Protokoll der Sitzung vom 17.07.2013

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Es ist doch völlig unbestritten – ich will das jetzt nicht mehr kommentieren –, dass zwei Punkte, die auf dieser Seite des Hauses eigentlich ein bisschen zur Bescheidenheit mahnen sollten, völlig außer Zweifel stehen. Zum einen: Die Möglich keiten, Daten zu sammeln, sind nach dem 11. September auch in der Bundesrepublik unter einer rot-grünen Regierung ge radezu explosiv erweitert worden.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr richtig!)

Feststellung Nummer 2: Die jetzige Bundesregierung ist die erste, die diesen ganzen Bestand einmal überprüft hat und die Frage gestellt hat: Brauchen wir das eigentlich alles?

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr richtig! – Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Und das Ergebnis war, Herr Kollege: Wir brauchen es!)

Es war die Rede vom Sauerlandkomplex. Es stand in der Zei tung, woher wir die Informationen zum Sauerlandkomplex bekommen haben, nämlich vom amerikanischen Geheim

dienst. Das stand in der Zeitung. Hat jemand eigentlich ein mal gefragt, ob die die Daten hätten haben sollen oder dür fen? Konnte man seit diesem Zeitpunkt eigentlich glauben, dass sie jetzt nur gerade da tätig sind und an anderer Stelle nicht? Wir verdanken den Schutz vor den kriminellen Islamis ten im Sauerland letzten Endes dem amerikanischen Geheim dienst. Das ist einfach so, und das muss man zur Kenntnis neh men.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Das muss auch eine Rolle spielen bei dem zweiten Stichwort, das ich ansprechen möchte. Ich habe vorhin gesagt, der Kanz lerkandidat mache den Mund ziemlich weit auf, was die Bun desregierung alles machen und anstellen soll. Ich kann ver stehen, dass man sich über diesen Komplex aufregt und manch einer dies als eine Riesensauerei bezeichnet.

Ich rate jedoch, mit den Füßen auf dem Boden zu bleiben und zu erkennen, dass wir bei den Amerikanern nicht sehr weit kommen werden.

(Glocke des Präsidenten)

Kollege Professor Dr. Goll, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmiedel?

Vielen Dank, Herr Kollege Goll. – Ich möchte Sie fragen: Was halten Sie denn von der Äuße rung der Bundesjustizministerin, dass man Strafanzeigen ge genüber amerikanischen Mitarbeitern der NSA prüfen müs se?

Verzeihung, diese Äußerung ist eine schiere Selbstverständlichkeit. Wir dulden keine Straf taten auf deutschem Boden. Das ist doch völlig klar.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Sehr richtig! – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Das ist doch prophylak tisch!)

Die Gegenfrage: Was machen wir denn, wenn die Amerika ner nach amerikanischem Recht praktisch alle großen Anbie ter überprüfen können und dadurch natürlich an die Kommu nikation in Europa und Deutschland herankommen? Das hat doch gar nichts mit dem zu tun, was Frau Leutheusser-Schnar renberger sagt.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Doch!)

Die Amerikaner machen das, weil sie eine andere Vorstellung als wir von der Balance zwischen Freiheit und Sicherheit ha ben. Diese andere Vorstellung haben die Briten übrigens auch. Das ist deutlich spürbar. Man überlege einmal, wie viele Ka meras in England hängen.

Hinzu kommt das Trauma des 11. Septembers der Amerika ner, das Herr Hitzler auch angesprochen hat. Das war doch ei ne absolute Ausnahmesituation. Ich habe immer gesagt: Wenn in einer deutschen Großstadt 3 000 Menschen unter Trüm mern gelegen hätten, wäre die Diskussion bei uns auch völlig anders verlaufen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Richtig!)

Man muss nüchtern zur Kenntnis nehmen, dass der Anschlag am 11. September gedanklich in Hamburg-Harburg vorberei tet worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Matthias Pröfrock CDU: So ist es!)

Peinlich, peinlich. Insofern ist all das, was bisher gelaufen ist, im Wesentlichen auf deutschem Boden vorbereitet worden. Deshalb sagen die Amerikaner natürlich: Das Sicherste ist es, wenn wir es selbst überwachen.

Insofern rate ich dringend, mit den Amerikanern zwar über ei ne vernünftige Begrenzung zu reden, dies aber in aller Freund schaft zu tun. Es darf nicht sein, dass wir uns ein Stück weit zurücklehnen, noble und sehr akademische Diskussionen füh ren und gleichzeitig die Amerikaner die Drecksarbeit machen lassen.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Lieber Herr Sckerl, Sie haben von Millionen Bürgern gespro chen, die sich Sorgen machen. Ich glaube aber, Millionen Bür ger machen sich vor allem über die Gefahr Sorgen, dass mor gen oder übermorgen bei uns islamistisch motivierte Anschlä ge verübt werden, die viele Menschenleben kosten, und nie mand vorher aufgepasst hat.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU – Abg. Hans- Ulrich Sckerl GRÜNE: Jetzt stellen Sie aber unseren Sicherheitsbehörden ein schlechtes Zeugnis aus!)

