Meine sehr geehrten Damen und Herren, irgendwie kommt mir das Ganze vor wie das Märchen vom Hasen und vom Igel. Wir wollen einen gesetzlichen Mindestlohn. Sie rennen ir gendwann doch einmal los, weil Sie gemerkt haben, dass im September die Bundestagswahl stattfindet und dass die Mehr heit der Bevölkerung einen Mindestlohn will. Aber immer, wenn Sie ankommen, völlig außer Atem, sitzt der Igel schon da und sagt: Das Thema Mindestlohn bringen wir in den Bun destag ein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Botschaft ist klar und eindeutig: Wir wollen Mindestlöhne in Höhe von 8,50 € pro Stunde.
(Abg. Peter Hauk CDU: Das heißt, 1 200 € brutto in Baden-Württemberg! Jetzt sagen Sie mal, wie jemand davon leben und alles Nötige zahlen kann! – Unru he)
1 200 € brutto, lieber Herr Hauk, ist der Satz, der das Exis tenzminimum sichert. Genau das ist unser Anliegen bei der Einführung des Mindestlohns. Wir wollen die Sicherung des Existenzminimums für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh mer in unserem Land.
Wichtig ist für uns auch, dass wir eine Mindestlohnkommis sion einrichten wollen, damit der Mindestlohn jährlich durch eine unabhängige Kommission überprüft und gegebenenfalls angepasst werden kann.
(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Nach dem Motto „Wenn ich nicht mehr weiterweiß, gründe ich einen Arbeitskreis“!)
Wenn wir sagen, dass ein Stundenlohn von 8,50 € die Unter grenze ist, dann verbietet das keinem Arbeitgeber, keiner Ar beitgeberin, mehr zu bezahlen. Das ist wohl auch klar.
Wer heute gebetsmühlenartig wiederholt, welche negativen Folgen der Mindestlohn für die Beschäftigung habe, dem kann vor allem die neuere empirische Forschung entgegengehalten werden. Denn entgegen allen Prognosen hat die Evaluation von acht Branchen mit Mindestlöhnen in Deutschland gezeigt, dass dort nirgendwo eine negative Wirkung festgestellt wer den konnte. Im Gegenteil: Der Mindestlohn hat auch erhebli che positive fiskalische Effekte. Nicht zuletzt folgen wir im Übrigen mit dem Mindestlohn dem Vorbild der meisten Staa ten in Europa.
Ich denke, es wäre jetzt eine gute Zeit für Sie, sich aufzuraf fen und sich unserer Initiative für einen allgemeinen gesetz lichen Mindestlohn in Deutschland anzuschließen. Die Zeit ist reif. Seien Sie nicht immer der Hase, der zu spät kommt, meine sehr geehrten Damen und Herren. Raffen Sie sich auf.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Rülke, von Ihnen hören wir neue Töne: „ordnungspolitische Maßnahmen“. Vielen Dank. Auch dass Sie das Hohelied der Tarifautonomie singen, freut uns.
(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Lesen Sie mal das Protokoll der Debatte vom letzten Jahr! Da habe ich genau das Gleiche gesagt!)
Für uns ist die Tarifautonomie auch ganz wichtig, keine Fra ge. Tarife schränken auch den Niedriglohnsektor ein; das stel len wir überhaupt nicht in Abrede.
Auch bei Arbeitgebern, die tariflich gebunden sind, arbeiten immerhin 12 % der Beschäftigten im Niedriglohnbereich. Das gilt es zu korrigieren. Insbesondere gilt dies aber in den Bran chen, in denen es gar keine Tarifverträge gibt.
Sie fragen, warum Rot-Grün damals nicht den Mindestlohn eingeführt habe. Sie loben die Agenda 2010. Vielen Dank, das freut uns. Aber wir stellen heute fest, dass auch durch die Agenda 2010 – insbesondere was ihre Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt betrifft – gewisse Nachteile entstanden sind:
Ich habe es eingangs gesagt: In den alten Bundesländern hat der Niedriglohnbereich in den letzten 15 Jahren um 70 % zu genommen. Diese Entwicklung nehmen wir zur Kenntnis, und deshalb steuern wir jetzt nach. Das ist der Grund, warum wir jetzt den Mindestlohn fordern,
im Übrigen mittlerweile auch gemeinsam mit den Gewerk schaften, die vor zehn Jahren noch eine etwas differenzierte re Meinung dazu hatten.
