Hierzu gibt es ein Grünbuch der Europäischen Kommission mit dem sperrigen Titel „Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen“. Es ist noch alles im Fluss. Aber es geht um ökologische, um nachhaltige Produktion. Es geht aber auch um die Frage: Was wird in der Wertschöpfungskette, in der Fertigungstiefe den einzelnen Ar beitnehmern bezahlt – bis hin nach Bangalore oder anderswo? Da könnten wir doch hier in Baden-Württemberg klare Vor stellungen dazu artikulieren, was wir für eine gute Unterneh mensführung halten,
und wir könnten auch die Spannungsverhältnisse zwischen Shareholder-Value und den Erwartungen an ein Unternehmen
formulieren. Das tun wir aber nicht. Natürlich ist das keine Sache von Baden-Württemberg. Das wäre eine Sache von Eu ropa. Es würde uns wirklich weiterbringen. Der Unternehmer müsste dann im Lagebericht über seine CSR-Aktivitäten be richten. Ich denke, wir hätten dadurch Unternehmen, die leis tungsfähiger, wettbewerbsfähiger wären und auch eine größe re soziale und gesellschaftliche Verantwortung übernähmen.
Das weiß ich jetzt natürlich nicht. – Aber jetzt geht es ge nau um das, was wir zu definieren haben. Wir sagen: Unser ordnungspolitischer Rahmen ist quasi wie ein Fußballfeld. Die vier Eckfahnen sind der Mindestlohn. Das ist der Preis für so ziale Stabilität und für die moralische Verantwortung der Ge sellschaft, dass die Menschen von ihrer Arbeit leben können.
Das preisen wir als festen Bestandteil, als Wettbewerbsfaktor in die Marktwirtschaft mit ein. Unter dieses Niveau gehen wir nicht.
Genau diese Hürde müssen Sie noch nehmen. Ich habe Ihre phonetische Milde vernommen, Herr Rülke. Das war für Ih re Verhältnisse in den letzten zwei Jahren quasi – –
(Heiterkeit bei den Grünen und der SPD – Abg. Hans- Ulrich Sckerl GRÜNE: „Phonetische Milde“! – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das wird auch wieder anders! Ich verspreche es!)
Ja, aber heute haben Sie aus gutem Grund eine sehr bedäch tige Rede gehalten, weil Sie genau wissen, dass wir auf der richtigen Spur sind, da die Menschen von uns genau diese Antwort erwarten.
Man muss wissen: Wir haben in diesem Bereich einen Fli ckenteppich. In der Zukunft haben wir doch einen Wettbewerb der Branchen, vor allem der Branchen mit schlechtem Image, etwa im Dienstleistungssektor, die irgendwann keine Nach wuchskräfte mehr bekommen werden, wenn von diesen Bran chen nicht das Signal ausgeht, dass man dort genug Geld ver dienen kann, um davon zu leben. Es darf nicht unser politi sches Ziel sein, dass dort Dumping, irreguläre Arbeit, prekä re Arbeitsbedingungen herrschen. Vielmehr müssen wir erst
recht eine echte Marktwirtschaft, eine echte Gleichheit der Wettbewerbsbedingungen aller, die sich am Wirtschaftsleben beteiligen, ermöglichen.
Deswegen fordere ich: Springen Sie über Ihren Schatten. Sie haben es ja eigentlich schon gemacht. Das kann man feststel len, wenn man Ihre Zwischentöne vernimmt. Ziehen Sie mit. Dann haben Sie heute auch einmal etwas Schönes gemacht.
Herr Präsident, mei ne Damen und Herren! Es freut mich natürlich, wenn meine Rede als milde gelobt wird.
Es handelt sich auch, Kollege Hinderer, keineswegs um neue Töne. Wir haben im vergangenen Jahr schon einmal eine De batte über das Thema Mindestlohn geführt. Damals habe ich genau dasselbe gesagt wie heute. Ich wiederhole es noch ein mal.
Erstens: Allgemeine flächendeckende Mindestlöhne lehnen wir ab; das ist ein deutlicher Unterschied zu Ihnen. Zweitens: Wir halten es für richtig und gut, wenn in möglichst vielen Branchen und möglichst vielen Regionen die Tarifparteien die Lohnfindung übernehmen. Und drittens: Dort, wo dies nicht möglich ist, können wir uns branchenspezifische Mindestlöh ne vorstellen. Das ist unsere Position, heute wie in der Ver gangenheit.
