche Regelungen auch durchaus immer wie der einmal einer Wiederholung bedürfen. Ich wüsste nicht, warum man darüber dann nicht ernsthaft diskutieren sollte. Ich wüsste auch nicht, warum diese Vorschläge unklug, hirn los oder nicht pragmatisch sind oder was immer heute Mor gen von Ihnen, Herr Goll, diesbezüglich ausgesagt wurde.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Ich bin der Auffassung, jede Möglichkeit, die zum Erfolg hat, dass weniger Waffen vorhanden sind, bedeutet ein Stück weit mehr Sicherheit. Wer kann denn gegen mehr Sicherheit sein? Auch die Waffenkontrollen, die wir in Baden-Württemberg durchgeführt haben, haben doch, finde ich, Erfolge gezeigt.

(Glocke des Präsidenten)

Der verstärkte Kontrolldruck hat doch in den zurückliegen den Jahren zu dem Ergebnis geführt, dass allein dadurch, dass vermehrt kontrolliert wurde, dass es auch Geld gekostet hat, diese Kontrollen durchzuführen, 50 000 Waffen in BadenWürttemberg abgegeben wurden. Auch dies bestätigt den ho hen Kontrolldruck durch die baden-württembergischen Waf fenbehörden.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwi schenfrage des Kollegen Halder? – Bitte schön.

Danke für die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen. – Ich habe mir beim Vortrag von Herrn Goll und dem von Ihnen überlegt: Können Sie mir einen vernünftigen Grund nennen, wieso ein Mensch, der nicht aktiver Jäger ist, der nicht Sportschütze im Wettkampf ist oder mit einer staatlichen Aufgabe betraut ist, eine Waffe besitzen soll? Können Sie mir dafür einen vernünftigen Grund nennen?

(Abg. Claus Schmiedel SPD: Wenn man Goll heißt!)

Ich kann nicht in die Köpfe von Menschen schauen, aber man braucht, glaube ich, gar nicht zu bestreiten, dass es bei Liebhabern und

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Erbschaft!)

Sammlern im Hinblick auf Affinitäten und Erbschaften Inte ressen gibt.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Das ist das Problem!)

Deshalb habe ich angesprochen: Ich möchte jemandem, der ein Erbstück erhält, dieses Erbstück nicht unbedingt abneh men.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Richtig! Blockieren!)

Aber deshalb ist dafür zu sorgen, dass entsprechende Blockier systeme eingebaut werden.

(Abg. Wilhelm Halder GRÜNE: Aber es muss ja nicht funktionsfähig sein!)

Ja, das sage ich ja. Völlig klar.