Zu der Behauptung, Mindestlöhne gefährdeten Arbeitsplätze, hat die Sozialministerin dankenswerterweise gerade schon et was gesagt: Ein Ergebnis der Untersuchung von SchwarzGelb, die im Koalitionsvertrag 2009 festgeschrieben wurde und die auch durchgeführt wurde – der Evaluationsbericht hat mehrere Tausend Seiten –, ist, dass Mindestlöhne keine Ar beitsplätze gefährden. Die befragten Branchen, u. a. die Ge bäudereiniger, die Abfallwirtschaft, das Bauhauptgewerbe, haben allesamt gesagt, Arbeitsplätze seien nicht gefährdet, im Gegenteil, es falle ihnen leichter, Mitarbeitende und Arbeit nehmer zu rekrutieren, und das Image der Branche habe sich dadurch verbessert. Insofern ist dieses Argument einfach nicht stichhaltig.
Herr Löffler, Sie haben gesagt, die Lohnuntergrenzen seien nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten festzulegen. Das ist in Ordnung; es entspricht Ihrer Grundhaltung. Nur dürfen Sie Ihre Rede dann nicht mit dem Matthäusevangelium be ginnen. Matthäus, Kapitel 20 – Das Gleichnis von den Arbei tern im Weinberg – ist auch uns bekannt.
Was den einen Denar betrifft, so ist dies richtig recherchiert. Aber Sie müssen schon dazusagen: Einen Denar hat derjeni ge bekommen, der morgens früh bei Sonnenaufgang begon nen hat, den hat derjenige bekommen, der um die Mittagszeit begonnen hat, und selbst der, der abends um 17:00 Uhr be gonnen hat, hat noch diesen einen Denar bekommen.
wir könnten das Evangelium direkt in Gesetze gießen. Aber gewisse Grundhaltungen können wir schon ableiten. Dazu ge hört – das ist die Botschaft von Matthäus, Kapitel 20 –, dass man von seiner Arbeit leben können muss, dass Arbeit etwas mit Würde zu tun hat. Dazu gehört für uns der Mindestlohn.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Ich möchte jetzt nicht weiter über das Matthäusevangelium referieren, aber Sie an zwei Gedanken teilhaben lassen, die jetzt nicht gerade Mainstream sind, die mir aber in diesem Zusammenhang wichtig erscheinen.
Wir haben ja vielleicht auch die Möglichkeit, den Bürger ent scheiden zu lassen, ob er bereit ist, Mindestlöhne oder Tarif löhne zu akzeptieren. Wir haben in unserem Steuerrecht nach § 35 a des Einkommensteuergesetzes die Möglichkeit, Auf wendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwer kerleistungen in Höhe von bis zu 6 000 € pro Jahr zu 20 % von der Steuer abzusetzen. Das kann jeder Bürger machen; das macht wahrscheinlich auch jeder Bürger.
Es wäre doch sinnvoll, dass dabei nur solche Rechnungen be rücksichtigt werden, bei denen der Unternehmer auf der Fak tura bestätigt, dass er den örtlichen Tariflohn zahlt. Das ist doch relativ einfach. Bei Rechnungen von Betrieben, die ihn nicht zahlen, können die Kosten beim Finanzamt eben nicht berücksichtigt werden.
Das Sozialstaatsprinzip verlangt nicht, dass Niedriglöhne, de ren Bezieher ohnehin schon staatlich gefördert werden, antei lig von der Steuer abgesetzt werden können. Das ist nach mei ner Auffassung eine ganz einfache Regelung: Der Bürger ent scheidet, ob er bei einem Unternehmer Verpflichtungen ein geht, der sich tariftreu verhält, der seine Leute anständig be zahlt – dann kann der Betreffende auch zum Finanzamt gehen und sein Geld anteilig über § 35 a des Einkommensteuerge setzes zurückbekommen –, oder ob er einen „Billigheimer“, einen Niedriglohnanbieter wählt; dann geht das eben nicht. Das ist die einfachste und wirksamste Steuerung im Rahmen des Steuerrechts. Bei Betriebsprüfungen kann auch geprüft werden, ob der Unternehmer dem nachkommt. Wir hätten überhaupt keine Schwierigkeiten, das flächendeckend vorzu sehen.
Hierzu gibt es ein Grünbuch der Europäischen Kommission mit dem sperrigen Titel „Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen“. Es ist noch alles im Fluss. Aber es geht um ökologische, um nachhaltige Produktion. Es geht aber auch um die Frage: Was wird in der Wertschöpfungskette, in der Fertigungstiefe den einzelnen Ar beitnehmern bezahlt – bis hin nach Bangalore oder anderswo? Da könnten wir doch hier in Baden-Württemberg klare Vor stellungen dazu artikulieren, was wir für eine gute Unterneh mensführung halten,