Die Untersuchungen, die die Ministerin und auch Sie, Herr Hinderer, erwähnt haben, sind schon sehr bemerkenswert. Man hat sich Branchen angeschaut und ist zu dem Ergebnis gekommen: Dort wurden Mindestlöhne eingeführt, und Ar beitsplätze gingen nicht verloren. Daraus schließt man dann methodisch, dass Mindestlöhne keine Arbeitsplätze vernich ten können. Diese Schlussfolgerung ist aber alles andere als nachvollziehbar. Denn diese Untersuchungen haben in Zeiten des wirtschaftlichen Booms stattgefunden, und die Tatsache, dass keine Arbeitsplätze verloren gegangen sind, dass viel leicht zusätzliche Arbeitsplätze entstanden sind, kann natür lich auch auf andere Ursachen zurückgeführt werden. Denn Sie müssten, um das wirklich beweisen zu können, eine Un tersuchung unter der Fragestellung machen, was denn passiert wäre, wenn es diese Mindestlöhne nicht gegeben hätte. Eine solche Untersuchung liegt nicht vor, meine Damen und Her ren. Insofern können Sie die von Ihnen genannte Untersu chung im Grunde vergessen.
Abschließend noch ein Wort zum Matthäusevangelium und zur Frage, wie es denn mit diesem Denar war. Es ist richtig:
Man hat ihn bekommen, ob man nun morgens, mittags oder abends mit der Arbeit angefangen hat. Aber dieses Gleichnis vom Weinberg diente ja nicht dem Zweck, 2 000 Jahre später der Politik Handreichungen in der Frage zu geben, wie Min destlöhne festzulegen sind. Die Botschaft ist eine andere. Sie lautet: Auch dann, wenn jemand spät zur Einsicht kommt, kann er noch das Paradies erreichen. Entscheidend ist, dass er überhaupt irgendwann zur Einsicht kommt.
Deshalb steht für uns am Ende dieser Debatte die Feststellung: Ökonomisch hat sie nicht viel gebracht, aber sie lässt Ihnen immerhin weiter die Hoffnung, irgendwann einmal durch Ein sicht zur Umkehr und ins Himmelreich zu gelangen, meine Damen und Herren.
Mir liegen keine weiteren Wortmel dungen vor. Damit ist die Aktuelle Debatte unter Tagesord nungspunkt 1 beendet.
Aktuelle Debatte – Plant der neue Minister Stoch ein Ver bot des Sitzenbleibens? – Geht der grün-rote Angriff ge gen das leistungsorientierte Schulwesen in Baden-Würt temberg weiter? – beantragt von der Fraktion der FDP/ DVP
(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das Frage zeichen ist gesetzt! – Unruhe – Glocke des Präsiden ten)
Das Präsidium hat eine Gesamtredezeit von 40 Minuten fest gelegt. Auch die Regierung wird gebeten, sich an den vorge gebenen Redezeitrahmen zu halten.
§ 60 Absatz 4 der Geschäftsordnung möchte uns dazu animie ren, die Aktuelle Debatte in freier Rede zu halten.
Herr Präsident, liebe Kol leginnen und Kollegen! Mit dem Rücktritt der Kultusminis terin Gabriele Warminski-Leitheußer und der Ernennung des neuen Kultusministers, Herrn Andreas Stoch, verbanden wir Liberalen Hoffnungen. Wir hatten die Hoffnung, dass mit dem neuen Mann an der Spitze des Kultusministeriums nun auch bei der politischen Führung dort mehr Sachlichkeit und we niger Ideologie Einzug in die Bildungspolitik halten würden.
Die ersten Äußerungen des neuen Kultusministers schienen diese Hoffnungen durchaus zu bestätigen. Da war viel von Re alismus und wenig von Ideologie die Rede.
Doch dann erfolgte der Tritt auf die Bremse, die Vollbrem sung: Minister Stoch legte den ideologischen Rückwärtsgang ein. Der „Mannheimer Morgen“ schrieb am 21. Februar 2013:
Nachdem in Baden-Württemberg bereits bei den Gemein schaftsschulen niemand mehr um die eigene Versetzung in die nächste Klasse bangen muss, will Kultusminister Andreas Stoch (SPD) nun nachlegen. Extrarunden sollen Schritt für Schritt auch in den anderen Schulen verboten werden, sagte Stoch.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, man könnte das gan ze Thema natürlich auch „oberflächlich“ betrachten und sich einfach einmal die Realitäten, die tatsächlichen Zahlen in Ba den-Württemberg anschauen. 0,6 % der Grundschüler, 1,5 % der Werkreal- und Hauptschüler, 2,7 % der Realschüler und 2,2 % der Gymnasiasten blieben 2011 in Baden-Württemberg sitzen. Bei diesen Zahlen fragt man sich: Warum will das Kul tusministerium eigentlich etwas abschaffen, was in der Rea lität so gut wie gar nicht vorkommt,