Insofern ist es das Beste, sich mit den Amerikanern auf eine vernünftige Regelung zu einigen, aber auch bei uns eine ver nünftige Regelung zur Vorratsdatenspeicherung wieder ein zuführen. Insbesondere sollten wir dabei mit den Füßen auf dem Boden bleiben und schauen, wie wir uns am besten schüt zen, ohne eine scheinheilige Diskussion zu führen und ohne mit dem Finger auf andere zu zeigen.

Meine dritte Bemerkung mag vielleicht überraschen. Jeder macht sich so seine Gedanken über diesen Komplex und die Folgen. Ich frage mich, ob man das Internet überhaupt schüt zen kann. Glaubt noch jemand, dass wir das Internet schützen können? Ehrlich gesagt, gehe ich mittlerweile davon aus, dass das Internet ein öffentlicher Bereich ist. Ich kann mich genau so gut an den Eckensee stellen und laut rufen, was ich sagen will.

(Abg. Wolfgang Drexler SPD: Da sind Sie aber so fort in einer psychiatrischen Anstalt, wenn Sie es am See machen! – Zurufe der Abg. Karl Zimmermann und Helmut Walter Rüeck CDU)

Das wird wahrscheinlich weniger zur Kenntnis genommen als mein E-Mail-Verkehr, lieber Herr Drexler.

Man muss sich fragen, ob wir bei solchen Diskussionen nicht an einer Wende stehen. Ich rede nicht dem Niedergang des In ternets das Wort. Es wächst aber die Erkenntnis, dass es im Internet keine wirkliche Privatheit gibt. Außerdem gibt es wahrscheinlich keine zuverlässige Möglichkeit, den Kernbe

reich privater Lebensgestaltung im Internet zu schützen. Das ist meine Überzeugung.

Jetzt stellt sich die Frage, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Privat kann man dem eher ausweichen. Im priva ten Bereich werden manche jungen Leute künftig darüber nachdenken, was sie im Internet preisgeben, wenn sie genau wissen, dass kein wirklicher Schutz im Internet möglich ist.

Schwieriger ist diese Frage für die Betriebe und Unternehmen im Land. Auch da gehen wir, glaube ich, einem Zeitalter ent gegen, in dem man nach internetfernen Lösungen suchen wird, die man noch einigermaßen schützen kann. Darin wird eine große Herausforderung liegen. Denn wir müssen davon aus gehen, dass die ganzen Datenbestände, um die es geht, auch fleißig für Industriespionage genutzt werden. Das ist dann noch einmal etwas anderes.

Es geht also um zwei Aspekte: Ändere ich mein privates Ver halten? Das kann jeder. Wie schützt man insbesondere die Da ten der mittelständischen Wirtschaft? Dort sehe ich die Her ausforderungen der Zukunft. Wir sollten uns ihnen gemein sam stellen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP und der CDU)

Für die Landesregierung spricht Herr Innenminister Gall.

Herr Präsident, werte Kolle ginnen, werte Kollegen! Ich habe mich ein bisschen über die Schärfe der Diskussion gewundert.

(Zuruf von der CDU: Sckerl! – Abg. Peter Hauk CDU: Die hat der Herr Sckerl reingebracht!)

Ich schaue da jetzt eher einmal die Opposition an. –

(Zuruf von der SPD: Die sogenannte Opposition! – Zurufe von der CDU und der FDP/DVP)

Denn ich bin der Überzeugung, dass es auch in diesem Haus ein breites Einverständnis gibt, dass bestimmte Dinge schlicht und ergreifend nicht gehen.

(Zuruf des Abg. Karl Zimmermann CDU)

Dazu werde ich ein paar Ausführungen machen.

Wir haben in diesen Tagen – auch in vielen Diskussionen mit Bürgerinnen und Bürgern des Landes – wieder deutlich ge merkt, dass über Chancen und Risiken des Internets, der glo balen Vernetzung heftig diskutiert wird. Während in der Ver gangenheit häufig die Chancen im Vordergrund standen, ste hen jetzt eher die Risiken im Mittelpunkt der Diskussion. Vie len Menschen wird angesichts der Vorkommnisse, die es of fensichtlich gab, bewusst, dass Mitteilungen, die man sendet, nicht ausschließlich beim Sender und beim Empfänger blei ben, sondern dass – selbst wenn man über das Internet mit der Nachbarschaft kommuniziert – andere daran teilhaben kön nen, in welcher Form auch immer.

(Zuruf des Abg. Alexander Salomon GRÜNE)

Wir wissen natürlich – Herr Goll, Sie haben darauf einen Schwerpunkt gelegt –, dass insbesondere Straftäter die Mög lichkeiten, die bestehen, nutzen. Es hat, glaube ich, auch nie manden so richtig überrascht, dass diese Möglichkeiten auch von Geheimdiensten genutzt werden.

Dabei bestehen natürlich unterschiedliche Zuständigkeiten. Das sollten wir bei den Diskussionen nicht vergessen. Bei die ser Diskussion und bei dem Thema, das Anlass für diese Dis kussion war, waren in erster Linie die internationalen Verbin dungen gemeint. Da liegen die Zuständigkeiten nun einmal eindeutig beim Bundesamt für Verfassungsschutz, das heißt beim Bundesinnenminister, und, was den Bundesnachrichten dienst anlangt, beim Bundeskanzleramt – um das einmal ganz deutlich zu sagen.